UNTERLEUTEN
Juli Zeh
Luchterhand
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag , 635 Seiten
ISBN: 978-3-630-87487-6
Die Autorin (Verlagsangabe)
Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Studium des Europa- und Völkerrechts, Promotion. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Schon ihr Debütroman „Adler und Engel” (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis (2002), dem Hölderlin-Förderpreis (2003), dem Ernst-Toller-Preis (2003), dem Carl-Amery-Literaturpreis (2009), dem Thomas-Mann-Preis (2013) und dem Hildegard-von-Bingen-Preis (2015).
Inhalt und meine Meinung
Ein fiktives Dorf in Brandenburg. Es wird bewohnt von den nach der Wende Zurückgebliebenen, denen, die nicht in den Westen aufbrechen konnten oder wollten. Wie in jedem Dorf gibt es Konflikte und Leichen im Keller, Verschwörungstheorien, Gerüchte und Gehässigkeiten.
Da ist Gombrowski, Sohn eines früheren Großbauern, in der DDR Leiter der LPG mit dem schönen Namen „Gute Hoffnung“, die er nach der Wende erfolgreich in eine GmbH umgewandelt hat. Sein erbitterter Feind seit Kindertagen ist Kron, überzeugter Kommunist und mit einem guten Gedächtnis gesegnet. Arne, der Bürgermeister des Dorfs, hat alle Hände voll zu tun, die Kontrahenten und ihre Anhänger in einer Art zerbrechlichem Waffenstillstand zu halten und dafür zu sorgen, dass Geld für die notwendigsten kommunalen Aufgaben zusammengekratzt werden kann.
Ein idyllisches Fleckchen für großstadtmüde Menschen auf der Suche nach ihrem persönlichen Paradies. Schnell erkennen Gerhard Fließ, der ehemalige Dozent am Berliner Institut für Sozialwissenschaften und jetzige Vogelschutzwart, und seine Frau Jule, dass die Dorfbewohner ihre Konflikte auf andere Art austragen als Städter und leiden unter den Schikanen des neuen Nachbarn.
Auch Linda Franzen hat den idealen Ort für ihre Zukunft in Unterleuten gefunden. Sie möchte sich einen Pferdehof aufbauen, eine Art Seminarzentrum für unwissende Pferdebesitzer eröffnen und vor allem ihren geliebten Hengst Bergamotte bei sich haben. Sie ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, ihre Ziele zu verwirklichen. Ihr Partner Frederik hat mit Dorfleben und Pferdehof wenig im Sinn. Er ist Computerfreak und arbeitet im nicht allzu fernen Berlin.
Als eine Investmentfirma auf dem Gemeindegebiet einen lukrativen Windpark errichten will, entstehen schnell neue Konflikte und Bündnisse. Zudem tritt Konrad Meiler auf den Plan, Investor aus Ingolstadt, der mal eben 250 Hektar Land für 2,5 Millionen Euro ersteigert hat und darauf warten kann, dass sich diese Investition amortisiert. Die Lage im Dorf spitzt sich zu.
In jedem Kapitel wird die Lage aus der Sicht einer der Hauptfiguren bzw. ihrer Angehörigen erzählt. Dadurch entsteht ein ständiger interessanter Wechsel aus Außen-und Innensicht der Protagonisten. Ein Mensch, der eben noch als Inbegriff des Bösen geschildert wurde, wird aus der eigenen Sicht zu einem eher bemitleidenswerten, immerzu missverstandenen Menschenfreund. Eigentlich sind alle Personen leicht überzeichnet, was aber nicht im Geringsten stört, sondern häufig zum Wiedererkennen von Verhaltensweisen führt. Nach dem Motto: Das kenne ich doch.
Obwohl das Buch nicht gerade dünn ist, habe ich mich keine Sekunde gelangweilt, im Gegenteil konnte ich es zum Ende hin vor Spannung kaum mehr aus der Hand legen.
Ob es den Anspruch der Autorin erfüllt, einen Gesellschaftsroman zu schreiben, der den Zeitgeist und die Befindlichkeit einer ganzen Epoche erzählt, möchte ich zwar bezweifeln. Was das Buch sicherlich zeigt ist, wie wenig es braucht, um die dünne Schicht „Kultur“, die unser Zusammenleben im Alltag regelt, abzuschmirgeln und zu archaischen Zuständen überzugehen. Ansonsten stelle ich mir die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist, ein Buch mit einem solchen Anspruch zu schreiben. Viel zu vielgestaltig ist unsere Gesellschaft dafür geworden.
Mir genügt es vollauf, dass Menschen in Konfliktsituationen beschrieben werden, nachvollziehbar, glaubwürdig und spannend wie in einem Thriller.
Ich bin von diesem Buch begeistert und vergebe 9 Punkte