Selbstzensur des Buchhandels?

  • Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" berichtet heute auf der Titelseite in großer Aufmachung unter dem Titel "Buchhandel kuscht vor WWF" (online hier: Frankfurter Allgemeine ) darüber, daß große Buchhändler (u.a. Thalia, Amazon) nur aufgrund eines Anwaltsschreibens des WWF ein kritisch über den WWF berichtendes Buch aus dem Sortiment genommen haben. Richtig, nur aufgrund eines Anwaltsschreibens, denn eine einstweilige Verfügung konnte der WWF bislang nicht erwirken.


    Wie stehen die Eulen zu diesem Verhalten? Persönlich finde ich es enttäuschend und empörend, wenn große Händler, die über genügend Finanzkraft für eine rechtliche Auseinandersetzung verfügen, ihre Verantwortung für die Meinungsfreiheit und -pluralität derartig ignorieren. Thalia erklärt, man wolle nur "rechtlich unstrittige" Titel im Sortiment haben. Kann also jede finanzkräftige Privatperson oder Organisation, über die ein kritisches Buch veröffentlicht wird, den Vertrieb des Buches durch Thalia mittels rechtlicher Drohungen unterbinden?
    Angesichts eines solchen Vorgangs wirken die schönen Sonntagsreden über Meinungsfreiheit und Zivilcourage, die man ja auch vom Börsenverband des Buchhandels regelmäßig hört, äußerst hohl.
    Immerhin muß man dem Verlag (Random House) zugestehen, hier über mehr Stehvermögen zu verfügen als die großen Buchhändler.

  • ...und die, die das jetzt noch im Programm haben, verdienen eigentlich mehr dran als die, die das Buch jetzt mal rausnehmen...


    Ich finde es nicht richtig, bloß weil ein Schreiben kommt, das Buch nicht zu vertreiben. Vorher hat es ja scheinbar auch keinen gestört.


    Im Thema des Buchs an sich bin ich nicht wirklich drin, für mich stellt sich dann aber eben immer die Frage, ob es nicht einfach besser wäre für (hier eben) den WWF, das Buch so laufen zu lassen, als groß Wind darum zu machen, denn jetzt werden doch einfach mehr Leute darauf aufmerksam, wenn das so durch die Presse geht. Das wiederum finde ich jetzt gut :-)

  • Unter dem Gesichtspunkt der PR war dies sicher ein kolossales Eigentor des WWF. Vermutlich hat man nicht damit gerechnet, es mit dem Anwaltsschreiben auf die Titelseite der FAS zu schaffen. Dies sollte für potentielle künftige Auftraggeber solcher Schreiben eine Warnung sein. Sofern sich der WWF vor Gericht nicht durchsetzen kann, könnte sich die Kontroverse letztlich auch für Autor und Verlag als lohnend erweisen. Dies ändert aber nichts an meiner Haltung gegenüber der Verhaltensweise dieser Händler.

  • Nein, da gebe ich Dir absolut Recht, von Händlerseite finde ich es auch mehr als fragwürdig, hier einfach aufgrund eines "popligen" Anwaltsschreibens das Buch aus dem Angebot zu nehmen.
    Denn ja, natürlich kann nun jeder, dem etwas nicht passt, einen Anwalt losschicken und so versuchen, Einfluss zu nehmen.


    Vielleicht sind es aber genau die (im Artikel erwähnten) Verbindungen des WWF zur Industrie, die die Ketten so handeln lassen: Wer weiß, was da noch alles mit drinhängt, welche Klüngel da vorhanden sind und welche Kreise im WWF und auf welche der WWF selbst Einfluss nimmt?
    Also: Wer steht denn z.B. genau hinter Thalia und anderen Konzernen, und wie sind eben die Verstrickungen dieser Holdings dann zum WWF...? Vielleicht ist hier dann erst aufgefallen, dass sich da im Endeffekt selbst ein faules Ei ins Nest gelegt wurde. Ich weiß es nicht, aber so etwas könnte ich mir dann eben auch noch vorstellen :-)

  • Danke für den Artikel in der faz, der mich wieder und wieder fragen lässt, ob es dem stationären Buchhandel tatsächlich schlecht geht.
    Ist Amazon wirklich alleinverantwortlich für den Untergang des Filialgeschäfts?
    Ich denke mittlerweile, dass die Probleme an ganz anderer Stelle liegen.
    Zu große Filialflächen in teuerster Citylage, einseitiges Sortiment, zuviel Ramsch neben dem eigentlichen Medium Buch, mäßig motiviertes Personal usw.


