Beiträge von pepperann

    Bevor ich mit "Die Geschichte eines neuen Namens" begonnen habe, habe ich mich gefragt, inwiefern Elena und Lila sich wohl entwickelt haben werden, denn zumindest eine von ihnen hat den großen Schritt in einen neuen Lebensabschnitt gewagt. Neben den geistigen Entwicklungen der beiden Protagonistinnen, wünsche ich mir aber auch, dass sie sich treu geblieben sind und vor allem, dass ihre Freundschaft mit all ihren Widrigkeiten weiterhin Bestand hat.


    Schon nach den ersten Seiten war ich erneut gefangen vom Geist des Rione, vom staubigen Dunst aus Gewalt, Unwissenheit und längst veralteten Werten, der an Elena und Lila klebt, obwohl sie auf verschiedenen Wegen versuchen ihn loszuwerden.


    Die Freundschaft der beiden ist ein undurchschaubares Wechselspiel. Ein Kampf darum, wer von wem abhängig ist und wer unabhängig vom anderen existieren und glücklich sein kann. Ich weiß nie genau, wer gerade Oberwasser hat, so schnell wechselt der Ball der Dominanz zwischen ihnen hin und her. Gleichberechtigt ist die Freundschaft keinesfalls. Mal ist Elena auf unterwürfige Weise von Lila abhängig, mal habe ich das Gefühl, dass Lila ihre Stärke verliert, ist Elena nicht da, um ihr den Rücken zu stärken und ihr die Kraft verleiht, die sie benötigt um ihre Fassade als unantastbare Lila aufrecht zu erhalten.


    Lilas Intention besteht scheinbar darin nach außen stark, geheimnisvoll und einzigartig zu wirken. Sie möchte den Ton angeben, sich nicht beherrschen lassen, möchte gütig und freigiebig sein und zugleich von diktatorischer Härte. Um ihren Willen durchzusetzen? Aus Selbstschutz? Lila ist so undurchdringlich wie die Staubschicht des Rione.


    Bisher hat Ferrante die wahre Lila immer nur Bruchstückhaft gezeigt. Die Puzzleteile reichen nicht aus, um sich ein klares Bild von ihr zu verschaffen. Ob das noch geschehen wird, bevor Lila sich auflöst? Ferrante lässt mich im Ungewissen und erhöht damit die Spannung auf dramatische Weise.


    Was klar zu erkennen ist - Lila und Elena funktionieren nur gemeinsam. Als eine Art Symbiose mit wechselnden Machtverhältnissen, die von beiden mal mehr, mal weniger bewusst ausgespielt werden.


    "Die Geschichte eines neuen Namens" ist - wie der Vorgänger "Meine geniale Freundin" auch - ein spannendes Werk über zwei sehr individuelle und faszinierende Frauenfiguren, deren aufreibende Freundschaft unter dem Stern der Gewalt und Werte ihrer Ahnen steht. Bisher konnte Ferrante den Sog ihrer Saga aufrecht erhalten. Ich bin mir sicher, dass ihr das auch weiterhin gelingen wird und freue mich auf die Bände, die noch folgen werden.

    Im Licht der glitzernden Nachmittagssonne sieht es beinahe aus wie ein Schlösschen. Ein verwunschenes Schlösschen mitten auf der Elbe. Tatsächlich aber ist es ein Hausboot, das der allein erziehenden Mutter Aurelia in einem Bildband ins Auge fällt. Nun lässt die Sehnsucht nach einem idyllischen Zuhause wie diesem sie nicht mehr los. Denn seit dem plötzlichen Verschwinden ihres Mannes Nic fühlt Aurelia sich einsam und entwurzelt. Als sich wenig später die Gelegenheit ergibt, dieses Hausboot zu kaufen, sieht sie darin einen Wink des Schicksals – und zieht schon wenige Wochen später mit ihren widerstrebenden Töchtern, Katze Molly und vielen Träumen im Gepäck von München vor die Tore Hamburgs. Für die gelernte Floristin sind die Vier- und Marschlande mit ihren Rosenhöfen, alten Bauernkaten, Deichen und zahllosen Gärten ein Paradies. Doch auch Rosen im Paradies haben ihre Dornen …
    (Text: (c) Droemer Knaur)


    Bücher dienen nicht nur der Unterhaltung. Sie bieten eine Heimat. Protagonisten, die wie Freunde wirken. Geschichten, die Geborgenheit geben. Die helfen, verstehen, heilen.


    Ohne es zu ahnen bin ich einem Buch begegnet, das sehr gut zu meiner Lebenssituation passt. Mit der Erwartung einfach nett unterhalten zu werden, griff ich zu "Wildrosensommer" und fand ein Buch, das ganz viel in mir auslöste. Nein, mein Mann ist nicht verschwunden, aber dieses Loch, das entsteht, wenn ein ganz wichtiger Mensch fehlt, das kenne ich leider viel zu gut.


    In Protagonistin Aurelia traf ich einen Menschen, der nicht nur das gleiche Gefühl durchmacht wie ich, sondern auch eine Art Seelenverwandte, jemanden, der mir aus der Seele spricht. Eine Frau mit bewundernswertem Charakter. Sie kämpft gegen den Schmerz, lässt sich vom Schicksal nicht unterbuttern und wagt den Schritt in eine neue Zukunft. Sie ist sehr sensibel für die Empfindungen ihrer Mitmenschen und brennt für den Zauber und die Möglichkeiten ihrer Lieblingsblume der Rose.


