Biokrieg - Paolo Bacigalupi

  • Biokrieg - Paolo Bacigalupi


    Taschenbuch: 608 Seiten
    Verlag: Heyne Verlag (8. Februar 2011)


    Originaltitel: The Windup Girl



    Zum Inhalt
    Bangkok in naher Zukunft: Klimawandel und die Profitgier der internationalen Großunternehmen haben die Welt, wie wir sie kennen, für immer zerstört. Künstlich generierte Krankheiten, Bioterrorismus und Hungersnöte gehören zum Alltag, die Lebensmittelkonzerne beherrschen die globale Marktwirtschaft. Anderson Lake, Mitarbeiter der Firma AgriGen, versucht, Zugang zu thailändischen Genlaboratorien zu bekommen – weltweit die einzigen, die noch Stammkulturen unverseuchten Getreidesamens besitzen. Doch Thailands Regierung setzt alles daran, das Eindringen der westlichen Konzerne in ihr Land zu verhindern ...


    Über den Autor
    Paolo Bacigalupi (* 6. August 1972) ist ein US-amerikanischer Science-Fiction-Autor.
    Bacigalupis Werke wurden mehrfach ausgezeichnet. Für seinen ersten Roman Biokrieg (The Windup Girl) erhielt er unter anderem den Hugo Award und den Nebula Award. Das Time Magazine nahm das Werk in die Liste der 10 besten Bücher des Jahres 2009 auf. Der Roman Schiffsdiebe (Ship Breaker) aus dem Jahr 2010 wurde für den National Book Award nominiert.
    Er lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in West Colorado.


    Meine Meinung
    Bacigalupi nimmt uns mit hinein in eine düstere Welt nach einer großen und sich global auswirkenden, ökologischen Katastrophe. Die Energiereserven sind aufgebraucht. Rohstoffe sind knapp oder zum Teil gar nicht mehr vorhanden. Die meisten der heute lebenden Arten sind verschwunden, zum einen weil sie sich nicht anpassen konnten, zum anderen weil sie durch Seuchen, entstandene und genetisch gezüchtete, vernichtet wurden. Die Geschicke werden von großen Lebensmittel-Konzernen gelenkt, die vor keiner genetischen Manipulation Halt machen. Es herrschen Profit- und Machtgier. Die Meere haben große Landflächen überschwemmt, die ihnen unter enormen Mühen wieder abgetrotzt werden müssen, um das Überleben der Menschheit zu sichern.


    Was tut der Mensch im Angesicht einer solchen Katastrophe? Kommt es zum großen Umdenken? Oder versucht doch nur jeder, mit dem Rücken an die Wand zu kommen, Gewinn aus dem Schaden zu schlagen...


    Im Mittelpunkt stehen 4 (eigentlich 5)Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
    Anderson Lake, selbst Mitarbeiter eines der Gen-Konzerne, der alle Möglichkeiten hat und sie nicht nutzt.
    Hock Seng, ein Mann der alles verloren hat und dessen einiges Ziel es ist, wieder etwas zu werden, zu sein, zu bekommen.
    Jaidee, den ich mit Kanya, seiner Nachfolgerin, in einem Zuge nennen möchte, Hauptmann im Dienst des korrupten Umweltministeriums, der für mich dafür steht, dass Ideale verschüttet sein können, aber nicht verloren gehen müssen.
    Emiko, das genetisch aufgepeppte "Aufziehmädchen", neuer Mensch, verachtet, doch für mich in ihrer Art stellenweise menschlicher als die ihr scheinbar überlegenen "Normalen".


    In diesem Roman geht es nicht so sehr um ökologische Verantwortung, wie ich es erwartet hatte. Es geht um den Menschen, darum wohin und zu wem er sich entwickelt oder eben auch nicht, ob er sich verändert, fähig ist umzudenken, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
    Das herauszuarbeiten ist dem Autor meiner Meinung nach wirklich sehr gut gelungen.