    Zitat

    Original von Oblomov: Wie stehen die Eulen zu diesem Verhalten? Persönlich finde ich es enttäuschend und empörend, wenn große Händler, die über genügend Finanzkraft für eine rechtliche Auseinandersetzung verfügen, ihre Verantwortung für die Meinungsfreiheit und -pluralität derartig ignorieren.


    Sind die großen Händler tatsächlich der Meinungsfreiheit und -pluralität verpflichtet oder handelt es sich hierbei nicht um ein Wunschdenken der Kunden?
    Wenn man den Markt beobachtet, kommt man wohl zu der Erkenntnis, dass die Buchhandelsketten eher an ihre Bilanzen denn an das Gemeinwohl denken. Kollateralschäden wie in dem vorgenannten Beispiel werden zugunsten von Umsatz und Gewinn hingenommen. Der Aufschrei der Presse in der FAZ scheint im Ergebnis jedenfalls nicht dazu geführt zu haben, dass die Leserschaft in Scharen davongelaufen ist.

  • Zitat

    Original von Salonlöwin
    Danke für den Artikel in der faz, der mich wieder und wieder fragen lässt, ob es dem stationären Buchhandel tatsächlich schlecht geht.
    Ist Amazon wirklich alleinverantwortlich für den Untergang des Filialgeschäfts?
    Ich denke mittlerweile, dass die Probleme an ganz anderer Stelle liegen.
    Zu große Filialflächen in teuerster Citylage, einseitiges Sortiment, zuviel Ramsch neben dem eigentlichen Medium Buch, mäßig motiviertes Personal usw.


    Ja, Salonlöwin, diese Gedanken mache ich mir auch schon länger. Ich hatte an anderer Stelle bereits zugegeben, kein amazon-Freak zu sein, sondern, wann immer möglich, meine Bücher beim örtlichen Buchhandel zu kaufen. Ist ja heute ganz einfach: Online über die Homepage (die von dem jeweiligen Grossisten gestellt wird) bestellen und dann irgendwann abholen. Keine Versandkosten - und die Möglichkeit, beim Buchabholen ´ne Stunde Zeit zum Stöbern im Laden einzuplanen. Wir sind hier ein kleiner Ort auf dem Lande (allerdings mit einem großen Gymnasium, einer Gemeinschafts- und div. anderen Schulen, was dem Buchladen sehr hilft) und ich stelle mit Begeisterung fest, dass das Geschäft jetzt sogar um einen angrenzenden Laden, der leer stand, erweitert wurde. Nur zahlt man hier natürlich auch weniger als ein Drittel der Mieten wie in den erlesenen Citylagen ... Diesen und einige andere Gründe für den wirtschaftlichen Niedergang der Giganten im Buch-Einzelhandel hast du ja oben anschaulich benannt.
    Ich bin sicher, gut sortierte, meist inhabergeführte Buchhandlungen mit motiviertem Personal, flottem Bestellservice und gutem Ambiente werden hingegen gut überleben. Ich kenne da einige Beispiele.


    Hoffen wir also weiter, dass uns "die Bücherstube" um die Ecke erhalten bleibt. Sie ist ein Stück Kultur und Lebensqualität, ebenso wie die gemütliche Stammkneipe. Derlei ist online nicht zu haben ...

  • Zitat

    Original von Dieter Neumann
    Hoffen wir also weiter, dass uns "die Bücherstube" um die Ecke erhalten bleibt. Sie ist ein Stück Kultur und Lebensqualität, ebenso wie die gemütliche Stammkneipe. Derlei ist online nicht zu haben ...



