Beiträge von pepperann

    Julian ist 22 und ist derzeit Flusspferdpfleger bei Professor Beham. Die Aufgabe das Zwergflusspferd, das eins der letzten seiner Rasse ist, zu versorgen, hat er angenommen um sich abzulenken. Denn erst vor Kurzem ist die Beziehung zu seiner Langzeitfreundin Judith in die Brüche gegangen. Die Trennung verlief in beiderseitigem Einverständnis und doch fühlt sich Julian etwas mehr davon betroffen. Er hat das Gefühl Judith zu vermissen, für uns Hörer / Leser stellt sich schnell heraus, dass er lediglich Opfer seiner eigenen Gewohnheit ist.


    Dies ändert sich erst, als er Aiko kennenlernt. Die eigensinnige uneheliche Tochter des Professors, die vehement französisch mit ihrem Vater spricht, obwohl dieser behauptet, dass er dieser Sprache überhaupt nicht mächtig ist. Sie bringt wieder etwas Schwung in Julians Leben, sorgt allerdings auch dafür, dass er sich selbst zunächst immer unsicherer wird. Seine Suche nach sich selbst, ist auch mit ihr noch lange nicht abgeschlossen.


    Ich mag es eigentlich gar nicht Bücher als "Porträt einer Generation" zu bezeichnen, da man keine Generation über einen Kamm scheren kann. Geiger schreibt hier von der Sinnsuche, den Möglichkeiten über den eigenen Lebensweg zu bestimmen. Gedankengänge mit denen wir uns vermutlich ganz besonders im Alter des Erwachsenwerdens beschäftigen.


    "Selbstporträt mit Flusspferd" und ich haben eine Weile gebraucht, bis wir eins wurden. Bis ich mir sicher war Geigers Gedanken zustimmen zu können und einen Weg mit ihnen beschreiten zu können. Julian hat es mir nicht ganz leicht gemacht. Die Trägheit mit der er in seinem Leben, das eigentlich aus Neugier, Spannung und ausprobieren bestehen sollte, begegnet, hat mich ein wenig abgestoßen. Adam Nümm hat dieses Gefühl, das mir sehr fremd ist, so perfekt umgesetzt, dass ich mich lange Zeit fehl am Platz fühlte. Erst Aiko konnte dies ändern, auch wenn sie mit ihrer dreisten, unentschlossenen und teils rücksichtslosen Art eher keine Sympathien bei mir wecken konnte.


    Mein liebster Charakter (außer dem Flusspferd) ist der Professor, der all die Eskapaden und Versuche der jungen Leute, einen geeigneten Weg einzuschlagen, mit Ruhe und Gelassenheit aufnimmt. Die Ruhe, die bei Julian fehl am Platz ist, dem Professor aber gut zu Gesichte steht.


    Und so landen wir doch wieder bei dem Begriff "Generationenroman", denn man sollte zwar jedes Mitglied einer Generation individuell betrachten, kann ihnen aber einige Eigenschaften zuschreiben, für deren Erfüllung sie in ihrem Lebensabschnitt zuständig sind. Auch, wenn ich ein wenig gebraucht habe mit Julian und dem zu ihm gehörigen Erzählton zurecht zu kommen, hat mich Arno Geiger im Endeffekt überzeugen können.

    Das Königreich Winter ist zerstört. Die Überlebenden sind in Arbeitslagern im Königreich Frühling gefangen, in dem der düstere Angra regiert, der sich dunkle Magie zu nutzen macht. Nur ein paar wenige leben in einem geheimen Lager und versuchen alles dafür zu tun, das Königreich wieder aufzubauen. Unter ihnen der Prinz Mather, Sohn der verstorbenen Winterianer Königin Hannah, deren Leibgardist William und Meira, ein ungestümes Waisenmädchen.


    Einst hatte jeder regierende der Jahreszeiten- und der Rhythmus- Königreiche eine Magsignie. Ein magisches Etwas, das die Macht und das Können des Volkes unterstützt. Winters Magsignie ist beim Fall des Königreichs geraubt worden. William und seine wenigen Kämpfer setzen alles daran das magische Medaillon ihrer verstorbenen Königin zurückzuerobern. Unerwartet ist es Meira, der dies gelingt. Doch kann sie das Königreich Winter damit wirklich retten oder setzt sie es einer größeren Gefahr aus, als alle erahnen?


    Ich habe "Schnee wie Asche" in einem Tag durchgelesen. Allein diese spricht für das Buch mit dem wunderschönen Cover. Sara Raasch, die schon von Kindesbeinen an Autorin werden wollte, nimmt mich rasend schnell mit in ihre Geschichte, die sich im Genre High Fantasy ansiedeln lässt, jedoch geringe dystopische Züge enthält. Ihre Schreibe ist eingängig, fließend und der Atmosphäre eines solchen Romans angemessen.


    Die Welten, die sie entwirft, sind faszinierend. Besonders die Jahreszeiten-Königreiche haben es mir angetan und wäre ich in der Lage ins Buch zu schlüpfen, würde ich sie alle selbst bereisen, um ihren wundersamen Eigenschaften und den vielfältigen Bewohnern zu begegnen.


    Eine Geschichte steht und fällt mit den Charakteren. "Schnee wie Asche" kommt daher nie zum Erliegen. Ganz zu Anfang begegnen wir Protagonisten Meira, die perfekt ist, für die Rolle der Heldin eines Jugendromans. Wild, ungezähmt, eigensinnig und ein wenig dickköpfig, ein ungeschliffener Diamant, gerade richtig für solch ein Abenteuer. Ihr zur Seite steht der tapfere William, von ihr Sir genannt, den ich - wie ich später im Buch feststellen konnte - sehr ins Herz geschlossen habe. Natürlich gibt es auch zwei bewundernswerte junge Männer, zu denen ich noch nicht zu viel sagen möchte, außer, dass man nicht anders kann, als sie zu mögen.


    Auch wenn sich einige der Beschreibungen so anhören, als hätte Sara Raasch nichts gänzlich Neues erschaffen, ist es ihr doch sehr gut gelungen individuell zu wirken. Eine gekonnte Mischung aus Abenteuer, einem kleinen Hauch Liebe (kein Kitsch! Yeah!) und Magie, bannen den Leser Seite um Seite. Obwohl ich eins der Geheimnisse schon ziemlich am Anfang aufgedeckt habe, konnte mich die Autorin durch geschicktes aufbauen eines stramm gezogenen Spannungsbogen, bis zum Ende an das Buch spannen. Am liebsten würde ich sofort weiterlesen. Der nächste Band erscheint im Original allerdings erst im Oktober diesen Jahres. Ich hoffe sehr, dass die deutsche Übersetzung nicht lange auf sich warten lässt.

    Stell dir vor, du erwachst morgens und bist tot. Du bist nicht nur tot, sondern ein Engel. Der Letzt, glaubt man den Menschen, die schon immer in deiner Gegenwart gelebt haben, für dich aber nie sichtbar waren. Du bist so verwirrt, dass du auf deine eigene Beerdigung gehst. Dort sind Menschen, die sich für dich interessieren. Einige von ihnen sehen dich sogar, für andere wiederum bist du , unsichtbar. Warum? Warum ausgerechnet du? Und was will man von dir?


    Das sind die Fragen, denen Motte, der eines morgens als Engel aufwacht, ausgesetzt ist. Den Inhalt des zweiten Teils der Engel Duologie ist sehr schwierig. Es ist mehr als hilfreich den ersten Band zu kennen, wer ihn noch nicht gelesen hat, durch meine Worte: Absolut lesenswerte Romane!! jedoch neugierig geworden ist, sollte sich Rezensionen zu Band 1 "Der letzte Engel" durchlesen oder - so wie ich es zur Auffrischung getan habe - das von Martin Ballscheit hervorragend gelesene Hörbuch hören. Kurz gesagt, Motte möchte immer noch dem Geheimnis, warum er ein Engel geworden ist auf die Schliche kommen. Den ganzen Zirkus drum herum bekommt er weniger, der Leser dafür umso mehr mit.


    Drvenkar hat eine komplexe Geschichte geschrieben, die sich von allen Engelsromanen, die ich bisher gelesen habe, abhebt. Sein Roman lebt davon, dass die verschiedene Figuren, die für den Verlauf der Engelssache verantwortlich sind, zu Wort kommen. Auf verschiedenen Ebenen betrachtet der Leser die Handlungsstränge, die nach und nach zusammen geführt werden und nur gemeinsam einen Sinn ergeben. Klingt kompliziert, ist es auch. Nur genaues Lesen führt dazu, dass man der Erzählung auch folgen kann.


