Ein deutscher Sommer - Peter Henning

  • Gebundene Ausgabe: 608 Seiten
    Verlag: Aufbau Verlag; Auflage: 2 (22. Juli 2013)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 335103542X
    ISBN-13: 978-3351035426
    Größe und/oder Gewicht: 22 x 13,6 x 4 cm


    Kurzinhalt:
    „Endlich wieder ein großer deutscher Roman!“ Gerd Scobel 54 Stunden im August – Eines der wichtigsten Bücher in dieser Saison. Im heißen Sommer 1988 hielten zwei Geiselnehmer aus Gladbeck die Republik in Atem. Peter Henning hat einen großen Roman über diese 54 Stunden geschrieben, in denen unser Land ein anderes wurde. Er präsentiert die ungeheuren Fakten jener Tage und legt einen erzählerischen Querschnitt durch die westdeutsche Gesellschaft am Vorabend einer Zeitenwende. Am 16. August 1988 überfallen zwei Kleinkriminelle die Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck und lösen damit die wohl spektakulärste Geiselnahme der deutschen Nachkriegsgeschichte aus. Verfolgt von einer Journalistenhorde, fliehen sie brandschatzend durchs Land. Vor laufenden Kameras töten sie, liefern sich Schießereien mit der Polizei und werden in Köln von heute namhaften Journalisten interviewt, während die Geiseln in Lebensgefahr schweben – ein Sündenfall des Journalismus und ein Offenbarungseid der Polizei. Peter Henning erzählt von Männern und Frauen, die hineingezogen werden und binnen 54 Stunden an den Rand ihrer Existenz gebracht werden. Da ist zum Beispiel der junge RTL-Journalist Thomas Bertram, der über den Fall berichten soll, während sein neugeborener Sohn zu sterben droht. Oder die erfolgreiche Romance-Autorin Brigitte Fischer, die durch das Drama begreift, was ihren Mann, der als Kriegsreporter ums Leben kam, umtrieb. Der leitende SEK-Beamte Rolf Kirchner muss mit ansehen, wie die Einsatzleitung den Geiselbus davonfahren lässt, und gerät in eine Sinnkrise. Und der Fotograf Peter Ahrends wird nach der Entführung nie wieder in seinem Beruf arbeiten. „Zeitgeschichte derart klug und spannend zu erzählen ist schon eine Kunst. Darüber hinaus noch einen Roman zu schreiben mit grandiosen Dialogen, brillanter Komposition und großer Beobachtungsgabe – das ist absolut lesenswerte, große Kunst.“ Gert Scobel "Peter Henning hat das berühmte Geiseldrama von Gladbeck detailgenau als exemplarisches Gewaltverbrechen der Mediengesellschaft dargestellt." Dieter Wellershoff


    Autoreninfo:
    Peter Henning, geb. 1959 in Hanau, arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist. Er hat Romane und Erzählungen publiziert, die sowohl ausgezeichnet worden sind als auch von der Kritik viel Lob ernteten. 2009 erschien »Die Ängstlichen« (atb 2681-9), »Der Roman zur Zeit«, so Der Spiegel. Jetzt als Taschenbuch: »Tod eines Eisvogels« (atb 2741-0). www.peter-henning.com


    Eigene Meinung:


    Titel: Interessantes Thema schlecht umgesetzt...


    Nach anfänglicher Begeisterung stellte sich beim Lesen schnell Ernüchterung ein. Wer das Geiseldrama in allen Facetten beschrieben erwartet, der wird arg enttäuscht sein, denn dieses spielt eigentlich nur am Rande eine Rolle.


    Der Autor startet spannend mit dem Geiseldrama und man liest gefesselt. Leider hält das nur die ersten 50 Seiten an, denn auf etwas über 600 Seiten wird die Handlung aus drei Wochentagen beschrieben. Der Leser begleitet dabei mehr die Schicksale teilweise willkürlich gewählter Protagonisten und nicht das Leben der Geiselgangster und ihren Geiseln.


    Der Autor hat zwar ein wirklich fesselndes Thema ausgewählt, es aber für meine Begriffe nicht gut umgesetzt. Nach gut 150 Seiten verliert er sich voll und ganz in den Nebenhandlungen, bei denen man sich immer wieder fragt, was die eigentlich mit dem Geiseldrama zu tun haben. So manch ein Protagonist hat dann doch irgendwie etwas damit zu tun, aber überzeugen tut dies nicht.


