Gern geschehen. Freut mich, dass es euch gefällt.
Ich find Murakamis Bücher wirklich toll, vor allem Hard boiled Wonderland und das Ende der Welt gehört zu den besten Büchern, die ich bis jetzt gelesen hab. Und da könnte man fast jeden zweiten Satz draus zitieren.
Beiträge von Zeitwolf
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Hier mal vor allem Zitate bzw. sehr schöne Stellen aus Murakami-Büchern:
Ich wache noch vor Tagesanbruch auf und finde die Stadt
in ihrem schneeweißen Kleid vor. Ein überwältigender
Anblick. Aus der weißen Landschaft erhebt sich schwarz
der Uhrturm, darunter schlängelt sich der dunkle Gürtel
des Flusses. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, der
Himmel verhangen von einer dicken Wolkendecke. Ich
ziehe mir Mantel und Handschuhe an und gehe die
menschenleeren Straßen zur Stadt hinunter. Lautlos muss
der Schnee gefallen sein, während ich schlief. Noch ist
keine einzige Fußspur zu sehen. Ich hebe eine Hand
voll Schnee auf. Er fühlt sich weich und locker an, wie
Puderzucker. Einige Stellen stehenden Wassers entlang
des Flussufers sind zugefroren, die dünne Eisschicht
ist mit Schnee bestäubt.
Außer meinem weißen Atem bewegt sich nichts in der
Stadt. Es geht gar kein Wind, nicht einmal einen Vogel
sehe ich. Nur meine Schritte im Schnee hallen
unnatürlich laut von den Häuserwänden wider, wie mit
Synthesizern verstärkt.[Haruki Murakami "Hard boiled Wonderland & das Ende der Welt" // Kapitel 20: Das Sterben der Tiere]
Draußen durchfuhr mich die Trunkenheit wie ein Güterzug die Nacht. Ich fühlte mich hundsmiserabel. Mein Körper quietschte wie der des Blechmanns in The Wizard of Oz. Um nüchtern zu werden, zog ich mir aus einem Getränkeautomaten eine Dose Saft, doch kaum hatte ich sie getrunken, kotzte ich auch schon den gesamten Inhalt meines Magens - die Überreste von Steak, geräuchertem Lachs, Salat und Tomaten - auf die Straße.
Großartig, dachte ich. Wie viele Jahre war es her, daß ich so betrunken war, daß ich kotzen musste? Was machte ich bloß in letzter Zeit? Alles wiederholte sich, aber jedesmal schien es schlimmer zu werden.[Haruki Murakami "Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah"]
Ich sah ihr in die Augen. Sie weinte. Unwillkürlich nahm ich sie in die Arme und küsste sie. Die anderen Leute auf dem Bahnsteig starrten uns an, aber solche Dinge machten mir schon lange nichts mehr aus. Wir waren am leben und mussten und darum kümmern, dass es auch so blieb.
[Haruki Murakami "Naokos Lächeln"]
Es gibt eine Trauer, die man niemandem erklären kann und die niemand,
selbst wenn man sie erklären könnte, begreifen kann.
Diese Trauer lässt sich in nichts transformieren, sie legt sich leise auf die Seele, wie Schnee in einer windstillen Nacht.[Haruki Murakami "Hard boiled Wonderland und das Ende der Welt //Kapitel 39: Popcorn, Lord Jim, Erlöschen]
Zum Schluss noch eine sehr lange Stelle, welche ich aber auch sehr schön fand:
"Woran denkst du?", fragte das dicke
Mädchen.
"An nichts Besonderes", sagte ich.
"Sing doch etwas!"
"Lieber nicht."
"Dann schlag was anderes vor!"
"Wir unterhalten uns einfach."
"Zum Beispiel worüber?"
"Zum Beispiel über Regen."
"Das ist keine schlechte Idee."
"Kannst du dich an einen bestimmten Regen
erinnern?"
"Abends an dem Tag, als mein Vater, meine Mutter
und meine Geschwister starben, hat es geregnet."
"Erzähl lieber was lustiges."
"Nein lass mich, ich will davon sprechen",
sagte das Mädchen.
"Ausserdem habe ich sonst niemanden, mit dem ich
darüber reden könnte . . . Aber wenn du es nicht hören
willst, halte ich natürlich den Mund."