    Obwohl ich das manchmal als anstrengend empfunden habe, stehe ich weiter dahinter, Zoran Drvenkars als etwas besonderes, als etwas sehr hochwertiges im Bereich der Jugendliteratur zu bezeichnen. Seine Schreibe ist beeindruckend. Selten gelingt es einem Autor eine fast poetische Schreibweise mit extremer Spannung unter einen Hut zu bringen und dann trotz drückender Atmosphäre mit Hilfe der Protagonisten eine gewisse Leichtigkeit hinein zu bringen.


    Drvenkar legt sich nicht fest. Weder mit seinem Erzählton, noch mit dem einsortieren seines Romans in eine Schublade. Ein bisschen Fantasy, ein bisschen Thriller, irgendeine Art Roadmovie. Nicht immer gelingt es, sich von allem etwas zu nehmen und sich nicht fest niederzulassen. Drvenkar hat damit kein Problem. Es scheint, dass er sich in allem sehr sicher ist, steht hinter dem, was er schreibt und bringt den Leser dazu recht häufig nicht mehr zu wissen, ob er sich noch in der Realität befindet oder in einer Art skurrilem Märchen.


    "Der letzte Engel: Der Ruf aus dem Eis" ist, wie sein Vorgänger auch, ein eigenwilliger Roman, der sich in keine Schublade stecken lässt. Der sicher nicht für jeden Leser das passende Buch ist. Wer bereit ist, sich auf solch eine Geschichte einzulassen, der bekommt ein Lesevergnügen geboten, dass er so schnell nicht vergisst.

    Halte dich von der Treibgierde fern. Sie ist unberechenbar und gemein. Und bist du erst einmal darin gefangen, ist es sehr schwer ihr zu entkommen! Inmitten der Treibgierde herrscht der Krieg der Wicca und Magicae, der so weite Kreise zieht, dass er auch außerhalb davon in Schwung kommt.


    Eldar ist der erste, von dem man weiß, dass er der Treibgierde entkommen ist. Vor vielen Jahrhunderten ist er gemeinsam mit seiner Liebe Haran hinein geraten, ist zwischen die Fronten von Wicca und Magicae gelangt und nun mit Hilfe von Hackfresse dem gierigen Schlund entkommen. Ob das ein besseres Leben mit sich bringt, wird sich erst noch zeigen, denn sein Wissen hat einen unschätzbaren Wert für all jene, die in den brutalen und rücksichtslosen Krieg verwickelt sind.


    Man könnte "Der unrechte Wanderer" als Sequel zu "Der Gottbettler" betrachten. Es ist chronologisch auf den ersten Roman des Wiener Autors Thurner aufgebaut und hat auch ein paar Figuren übernommen, ist aber ebenso als eigenständige Geschichte zu lesen.


    Michael Marcus Thurner hat mich auch in seinem zweiten Roman wieder von seiner Fähigkeit zu schreiben, Welten und vielschichtige Charaktere zu kreieren, überzeugt. Mit dem Spannungsbogen hatte ich hier und da meine Schwierigkeiten, dennoch bin ich durch das Buch geflogen. Die Erzählperspektive wechselt von Kapitel zu Kapitel zwischen den Hauptfiguren hin und her. Ich mag, dass verschiedene Ebenen eingesetzt werden, die im Laufe der Handlung miteinander verknüpft werden.


    Was man vor Beginn des Buches wissen sollte: es bewegt sich schon über die Grenze der "normalen" Fantasy hin zu Dark Fantasy. Ich bin nicht zimperlich, aber an manchen Stellen ist mir doch ein wenig übel geworden. Es ist weniger das viele Blut und die Brutalität, die auch im Rahmen sexueller Handlungen auftritt, die mir Probleme bereiten, als vielmehr die in reichem Fluss vorhandenen Fäkalien. Die finde ich echt eklig!


    Sympathische Charaktere gibt es im Buch keinen einzigen. Vielleicht noch ein kleines bisschen Eldar, aber alle anderen sind abstoßend, widerwärtig, böse und keine Figuren, denen man in der Realität begegnen möchte. Dennoch geht man gerne mit ihnen. Sie heben sich von anderen ab, sind unberechenbar und sorgen immer wieder für unerwartete Handlungen. Das war schon bei "Der Gottbettler" so, lässt Thurner aus der breiten Masse herausstechen und sorgt dafür, dass immer wieder etliche Leser zu seinen Büchern greifen werden. Ich bin einer davon.

    "Egal, auf welches Datum ihre Geburt fiel, alle Männer meiner Familie sind also um elf Uhr früh geboren. Und das Amüsante ist: Alle, ohne jede Ausnahme, sind an ihrem sechsunddreißigsten Geburtstag gestorben, noch bevor sie ihre Kerzen ausgeblasen und ihren Kuchen gegessen hatten, denn elf Uhr morgens ist eine ungünstige Zeit. Jedenfalls was den Nachtisch angeht."


    Mortimer wird von einem Fluch begleitet, der seine Familie schon seit mehreren Generationen belastet. Zumindest die männlichen Mitglieder, denn sie alle sterben an ihrem sechsunddreißigsten Geburtstag. Schon seit Mortimer denken kann, steht dieser Tag im Fokus der Familie und somit auch in Mortimers Leben. Er wartet regelrecht darauf, dass sein Tod endlich eintritt. Doch dann kommt es anders und Mortimer überlebt tatsächlich seine eigene Todesstunde.


    "Ich steckte in einem kleinen Leben fest, das kaum atmete, in einem winzigen Leben mit verschleimten Bronchien. Ich brauchte Luft, Raum, Atem. Ich verlor sinnlos meine Zeit, dabei hatte ich wirklich keine übrig."


    Mortimer lebt zurückgezogen und allein. Bindungen ist er lieber nicht eingegangen, denn er hatte ja immer vor Augen, dass diese vorzeitig durch Ableben beendet werden. Seine einzigen Kontaktpersonen sind Paquita und Nassardine, das Pärchen vom Verkaufsstand, an dem es den besten Crepes und den schlechtesten Kaffee gibt. Die beiden wissen was vom Leben, kennen sich damit aus und sind deshalb Mortimers erste Adresse, um sich einen Rat zu holen. Plötzlich zu leben ist nämlich gar nicht so einfach.


    "Im nachhinein habe ich verstanden, dass mein Vater depressiv war und mit der Aussicht seines vorzeitigen Todes nicht klarkam. Letztlich hat ihm sein Tod das Leben versaut."


    Auch mit ihrem neusten Roman "Heute beginnt der Rest des Lebens", hat sich Marie-Sabine Roger, deren Roman "Das Labyrinth der Wörter" verfilmt wurde, wieder in mein Herz geschrieben. Ich mag nicht nur ihre poetische Schreibe und ihren klugen Witz sehr gerne, sondern die Art, wie sie dem Buch Leben einhaucht. Mit ganz besonderen Charakteren, die mit einem Hauch an Tragik und Unglück, aber auch viel Eigensinn und Herz ausgestattet sind, dass eine gewisse Verbindung zwischen Leser und Figuren entsteht.


    "Alles hätte mich davon überzeugen müssen abzuhauen, zu reisen, jeden Tag zu nutzen wie einen kostbaren Schatz, aber nein, ich tat genau das, was wir alle tun: Ich vergeudete meine Zeit und jammerte darüber, wie sie verrann."


    In "Heute beginnt der Rest des Lebens" gerät der Hauptdarsteller Morti ein wenig in den Hintergrund. Das lebhafte Ehepaar Paquita und Nassardine stehlen ihm mit ihrer liebenswerten Art, mit ihrer Lebensfreude, ihrer gegenseitigen Zuneigung und ganz viel Herzlichkeit wirklich etwas die Show. Dennoch ist Mortimer ein Protagonist, den man ins Herz schließt und dem man wirklich nur Gutes wünscht. Umso mehr freut man sich, dass er seinen Todestag überlegt und trägt die Hoffnung, dass er jetzt alles aus seinem Leben herausholt was geht. Was das ist, weiß weder Morti, noch ich selbst genau. Roger hat mich aber zumindest dazu gebracht darüber nachzudenken, was mir in meinem Leben fehlt und über welchen Verlust, welches nicht erlebte Abenteuer ich im Falle eines vorhersagbaren Todezeitpunkts, traurig wäre. Letztendlich wissen Mortimer und ich was im Leben wirklich zählt. Es sind nicht die großen Erlebnisse, die uns dauerhaft glücklich machen, sondern die Menschen, die diese Erlebnisse mit Freude mit uns teilen.

