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Nachdem die Kritiken zu Simmons' Werk durchweg positiv und die Wertungen ausgesprochen hoch ausfielen, ging ich mit großen Erwartungen an dieses Werk. Doch sowohl Cover als auch Klappentext dämpften meine Euphorie, denn diese vermittelten eher den Eindruck eines trivialen "Hilflose-Menschen-kämpfen-gegen-schreckliches-Monster"-Buchs, das nur durch die Beschreibung von Gewalt zu unterhalten weiß. Doch beim Lesen wird schnell klar, daß dem nicht so ist.
Im Vordergrund stehen die sieben Protagonisten, die zu einer letzten Pilgerfahrt nach Hyperion aufbrechen, um dort eines der letzten ungelösten Geheimnisse des Universums zu lüften: die Zeitgräber, die sich scheinbar aus der Zukunft kommend rückwärts in der Zeit bewegen. Umgeben von einem "Anti-Entropiefeld", das zuweilen starke Störungen in der Zeitlinie hervorrufen kann, dient es zugleich als Gefängnis für das Shrike. Dieses legendäre Dornenwesen -- gefürchtet von den meisten, angebetet von seinen Jüngern -- besitzt Kontrolle über die Zeit und kann so in Sekundenschnelle Armeen abmetzeln. Und eben diese Felder, die als einzige ein planetenweites Massaker verhindern, beginnen sich seit einiger Zeit aufzulösen und drohen bald vollkommen zu verfallen.
Die Wichtigkeit der Pilgerfahrt ergibt sich auch aus einer weiteren Tatsache. Vor langer Zeit, als die Erde durch den "Großen Fehler" zerstört wurde, hatten sich die Menschen auf viele entlegene Planeten, die nur aufgrund der sie verbindenden "Farcaster" ein Netz bilden, zerstreut. Nur ein kleiner Teil, die sogenannten "Ousters", hatten sich vom Rest losgesagt und die Reise in unbekannte Teile der Galaxie angetreten. Diese "Ousters" planen nun eine Offensive gegen das "Netz", und der Planet, den sie zuerst in ihre Gewalt bringen wollen, ist Hyperion. Falls sie das Geheimnis der Zeitgräber lösen können, kann sich ihnen nichts mehr in den Weg stellen.
All dies dient jedoch nur als Hintergrundgeschehen, denn eigentlich passiert im Laufe des Buches nicht viel. Die sieben Pilger treffen sich, treten ihre Reise zu den Zeitgräbern an und erreichen es. Wenn jetzt jemand vermutet, daß sie viele Abenteuer auf ihrem Weg zu bestehen hätten, liegt leider falsch, denn außer daß der "Tempelritter" -- einer der Pilger und Kapitän des Schiffes, das sie nach Hyperion brachte -- verschwindet, ereignet sich nicht viel. Die Funktion der Reise liegt vielmehr darin, den Protagonisten genug Zeit zu geben, um sich gegenseitig ihre Lebensläufe zu erzählen. Sie hoffen, so herauszufinden, warum gerade sie auserwählt wurden und wie sie das "Shrike" im Ernstfall besiegen können.
So wie die Charaktere sind auch deren Geschichten von grundlegend unterschiedlicher Thematik und Struktur: da gibt es den Geistlichen, der bei der Suche nach einem auf Hyperion verschollenen Priester eine unglaubliche, mit dem Menschen symbiotisch verschmelzende Lebensform entdeckt; den Soldaten, der sich bei seinen Kampfsimulationen in ein vermeintliches Konstrukt der Matrix verliebt und es dann nach einem Absturz auf Hyperion in persona trifft; den Dichter, der nach einigen, ihm gewissermaßen aufgezwungenen Bestsellerromanen erkennt, daß ihn seine einstige Muse verlassen hat, und der auf der Suche nach ihr in die "Stadt der Dichter" auf Hyperion reist; den Gelehrten, dessen Tochter bei den Zeitgräbern einen Unfall erleidet, und seitdem stetig jünger wird; die Detektivin, die von einer KI beauftragt wird, die Lücke in ihrem Gedächtnis zu füllen, sowie den Politiker, dessen Schicksal den Lauf der Geschichte am meisten beeinflusste. All diese Geschichten decken langsam aber sicher die Hintergründe auf, die Dinge, die unter der Oberfläche des "Netzes" geschehen: sei es das "Technocore", eine Vereinigung von KIs, die die Geschicke der Menschheit in Wirklichkeit leitet, oder seien es nur die geheimen Hoffnungen und Ängste, die die verschiedenen Parteien mit Hyperion verbinden.
Das Ganze bleibt jedoch äußerst unterhaltsam und der häufige Wechsel in Stil und Inhalt sorgt für anhaltende Leselust: ob Action, Thriller, Lyrik, Sex oder Politik, für jeden ist etwas dabei. Und obwohl beispielsweise bei den "Farcaster" nicht einmal der Versuch unternommen wird, eine Erklärung der Funktionsweise zu liefern (frei nach dem Motto: Kein Mensch weiß, wie sie funktionieren, Hauptsache sie tun es), merkt man, daß Simmons sich bemüht, wenigstens einigermaßen realistisch zu bleiben.