    Das Lesen des Buches war für mich wirklich harte Arbeit, denn Peter Henning versucht wirklich jedes Detail zu beschreiben und tut dies durch ellenlange, verschachtelte Sätze, bei denen man so manches Mal den Anfang vergessen hat, wenn man am Ende des Satzes angelangt ist. Das ermüdet auf Dauer einfach nur. Vieles hätte auch kurz durch Adjektive näher beschrieben sein können. Ich hatte als Leser oft das Gefühl er möchte uns das Denken abnehmen.


    Einzig prägnant und kurz waren die Zwischendurch geschriebenen Zeitungsartikel, die auch ausschließlich vom Geiseldrama handelten.


    Fazit: Leider konnte dieses Buch meine Erwartungen nicht so recht erfüllen. Ich kann das Buch nur bedingt empfehlen, jenen Lesern, die einfach nur ein paar nette Geschichten über vom Leben gebeutelte Charaktere lesen wollen. Ich werde das Buch bestimmt nicht noch einmal lesen und bin froh, dass es nur ein Leihbuch war.


    Bewertung: 5/10 Eulenpunkte

  • Was für eine Story - zwei Räuber überfallen eine Bank und nachdem die Polizei recht schnell alarmiert und vor Ort ist, nehmen sie kurzerhand die beiden Bankangestellten als Geiseln. Sie geben Radiosendern Telefoninterviews, bekommen einen Fluchtwagen, mit dem sie samt Geiseln in die Nacht verschwinden, am nächsten Tag gehen sie seelenruhig einkaufen + Kaffee trinken, kapern später einen Bus, die Presse mittendrin - selbst im Bus machen sie Fotos der verängstigten Geiseln. Die Bevölkerung schaut zu, entweder übers Fernsehen oder direkt live vor Ort. Kurz, ein total unrealistischer Plot. Aber: Genau das ist der nicht fiktionale Teil des Buches. Der Autor zeigt mal wieder: Die besten Geschichten schreibt das Leben.


    "Ein deutscher Sommer" ist aber nicht nur die Geschichte des Geiseldramas von Gladbeck. Dies ist lediglich das verbindende Glied einiger Einzelpersonen, die alle zu dieser Zeit ihre ganz eigenen Probleme zu bewältigen haben. Anhand dieses Panoramas vor dem Hintergrund des Geiseldramas zeigt der Autor, wie sich die Bundesrepublik in dieser Zeit wandelte, in erster Linie in journalistischer Sicht, aber auch gesellschaftlich. Insgesamt werden inklusive der Geiselnahme acht verschiedene Handlungsstränge erzählt, das Buch fordert vom Leser also ein großes Maß an Aufmerksamkeit.


    Ich stimme nicigirl85 in ihrem ersten Fazit zu - "Wer das Geiseldrama in allen Facetten beschrieben erwartet, der wird arg enttäuscht sein, denn dieses spielt eigentlich nur am Rande eine Rolle." aber wer die Zeilen auf der Rückseite des Buches vor dem Lesen des selbigen gelesen hat, dürfte diese Erwartung auch nicht haben:


    "Im Sommer 1988 hielten zwei Geiselnehmer aus Gladbeck die Republik in Atem. Peter Henning hat ein mitreißendes Buch über diese 54 Stunden geschrieben, in denen unser Land ein anderes wurde. So zeichnet er ein Panorama der westdeutschen Gesellschaft am Vorabend einer Zeitenwende. Doch weder die Geiseln noch die Gangster stehen im Zentrum seines Romans - sondern wir."


    Dieser Rückseitentext hat noch mal ein Sonderlob von mir verdient. Obwohl praktisch nichts vom Plot verraten wird, hatte ich eine recht klare Vorstellung davon, was mich erwartet. Wirklich gut gemacht - so wünsche ich mir einen Klappentext.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern "gut gemeint" - so sagte mir einmal ein guter Freund. Selten liess sich das so gut demonstrieren, wie an diesem Buch. Ich möchte vorab allerdings betonen, dass ich durchaus den Anspruch anerkenne, den der Autor verfolgt hat. Doch ich denke eben auch von der Perspektive der Leser her, die das Ganze dann verarbeiten müssen. Und in diesem Sinne, wenn es mir auch leid tut, möchte ich nicht mehr als einen Stern vergeben. Damit klar ist, dass mich dieses Buch enttäuscht hat.


    Das Ganze ist total "verkopft" geraten, und damit erreicht man einfach keine Leser. Jedenfalls keine Leser wie mich. Die Idee war schön - zum 25. Jahrestag des Gladbecker Geiseldramas einen Roman zu schreiben. Wobei allerdings der passgenaue Veröffentlichungstermin wieder für sich spricht. Jedoch - der Geist war willig, das Fleisch war schwach. Die Umsetzung konnte mich in vielerlei Hinsicht leider nicht überzeugen.