    Bridget und Joan - beide weit über achtzig, gefühlt aber maximal Mitte sechzig - leben gemeinsam im Zweitbesten Magnolia Seniorenheim und sind schon seit Ewigkeiten befreundet. Um Bridget dabei zu unterstützen ihre Gedanken zusammen zu halten und auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben, schenkt Joan ihr ein Tagebuch. Sie selbst führt schon lange eins und findet diese Ausdrucksform recht praktisch.


    Bridget kann sich mit dem Gedanken anfreunden und trägt dort - wie Joan auch - ihre täglichen Erlebnisse im Seniorenheim ein. Ihre Wahrnehmung der Ereignisse ist jedoch häufig eine andere als die ihrer besten Freundin. Während Bridget ein eher "liderliches Frauenzimmer" ist, sich nach wie vor als Bühnenstar fühlt und eine eher rosarote Betrachtungsweise ihres Lebens hat, ist Joan solide und bodenständig. Zwei konträre Persönlichkeiten, die dennoch auf liebenswerte Art zueinander halten.


    "Pasta zum Abendessen. Joan sagt, die Nudeln heißen Tagliatelle. Ein echter Zungenbrecher!


    Pasta zum Abendessen. Es gibt Penne, aber ich habe Bridget gesagt, es sind Tagliatelle. Nur um zu sehen, wie ihr die Zähne herausfallen, wenn sie es auszusprechen versucht."


    Ich habe "Bridgets und Joans Tagebuch" an einem Nachmittag weggelesen. Die Tagebucheinträge der beiden alten Damen sind so köstlich, dass sich der Leser vor Lachen kringelt. Bridgets verschobene Wahrnehmung, in der sie immer noch von allen, der Männerwelt im besonderen, angehimmelt wird, sorgt für etliche Lacher. Vor allem dann, wenn sie mal wieder Joans Streichen auf den Leim geht und nicht merkt, dass diese ihr Sekundenkleber in die künstliche Hüfte gespritzt oder Wasser in ihre Wodkaflasche gefüllt hat. Ich mag ganz besonders Joans schwarzen Humor und ihre sarkastische Betrachtungsweise.


    Ich weiß nicht, wer hinter dem Pseudonym der beiden alten Damen steckt, aber er oder sie hat sich perfekt in sie hineinversetzt und einen Roman geschaffen, der perfekt unterhält. Ein verschenktes Reisetagebuch lässt darauf hoffen, dass wir weitere Geschichten des illustren Duos zu lesen bekommen. Darauf freue ich mich schon jetzt!

    "Ich glaube, dass die Welt sich noch mal ändern wird und dann Gut über Böse siegt [...]" so beginnt ein Song von Die Toten Hosen aus dem Jahr 1993. Ein Song, den ich immer wieder gerne höre, nicht nur weil er so eine mitreißende Melodie hat, sondern auch weil er Hoffnung vermittelt. Hoffnung auf eine bessere, friedlichere Welt. Eine Hoffnung, die auch Tanya Stewner in sich zu tragen scheint und in ihrem neusten Roman "Der Sommer in dem die Zeit stehen blieb" an ihre Leser vermitteln möchte.


    An ihrem Lieblingsplatz auf einer einsamen Lichtung trifft Juli auf einen Jungen. So schön, dass sie kaum glauben kann, dass er sich für sie interessiert. Zu nett und tiefgründig, um aus Julis Gegend zu sein, denn dort trifft sie so häufig auf Oberflächlichkeit. Sogar im eigenen Elternhaus. Anjano ist der klügste, witzigste Mensch, dem sie jemals begegnet ist. Kein Wunder, dass sie sich in ihn verliebt. Doch es gibt etwas das zwischen ihnen steht: die Zeit. Denn Anjano ist aus der Zukunft und wenn er sich auf Juli einlässt wird ihre Liebe Einfluss auf das Weltgeschehen haben. Gibt es eine Möglichkeit dies zu einem Vorteil zu nutzen und die Umwelt und Menschen in eine Richtung zu führen, die für alle nur positiv enden kann?


    "Der Sommer in dem die Zeit stehen blieb" sticht aus dem Rahmen eines nach wie vor beliebten Genres raus. Im Gegensatz zu den vielen Dystopien, die in den letzten Jahren auf den Markt kamen, handelt es sich bei Tanya Stewners neustem Roman um eine Utopie. Und obwohl ich selbst lieber von Drama, Leiden und Verderben lese, würde ich mir für meine reale Welt, für meine Mitmenschen und die Umwelt ein bisschen mehr Frieden, Verständnis und Gesundheit wünschen.


    Dies ist auch der Gedanke, den "Der Sommer in dem die Zeit stehen blieb" beim Leser auslöst. Der Roman ist so rosarot wie sein Cover und leuchtet ebenso hell wie das Licht um Juli und Anjano, die auf dem Cover dargestellt sind. Meine Befürchtung, dass mir die Handlung, die ein wenig vor sich hinplätschert zu seicht wird, hat sich nicht bestätigt, denn es gefällt mir mich in einer Welt zu bewegen, die meine Hoffnung aufnimmt und einen positiven Werdegang einschlägt.


    Tanya Stewner rüttelt an den Gedanken der Leser. Sie holt aus dem Tiefschlaf des alltäglichen, des machtlosen, weckt den Wunsch nach einer Verbesserung und den Drang danach, selbst etwas zu tun und nicht zu warten, bis es von allein besser wird, denn das wird einfach nicht passieren. Die erfolgreiche Kinder- und Jugendbuch Autorin, die das jüngere Publikum schon über viele Jahre mit ihrer Liliane Susewind-Reihe unterhält, traut sich was. Sie traut sich versteckte Gedanken anzusprechen und sich Themen zu widmen, die man lieber verdrängt. Das mochte ich schon an ihrem Roman "Das Lied der Träumerin". Sie wird ganz sicher nicht nur auf lobende Stimmen treffen, ist aber mutig genug trotzdem ihre Meinung auszusprechen und damit diejenigen zum Nachdenken zu bringen, die sich nicht in Oberflächlichkeit vergraben. Ich wünsche mir, dass sie diese Art zu schreiben beibehält und freue mich auf weitere nachdenklich stimmende Bücher von ihr.

    Der Elf Lass war Krieger der Fliegerstaffel. Im Kampf zwischen den mächtigen Elfenhäusern war er mit seinem Aeroplan ein treuer Soldat. Des kämpfens müde, flieht er aus seiner zerrütteten Heimat und landet auf den Schildkröteninseln, die so abgelegen sind, dass er zunächst glaubt, dort Ruhe und Frieden zu finden.


    Doch der Schein trügt und da Lass ja auch irgendwie sein Leben finanzieren muss, sitzt er schneller als geplant wieder im Aeroplan, fliegt für einen Mittelsmann der Regierung. An seiner Seite ein Oger - gegen die hat er früher gekämpft - und Dreipfot, ein kleines pelziges und sehr gefräßiges Wesen, dass er vorm Tod gerettet hat. Und wer einmal Krieger war und den Klang der Waffen gespürt hat, der bleibt es eben auch ...


    Wie von Pehov gewohnt, gelingt es ihm auch in "Dunkeljäger" ziemlich schnell seine Leser mithilfe des Protagonisten einzunehmen. Er hat ein Händchen dafür Charaktere zu kreieren, die kleine Ecken und Kanten haben und große Sympathien hervorrufen. Er stattet sie liebevoll und detailreich mit teils witzigen, teils skurrilen Eigenschaften aus, die sie aus der breiten Masse herausstechen lassen. Seiner Fantasie scheint er dabei keine Grenzen zu setzen. In "Dunkeljäger" ist mir ganz besonders der pelzige Dreipfot ans Herz gewachsen, über den ich wirklich häufig schmunzeln würde und den ich gern selbst Zuhause hätte (auch wenn er echt gefährlich sein kann ...).


    "Dunkeljäger" ist ein bisschen leichter, ein bisschen schwungvoller und weniger komplex als seine Vorgänger und fließt dem Leser nur so durch die Hand. Einzig klitzekleine Längen führen dazu, dass man hin und wieder in kurzes Stocken gerät, haben mich aber dennoch nicht davon abgehalten, den über 400 Seiten starken Schmöker innerhalb von zwei Tagen durchzulesen.


    Sehr begeistert bin ich mal wieder von der Covergestaltung des Piper Verlags. "Dunkeljäger" glänzt optisch wie inhaltlich als in sich abgeschlossener Einzelband, der sich perfekt in das Regal der Pehov-Serien einreiht. Mal schauen, ob Pehov seinen Elf in ein weiteres Abenteuer schickt. Ich würde mich freuen und ihn gern dabei begleiten.

