Wie ich mich einmal in alles verliebte
“The Story of Forgetting”, Stefan Merrill Block, 2008
Übersetzung: Marcus Ingendaay, 2008
Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe
DuMont, ISBN: 978-3832180393
Hätte es den wunderschönen Robert Mapplethorpe IV nicht gegeben, hätte es diese Geschichte nicht gegeben, so steht es auf dem Klappentext und verleitet ein wenig zu der irrigen Annahme, dass es vor allem um ihn gehen wird in diesem Buch. Auch der deutsche Titel ist ein wenig unglücklich gewählt (wenn auch nicht völlig unpassend), denn vor allem geht es um das Vergessen, auftretend in der fiktiven Alzheimer-Frühform EOA-23.
Die beiden Hauptpersonen, die wir durch das Buch begleiten, sind der alte, bucklige Abel Haggard, der in seiner kümmerlichen Bruchbude die Enteignung fürchten muss und uns dabei seine Familiengeschichte näherbringt, und andererseits Seth Waller, der sich aufgrund der plötzlichen Erkrankung seiner Mutter an besagter Alzheimerform als Nachwuchsforscher auf die Suche nach Informationen macht.
Und natürlich ist schon zu Beginn klar, dass sich diese beiden Stränge irgendwann treffen werden - schon allein, weil beide die Legende des sagenhaften Landes Isidora teilen. Und da kommen wir zum ersten Problem, dass ich mit dem Buch hatte. So schön sich das Märchen von Isidora doch anhört, dem Land des Vergessens, es passt nicht so recht zum Rest der Geschichte, bildet einen wohl gewollten, aber wirkungslosen Kontrast.
Denn ich hatte beständig das Gefühl, dass Herrn Block nicht ganz klar war, was genau er schreiben wollte. Viel an der Haupthandlung scheint ein wenig zurechtgerückelt, z.B. wie problemlos Seth sich im Internet in die Datenbank des Alzheimerforschers einhackt, die rührseligen Erinnerungen an Isidora, der euphemistischen Metapher für die Krankheit, oder die eher unglaubwürdige Geschichte über die Herkunft der Krankheit - immer wieder durchbrochen von Szenen, die einen auf den Boden der Realität zurückholen und sich nicht in dieses Konzept einfügen mögen.
Bei vielen Szenen fuhr mir ein “Nicht das auch noch!” durch den Kopf, besonders, was die Erkenntnis über Jamie Whitman und Abels Bruder angeht. Das Buch verliert nämlich ein wenig die Glaubwürdigkeit, die es sich über die mal Schilderung der Krankheit aufgebaut hat, indem es sich in ein Zuviel aus Klischees, unpassende Masturbationsszenen sowie die Welt des wunderschönen Isidora flüchtet, weil der Autor den schmalen Grad zwischen wohlgesinnt-verschrobener Erzählweise und belangloser Übertreibung das ein ums andere Mal überschreitet.
Es fiel mir vor allem schwer, eine Verbindung zu Abel aufzubauen, und auch Seth blieb mir ein wenig fremd. Das liegt nicht nur daran, dass mich Isidora immer aus der Realität gerissen hat. Es bleibt einfach eine Distanz, die ich nicht immer überwinden konnte. Gegenüber Nebenpersonen wie den Patienten, die Seth besucht, konnte ich zum Teil mehr Verständnis aufbringen - denn das muss man dem Autor zugutehalten - die Schilderung der Krankheit wirkt glaubwürdig und die geschilderten Patienten liebenswürdig.
Das klingt nach einem schlechten Buch, aber das ist “Wie ich mich einmal in alles verliebte” nicht, nur die Umsetzung ist teilweise ein wenig gescheitert. Trotz allem ist es eine Geschichte über das Leben, die berührt. Weil die geschilderte Krankheit berührt.
Und auch, weil Stefan Merrill Blocks Sprache berühren kann. Die Übersetzung ist anscheinend sehr gut gelungen. Herrn Blocks Sprache passt sich den teilweise nicht ganz zusammenpassenden Situationen an, kann mal amüsant sein oder mal verzweifelt, immer jedoch ist sie ein wenig poetisch, klar und wohl formuliert. Sie ist einer der Gründe, warum ich das Buch doch zu Ende lesen wollte. Hier ebenso wie in einer amazon-Rezension gibt es Leseproben, falls jemand sich einen Einblick verschaffen möchte.
Ein weiterer Grund ist die Geschichte, die trotz aller Unzulänglichkeiten, unter anderem einem Ende, bei dem ich mir nur an den Kopf fassen konnte, mich doch immer streckenweise in ihren Bann ziehen konnte. Sie ist ungewöhnlich, aber teilweise richtig gut. Teilweise. Die Geschichten über Isidora habe ich zum Beispiel zwischendurch nur überflogen. Und die Handlung um Abel wirkte immer ein wenig konstruiert. Gut ist hingegen der Teil um Seth, dem gegenüber alles abfällt. Gut wäre auch die Historie der Krankheit, um Robert Mapplethorpe, wenn sie eine eigene Geschichte wäre und der Rest fehlen würde. Wie gesagt, teilweise.
Es ist natürlich immer schwer zu spekulieren, inwiefern der Autor sich selbst in einem Buch verarbeitet, aber dies könnte in Bezug auf Seth zumindest einen Erklärungsansatz liefern. Denn Stefan Merrill Block (*1982) ist in einer vergleichbaren Situation - auch seine Familie (mütterlicherseits!) ist von einer vererbbaren Alzheimerart betroffen...
Fazit
Das Buch hat mir nur teilweise gefallen, abraten oder zuraten mag ich deshalb nicht. Andere Rezensenten haben es anscheinend eher positiv wahrgenommen.
5/10 Punkten
barti
Edit: ISBN nachgetragen
Edit2: Autorennamen verbessert