    Durch Aurelias Art bekommt "Wildrosensommer" eine leicht esoterische Note. Nicht im Sinne von esoterisch kitschig, sondern vielmehr in die Richtung offen zu sein für Emotionen und Nöte unserer Mitmenschen und den Zauber der Natur. Dies rundet den Roman, dessen Themen unter anderem Depression und Trauerbewältigung sind, sehr gut ab und macht ihn für mich zu einem kleinen Schatz in seinem Genre.


    Neben Aurelia mochte ich ganz besonders ihre Freundin Coco. Eine robuste ältere Dame, die viel Freude am Leben hat und sich nicht vom Alter unterkriegen lässt. Sie ist Aurelias Vorbild, ihre Stütze und ein Mensch, den man gerne im Bekanntenkreis hätte.


    In Gabriella Engelmanns Erzählton in "Wildrosensommer" (man sagte mir, der Roman unterscheidet sich von ihren anderen) schwingt anfangs eine leichte Melancholie mit. Geschuldet dem harten Schicksalsschlag, dem Aurelia ausgesetzt ist und der sie nicht zur Ruhe kommen lässt. Von Anfang an wird die Schreibe von Hoffnung begleitet, die sich mehr und mehr durchsetzt und den Roman letztendlich zu einer lebensbejahenden Geschichte werden lässt, die aufzeigt, dass es in jedem Dunkel einen Lichtblick gibt. Nicht auf der Trauer sitzen bleiben, lautet die Devise, sondern für das eigene Glück einstehen, notfalls kämpfen.


    Das Setting der Vierlande, einem Gebiet von Hamburg, hat mir so gut gefallen, dass ich nun gerne einmal dorthin reisen würde, obwohl mich die Gegend bisher gar nicht interessiert hat. Überhaupt ist der Roman unheimlich inspirierend. Urlaub auf dem Hausboot, Rosenlikör und Rosenmarmelade, all das geistert nach wie vor in meinem Kopf herum. Überlegungen wie man all das im Sommer umsetzen könnte, sind noch nicht abgeschlossen.


    "Wildrosensommer" stand schon eine ganze Weile in meinem Regal. Ich habe es genau zum richtigen Zeitpunkt herausgezogen. Es war, als hätte mich das Buch gefunden, als wäre ich mit solch einer wundervollen Geschichte, mit Protagonisten, die Mut machen und dem Leben ein "Ja" entgegen schleudern, beschenkt worden. "Wildrosensommer" ist für mich ein Herzensbuch, für das ich sehr dankbar bin.

    In ihrem neuen Roman "Trümmerkind" beschreibt die mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnete Bestseller-Autorin Mechtild Borrmann das Leben eines Findelkinds im vom Krieg zerstörten Hamburg von 1946 / 1947. Spannung und historisches Zeitgeschehen miteinander zu verknüpfen, versteht Borrmann, die auch für den renommierten Friedrich-Glauser-Preis nominiert war, wie keine andere deutsche Autorin. Dies stellt sie mit ihren Bestsellern "Wer das Schweigen bricht", "Der Geiger" und "Die andere Hälfte der Hoffnung" und ihrem neuen Roman "Trümmerkind" eindrucksvoll unter Beweis.
    Der kleinen Hanno Dietz schlägt sich mit seiner Mutter im Hamburg der Nachkriegsjahre durch. Steine klopfen, Altmetall suchen, Schwarzhandel - das ist sein Alltag. Eines Tages entdeckt er in den Trümmern eine Tote – und etwas abseits einen etwa dreijährigen Jungen, der erstaunlich gut gekleidet ist. Das Kind spricht kein Wort, Verwandte sind nicht auffindbar. Und so wächst das Findelkind bei den Dietzens auf. Jahre später kommt das einstige Trümmerkind durch Zufall einem Verbrechen auf die Spur, das auf fatale Weise mit seiner Familie verknüpft ist …
    (Text & Cover: (c) Droemer Knaur)


    Seit mir Die Liebe zu den Büchern im letzten Jahr Mechtild Borrmann empfohlen hat, weiß ich, dass diese Autorin zur Riege der SchriftstellerInnen gehört, die jedes Thema spannend zu Papier bringen können. In ihrem neusten Roman "Trümmerkind" hat sie sich einer Zeit angenommen, in der so manches Verbrechen vertuscht und Vergehen an Menschen heruntergespielt wurde.


    Mechtild Borrmann nutzt verschiedene Zeitebenen, die von ihr mit dem entsprechenden Datum gekennzeichnet werden. Eine davon ist das Jahr 1946, das vom Krieg belastet, zu einer Tortur für viele Familien wird. Die einen leben in Armut und Not, hungern und bangen um ihre Familien, die anderen werden für das zur Rechenschaft gezogen, was sie im Krieg getan haben. Mittelsmänner und Handlanger werden aufgespürt, um für ihre schlimmen Vergehen an Menschen vor Gericht gebracht zu werden.


    Verbrechen, die noch Jahre später an Familien haften. Schuld, die von Generation zu Generation weitergetragen wird. Ein unerklärbarer Druck lastet auf Kindern und Kindeskindern. Eins von ihnen ist Anna. Tochter einer Alkoholikerin mit geheimnisvoller Vergangenheit. Anna weiß lediglich, dass ihre Mutter in der Nachkriegszeit geflohen ist, in Australien gelebt hat und es ihr Leben lang nie recht geschafft hat, Fuß zu fassen. Verwandte kennt sie keine, Fragen nach ihrer Jugend wiegelt die Mutter ärgerlich ab.


    Von Anfang an ist klar, irgendwann werden die verschiedenen Erzählstränge aufeinander zulaufen. Doch wie und welcher Form, das findet der Leser so schnell nicht heraus.