    Albert Maillard erwartet nichts sehnlicher als das Ende des Krieges. Viel zu lang schon hat er ums Überleben gekämpft, was ihn so angestrengt hat, dass er am liebsten aufgeben würde. Doch wer wird schon kurz vorm Ziel, klein beigeben, vor allem, wenn Zuhause ein hübsches Mädchen auf ihn wartet. Doch auch, wenn es eigentlich nur noch bergauf gehen kann, fühlt er sich resigniert und mutlos. Als würde er seine Zweifel ausdünsten, gerät er ins Visier des ehrgeizigen und hinterlistigen Leutnant Pradelle und eher er sich versieht ist er im Krater einer Handgranate verschüttet.


    "Während er Édouard an sich drückt, wird ihm bewusst, dass sein Kamerad, so wie alle, den ganzen Krieg hindurch nur einen Wunsch hatte: zu überleben. Und nun, da der Krieg zu Ende und er noch am Leben ist, will er sich einfach nur in Luft auflösen."


    Auch Édouard Péricort ist des Kämpfens müde. Als Sohn reicher Eltern ohne ein Ziel vor Augen und immer in der Rolle des Komikers und Unterhalters Zuhause, sowieso nicht für den Kampf geboren, erhofft er nichts so sehr wie Frieden und die Heimkehr nach Hause zur Schwester, zu der er eine etwas zu innige Beziehung hat. Doch auch er wird Opfer einer der letzten in Betrieb genommenen Waffen. Doch bevor diese sein Leben für immer verändert, rettet er noch das von Albert Maillard und schafft damit eine Verbindung zwischen den beiden Männern, die vom Schicksal herbeigeführt und auch nur von diesem wieder zu trennen ist.


    "Die beiden Männer hatten zwar schon eine gemeinsame Geschichte, in der jeder seine eigene Rolle spielte, aber eigentlich kannten sie sich nicht. Ihre Verbindung war aus einem komplizierten Geflecht aus schlechtem Gewissen, Solidarität, Ressentiment, Distanz und brüderlicher Verbundenheit entstanden"


    Lemaitres Schreibe hat mich vom ersten Satz an mit einer starken Intensität umfasst und nicht mehr losgelassen. Seite für Seite habe ich verschlungen, manchmal kurz davor doch abzubrechen, weil die Wellen des Krieges so weit und hart um sich schlagen. Sichtbare Verletzungen, die Übelkeit erregen und solche, deren Ausmaß kaum zu erfassen ist. Alpträume, Wesensveränderungen, Verlustgefühle und Ängste, mit all dem schlagen sich die ehemaligen Soldaten herum, verhöhnt vom Land, das eine Entlohnung verspricht, die weder ausgeführt werden kann, noch ansatzweise wieder das gut machen kann, was der Krieg verbrochen hat.


    "[...] Er hatte es freiwillig getan, aber - er wusste nicht so recht, wie er es ausdrücken sollte, was er empfand, diese Ungerechtigkeit ... Niemand war Schuld daran, und doch war es die ganze Welt."


    Maillard und Péricort haben wahren Heldentum bewiesen, der von niemandem anerkannt wird und auch keinem von beiden zu Nutze ist, denn auch Anerkennung ist nur eine geringe Form der Erlösung. Und als ob die Kriegsschäden nicht genug sind, kämpft das Leben weiterhin gegen sie. Glück ist für sie eben so ein schwer einschätzbares Spiel wie für ihre Angehörigen. Der Leser stellt sich mehr als einmal die Frage: gibt es eine ausgleichende Gerechtigkeit?


    "Es war immer dasselbe. Dauernd kamen einem diese Typen mit dem Krieg. Und dauernd wollten sie aller Welt eine Lektion erteilen. Man hatte langsam die Nase voll von diesen Helden! Außerdem waren die wirklichen Helden tot!"


    Obwohl ich vom Cover des Buches eine andere Geschichte erwartet habe, bin ich sehr begeistert vom zurecht mehrfach ausgezeichneten Roman des Franzosen. Die von mir erwartete Leichtigkeit der Protagonisten blieb aus, ihr von ihnen so lang geduldetes Elend schlug dafür umso härter zu. Berührt und völlig gefesselt von einer Geschichte, die ein hervorragendes Konstrukt aus berechnenden Machtspielen und den undurchschaubaren Wegen des Schicksals, gebe ich gerne meine Lesseempfehlung für "Wir sehen uns dort oben".

    Eddy lebt in einem kleinen, rückständischen und ärmlichen Dorf im Norden Frankreichs. Er ist anders als die anderen Jungs im Ort. Er bewegt sich anders, er spricht anders, er hat andere Interessen. Für seine Schulkameraden ist das ausreichend, um ihn zu verspotten. Er wird Opfer ihrer verbalen und physischen Gewalt und weiß bald selbst nicht mehr, ob er das ist, was man ihm vorwirft zu sein, oder ob er ein ganz normaler Junge ist, so wie andere auch.


    "Die Tritte in den Bauch nahmen mir die Luft, ich konnte nicht mehr atmen. Ich riss den Mund auf, so weit ich konnte, um Sauerstoff einzuatmen, ich blähte die Brust, aber die Luft wollte nicht hinein; ein Gefühl, als wären meine Lungen unvermittelt mit einem dickflüssigen Saft gefüllt, mit Blei. Mein Körper zitterte, schien mir nicht mehr zu gehorchen."


    Eddy ist ganz klar ein Opfer. Opfer von Gewalt, Opfer von Misstrauen gegenüber Unbekanntem, Opfer von Angst gegenüber Unbekanntem und Opfer einer Familie, in der es schon immer Opfer gegeben hat.


    Täglich steht Eddy Gefahren gegenüber, die ihn zermürben. Beginnend in der eigenen Familie, endend in der Schule und im "Freundes"kreis.


    Der Vater ein Säufer, wie auch schon dessen Vater. Einzig die Eigenschaft andere zu verprügeln, hat dieser vorerst nicht übernommen. Dafür ist dieses Genmaterial auf den Bruder übergesprungen, der kleingeistig, wie die anderen Geschwister auch, denkt, dass Gewalt und rauer Umgang zum guten Ton dazu gehören. Wer nicht säuft, nicht schlägt, nicht vögelt, ist kein richtiger Mann. Wer beim Anblick eines Mädchens keinen Steifen kriegt, ist eine Verabscheuungswürdige Kreatur. So einer wie Eddy eben. Wertlos und Nichtsnutzig.


    Die Mutter kalt, gefühllos und in Selbstmitleid versunken. Die Augen so sehr auf sich selbst und das Ansehen der Familie gerichtet, dass kein Blick mehr für Eddys Not übrig ist.


    Und Not hat er reichlich. Deutlich sichtbar in Blutergüssen und Verletzungen, aber vor allem auch innen drin. In seiner Seele, seinen Gedanken, die um nichts anderes kreisen als darum wer er ist, wie er zu dem werden kann, der er sein sollte und warum ihm das nicht möglich ist.


    "Zuerst kommt man nicht darauf zu fliehen, weil man gar nicht weiß, dass es ein Anderswo gibt."


    Édouard Louis hat einen sehr schockierenden und bewegenden Roman geschrieben, der bei mir manchmal Übelkeit hervorgerufen hat. Es ist kaum auszuhalten, welche Demütigungen Eddy über sich ergehen lassen muss, aber vor allem auch, wie allein er damit und seinen seelischen Qualen ist. Angelehnt ist die Geschichte an Édouard Louis' eigene. Er hat es geschafft aus der dörflichen Provinz, in der jeder Scheuklappen trägt, demotiviert ist und in eigenem Elend versinkt, in ein Leben in dem er Anerkennung bekommt. Höchste Anerkennung von meiner Seite für einen Roman, in der er in höchster sprachlicher Qualität, poetisch wie dramatisch seine eigene Zerrissenheit darstellt. Ohne wertend zu sein und auch das Verhalten seiner Eltern, seiner Geschwister und Mitmenschen so aufzuzeigen, dass der Leser sich Gedanken darüber macht wie es zu solch einem Vorgehen kommen kann. Menschen, die durch erlebtes und erlerntes in Rollen gepresst wurden, aus denen sie sich nur schlecht befreien können.


    Édouard Louis hat es geschafft sich zu befreien. Setzt sich ein gegen Homophobie, versucht den Blickwinkel der Menschen zu erweitern, Verständnis zu wecken und ermahnt sie Achtung voreinander zu haben.