    Das hoffe ich auch! Es geht doch nichts darüber beim Buchkauf gemütlich zu schmökern. Wobei es auch bei uns anstatt früher drei nur noch zwei Buchhandlungen gibt.


    Um zum ursprünglichen Artikel zurückzukehren: ich kann die Vorverurteilung und Zensur der Händler nicht nachvollziehen.

  • Schaut man sich mal an wer alles den Schwanz einzieht und kuscht, kann man nur den Kopf schütteln. Nicht nur Amazon und die Thalia Gruppe bieten das Buch nicht an, auch Libri als einer der großen Großhändler im Büchermarkt hat sich beeinflussen lassen.


    Einzig KNV und Weltbild halten dagegen und natürlich Bertelsmann selbst.

  • Es erstaunt mich ein bisschen dass der WWF sich die Mühe macht die Veröffentlichung des Buches zu verhindern und den Verkauf zu unterbinden. (Gerichtlich ist der WWF soweit ich weiß ja unterlegen; das Buch durfte weiterverkauft werden.) Leuten die sich mit Naturschutz beschäftigen ist ja schon seit einer ganzen Weile bekannt dass der WWF zu großen Teilen aus Industriespenden finanziert wird. Wieso da der Aufschrei?


    Die Haltung von Amazon, Libri, Thalia kann ich absolut nicht nachvollziehen. Der Autor ist dreifacher Grimme-Preisträger und allgemein nicht dafür bekannt ungerechtfertigte Vorwürfe zu publizieren. Mit dem Verkaufsstopp schaden sie sich eher als dass es ihnen einen Nutzen bringt.


    Die Diskussion darüber ob unbequeme Bücher veröffentlicht werden dürfen und inwieweit das Ansehen einer juristischen Person schützenswert ist finde ich gut und richtig. In der Publizistik sollte auch Unangenehmes ausgesprochen werden dürfen, solang es nachvollziehbar belegt werden kann. Welchen Sinn macht denn schon ein Sachbuch dass sich wie eine Laudatio liest?

  • Zitat

    Original von Vaika
    Es erstaunt mich ein bisschen dass der WWF sich die Mühe macht die Veröffentlichung des Buches zu verhindern und den Verkauf zu unterbinden. (Gerichtlich ist der WWF soweit ich weiß ja unterlegen; das Buch durfte weiterverkauft werden.) Leuten die sich mit Naturschutz beschäftigen ist ja schon seit einer ganzen Weile bekannt dass der WWF zu großen Teilen aus Industriespenden finanziert wird. Wieso da der Aufschrei?


    Weil es nicht um den Punkt der Industriespenden geht. Ich denke, wenn der Autor die Sache mal einigermaßen durchdenkt, wird auch er feststellen, daß der WWF ohne seine Förderer aus der Wirtschaft ein ziemlich zahnloser (weil mittelloser) Panda wäre. Die Punkte, gegen die der WWF vorgeht, sind daher ganz andere. Die Kritik des WWF an diesem Buch gibt es auf folgender Seite, da wird zu Recht in keinem Punkt auf die Industriespenden eingegangen:
    http://www.wwf.de/schwarzbuch-…e-stellungnahme-zum-buch/


    Zitat

    Der Autor ist dreifacher Grimme-Preisträger und allgemein nicht dafür bekannt ungerechtfertigte Vorwürfe zu publizieren.


    Ihm wurde bereits im Vorjahr zu einem Film zu diesem Thema gerichtlich untersagt, einige Aussagen aus dem Film weiterzuverbreiten, weil sie unrichtig sind. Nicht jeder Grimme-Preisträger hat immer recht...


    Zitat

    In der Publizistik sollte auch Unangenehmes ausgesprochen werden dürfen, solang es nachvollziehbar belegt werden kann.


    Sehe ich genauso, leider werden jedoch viel zu viele Bücher produziert, die diesen Anspruch nicht erfüllen.


    Die Aktion von Thalia + Amazon, das Buch aus dem Sortiment zu nehmen, habe ich deshalb auch nicht verstanden.


    Edit: Kosmetik.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

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