    Borrmann ist eine Meisterin der feinen Kriminalliteratur. Ihre Schreibe ist harmonisch, fast ein wenig sanft im Ton und doch so hart in dem was sie erzählt. Immer wieder gelingt es ihr mich bis ins Mark zu erschüttern. Ein Gefühl, das ich schon vom Lesen ihres Romans "Die andere Hälfte der Hoffnung " kenne.


    Irgendwann glaube ich zu ahnen, worauf die Erzählstränge zulaufen. Wann sie wo zu einem perfekten Teppich historischer Ereignisse und persönlicher Erlebnisse verwoben werden. Doch ich habe meine Rechnung ohne die Autorin gemacht. Ein plötzlicher Plottwist, ein schockierender Moment des Erkennens einer grauenhaften Tat und der Gedanke daran, dass Borrmann mich wieder einmal überraschen konnte. Spannung aufbauen, diese halten und kurz vor Ende noch einmal steigern - das kann sie. Das ist es, was dazu führt, das ich auch diesen Roman wieder innerhalb von zwei Tagen verschlungen habe.


    Dass sie die Frage der Schuld, die in fast allen Romanen, die sich mit den Nachkriegsgenerationen beschäftigen, sehr offensichtlich einbaut, nimmt der Spannung nichts. Es rundet die Geschichte zu einem Roman ab, der mit Sicherheit viele Leser begeistern kann.

    Zärtlich und in wunderschönen Bildern erzählt Annette Hohberg die Geschichte einer innigen Jugendfreundschaft. Stella, Tim und Paul sind unzertrennlich, sie ergänzen sich perfekt. Bis etwas Entsetzliches geschieht und aus dem fröhlichen Mädchen Stella eine kühle, distanzierte Frau macht, die jedes Gefühl mit Arbeit betäubt. Nach 20 Jahren führt ein weiteres tragisches Ereignis die einstigen Freunde noch einmal zusammen. Kann jetzt aus Liebe Vergebung werden? Das poetische Porträt einer Freundschaft, die ihre Unschuld verliert.
    (Text & Cover: (c) Droemer Knaur)


    Zu "Stellas Traum" habe ich gegriffen, weil mich schon einmal ein Roman von Annette Hohberg begeistern konnte. Mit "Ein Sommer wie dieser" hat sie mir gezeigt, dass einfache Alltagssituationen dank stimmiger Sprache zu einer spannenden Geschichte verflochten werden können.


    In "Stellas Traum" greift sie wieder zu Personen, die zunächst ganz unspektakulär wirken und doch einen eher dramatischen Lebensweg beschritten haben, der sie so sehr prägte, dass ihre Persönlichkeit sich dementsprechend veränderte. Sie selbst haben noch nicht ganz realisiert wer sie sind, suchen seit Jahren nach einem Warum? und Wohin?


    Einst waren sie ein Dreigestirn. Drei Freunde, die nicht ohne einander konnten, die sich ergänzten und zu einem verwachsen waren. Doch dann passiert etwas. Ein unvorhergesehenes Ereignis, ein Schicksalsschlag, der die Balance zerstört. Plötzlich sind drei einer zuviel. Die Freundschaft gerät ins Wanken und mit ihr die ganze Lebensbahn.


    Anders als in "Ein Sommer wie dieser", ist die Sprache in "Stellas Traum" nicht kräftig und intensiv, sondern eher ruhig und melancholisch. Auch in diesem Erzählton fühle ich mich aufgehoben, denn er passt den Protagonisten und ihrer Geschichte wie angegossen. Fein und präzise skizziert sie die Verhaltensweisen dreier Menschen, die in jungen Jahren so voller Träume waren und später durch unglückliche Umstände ihren Abzweig zur Erfüllung dieser Wünsche verpassten haben.


    Ein kleines, feines Buch über die Zerbrechlichkeit von Jugend und Freundschaft. Für all diejenigen, die sich für Menschen und deren Geschichten interessieren.

    Romeo & Julia. Ein Klassiker. Eine Liebesgeschichte, die spannend bleibt und zu der Autoren wie Leser immer wieder zurückkehren. „Luca und Allegra“ ist eine moderne Adaption des Liebesdramas. Frisch, jung und extrem spannend.


    Allegra Casari ist eine Nachfahrin der Capulets. Dies erfährt sie allerdings erst, als sie Urlaub am Gardasee macht. Dort trifft sie auf einen jungen Mann, dessen Augen ihr nicht aus dem Kopf gehen, dessen Augen ihr bekannt vorkommen, ihr ein Gefühl von Heimkehr vermitteln. Augen, die ein ihr unbekanntes Gefühlswirrwarr auslösen. Während sie sich auf der einen Seite extremst von ihm angezogen fühlt, löst er auf der anderen Seite eine unbezähmbare Wut in ihr aus. Der Fluch zwischen den Familien Capulet und Montague besteht nach wie vor.


    Stefanie Hasse, die bereits vielen Lesern durch ihre romantischen Fantasyromane ein Begriff ist, läuft in ihrer aktuellen Dilogie zu Höchstform auf. Lügen, Intrigen, Romantik, Spannung. Geschrieben in eingängigem Stil.

    „Glück ist, wenn man trotzdem liebt“ ist eins der Bücher, die ich in diesem Jahr am häufigsten empfohlen habe. Nicht nur, weil es sehr Massenkompatibel ist, sondern vor allem, weil es große Freude bereitet. Dieses Buch macht glücklich.