    Obwohl ich mit diesem Roman so meine Anfangsschwierigkeiten hatte, was wohl daran lag, dass man gerade in den ersten Kapiteln nur sehr spärliche Informationen dazu bekommt, wie es eigentlich zu dieser globalen Katastrophe kam und wie die momentane politische Lage ist, packte mich dieser Roman im Laufe des Lesens immer mehr, so dass ich ihn schließlich regelrecht verschlungen habe.


    Ein wirklich guter Science-Fiction-Roman! Sehr lesenswert!


    Von mir 9 Punkte



    Edit:
    An dieser Stelle möchte ich noch anfügen, dass dyke mich an einer Stelle, an der ich den Roman schon abbrechen wollte, darauf gebracht hat, den Roman unter dem Blickwinkel der 4 Hauptpersonen zu betrachten. Danke!

    - Freiheit, die den Himmel streift -

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  • Schöne Rezi - das Buch kann man ja mal im Auge behalten. Zudem scheint es ja auch durchaus einen Bezug zur Realität zu haben. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Biokrieg wirft den Leser in eine heiße und schmutzige Welt, in das Königreich Thailand. Wir lesen eine mögliche Zukunft, in der Profitgier und Machtstreben über die Vernunft gesiegt hat. Die Erderwärmung hat dazu geführt, dass die Meeresspiegel angestiegen sind und Bangok durch hohe Dämme geschützt werden muss. Jede Regenzeit ist eine Herausforderung an die Pumpen, die das Wasser draußen halten. "Wir leben in einer Badewanne", wird sich eine der fünf Hauptcharaktere eines Tages bewußt, als sie auf einem alten Hochhaus, das zu Zeiten der ersten Expansion (unsere Jetztzeit) gebaut wurde, über die Stadt blickt.


    Erdöl ist praktisch aufgebraucht und es gibt nur noch geringe Reserven, die das Militär hortet. Die Energieversorgung erfolgt mit Methan, dass in Kompostanlagen produziert wird, in denen anscheinend alles irdische (auch die Toten) sein Ende findet. Die Leute sind mit dem Fahrrad oder der Rikscha unterwegs und für schwere Arbeiten gibt es die 10 Tonnen schweren Megadonten, eine mit Gentechnik veränderte Elefantenart. In der überalterten japanischen Gesellschaft werden neue Menschen gezüchtet, die gegen Krankheiten immun sind und besondere Fähigkeiten haben. Emiko ist einer dieser Menschen, die perfekt konditionierte Gesellschafterin. Japanischer als die Japaner selbst. Emiko wurde in Thailand nach einer Geschäftsreise von ihrem Besitzer ausrangiert und wie durch ein Wunder nicht zerstört. Das "Aufziehmädchen" (Originaltitel Windup Girl) verrät ihre Herkunft durch ihre abgehakten Bewegungen, die in ihren Gencode eingebaut wurden und wird von den natürlichen Menschen als seelenloses Geschöpf ohne Gefühle betrachtet und entsprechend behandelt.


    Überhaupt bestimmt die Gentechnik das Geschehen. Irgendwann ist der Mensch dazu übergegangen, vor nichts mehr halt zu machen. Angefangen hat es damit, dass der Hunger ausradiert werden sollte. Alle Menschen sollten satt werden. Die Gentechnik sollte es richten. Leider kam es nicht wie geplant. Statt Nahrung für alle, fegten Seuchen über die Menschheit. Parasiten, Krankheiten, die die Nahrungsgrundlagen zerstörten und deren Mutationen auch auf den Menschen übergingen. Die Großmacht Amerika gibt es deswegen nicht mehr. Die europäische Union gehört der Vergangenheit an. Länder wie Indien und Burma sind total ausradiert. Sie hatten keine ausreichenden Ressourcen und haben den Kampf gegen Nahrungsmittelknappheit und Krankheiten verloren.