    Angelina ist Putzfrau und "funktioniert" ganz gut. Sie erledigt ihren Job ordentlich, kümmert sich brav um ihre Mutter, kocht für ihren Freund, der sie immer wieder versetzt, und gibt ihm auch noch ihr hart verdientes Geld, das er dann im Casino verspielt. Das ist nicht das Leben, das Angelina sich gewünscht hat, aber was soll sie schon machen. Sie kommt ja eh nicht daraus, hat ja in der Schule nicht einmal richtig lesen und schreiben gelernt.


    Christian ist Anwalt. Verdient mehr Geld als er ausgeben kann. Ist ein wichtiger Mann in der Kanzlei, weil es ihm immer wieder gelingt die richtig großen Fische an Land zu ziehen. Seine Freundin hingegen ist ihm davon geschwommen. Nun sitzt er da, einsam, mit einem Haufen Schwarzgeld, an das er irgendwie unglücklich geraten ist und dass er nun loswerden muss, um nicht im Gefängnis zu landen.


    Da kommt es ihm ganz recht, dass seine - unangemeldete - Putzfrau bei einem Sturz von der Leiter ihr Gedächtnis verloren hat. Eigentlich wollte er nur hilfsbereit sein - musste er ja, denn er hätte sie kaum blutend in seiner Wohnung liegen lassen können -, aber dann erkennt er in ihr eine Möglichkeit sich selbst zu retten.


    Rettung ist ein Schlagwort dieses Romans, der von Eva Baronsky in feinen Fäden verwoben wurde. Sowohl Christian als auch Angelina sind auf dem Weg sich in eine Richtung zu entwickeln, in der sie beide nur Schaden nehmen können. Angelina, die sich unter Wert verkauft und nach dem Unfall plötzlich ganz prächtig lesen und schreiben kann, die Klavier spielt, als sei sie mit Musik zur Welt gekommen und könne Töne fühlen, und Christian, der von Macht und Gier besessen in eine unglückliche und einsame Zukunft schippert und durch Angelinas "Echtheit", der Neugier eines Menschen, der die Dinge zum ersten Mal sieht und versucht sie bis ins kleinste Detail zu verstehen, zurück geholt wird in die Realität. Der nun seine Augen öffnet.


    Besonders ergreifende Momente des Romans sind solche, in denen Angelina die Welt, die ihr so unbekannt geworden ist, erkundet. Melodiös und anrührend beschreibt die Friedrich-Hölderlin Preisträgerin Angelinas Schritte ins (neue) Leben.


    Als modernes Märchen wird der Roman beschrieben. Eine Meinung, die ich teile. Märchen, weil es trotz offenen Endes doch einen eher "happy ending" Verlauf gibt und weil der Leser unbewusst ins Fahrwasser der Hoffnung und Gutgläubigkeit gerät, modern nicht nur wegen Christians Handykonsum, sondern vor allem deswegen weil die Rettung eben nicht nur vom Prinzen ausgeht. Mehr und mehr entwickelt sich die scheue Prinzessin zur wahren Heldin des Romans. Schön, strahlend, aber vor allem mit viel Stärke, spielt sie sich ins Herz der Leser und macht "Manchmal Rot" zu einem Roman, an den man gerne zurück denkt.

    "Sie hatte keine Ahnung, dass sich hinter Tante Mats Fürsorge Liebe versteckte, da sie selbst Liebe mit Sehnsucht gleichsetzte."


    Nina ist die Tochter einer Schauspielerin. Ihre Mutter hat vor allem sich selbst im Sinn. Beruf, Erfolg, Karriere, Ansehen. Die Wirkung auf andere ist ihr so wichtig, dass ihr die eigene Tochter nur hin und wieder ins Gedächtnis gerät. Nina, die bei einer Tante aufwächst, himmelt die Mutter an. Sie verehrt sie auf eine eher ungesunde Weise, möchte ihr gefallen, indem sie alles macht, was die kühle Person die sich Mutter nennt, - die ihre Rolle aber schlechter ausfüllt, als sie es jemals mit ihren Rollen im Theater getan hat -, von Nina verlangt. So beugt sie sich auch dem Wunsch Schauspielerin zu werden.


    "Jetzt, wo er älter war, waren die Nächte unbestimmter und dunkler, und die Welt war in jedem Fall ein viel zu dunkler, quälender Ort, und so machte er das Licht an, wenn er nicht schlafen konnte, und schrieb."


    Luke lebt gemeinsam mit seinem Vater in einer kleinen Wohnung. Seine Mutter ist schon seit Jahren in einer Psychiatrie. Lukes ebenso hoffnungsvoller wie verzweifelter Versuch seine geliebte Maman aus der Klinik, die ihm schier unerträglich scheint, für sie aber zum gewohnten Umfeld geworden ist, zu retten, scheitert. Er vergräbt sich in Arbeit, steigt immer höher auf der Karriereleiter. Es mangelt ihm weder an Geld, noch an Frauen, die ihm ihre Liebe aufbinden wollen und doch ist er einsam und unzufrieden. Als er Leigh und Luke, ein junges Paar aus London, das sich ganz und gar dem Theater verschrieben hat, bemerkt er, dass er falsch ist, in dem Leben, das er führt. Die Rettung der Mutter ist gescheitert, doch die eigene hat er immer noch selbst in der Hand.


    "Da waren sie wieder, die gewohnte, schmerzliche Freude des Suchens und der Mangel; die Distanz zu dem, was Liebe hieß, die ihn geformt hatte. Die Prägung, die dafür gesorgt hatte, dass sein Herz verkümmerte."


    Der Blickwinkel wird mal verstärkt auf Luke, mal verstärkt auf Nina bzw. deren Umfeld gelegt. Er führt uns in die 70er und 80er Jahre, in die Geschichten vier junger Menschen, die unumgänglich miteinander verwoben sind. Sympathisch sind sie alle. Vom ersten Moment an. Niemand der vier scheint so stark verbunden zu sein wie Luke und Nina, deren ganzes Leben beeinflusst wurde durch die wichtigste weibliche Person im Leben eines jeden Menschen: die Mutter. Luke, der trotz der scheinbaren Schwäche der eigenen Mutter, trotz ihrer körperlichen wie auch manchmal geistigen Abwesenheit, die Stärke der Mutter, ihre Illusionen, ihre Träume und Hoffnungen aufgenommen hat. Auf der anderen Seite Nina, die nie Illusionen aufbauen konnte, da sie ihr von der Mutter ebenso zerstört wurden wie ein klares Bild der Realität. Beide jungen Menschen immer auf der Suche nach dem was sie glücklich macht. Scheinen nicht zu erkennen, dass das Glück manchmal direkt vor der Nase liegt.


    " '[...] Warum hören wir nie auf, daran zu glauben?'
    'Woran?'
    'Daran, dass Rettung möglich ist.' "


    "Jahre wie diese" ist mein erster Roman der Engländerin Sadie Jones, mit Sicherheit aber nicht der Einzige, der den Weg in mein Bücherregal finden wird, denn ich bin ganz verzaubert von ihrem Vermögen Atmosphäre zu erschaffen. Atmosphäre, die mich mitgerissen hat, die mich immer wieder zum Buch greifen lies, das ich bewusst in kleinen Stücken genossen habe. Ich bin gerne zurückgekehrt in die Gesellschaft der vier jungen Menschen, die sich manchmal in ihren Träumen und Hoffnungen verirrt und verloren haben, und doch immer wieder zurückgeholt wurden auf den Boden der Tatsachen. "Jahre wie diese" ist ein ganz fein gezeichneter Roman über die Besonderheiten und Ausprägungen der mütterlichen Liebe, aber auch ein wunderschöner Roman über Liebe, wenn die Geschichte auch manchmal den Weg der Dramatik einschlägt. Umso größer sind die Gefühle dann jedoch, wenn sie sich wieder in die von allen Liebenden erhoffte Richtung entwickeln. Ein Roman, den ich sehr genossen habe und gerne weiter empfehle.

    "Und hier bin ich. Ein Sex-Teen, vollkommen machtlos, das am Fluss steht, in der Hoffnung, etwas zu verändern."


    Nina ist sechzehn. Wie alle Mädchen ihres Staates, trägt sie seit ihrem sechzehnten Geburtstag ein Tattoo, dass sie als Geschlechtsreif kennzeichnet und sie dazu anhalten soll, sich fortzupflanzen. Viele ihrer männlichen Mitbürger sehen dieses Tattoo als Freifahrtschein, sich die Mädchen einfach zu nehmen - im Zweifel mit Gewalt. Die Regierung schaut bei Gewaltigungen dieser Art einfach weg und versuchen nicht einmal die Männer strafrechtlich zu verfolgen.