    Isabelle ist ein Gewohnheitstier. Täglich geht sie zur Arbeit im Blumenladen, die ihr so viel Spaß macht, dass sie den Laden irgendwann übernehmen möchte, schaut ihre Daily Soap und geht in der Mittagspause zum China Restaurant gegenüber, um dort asiatische Hühnersuppe zu essen. Chaos und unvorhergesehene Wendungen kann sie so gar nicht ab.


    Ihre geliebte Regelmäßigkeit nimmt ein jähes Ende, als ihre Daily Soap abgesetzt wird und das China Restaurant schließt. Zu allem Überfluss ist der neue Besitzer des Restaurants unverschämt und aufmüpfig, weigert sich Isabelles Lieblingssupe zu kochen und hat eine scheinbar kleptomanische Schwester, die – warum auch immer – einen Narren an Isabelle gefressen hat.


    Ein Roman mit ganz wunderbaren Protagonisten, einem Teller voll Situationskomik, einem ordentlichen Schuss Humor und der passenden Prise Gefühl.

    Mila, die slowakische Gastschülerin, ist äußerst geheimnisvoll. Sie glaubt an mystische Geschichten und unterscheidet sich in ihrem Denken sehr von ihren deutschen Klassenkameraden. Über ihre Vergangenheit redet sie nicht. Als sie und der schöne Tristan ein Paar werden, traut sie ihrem Glück kaum und tatsächlich ist es nur von kurzer Dauer. Denn plötzlich taucht Lucas wieder auf. Ein alter Bekannter von Tristan. Eine ungeklärte Fehde zwischen den Jungs entfacht ein ungeahntes Feuer.


    Antje Babendererde hat sich mit ihren Indianderromanen in mein Leserherz geschrieben. „Der Kuss des Raben“ hat nun nichts mit Indianern zu tun, greift aber diese mystische Atmosphäre auf, die Babendererdes Lesern schon bekannt ist, auf. In diese geheimnisvolle Grundstimmung setzt sie nun drei interessante, komplexe und zum Teil düstere Charaktere und umwebt sie mit einem bunten Netz aus Liebesgeschichte und fesselndem Thriller. Ein Spiel aus Fantasie und Realität.

    „Depressionen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Krankheiten. Jeder fünfte Bundesbürger erkrankt einmal im Leben an Depression. […] Depression kann jeden treffen.“ (Quelle: Stiftung Deutsche Depressionshilfe)


    Depression ist kein Zustand, den Betroffene sich einreden, der diejenigen trifft, die zu schwach sind Etwas auszuhalten, die nicht arbeiten wollen oder die Menschen in ihrem Umfeld unter Druck setzen wollen – alle aufgezählten Punkte sind Vorurteile, die ich im Bezug zu Depressionen schon gehört habe. Depression ist eine Erkrankung, die jeden treffen kann. Einer von ihnen ist Matt Haig, vielfach ausgezeichneter Schriftsteller.


    Fast jeder von uns ist bereits mit Depression in Kontakt gekommen. Und trotzdem und trotz all der Toleranz, die wir uns täglich auf die Stirn schreiben, wird nach wie vor hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen. Es besteht Scham, denn die angesprochene Toleranz ist eben doch nicht vorhanden und die Blicke, die an Depression erkrankten Menschen zugeworfen werden, sind schiefer als schief.


    „Da ist kein Licht am Ende des Tunnels, denn der Tunnel ist an beiden Enden zu, und du bist drin.“


    Auch ich bin sowohl im privaten, wie auch beruflichen Umfeld bereits mit Depression in Kontakt gekommen. Hätte ich im Vorfeld Haigs Roman gelesen, hätte ich noch viel mehr Verständnis aufbringen können. Haig klärt auf. Hilft zu verstehen. Denen, die eine Schnittstelle zu Erkrankten haben, aber auch denjenigen, die von der Krankheit betroffen sind, denn indem er von seinen eigenen Erfahrungen berichtet, gibt er Erkrankten Tipps und Hilfestellungen.


    Ich wähle das Wort „Erkrankte“ bewusst, denn man kann nicht oft genug erklären, dass es sich um eine Krankheit handelt. Und nicht um einen selbst herbeigeführten, selbst inszenierten Zustand. Es ist eine Erkrankung, die aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren entsteht. Einige von ihnen sind neurobiologischer Natur und damit wissenschaftlich belegbar. Depressionen können behandelt werden und sind heilbar. Wie lang und steinig der Weg zur Linderung ist, macht Matt Haig deutlich. Verständlich für jeden, auch diejenigen, die keine Vorkenntnisse haben oder immer noch zwischen ihren Vorurteilen festhängen.


    „Wenn es am schlimmsten ist, wünschst du dir verzweifelt irgendein Leiden, irgendwelche körperlichen Schmerzen, weil die Psyche unendlich ist und ihre Qualen genauso unendlich sein können.“


    Solltet ihr jemals so jemandem begegnen, reicht ihm „Ziemlich gute Gründe am Leben zu bleiben“. Matt Haig verdeutlicht wie schwer es ist mit Depression zu leben, dagegen anzukämpfen und nicht den Ausweg im Suizid zu finden. Allein in Deutschland sind 90% derjenigen, die Suizid begehen, Menschen, die an Depressionen leiden (Quelle: Stiftung Deutsche Depressionshilfe). Eine unfassbare hohe Zahl. Wie schlecht muss es einem Menschen gehen, wenn der Tod die bessere Alternative ist, als das Leben? Matt Haig beschreibt es. Mit all seinen Gefühlen, seinen intimen Geständnissen, die den Leser mitten in sein Innerstes blicken lassen, hat er mich tief berührt. Ich habe mit ihm gelitten, habe mich an all diejenigen an Depression erkrankten erinnert, die mir bisher in meinem Leben begegnet sind und einige Tränen vergossen. Mitleid ist es aber nicht, was sie benötigen. Was sie brauchen ist Verständnis und Respekt. Nur so haben sie die Möglichkeit offen mit ihrer Erkrankung umzugehen und eine Behandlung durchzuführen.