    Das Königreich Thailand hat sich vorausschauend von dem tobenden Chaos abgeschottet. Alle Ansätze von Krankheiten gnadenlos isoliert und vernichtet, ganze Landstriche an den Grenzen abgefackelt, damit die Rostwelke und andere schöne Dinge bisher nicht ins Herz des Landes vordringen konnten. Die sogenannten Weißhemden des Umweltministeriums haben diesen Kraftakt vollbracht, in dem sie auch nicht davor zurückschreckten, bei ihren Maßnahmen die betroffenen Menschen gnadenlos zu vernichten. Das alles liegt allerdings einige Zeit zurück und das Handelsministerium hat dem Umweltministerium schrittweise die Macht abgeluchst. Die Weißhemden sind mit bestechlichen Beamten unterwandert. Akkarat, die Nummer eins des Handelsministeriums will, dass sich das Königreich wieder dem Ausland öffnet. Thailands großer Trumpf dabei ist eine Samenbank mit jahrhundertealten Samen, auf die es die großen Lebensmittelweltkonzerne wie AgriGen abgesehen haben. Um jeden Preis wollen die an die Samen, um Rostwelke und Rüsselkäfern immer einen Schritt voraus zu bleiben und natürlich um ihre genmanipulierten Samen zu verkaufen und schwindelerregende Profite zu machen. Dafür ist ihnen jedes Mittel recht, sogar Bürgerkrieg.


    Bacigalupi entwirft eine düstere, dreckige Welt, in der Korruption herrscht, gnadenloses Ränkespiel um Macht und Einfluß. Jeder ist sich selbst der nächste und lässt seine Mitmenschen büßen. Auf niemanden kann man sich verlassen. Jeder kann einem in den Rücken fallen und vielleicht ist man ja morgen schon kompostiert. Die Welt wird von gekauften Kreaturen beherrscht, von Betrug und Profitgier. Nur manchmal blitzen menschliche Züge auf, wie Perlen. Wenn sich der alte chinesische Malyasia-Flüchtling Hock Seng, der unglaublich schreckliches erlebt hat, der kleinen Mai annimmt, wenn der gerissene Anderson von AgriGen das Aufziehmädchen Emiko schützt. Dann ist man jedes Mal erstaunt, dass es doch noch so etwas wie Menschlichkeit gibt, neben all der Grausamkeit, die das neue Leben der Menschen bestimmt. Denn die Menschen haben aus der Katastrophe nichts gelernt. Sie gehen ihren Weg in den Untergang weiter, der anscheinend so unveränderlich vorgezeichnet ist, wie die Tatsache, dass die Erde um die Sonne kreist, obwohl die Menschen immer noch so tun, als wären sie das Zentrum der Welt und nicht ein Geschwür, dass sich irgendwann selbst ausradiert. Aber da ist ja noch der Neue Mensch, der vielleicht die einzige Zukunft der Menschheit sein wird...


    Edit: Ich gebe Biokrieg 9 Punkte und absolute Leseempfehlung auch für Nicht-SF-Leser, weil Bacigalupa Ansätze unserer heutigen Realität weiterspinnt und detailreich zu einem fesselnden Roman verdichtet, den man nicht so einfach wieder aus der Hand legen und vergessen kann.

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Suzann ()

  • Zum Inhalt muss ich nichts mehr sagen. Clare und Suzann waren bereits sehr gründlich.


    Der Roman beginnt sehr gemächlich, ich bin als Leser zaghaft eingetaucht. Ich konnte am Anfang überhaupt nicht ausmachen, in welche Richtung die Lesereise gehen würde, konnte die Intention und Absichten des Autors nicht erkennen. Das war zunächst etwas abschreckend und ich habe tatsächlich über einen Abbruch nachgedacht. Zum Glück habe ich weitergelesen!