    Ninas Eltern sind Rebellen. Ihre Mutter ist bereits verstorben, der Vater verschwunden. Sie und ihre jüngere Schwester Dee leben bei den Großeltern. Doch eines Tages wird der Großvater, der als ehemaliger Soldat einst für sein Land gekämpft und dabei sein Bein verloren hat, verhaftet. Man wirft ihm vor, Gesetze hintergangen und die Regierung infiltriert zu haben. Widerspruch gegen Gesetze und Regeln, gegen die Leitsprüche der Regierung werden eben nicht geduldet. Kann man sich das ewig gefallen lassen? Oder sollte man sich wehren? Egal was man dafür zahlen muss ...


    Auch der Nachfolgeband von "The Sign: Nur zu deiner Sicherheit" ist wieder so spannend wie Julia Karrs Erstlingswerk. Sie entwickelt ein dystopisches Setting, dass sicher nicht nur weibliche Leser wie mich, schockieren wird. Gewalt sind an der Tagesordnung, doch dass diese gerechtfertigt ist, daran darf der Bürger nicht zweifeln. Ein für unsere Generation, die in einer Demokratie aufwächst, unvorstellbare Herrschaftsform.


    "The Sign: Die Wahrheit kommt ans Licht" ist spannend bis zum letzten Satz. Autorin Julia Karr zieht den Spannungsbogen immer wieder an, legt Fährten, denen wir gemeinsam mit Nina, Dee und ihren Mitstreitern folgen, immer auf der Hut, denn man weiß nie, wem man trauen kann. Mutig ist ihr Kampf gegen Gewalt, an manchen Stellen schier aussichtslos. Doch irgendwer muss den ersten Schritt machen und sich wehren. Eine spannende Dystopie, mit altbekannten, aber auch einigen neuen Gedankengängen.

    "Es ging nie um Mutproben, das haben die meisten leider nie kapiert. Wir kämpften nicht darum, unsere Ängste zu überwinden, über diesen Punkt waren wir hinweg. Wir hatten einfach keine mehr.
    Bis wir begriffen, dass wir zu weit gegangen waren ..."


    Maria liegt im Koma. Die schöne, die beliebte, die immer fröhliche Maria. So kannte sie die Außenwelt. Aber was war in ihr drin? War das Unglück wirklich ein Unfall oder wollte Maria die Grenzen ihres eigenen Lebens austesten? Lou, die schon lange Zeit Marias beste Freundin ist, weiß es nicht genau. Obwohl sie so viel miteinander geteilt haben, scheinen sie ihr Innenleben voreinander verschlossen zu haben.


    "Die Erkenntnis sterben zu müssen, macht mich zu feige fürs Leben. Sophie Scholl wurde nur einundzwanzig Jahre alt. Aber die hat sie wenigstens genutzt."


    Um über den Schmerz, den Marias Unfall in ihr aufgeworfen hat, hinweg zu kommen, beginnt Lou einen Videoblog. Mehr und mehr kommt sie aus sich heraus, wird von dem Mädchen im Hintergrund zu einem Mädchen, dass sich ein bisschen aufdringlich, in den Vordergrund arbeitet. Und doch fehlt die Erfüllung, die sich Lou davon erhofft hatte, denn statt ihr eigenes Leben umzukrempeln, schlüpft sie in das ihrer Freundin Maria. Auf ihrem Weg in ein scheinbar besseres Leben, bemerkt Lou nicht, dass sie dabei ist sich zu verirren und zu verlieren. Das kann einfach nicht gut ausgehen.


    "Woran liegt es, dass man beim Fotografieren immer die glücklichen Momente einfangen will, während beim Tagebuchschreiben die traurigen ganze Seiten füllen? Wo liegt die Wahrheit, irgendwo dazwischen? Existiert sie überhaupt?"


    Der Einstieg ins Buch ist nicht so ganz leicht. Eine poetische Schreibweise, die sehr ungewohnt für ein Jugendbuch ist, fordert den Leser. Fordert ihn sich anzustrengen, selbst zu denken und auch zwischen die Zeilen zu blicken. Nicht ganz leicht wenn diese - fiktiv - aus den Gedanken einer Jugendlichen entspringen. Sprudelnd dort heraus schießen, manchmal scheinbar unsortiert. Hat man als Leser erst mal einen roten Faden gefunden und sich auf eine etwas andere Denkweise eingelassen, findet man sich in einem Roman wieder, der klug, mutig und interessant ist.

    REZI ZUM HÖRBUCH:


    Ben hat sich um Kinder und Heim gekümmert. Seine Frau hat das Geld verdient. Seit ihrer Trennung ist er in einem ziemlich großen finanziellen Engpass. Um überleben zu können ist ihm jeder Job recht, auch wenn er dafür einen Crashkurs in häuslicher Pflege machen muss und sich um einen kranken, pubertierenden Sechzehnjährigen kümmern muss, der im Rollstuhl sitzt.


    Trevors Lebenszeit ist begrenzt. Von alldem, was er einmal erleben wollte, konnte er bisher nichts umsetzen. Als sein Vater Trevor einlädt ihn zu besuchen, geht er gemeinsam mit Ben auf eine Reise quer durch die USA. Ein aufregender Roadtrip beginnt.


    Auf ihrer Reise begegnen sie weiteren Menschen, die wegrennen vor ihrer derzeitigen Situation, vor Menschen, denen sie am Herzen liegen, denen es aber einfach nicht gelingt dies angemessen zu zeigen. So wie es Trevors Vater bisher auch nicht gelungen ist seinem Sohn die Zuneigung zu offenbaren, die er sich immer gewünscht hat.


    Gesprochen wird das Hörbuch von Bjarne Mädel, bekannt aus der Serie "Stromberg" und etabliert als Hörbuchsprecher, Komiker und Poet. Jedes Mal, wenn ich ein Interview mit ihm sehe, bin ich wieder neu begeistert von seinem Humor. Seine trockene, klare und ein wenig sarkastische Art ist für Ben geradezu maßgeschneidert. Ich könnte mir keinen besseren Sprecher für dieses wunderbare Hörbuch vorstellen.


    Jonathan Evison konnte mich mit seiner Geschichte definitiv überzeugen. Liebevoll gestalte Protagonisten erwärmen Lesern und Hörern das Herz. Sie auf ihrer Reise zu begleiten ist eine wahre Freude, die zum Lachen bringt, aber auch sehr berührt, denn nicht nur Trevor trägt ein hartes Schicksal, sondern auch der sympathsiche Ben, der schon kurz davor war den Kopf in den Sand zu stecken und auf der Reise eine ganz neue Seite an sich entdeckt.


    "Umweg nach Hause" ist ein Roman mit ganz viel Herz. Eine Geschichte, die ich problemlos jedem empfehlen würde.

    "[...] Gut, mich hat vielleicht noch nie ein Model-Scout angesprochen, aber genauso wenig zerspringen Spiegel in tausend Stücke, nur weil ich reingucke. Ich bin kein Monster, kein Freak und auch keine hässliche Schlampe, ganz egal was sie sagen."


    Lara ist fast 16 Jahre alt, hat die längsten Beine ihrer Klasse, womit sie sogar einige der Jungs aus der Nachbarschule überragt, rote Haare und ist eine sehr gute Schülerin. All dies scheinen für ihre Klassenkameradinnen der Mädchenschule Gründe zu sein, Lara aufs übelste zu mobben. Ihr Nachname Tittle tut sein Übriges dazu. Dabei ist es Zuhause eigentlich schon schlimm genug, seit Dad arbeitslos ist, das Geld immer knapper wird. Selbst Mums Job als Putzfrau bei der Familie von Laras ärgster Peinigerin bringt eher Negatives mit sich, als irgendetwas zu beheben. Einziger Lichtblick in Laras Leben ist der junge neue Lehrer Mr. Jagger. Er scheint Laras Potential zu erkennen und vielleicht sogar noch ein bisschen mehr.


    "Als Beweis dafür, dass das Leben alles andere als fair ist, muss man sich mittlerweile bloß mal Mum und Dad angucken - ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr Antimärchen noch ein Happy End findet.
    Oder meines.
    Eher gründe ich eine WG mit den sieben Zwergen, als dass ich jemals einen Prinzen kriege."