    „Nach dem Regen kommt Sonnenschein. Und manchmal können Worte einen Menschen tatsächlich befreien.“


    Um genau diese Punkte kämpft Matt Haig in seinem Buch, das mehr ist, als ein biografischer Roman, mehr als ein Sachbuch, mehr als ein Erfahrungsbericht. Es ist ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann, weil es so sehr bewegt und ganz nebenbei fabelhaft geschrieben ist. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und hoffentlich bei vielen Lesern auch zum Umdenken. Ein Buch, das Mut macht für das eigene Leben zu kämpfen.

    „Auch das wird vergehen“ wird aus der Perspektive von Blanca erzählt. Ihre Mutter ist verstorben. Obwohl sie täglich bei ihr gesessen und ihre Hand festgehalten hat, war dies nicht genug, um ihr den nötigen Halt im Diesseits zu verschaffen.


    Nun fühlt sich Blanca allein. Versucht Liebe zu sammeln, wo es nur geht. Schläft mit fremden und bekannten Männern, um festzustellen, dass egal wie sehr sie sich in körperlicher Liebe verliert, ihre Seele kalt bleibt.


    Das Loch, das ihre Mutter hinterlassen hat, kann keiner der Männer füllen. Denn egal wie nahe andere Menschen auch stehen, wie sehr sie ihr Innerstes entblößen, kein Mensch liebt so wie eine Mutter.


    „Letztlich lieben wir so, wie wir in der Kindheit geliebt worden sind, und die späteren Lieben pflegen nur ein Abklatsch der ersten zu sein.“


    Das weiß Blanca und doch möchte sie es nicht wahrhaben. Wie soll sie weiterleben mit dem Schmerz im Herzen? Wie soll sie fröhlich sein, wenn sie es nicht wirklich kann? Wie, wenn alle von ihr erwarten, dass sie zwar keine Freude zeigt, aber auch nicht so traurig ist, dass es zur Last fällt.


    Sie rettet sich in Zynismus. Ihr Erzählton wird ironisch, hier und da muss sie über sich selbst schmunzeln. Wie tolpatschig sie sich dabei anstellt, ihre Trauer zu überwinden. Illusionen aufzubauen, die ihre Beziehung zur Mutter anders darstellen, als sie wirklich war. Fehlersuche im Mutter-Tochter-System.


    „Wäre die Liebe nur nicht so schwer herzustellen und zu heucheln, so aufwendig und langwierig und unterirdisch. So verheerend auch.“


    Es ist Blancas eigener Weg zur Trauer, aber auch zur Hoffnung zu finden. Damit zurecht zu kommen, dass die Welt sich weiter dreht, auch wenn sie selbst aus einem dunklen Loch dabei zusieht. Es ist Blancas Weg damit umzugehen, dass nun der Mensch fehlt, der ihr immer Halt gegeben hat und dessen Verlust für sie neben all der Trauer eine neue Herausforderung darstellt – die Suche nach sich selbst.


    „Wäre die Liebe nur nicht so schwer herzustellen und zu heucheln, so aufwendig und langwierig und unterirdisch. So verheerend auch.“


    „Auch das wird vergehen“ ist trotz aller Melancholie von leicht humorvollem Tonfall. Eine Schreibe, die dadurch perfekt zu dem passt, was die Protagonistin durchmacht. Wieder ins Glück zurückzufinden, obwohl sie das Gefühl einer allumfassenden andauernden Trauer durchlebt. Ein kleines, sehr feines Buch, das sich leicht lesen lässt und mit einem klugen Blick auf die Welt des Verlusts besticht.

    Quinn und Leah sind aus unterschiedlichen Gründen im eigensinnigen Küstenstädtchen Menamon in Maine gelandet. Da dort jeder jeden kennt und man weiß, was welcher Nachbar wann macht, ist es nur eine Frage der Zeit bis sich der Weg der beiden jungen Journalistinnen kreuzt.


    Doch icht die Arbeit ist es, die sie beide in das kleine Örtchen verschlagen hat, sondern die Konfrontation mit der Vergangenheit.


    Quinn möchte ihren Vater, einen bekannten Musiker, kennenlernen. Ihn mit der Frage konfrontieren, warum sie und ihre Mutter ohne ihn an ihrer Seite durchs Leben gehen mussten. Sehen sie sich ähnlich? Gibt es Eigenschaften, die sie beide haben, obwohl sie keine Zeit miteinander verbracht haben? Fragen, die Quinn auf der Suche nach ihrer eigenen Identität über den Weg laufen und für eine gewisse Unruhe in ihrem Leben sorgen.


    Leah weiß, wo ihre Wurzeln, wer ihre Eltern sind. Doch nun möchte sie auch die ihres Mannes kennenlernen. Menamon ist Henrys Heimatort und Leah durch zahlreiche Erzählungen aus seinem Mund bekannt. Nicht immer stimmen die Darstellungen seiner Erinnerung mit dem gegenwärtigen Menamon überein und so zeigt sich der wahre Henry erst dann, als er mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird.


