Titel: Die Horde
Autor: Andrea Carraro
Verlag: Wespennest Wien
Erschienen: 1996
Seitenzahl: 140
ISBN-10: 3854585144
ISBN-13: 978-3854585145
Preis: ab 12.00 EUR bei Amazon Marketplace und für 14.90 EUR direkt beim Verlag (www.wespennest.at)
Wird ein gutes Hemd einige Tage am Körper getragen, beginnt es unter Garantie an zu riechen, sind es einige Tage, an denen das Hemd getragen wird, wird es wohl nicht mehr riechen sondern stinken. Aber es bleibt trotz allem ein gutes Hemd. Genauso dürfte es mit der Literatur sein. Auch gute Literatur kann manchmal brutal, ätzend, eklig, abstoßend und auch sonst auf jede Art widerlich sein – sie bleibt aber trotzdem das was sie ist: gute Literatur. In diese Kategorie der abstoßenden, brutalen aber trotzdem guten Literatur kann man das Buch von Andrea Carraro einordnen.
Die Geschichte die er erzählt spielt 1983 in der Nähe von Rom, in Tivoli. Eine Gruppe junger Männer vergewaltigt zwei deutsche Touristinnen, wobei das eine Mädchen den Tod findet. Es sind junge Arbeitslose, Landarbeiter, Kleinkriminelle, aber auch honorige Bürger die sich an dieser Massenvergewaltigung beteiligen. Es sollte in diesem Fall nicht unerwähnt bleiben, dass der Roman von Andrea Carraro auf einer wahren Begebenheit beruht.
Andrea Carraro wurde 1959 in Rom geboren. Dort arbeitet er als Bankbeamter. Er ist Mitarbeiter von L’UNITA und hat bisher mehrere Romane veröffentlicht. Das Buch „Die Horde“ wurde von mehreren Verlagen abgelehnt, es hieß, es sei zu „drastisch“. Das Buch wurde von Marco Risi verfilmt.
Sicher hat Carraro ein „drastisches“ Buch geschrieben. Aber das beschriebene Szenario verträgt nur einmal keinen Kuschelstil; knallharter Realismus ist hier gefragt. Und dazu passt auch die Sprache Carraros. Er macht deutlich, wie zuerst die Sprache von seinen Protagonisten vergewaltigt wird und wie die handelnden Personen dann zu kleinen Ungeheuern mutieren. Es sind in jeder Hinsicht armselige Gestalten die er in seinem Buch auftreten lässt. Junge Männer deren Lebensinhalt aus Fußball, Barbesuchen und Motorrollern besteht und denen die Primitivität Lebenselixier geworden ist. Carraro sucht auch nicht die Schuld ausschließlich in den herrschenden Lebensverhältnissen, so wie man es heute fast schon automatisch macht, er stellt ganz bewusst auch auf die individuelle Schuld ab. Niemand wurde gezwungen sich an der Vergewaltigung zu beteiligen und jedermann hätte sich dem kaum merkbaren Gruppenzwang entziehen können. Es ist ein ganz persönliches Verbrechen, es war nicht die anonyme Gesellschaft die hier vergewaltigt hat. Die jungen Männer waren durchaus in der Lage zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden.
Dem Wespennest in Wien sei Dank für dieses Buch. In die populistischen, mainstreamorientieren Programme der großen deutschen Verlage hätte dieses Buch wohl nicht gepasst. Ein Armutszeugnis für Rowohlt und Kumpane.