    Autorin Rachel McIntyre lässt ihre Protagnoistin Lara ganz schön leiden. Als Opfer von Mobbing, das sich nicht nur verbal, sondern auch in Gewalt ausdrückt, nimmt ihr Selbstbewusstsein mehr und mehr Schaden. Durch die häusliche Situation, die Probleme der Eltern miteinander und dem Kampf darum, überhaupt die Familie ernähren zu können, bleibt keine Zeit, ja nicht mal ein Blick für Laras Probleme. Sie ist ein Einzelkämpfer, was es schier unmöglich macht, aus der Situation wieder herauszukommen.


    "Langsam wird mir klar, dass das Schlimmste am Armsein nicht die ollen Klamotten sind, sondern der Schaden, den die Familie dabei nimmt. Die vielen Streits und das Unglücklichsein, die schwindende Hoffnung, das ist es, was Mum und Dad fertigmacht. Und ich fürchte, selbst wenn wir morgen im Lotto gewinnen würden , hätten wir uns alle schon zu tief im Sumpf verirrt, um jemals wieder zurückzufinden."


    Erzählt wird aus Laras Perspektive, in leicht sarkastischem und lockerem Ton. Das führt dazu, dass man regelrecht durch die Geschichte hindurchfliegt, unterstreicht aber auch noch mal die Brutalität der anderen Jugendlichen. Laras Leidensweg ist - leider - sehr realistisch und wird von der Autorin auch mit all seinen Facetten geschildert. Wie leicht wird Mobbing übersehen, wie viele sehen aber auch gewillt weg, ohne zu erkennen, dass der Jugendliche nicht nur einen direkten Schmerz erfährt, sondern für sein Leben geprägt ist.


    "Sternschnuppenstunden" ist ein Roman, der den Leser auf verschiedensten Wegen schockiert. Der Augen öffnen kann und trotz seiner Schmerzlichkeit ein sehr schönes Buch ist. Die Geschichte der sehr sympathischen Protagonistin Lara, die ihre eigene Schönheit und Wertigkeit gar nicht erkennen kann, weil man ihr immer Gegenteiliges einredet, ist nah an der Realität konzipiert, was sich am Ende des Romans noch einmal verstärkt. Ein Roman, der Jugendliche wie auch Erwachsene für Mobbing sensibilisiert und trotz seiner Härte sehr schön zu lesen ist.

    "Seine Augen sind leer, er spricht mit einer komischen Stimme, nicht traurig, wie ein Roboter. 'Sie haben ihn getötet', sagt er. 'Die roten Khmer töten alle.'"


    1975 begann der Völkermord in Kambodscha. Herbeigeführt durch kambodschanische Guerillas, die eine Art "Agrarkommunismus" aus ihrem Heimatland machen wollte. Um ihren Willen durchzusetzen, nutzten die Roten Khmer alle Mittel die ihnen Recht waren. Rund 2 Millionen Kambodschaner fielen ihnen zum Opfer.


    "Am nächsten Tag geht es weiter. Wir sehen mehr Tote. Ein Baby, in einen alten Sarong gewickelt, nicht mal begraben, liegt einfach am Straßenrand."


    Arn Chorn-Pond war einer von ihnen. Gefangen genommen von den Guerilla Kriegern, getrennt von der Familie, gezwungen zur Arbeit auf den Reisfeldern. Sonne, Anstrengung und mangelnde Nahrung haben viele seiner Mitmenschen - egal ob Kind, Frau oder Mann - das Leben gekostet. Wer sich dagegen aufgelehnt hat, wer gebeten, gebettelt oder verhandelt hat, wer nicht in der Spur der Roten Khmer lief, wer zu viel wusste und zu viel erkannte oder wer einen Aufseher mit schlechter Laune erwischte wurde getötet. Gnadenlos und ohne Reue. Zum Wohle des Volkes, zu dem aber scheinbar nur andere Menschen gehörten - wie so oft in der Geschichte der Erde.


    "Eines abends stirbt das Mädchen, das neben mir sitzt. Sie sitzt da und stirbt. Ohne Geräusch. Sie hört einfach auf zu atmen. Wir essen alle weiter. Wir sehen sie nicht. Ich nehme mir schnell ihre Schale Reis und esse sie auf."


    1984 bricht Arn Chorn-Pond sein Schweigen, hält eine Rede, bei der er interessierte Amerikaner über die Gräueltaten der Roten Khmer aufklärt. Es ist das erste Mal, dass er weint. Kann seinen Tränenfluss kaum stoppen, bei der Erinnerung an all die verlorenen Seelen, die Opfer eines Fanatismus geworden sind. Wie ihm ging erging es auch mir, als ich an seiner Geschichte, von Patricia McCormick mit gewohnter Sorgfalt zu einem Roman verpackt, teilgenommen habe.


    "Man denkt, man kann sich niemals daran gewöhnen, dass ein Kind stirbt, aber man tut es. Ich denke, ich will auch sterben. Aber ich sterbe nicht. Ich lebe nicht und ich bin nicht tot. Ich bin ein lebender Toter."


    Historische Ereignisse wie dieses dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Zu schlimm um es mit eigenen Worten auszudrücken ist das, was Menschen einst widerfahren ist und noch heute Generationen danach beeinflusst. Ich glaube kaum, dass ein Mensch wie Arn je vergessen kann was er erlebt hat. Situationen, die sich von uns nur erahnen lassen, die mir nicht nur Trauer, sondern auch Übelkeit und Hass ins Herz treiben und Arn dazu bringen das Leben mehr zu fürchten, als den Tod. Patricia McCormick hat dieses sehr bewegende Schicksal eines Mannes, der als Kind durch die Hölle gegangen ist, eindrucksvoll zu einem Roman zusammengefasst, der mehr als unter die Haut geht. Der tief in mich greift und mich sicher dazu bringen wird, Arn Chorn-Pond für immer im Gedächtnis zu halten.

    "Dieser Roman beruht auf einer wahren Geschichte. Er spielt in Buenos Aires, Argentinien. Wir sind im August 1987, es ist Winter. Die Jahreszeiten sind nicht überall gleich. Die Menschen schon."


    Die hübsche Lisandra wird tot aufgefunden. Am Fuße des eigenen Hauses umfangen vom starren Kleid des Todes. Verdächtigt sie dorthin getrieben zu haben, wird ihr Mann Vittorio. Psychiater, von Berufswegen möglicherweise nicht ganz zurechnungsfähig. Bei dem was er alles aushalten, was er sich an Leiden und Zorn anhören muss, wäre es kein Wunder, wenn er irgendwann einmal selbst zu Schaden kommt. Vittorio ist hinter Gittern erst einmal besser aufgehoben. Es sei denn, jemand kann seine Unschuld beweisen.


    Eva Maria versucht es. Versucht es mit all der Inbrunst, die durch Schmerz und Abhängigkeit von den Sprechstunden mit Vittorio bei ihr ausgelöst wird. Wie soll sie ohne ihn zurecht kommen? Ist sie doch sowieso nur ein halber Mensch, blind und taub vor Kummer, seit ihre Tochter verschwunden ist. Ganz allein begibt sie sich auf die Suche nach dem Mörder, nach den Gründen für Lisandras Tod und gerät ohne es zu wollen noch tiefer in einen Strudel aus Missetaten und Schuld.


    "Esteban dreht sich nicht mehr um. Esteban ist wie alle. Beim ersten Mal dreht man sich um. Beim hundertsten nicht. Alles wird Normalität, wenn es sich wiederholt. Auch das Schrecklichste. Morgen wird alles sein wie immer."


    Ich weiß nicht, wie ich Hélène Grémillons Sprachgewalt, ihre Wortkunst, ihr Spiel mit psychologischem Denken auch nur ansatzweise so in Worte fassen kann, dass ich ihren eigenen auch nur in so fern gerecht werde, dass die Leser dieser Rezension ihre Genialität, ihr Schreibvermögen erkennen und sofort den nächsten Buchladen stürmen, um sich das Buch zu kaufen. Deshalb einmal in Kurzfassung: Lest dieses Buch!!


    "Sie presst die Hand ganz fest an die Baumrinde. Zu stark. Ein paar Tropfen fallen auf ihre Schuhe. Rote Tropfen. Ihr Blut fließt. Der Schmerz kann nicht nachlassen, solange der Zorn herrscht."


