OT: An Imaginative Experience
Über den Autor
Mary Wesley (1912-2002) hat erst mit 70 Jahren ihren ersten Roman veröffentlicht. Seither gehört sie zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen Großbritanniens.
Kurzbeschreibung
Sylvester Wykes, Literaturagent und frisch geschieden, trifft im Zug auf eine junge Frau, die ihn sofort fasziniert: Julia Piper, schön und melancholisch. Doch sie verlieren sich aus den Augen. Bis Julia eines Tages unverhofft in Sylvesters Wohnzimmer steht - als seine neue Putzfrau. Vom ersten Augenblick an spürt Sylvester, dass er diese Frau kein zweites Mal gehen lassen will ...Eine humorvolle Liebesgeschichte und zugleich ein lebendiges Porträt des Londoner Stadtteils Chelsea.
Meine Rezension
Hier habe ich mich zuallererst mal wieder einmal richtig geärgert, weil der Klappentext völligen Blödsinn über die Art ihrer Begegnung erzählt – über weite Strecken des Buches begegnen sich Sylvester und Julia nicht einmal direkt, geschweige denn, ahnen sie von der Existenz des anderen. Die eigentliche Geschichte des Buches ist eine ganz andere, als der Klappentext aussagt. Allerdings eine sehr schöne Geschichte, daher war ich letztlich wieder mit dem Buch versöhnt.
Julia Piper hat ihren Exmann Giles und ihren Sohn Charles verloren. Um ihren Exmann trauert sie nicht besonders, denn er scheint ein widerliches Ekel gewesen zu sein, der sie vergewaltigt hat. Ihren Sohn dagegen liebte sie heiß und innig und muß nun erst einmal mit dessen Verlust fertig werden.
Ihre Mutter, Clodagh May, mochte nur Giles (wie sehr, dass kommt im Laufe des Buches immer mehr heraus) und den Sohn Charles und macht ihrer eigenen Tochter den Unfall zum Vorwurf, bei dem beide ums Leben kamen. Denn wäre ihre Tochter dagewesen und am Steuer gesessen, wäre der Unfall natürlich nie passiert. Klar doch – was für eine Logik. Aber so ist Julias Mutter nun mal. Auch ihre Nachbarin Madge Brownlow – eine Frau ohne eigenes Leben, die ihre Augen und Ohren stets nebenan hat, bezeichnet Julia lediglich als „Vehikel“.
Sylvester Wykes wurde eben von seiner Frau Celia verlassen und ziemlich ausgeplündert. Seine besitzergreifende Ex-Sekretärin Rebecca versucht nach wie vor, in sein Leben einzugreifen und es für ihn neu zu ordnen, doch er entzieht sich ihr, so gut er kann und plant selbst: So organisiert er sich eine Putzfrau, lässt den Garten neu anlegen …. und stößt so auf Julia – der er vorher während einer Zugfahrt begegnete (aber ganz anders als auf dem Klappentext angegeben!) , lange Zeit, ohne es zu wissen.
Maurice Benson ist auf besagter Zugfahrt ebenfalls Zeuge der Szene mit Julia geworden und schnüffelt ihr daraufhin nach und beginnt, sie zu belästigen. Bei ihm fragte ich mich stets, was ihn zu seinen widerlichen und zwielichtigen Aktionen antreibt – er kannte Julia vorher nicht und hat keinen Anlaß, ihr Böses anzutun. Ein widerlicher und schmieriger Geselle, durch und durch.
Trotz einiger Ungereimtheiten – wie der Frage, WARUM Maurice so handelt, wie er handelt – und trotz des Ärgers über den mal wieder vollkommen aus der Luft gegriffenen Klappentextes habe ich mich bei diesem Buch gut unterhalten.
Eine ungewöhnliche Geschichte, teils tragisch, teils traurig, aber auch mit sehr schönen Momenten der Freundschaft wird hier erzählt. Ich habe das Buch schnell weggelesen und muß gleich mal nachsehen, was mich von der Autorin noch interessieren könnte. Ein paar ältere habe ich nämlich schon von ihr gelesen, die mir ebenfalls sehr gut gefallen haben. Auf dem (mißratenen) Klappentext heißt es "eine humorvolle Liebesgeschichte" - auch das trifft nicht zu. Die Geschichte ist gefühlvoll, aber keinesfalls humorvoll. Sie ist auch nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern viel mehr als nur das: Eine Geschichte über Liebe und Verrat, über Freundschaft und Hass, über Männer und Frauen, über Verluste und über Familienbande.
Wer sich für das Buch interessiert,sollte sich also keinesfalls vom völlig verhunzten Klappentext in die Irre führen lassen.