    Mich hat beispielsweise maßlos enttäuscht, dass die angeblichen vier Jahre Recherchezeit nicht deutlicher werden. Sprich, was den reinen Informationsgehalt über das Geiseldrama angeht, hat mir (als damaliger Zeitzeugin) das Buch so gut wie nichts gebracht, das ich nicht schon wusste - oder das sich nicht in ein oder zwei Stunden seriöser Recherche selber hätte herausfinden lassen. Vier Fünftel des Romans werden auf 7 erfundene Nebenfiguren verwendet, die teilweise nur lose, teilweise auch fast gar nicht mit dem Drama zu tun haben.


    Ich persönlich empfinde drei von diesen sieben Nebenhandlungen als komplett überflüssig. Die anderen vier sind halbwegs relevant, was eine mögliche "Moralisierung" des Dramas angeht. Aber auch hier wird ausgewalzt und überzeichnet, was das Zeug hält. Und das Schlimme daran: man verliert vor lauter Nebenfiguren die Geiselnehmer aus den Augen. Sie kommen vergleichsweise gut weg, erhalten fast so etwas wie Sympathiepunkte - im Gegensatz zu so manch einem Kotzbrocken, der als Nebenfigur durch das Buch torkelt. Und das finde ich derart grenzwertig, dass es mich gruselt. Das hat der Autor bestimmt so nicht beabsichtigt.


    Ein weiterer großer Kritikpunkt ist für mich die Sprache. In den ersten zwei Dritteln des Buches tummeln sich Unmengen von garstigen Schachtelsätzen, bei denen man vor lauter Kommata den Sinngehalt erstmal suchen muss. Und die gewählten Metaphern und weiteren sprachlichen Bilder sind - ich muss es leider so sagen - dermaßen unterirdisch, dass ich von meiner Deutschlehrerin dafür Haue bekommen hätte! Eine der Nebenfiguren ist Autorin von kitschigen Bahnhofskiosk-Liebesromanen. Es scheint, sie habe sich hier materialisiert, und sich austoben dürfen. Ein "Bizzeln im Anus"? "Wälzt sich in der Dusche wie ein räudiger Rüde"? Wo sind wir hier, bitte??


    Die "Krönung des Ganzen" war für mich die Tatsache, dass die Psychologie der meisten Figuren sehr banal bis ordinär auf Triebe wie Sex, Alkohol oder Gewalt reduziert wird. Sicher gibt es solche Menschen, und sicher treten in Extremsituationen manche ungeliebten Eigenheiten zutage. Aber hier wirkt es nun leider, durch die erwähnten Überzeichnungen, wie ein schlechter Witz seiner selbst, wie eine verspätete Entschuldigung des Dramas. Und über allem schwebte auch noch diese verdammte Gluthitze...


    Nein, das kann ich nicht akzeptieren. Bei einem Roman, der "wichtig" und gesellschaftlich relevant sein will, erwarte ich mehr als das. Mehr als Bildzeitungsniveau. Vor allem erwarte ich eine überzeugende Herleitung, Ursachenforschung und Aufarbeitung. All das fehlt hier nahezu gänzlich.


    Mein Fazit: Gut gemeinter Rohrkrepierer.

  • Monatelang bin ich so ein bisschen um das Buch drumrum geschlichen und war mir nicht sicher, ob ich es wirklich lesen will. Als ich es kürzlich in unserer Bibliothek entdeckte, musste ich es aber einfach mitnehmen.
    So....nun hab ich es in knapp 5 Tagen durch und kann mich Seebär in allen Punkten nur anschließen.
    Ich finde diese Art der Verarbeitung von Zeitgeschichte wirklich gelungen. Das Geiseldrama bildet lediglich die Rahmenhandlung, der eigentliche Plot ist die soziologische Darstellung der Gesellschaft Ende der 80er Jahre.
    Persönlich kann ich mich an die Gladbeck Geschichte noch dunkel erinnern, im August 1988 war ich 15 Jahre alt. Aber, als Ostdeutsche kenne ich leider keine Zeitungsartikel aus der Zeit, sondern nur die Fernsehberichte von ARD und ZDF.


    Wer sich für dieses Buch interessiert, weil er das Geschehen damals verfolgt hat sollte aber wirklich unbedingt den Hinweis von Seebär beachten und die Zeilen auf der Buchrückseite beachten ".... Doch weder die Geiseln noch die Gangster stehen im Zentrum seines Romans - sondern wir." Dann erübrigen sich Kommentare darüber, dass von Protagonisten die Rede ist, die mit dem eigentlichen Geiseldrama gar nichts zu tun hatten.