    Hélène Gremillons poetische Worte haben mich vom ersten Satz an gefesselt. In Bann gezogen von Wahrheit und Härte, die aus diesen so fein gesetzten Worten sprechen, habe ich Seite für Seite verschlungen. Mitgefiebert, mit Eva Maria, die selbst so sehr unter ihrem eigenen Schmerz leidet, dass sie mir als Ermittlerin unbrauchbar erscheint. Ist sie doch so verblendet vom Vermissen der eigenen Tochter, die möglicherweise den Gräueltaten der Politik Südamerikas zum Opfer gefallen ist. Grausame historische Ereignisse, die in Argentinien sicher nach wie vor Schicksale wie Eva Marias beherrschen. Und doch legt sie all ihre verbliebene Energie in die Suche nach dem Mörder. Vittorio, ihr Retter, derjenige, der hilft, halbwegs über die Runden zu kommen, weil sie sich vor ihrem ihr verbliebenen Kind so sehr verschlossen und abgegrenzt hat, kann aus ihrer Sicht einfach nicht seine Rolle des Helfers verlassen haben und zu einem Mörder geworden sein.


    "Das Entscheidende ist, zu wissen, welches Unglück uns eifersüchtig gemacht hat. Un dich kenne das Unglück, ich kenne die Wunde. Wir haben immer tausend Gründe, zu sein, was wir sind. Und ich weiß, aus welchen Gründen ich bin, was ich bin."


    Der Aufbau des Romans ist großartig, nahezu grandios, lenkt er mich doch immer wieder in eine neue Richtung, so dass ich nie genau weiß, wer nun tatsächlich als Mörder in Frage kommt. Schuld trägt ein jeder in sich. Nicht zwangsläufig für diesen Tod, aber für viele andere körperlicher wie geistiger Natur. Liebe und Lüge liegen sehr dicht zusammen, greifen nahezu problemlos ineinander.


    Hélène Grémillon konzipiert ein Flechtwerk aus Schuld und Verantwortung. Mit unterschiedlicher Leichtigkeit wird die Schwere eben dieser getragen und führt dazu, sich selbst zu finden oder eben zu verlieren, wie es Protagonistin Eva Maria ergangen ist. Eins der aufregendsten und faszinierendsten Werke, die ich in der letzten Zeit gelesen habe.

    "Diese Heimlichkeit ist spannend. Und sie ist notwendig. Das ist schließlich nicht unser Ort. Wir haben unseren eigenen Ort, den Raum zwischen den Fenstern."


    Er beobachtet sie täglich. Von Fenster zu Fenster schaut er zu dem Mädchen, das sich die Haare ausreißt. Er hat sie Maud getauft, denn ihren richtigen Namen kennt er nicht. Er weiß nur, dass sie sich nah sind. Irgendetwas gibt es, das sie beide verbindet, obwohl ihre Eltern sich auf den Tod nicht ausstehen können. Beiden fällt es schwer sich mitzuteilen. Er flüchtet in Bücher, sie zeichnet sich ihre Probleme von der Seele.


    "Ich mag's hier drin. In meinem Kopf, meine ich. Es sind die anderen, die sich Sorgen machen, was da drinnen vorgeht. Ich hab beschlossen, nicht aus meinem Kopf rauszukommen."


    Durchs Fenster sehen sie die Geheimnisse des jeweils anderen. Den Vater, dessen Berührungen sie nicht ertragen kann und seine Mutter, die sich in schwierigen Situationen "ein Schlückchen" genehmigt. Sie sehen sich wirklich an, nicht so wie die Menschen in ihrem Umfeld, die nur das sehen, was sie sehen wollen. Sie machen sich die Mühe tiefer in ihren Gegenüber hineinzuschauen. Doch Ehrlichkeit wird bestraft.


    "Er beobachtet mich durch ein Fernglas. Er sieht mich von näher, als ich mich je gesehen habe."


    Diane Touchell benutzt in ihrem Debüt "Zwischen zwei Fenstern" schöne Worte, um hässliche Dinge zu beschreiben, die auf diese Art noch eindringlicher auf den Leser wirken. Irgendwie philosophisch und sehr schockierend schreibt sie die Geschichte zweier Außenseiter, die sich ihre eigene Welt aufbauen, weil sie gnadenlos von der Realität ausgeschlossen werden. Poetisch verziert und doch ganz ohne Schnörkel trifft den Leser die volle Wucht. Es gibt nur ganz wenige Kritikpunkte, die ich im wieder sehr schön gestalteten Buch aus dem Königskinderverlag anzukreiden habe und die vielleicht auch persönliches Empfinden sind. Letztendlich ist "Zwischen zwei Fenstern" ein lesenswerter Roman, der bedrückend und doch hoffnungsvoll ist.

    "Es ist schwer den Punkt auszumachen, an dem die Dinge ihr Gleichgewicht verlieren. Mir fällt es schwer."


    Nora und Paul sind seit über zwei Jahren ein Paar. Haben das Gefühl sich blind zu verstehen und doch gibt es Dinge, die sich zwischen die beiden drängen. Die das Loch in der Beziehung vergrößern, bis der Abstand sie voneinander entfernt. Dinge wie eine Ex-Freundin, Unzufriedenheit, Sex und die Suche nach Perfektionismus. Dinge, die in einer unausgewogenen Balance scheinbar mehr von Nora auszugehen scheinen, als von Paul und die sie vielleicht auch ein bisschen blind machen.


    " '[...] Ich habe Angst, dass mein ganzes Beziehungsleben ein einziger Teufelskreis sein wird, weil das Vermissen und die Suche und das Finden und das Verlieren sich im Kreis hinterherlaufen und laufen und laufen, und ich nie verstehen werde, wie man aus diesem Kreis ausbricht, ohne zu stolpern. Aber ach, stolpern. Was rede ich? Besser: Ich habe nie verstanden, wie man den richtigen Zeitpunkt erkennt, um zu stolpern. Wann es sich zu stolpern lohnt. [...]'"


    Nora kämpft mit einer Unzufriedenheit, die sie nicht richtig greifen kann und die sich in vielen Zwischenmenschlichen Ereignissen wiederspiegeln. Es ist der Kampf, den man in ihrem Alter durchmacht, den sicher einige von uns wiedererkennen. Der Kampf um die Suche nach sich selbst. Wo soll meine Reise hingehen? Wer werde ich einmal sein und vor allem mit wem werde ich mein Leben verbringen. Ruhelosigkeit, die uns blind und taub macht für Menschen, denen wir am Herzen liegen. Festhalten daran was in der Vergangenheit einmal war. Eine Lebensetappe, in der alles neu ist. In der wir der wir immer auf dem Sprung, immer ein gewisses kribbeln verspürend, wie ein Pulverfass durchs Leben ziehen. Immer auf der Suche nach dem Perfekten. Gibt es das überhaupt? Oder ist es notwendig Eingeständnisse zu machen? Vielleicht ist es aber auch einfach ausreichend Geduld zu haben. Denn die Zeit des Erforschens weicht irgendwann einer Zeit der Vertrautheit, in der es nicht mehr so aufregend, aber eben sehr schön ist. Sowohl in einer Beziehung, als auch im Lebensalltag.


    "Wenn ich eines in dieser Beziehung gelernt habe, dann ist es das: Ich kann mich ziemlich gut selbst austricksen."


    "Nacktschnecken" ist nicht nur ein Roman über Liebe, sondern auch über Freundschaft und Leben. Ohne zu viel zu verraten, kann ich sagen, dass Nora genau den Weg einschlägt, den ich mir für sie gewünscht habe. Erfahrungen sammeln, Abenteuer erleben, das alles gehört dazu, aber es hilft sehr, sich irgendwann auf dem Boden der Tatsachen einzufinden, anzukommen und ohne Ruhelosigkeit seinen Weg zu beschreiten, ohne dabei still stehen zu müssen. Es ist wichtig auf dem Weg in die Zukunft nicht immer an der Vergangenheit festzuhalten.


    "Es ist, als ob ich versuche, der Welt, in der ich mich bewege, etwas entgegenzusetzen. Aber alles, was ich damit erreiche, ist: noch stärker mit ihr zu verschmelzen."


    "Nacktschnecken" ist ein Roman wie Musik. Klangvoll, stimmig, eine Melodie, die den Leser mitnimmt, wenn er sich die Mühe macht, sich ihr zu öffnen. Die ihn auffordert Paul und Nora zu begleiten, zwischen die Noten zu schauen, für jede Lebenslage den richtigen Ton zu finden.
    Rebecca Martin hat mit ihrem zweiten Roman eins der Bücher geschrieben, die einem das Gefühl geben, verstanden zu werden. Zwischen dessen Seiten man sich wohlfühlt. Mit Protagonisten, die einen Identifizierungscharakter haben. Eins der Bücher, das sich einen Platz im Herzen erkämpft.