    Der Inselverlag ist für mich ein verlässlicher Ansprechpartner, wenn ich Romane suche, die leichtfüßig erzählt werden und trotzdem ihre eigene Tiefgründigkeit mit sich tragen. So auch „Dieser eine Sommer“, ein Roman, der – wie das Cover schon vermuten lässt – von zwei Protagonistinnen erzählt, die eine gute Zeit miteinander verbringen und Momente erleben, die ausschlaggebend für ihr weiteres Leben sind.


    Während sowohl Leah, als auch Quinn mit ihren privaten Problemen zu kämpfen haben, bewegen sie sich im Zuge ihrer Arbeit als Journalistinnen auf eine Entdeckung zu, die wie so vieles in Menamon, totgeschwiegen wird. Sowohl die privaten, als auch beruflichen Erfahrungen tragen dazu bei, dass aus der zunächst kühlen Beziehung der beiden Frauen eine Freundschaft entsteht.


    Die Atmosphäre des Romans hat mir sehr gut gefallen und entsteht vordergründig durch die Eigenarten des kleinen Örtchens Menamon und seine Bewohner. Ein bisschen stur, eigenbrödlerisch, verschlossen und skeptisch gegenüber Fremden - ein Küstenstädtchen mit Charakter.


    Leah und Quinn sind ein Farbklecks zwischen all den alteingesessenen Familien und deren Geschichten und doch passen sie auf ihre eigene Art gut ins Bild. Zwei Protagonistinnen, die beide schon nach den ersten Seiten meine Sympathien gewinnen konnten, obwohl sie eher unterschiedlicher Natur sind.


    „Dieser eine Sommer“ besticht nicht durch außerordentliche Spannung, ist aber dennoch ein sehr lesenswerter kleiner Roman, der den Blick auf die Dinge des Lebens richtet, die wichtig sind – Freundschaft, Familie, Liebe und Heimat.

    Jennifers Leben ist das Laufen. Ohne Laufen fühlt sie sich nicht wohl. Es hilft ihr Gedanken zu ordnen und sich zu finden. Aber es ist auch ihr Feind, denn immer, wenn sie an einem Wettbewerb teilnehmen möchte, versagen ihre Beine. Sie hätte das Zeug für Olympia, aber dieses Problem macht ihr so sehr zu schaffen, dass sie drauf und dran ist, die Flinte ins Korn zu schmeißen.


    Ein junger Ire, hübsch, nett, aber durch einen Unfall nicht mehr in der Lage selbst zu laufen, nimmt sich ihrer an. Bietet ihr an, sie zu trainieren. Durch ihn erfährt sie, dass sie nicht die erste Frau in der Familie ist, die das Zeug zu einer Olympiateilnahme hat.


    Schon ihre Großmutter Alberta war eine begabte Sportlerin. Leidenschaftliche Pferdenärrin und begabte Bogenschützin. Auf dem besten Weg zu Ruhm und Ehre. Doch dann kommt der Krieg, der nicht nur ihr persönliches Schicksal beeinflusst, sondern das ganzer Nationen, kultureller Güter und eben auch das des Sports.


    „Als der Himmel uns gehörte“ hat sich schon jetzt einen Platz in der Liste meiner Leshighlights 2016 ergattert. Obwohl mir bereits Charlotte Roths Roman „Als wir unsterblich waren“ sehr gefallen hat, bin ich völlig geplättet, wie gut die Geschichte der beiden Frauen ist, die sich dem Sport verschrieben haben.


    Roth erzählt auf verschiedenen Zeitebenen, die inhaltlich miteinander verknüpft werden. Dadurch entsteht ein mitreißender Sog, der dafür sorgt, dass ich die über 600 Seiten inhaliere. Leicht fliege ich durch die Seiten und bemerke nicht, wie ich eine nach der anderen verschlinge. So sehr interessieren mich die Schicksale der beiden Frauen, die sich ähnlicher sind, als sie es vielleicht geglaubt haben.


    Ganz besonders gern bewege ich mich in der Vergangenheit. Alberta hat es mir angetan. Fröhlich, mutig, sportlich und mit einem großen Herz, das manchmal jedoch so übermütig ist, dass sie gar nicht merkt, dass sie anderen auf die Füße tritt. Für sie jedoch die einzige Chance sich durchzukämpfen, in einer Zeit, in der Menschen vom Wahnsinn getrieben jegliche Realität und Gerechtigkeit aus den Augen verlieren.


    Ich liebe es wie Charlotte Roth wieder einmal persönliche Geschichten mit historischen Begebenheiten verknüpft. Ihre Protagonisten sind so interessant konzipiert, dass ich sie gern begleite. Nicht nur Alberta, sondern auch den sehr charmanten und erfrischenden James Seaton-Carew, der Jungspund, der nichts ernst zu nehmen scheint, außer die Liebe zu seinem Pferd und der ebenso von der Härte des Kriegs getroffen wird, wie Hannes von der Weydt, Kavallerist und Albertas erste Liebe.


    Nicht nur Protagonisten werden mit viel Leben gefüllt, sondern auch Nebencharaktere. Roth verdeutlicht damit nochmals, dass jedes menschliche Leben zählt, in einem Krieg, der Menschen als wertlos deklariert. Wieder einmal schockiert mich die Tatsache, dass Menschen aufgrund einer geringen optischen Andersartigkeit, aufgrund anderer Glaubensvorstellungen, aufgrund anderer Denkweise, ausgestoßen und umgebracht werden. Eine Tatsache, die immer und immer wieder angesprochen werden muss, da es immer noch genügend Personen gibt, die daraus nichts gelernt haben.