"Nein, wenn du davon sprechen willst,
sprich", sagte ich."Es war ein feiner Nieselregen, man wusste kaum,
ob es regnet oder nicht. Das ging von morgens an den
ganzen Tag. Der Himmel war in immer dasselbe dunstige
Grau gehüllt. Ich lag im Krankenhaus im Bett und
starrte die ganze Zeit auf diesen Himmel. Es war Anfang
November, draussen vor dem Krankenzimmer stand ein
Kampferbaum. Ein grosser Kampferbaum. Das Laub war
schon zur Hälfte abgefallen. Durch die kahlen Äste
konnte man den Himmel sehen. Schaust du dir gern Bäume
an?"
"Ich weiss nicht", sagte ich. "Nicht,
dass ich Bäume nicht mag, aber richtig aufmerksam habe
ich mir noch keinen angeschaut."
Ich konnte, um ehrlich zu sein, keine Kastanie von
einem Kampferbaum unterscheiden.
"Ich betrachte gerne Bäume, von klein auf schon.
Wenn ich Zeit habe, setze ich mich unter einen Baum,
befühle die Rinde, schaue hoch ins Laub. Ich kann
Stunden so zubringen. Der Kampferbaum im Garten vor dem
Krankenhaus war ein ziemlich prächtiges Exemplar. Ich
lag im Bett, auf der Seite, und sah mir den ganzen Tag
durch die Äste hindurch den Himmel an. Am Ende kannte
ich jeden einzelnen Ast. So wie sich Eisenbahnfreaks
die Namen sämtlicher Linien und Bahnhöfe merken, weisst
du? In dem Baum liessen sich oft Vögel nieder. Alles
möglichen Arten. Stare, Würger und so. Und eine schöne
bunte Art, die ich nicht kannte. Manchmal auch Tauben.
Die Vögel kamen heran, ruhten sich ein Weilchen auf
einem Ast aus und flogen wieder weg. Vögel sind sehr
regenfühlig, wusstest du das?"
"Nein", sagte ich.
"Wenn es regnet, oder Regen aufzieht, lassen sie
sich in keinem Baum blicken. Sobald der Regen
nachlässt, kommen sie heran und zwitschern um die
Wette. Als ob sie das Ende des Regens feiern würden.
Warum das so ist, weiss ich nicht. Vielleicht, weil
nach dem Regen die Würmer aus der Erde kriechen.
Vielleicht auch nur, weil sie Regen nicht mögen.
Jedenfalls wusste ich so immer über das Wetter
Bescheid. Kamen keine Vögel, zog Regen heran, kamen sie
und zwitscherten, liess der Regen nach."
"Warst du lange im Krankenhaus?"
"Ja, einen Monat oder so. Ich hatte einen
Herzklappenfehler und musste operiert werden. Das war
eine ganz schwierige Operation, meine Familie hatte
mich schon halb aufgegeben. Verrückt, nicht? Ich habe
überlebt und bin kerngesund und die anderen sind alle
tot."Sie marschierte schweigend weiter. Ich stellte mir ihr
Herz vor, den Kampferbaum und die Vögel.
"Der Tag, als die anderen starben, war auch für
die Vögel ein harter Tag; sie kamen nicht zur Ruhe. Es
fiel ja dieser feine Nieselregen, man wusste nicht,
regnet es nun, oder nicht, und die Vögel verhielten
sich entsprechend, sie flatterten heran und flogen
wieder weg, in einem fort. Es war ein bitterkalter,
vorwinterlicher Tag, im Krankenzimmer lief die Heizung,
sodass die Fensterscheiben dauernd beschlugen und ich
sie immer wieder abwischen musste. Ich stand auf,
wischte mit einem Handtuch die Scheiben frei und kroch
wieder ins Bett. Eigentlich hätte ich gar nicht
aufstehen dürfen, aber ich wollte unbedingt den Baum,
den Himmel, die Vögel und den Regen sehen. Wenn man
lange im Krankenhaus liegt, erscheinen einem diese
Dinge wie das Leben selbst."[...]
"Bald ging die Sonne unter, es wurde dunkel,
sodass ich die Vögel nicht mehr sehen konnte. Deshalb
wusste ich nicht mehr, ob es noch regnete oder schon
aufgehört hatte. An dem Abend fanden alle von meiner
Familie den Tod. Gesagt hat man mir das erst viel
später.""Das muss schlimm gewesen sein."
"Ich weiss es gar nicht mehr genau. Ich glaube,
ich habe überhaupt nichts gefühlt. Genau weiss ich nur
noch, dass mich an diesem regnerischen Herbstabend
niemand in den Arm nahm. Das war . . . das war für mich
das Ende der Welt.[Haruki Murakami "Hard boiled Wonderland und das Ende der Welt //Kapitel 21: Die Kettchen, Ben Johnson, Der Teufel]
So, jetzt hab ich euch aber genug gequält...