    Der Autor baut nach und nach einzelne Handlungsstränge auf, die zunächst unabhängig voneinander existieren. Im Verlauf werden diese Stränge zunehmend miteinander verzwirbelt. Zum Schluss ist alles fein säuberlich aufgearbeitet, der Autor lässt keine losen Fäden herumbaumeln.


    Das Schicksal einiger weniger verbindet sich, driftet auseinander, beeinflusst sich gegenseitig. Diese Wechselwirkungen waren extrem spannend zu lesen.


    Im Grunde ist es ein politische Geschichte, die ganz konkret an Personen festgemacht wird und damit überhaupt nicht trocken oder dröge zu lesen ist. Im Mittelpunkt des Romans stehen die Menschen, ihr Verhalten, ihre Wünsche, ihre Eigenheiten.


    Erfreulich war das komplette Fehlen eines moralisch erhobenen Zeigefingers. Auch die Figuren entbehren jeglicher Schwarz-weiß-Malerei, sind authentisch und glaubhaft.


    Besonders interessant und dem Genre geschuldet, sind die Aufziehmenschen, am Beispiel von Emiko dargestellt. Auch hier ist es dem Leser überlassen, wie tief er sich selbst diesbezüglich in philosophisch-ethische Überlegungen fallen lassen möchte. Denkansätze bietet der Autor zuhauf ohne sich jedoch aufzudrängen.


    Es ist ein Roman, der nachhallt, den man gewiss nicht so schnell vergisst.


    Ich vergebe 9 von 10 Punkten. (Ein Punkt Abzug für den etwas mühseligen Start.)

  • Meine Meinung zu dem Buch gleicht ziemlich genau der Rezi von Rosha. Auch ich hatte große Schwierigkeiten damit, in die Geschichte zu finden. Die ersten 200 Seiten fielen mir wirklich schwer, ich habe das Buch sogar für drei Wochen weggelegt, abbrechen wollte ich es nicht und ich hatte gehofft, das mir der Abstand helfen würde.


    Tja, genau das ist geschehen. Als ich "Biokrieg" wieder in die Hand nahm, kam es mir fast wie ein völlig anderes Buch vor. Plötzlich fiel es mir regelrecht schwer, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Natürlich war es auch weiterhin ein Buch, das man nicht einfach so in einem Rutsch durchlesen konnte, dafür ist die Thematik zu schwer verdaulich. Mein Interesse war aber geweckt und meine anfänglichen Schwierigkeiten nicht länger vorhanden.


    Dem Autor ist eine wahrhaft realistische Zukunftsvision gelungen. Er beschreibt eine düstere und unschöne Welt, eine Welt die kein bisschen weit hergeholt ist.
    Die Geschichte wird aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt, man bekommt so einen guten Einblick in alle beteiligten Parteien und deren Positionen in dieser Welt.


    Hart und unbeschönigt zeigt der Autor diese mögliche Zukunft, nach Startschwierigkeiten erwartet den Leser ein wahres Lesevergnügen, auch von mir gibt es 9 von 10 Punkten :wave

    :lesend
    Rachel Aaron - The Spirit Rebellion
    Patrick Rothfuss - Der Name des Windes
    Stefan Zweig - Sternstunden der Menschheit

  • Ich muss sagen, dass mir unsere Leserunde zu BIOKRIEG sehr lebhaft im Gedächtnis geblieben ist, was ich nicht von vielen der Bücher behaupten kann, die ich lese. Vor kurzem hat mich eine Nachrichtenmeldung über die Inderin Vandana Shiva wieder daran erinnert, die den alternativen Nobelpreis bekommen hat, für ihren Kampf gegen Konzerne, die durch Saatgutmonopole und Patente, Bio-Piraterie, Gentechnik und Entwicklung steriler Saaten in Indien schon viel Schaden angerichtet haben. Klick zur Website! Teilweise sind Bacigalupis Zukunftsvisionen schon bittere Realität geworden ...

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