    Besonders gefallen hat mir die Verbindung zum Sport. Ich wusste zwar schon einiges über die Historie des Reitsports, aber weniger über die des olympischen Sports im allgemeinen. So sehr mich Mord und Totschlag des zweiten Weltkriegs betrübt, so sehr schockiert mich auch immer wieder, dass ebenso kulturelle Entwicklungen gehemmt wurden.


    „Als der Himmel uns gehörte“ bekommt von mir eine klare Leseempfehlung. Charlotte Roth konnte mich mit ihrem Roman, der persönliche Schicksale zweier interessanter Frauen und ihrer Leidenschaft zum Sport, mit Weltgeschehen, insbesondere dem zweiten Weltkrieg, verknüpft, restlos begeistern.

    Bei Nathan wurde eine leichte Form von Asperger diagnostiziert. Emotionen anderer zu spüren und Intuitiv handeln ist für ihn eine echte Herausforderung. Deshalb hat er begonnen die Handlungsformen und Ausdrucksweisen seiner Mitmenschen zu studieren und seine Interaktionen auf dabei erlerntes abzustimmen.


    Auf Olivia, in deren Gegenwart er Gefühle hat, die er sich bisher nicht erklären kann, macht er den Eindruck, als könne er Gedanken lesen. Dass er weit davon entfernt ist und seine Witze nicht immer witzig gemeint sind, bemerkt sie nicht. Seine Fähigkeit seine Mitmenschen aufgrund deren Körpersprache einschätzen zu können, möchte sie sich zu Nutze machen und mit seiner Hilfe in den Kreis der erlesenen Mitschülerinnen, der High-Society des Schulhofs, aufzusteigen.


    Doch dann muss Olivia auf unschöne Art erfahren, dass es nicht wichtig ist, ob man angesagte Klamotten trägt, sondern nur, wer man wirklich ist.


    Obwohl ich großer Fan der TV-Serie „The Big Bang Theory“ bin, in der es mit Sheldon Cooper eine ähnliche Figur wie Nathan gibt, sehe ich Protagonisten mit Asperger Syndrom immer etwas kritisch, denn die durch Situationskomik entstehenden Witze, gehen doch auf Kosten der durch Asperger veränderte Weltanschauung. Auf der anderen Seite denke ich jedoch, dass es auch eine Form der Aufklärung ist, uns offener werden lässt gegenüber Mitmenschen, die sich nicht der Norm entsprechend verhalten.


    Nathan weiß schon von Kindesbeinen an, dass er anders ist, als seine Mitmenschen. Anders, als seine Familienmitglieder und anders, als seine Klassenkameraden. Umso weniger versteht er, dass Olivia sich wünscht normal zu sein, denn erstens kennt er niemanden, der so toll zeichnen kann, wie sie, und zweitens ist sie genau richtig, so wie sie ist.


    Der Einstieg in den Roman ist mir nicht so ganz leicht gefallen, denn die Schreibe der Autorin wirkt auf mich etwas eilig und damit auch eher oberflächlich. Auch mit Nathans Art musste ich mich erst vertraut machen, denn dafür, dass er so wenig Kontakt zu seinen eigenen Gefühlen hat, wirkt er sehr reflektiert.


    Ich brauchte ein paar Seiten, um mit Nathan, dem Erzählton und der Geschichte an sich warm zu werden. Ähnlich wie Protagonistin Olivia, habe auch ich ein bisschen gebraucht, bis ich das Wundervolle unter der Oberfläche erkannt habe. Erst als Autorin Sally Partridge ernstere Töne anschlägt und ich dabei zusehen muss, wie Olivia in ihr Verderben treibt, fühle ich mich mit dem Roman verbunden, der unter der Oberfläche seines bunten Covers, die Geschichte eines besonderen Menschen verbirgt.


    „Zwei Herzen im Goldfischglas“ ist ein berührender Jugendroman, der die zarte Liebesgeschichte zweier junger Menschen erzählt, die sich von der breiten Masse ihrer Mitmenschen abheben. Eine Geschichte, die zeigt, dass es sich immer lohnt tiefer zu blicken und sich eine eigene Meinung zu bilden, bevor man einer vorgeformten Ansicht hinterherrennt und dadurch glückliche Momente verpasst, die nur durch Individualität machbar sind.

    Der zehnjährige Max Cohn ist verzweifelt. Seine Eltern werden sich scheiden lassen. Er selbst gibt sich die Schuld daran, hinterfragt die Gründe und sein eigenes Handeln, kommt jedoch auf keinen grünen Zweig. Einzige Rettung scheint „Der Zauber der ewigen Liebe“ zu sein. Ein Zauber, den nur der Magier Zabbatini wirken kann. Nur er weiß, wie die verlorene Liebe der Cohns wieder aufflammen kann. Max bleibt nichts anderes übrig, als sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Mann zu machen.


    73 Jahre zuvor hofft ebenfalls ein Junge auf einen Zauber, denn seine Mutter liegt im Sterben. Mosche Goldenhirsch spürt eine ähnliche Verzweiflung wie Max, denn die Mutter ist der einzige Mensch, der ihn wirklich versteht. Nach ihrem Tod kommt es zum Bruch mit dem Vater und Mosche geht dorthin wo er zum ersten Mal Magie erlebt: in den Zirkus. Sein Wunsch sich dem legendären wie fantastischen Halbmondmann anzuschließen und gleichzeitig das Herz dessen wunderschöner Assistentin zu erobern ist so groß, dass er alles dafür tut, um ein Teil der Faszination Zirkus zu werden.


    „Er wusste, dass sie log, er konnte es spüren. Nichts war in Ordnung. Die Welt hatte Risse, es gab Dinge, die sich dem Blick entzogen, und Wahrheiten, die nicht ausgesprochen wurden.“


    Es scheint die Magie zu sein, die die Wege der Beiden zueinander führt. Doch tief im Lebensweg des alten Mannes ist ein Erlebnis verwurzelt, das als Schicksal zu bezeichnen ist. Mit einem weniger magischen, als vielmehr heldenhaft Trick, hat er ein Wunder bewirkt, das prägend für die Lebensgeschichte des kleinen Max Cohn ist und diesem den Glauben an Wunder wieder zurück gibt.


    Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich „Der Trick“ gelesen habe. Lange fehlten mir die richtigen Worte, um einen Roman von dieser Ausstrahlung zu rezensieren. Ich bin mir noch nicht wirklich sicher, ob ich sie nun gefunden habe, aber dass der Wunsch, nochmal in dieses kraftvolle Buch mit all seiner Herzlichkeit, seinen magischen Momenten und seiner Größe einzutauchen, mit jedem darüber gesagten Satz wächst, spricht wohl für sich.


    „Der Trick“ ist das Debüt des Saarbrücker Autors Emanuel Bergmann, der damit beweist welche Kraft er in einen Text stecken kann. Sprachlich ausdrucksstark, voll Anmut und einem ausgewogenen Gleichgewicht an Tragik und feinsinnigem Humor.


    Schier magisch ist die Geschichte, die sich zwischen mehreren Generationen, Ländern und Zeiten abspielt und sogar in einen Krieg verwickelt wird, der die Leben der beiden Protagonisten – wenn auch auf unterschiedliche Weise – beeinflusst. Gekonnt verbindet Bergmann die Charaktere Max und Mosche, die zunächst eher unterschiedlich wirken, sich im Herz aber doch sehr ähneln. Denn beide erhoffen sich Magie, magische Momente, die ihr Leben zu den Zeitpunkten verändern, in denen sie keinen direkten Einfluss auf dessen Verlauf nehmen können.


    „Er verstand, dass alte Menschen Wunden hatten, die man nicht sah.“


    Zwei Jungenherzen, die sich nichts mehr wünschen, als ihren Glauben an Wunder wirklich werden zu lassen, um festzustellen, dass dies tatsächlich möglich ist. Auch, wenn es sich anders äußert, als erwartet und auch, wenn man das Wunder manchmal selbst in die Hand nehmen muss.


    „Der Trick“ ist für mich einer der magischen Romane, die in ihrem Gesamtpaket einen Zauber ausüben, dem sich kein Leser entziehen kann. Die Ausstrahlung dieses Erstlingswerkes, das von der durch Einfachheit der Charaktere geprägten Authentizität lebt, ist so enorm groß, dass schon die ersten Seiten über ungeahnte Anziehungskräfte verfügen und das Buch trotz seiner tragischen Augenblicke zu einem herzerwärmenden Roman voller Hoffnung werden lassen.

    Teddy Todd wurde 1914 in eine ländlich solide Familie hineingeboren. Alles fühlte sich sehr normal, sehr geregelt an, auch wenn seine Mutter ihn vielleicht ein bisschen mehr mochte, als seine Schwestern, seine Tante eine weltfremde Schriftstellerin war und seine Schwestern nicht immer die Erwartungen erfüllten, die an sie gestellt wurden.


    Doch dann kommt der Krieg. Der Erste den Teddy so richtig bewusst miterlebt hat. Wie viele andere junge Briten, muss auch er in den Kampf ziehen. Als Pilot bombardiert er deutsche Städte, kämpft täglich ums Überleben.


    Dies gelingt ihm und zurück in der Heimat entschließt er sich zu der einzigen Tat, die ihn zurück ins Hier und Jetzt holt, ihn erdet und ihm eine gewisse Zuversicht gibt. Er heiratet seine Sandkastenliebe Nancy. Die Familie die er gründen möchte, entwickelt sich zur Reduktion seiner eigenen Herkunftsfamilie. Statt vielen Kindern bekommt er nur eins – seine Tochter Viola, die all die Hoffnungen und Sehnsüchte verstorbener wie lebender Familienmitglieder erfüllen soll.


    Auch Viola wird Mutter. Eine Aufgabe, die ihr nicht immer leicht fällt. Trägt sie doch nicht nur die Last der Ahnen, sondern auch die der Nachkriegsgeneration. Kommunikation fällt ihr schwer. Ständig fühlt sie sich missverstanden. Redet an ihren Kindern ebenso vorbei, wie an ihrem Vater, der mit seinen Enkeln eher auf einer Ebene zu sein scheint, als sie selbst.


    Kate Atkinson ist für mich eine der Autorinnen, die ihren Figuren Leben einhaucht, indem sie diese bis ins kleinste Detail, bis zu jedem Gedankengang und jeder Handlung perfekt durchdenkt. Charaktere werden erstellt, in die freie Wildbahn entlassen und dann von ihr genauestens beobachtet. Und obwohl die Protagonisten sich in einem sehr nachvollziehbaren, schlüssigen Handlungsgerüst bewegen, geht nie die Spannung verloren.


    Ganz im Gegenteil. Für Kate Atkinson ist es ein Leichtes diese auch über einen großen Umfang von über 500 Seiten zu halten, indem sie den Leser mit Illusionen umspielt, die durch Andeutungen entstehen. Sie fordert auf mitzudenken, wirkt einem stupiden runter lesen damit entgegen und sorgt für ihren eigenen Erzählton – eine Mischung aus Ironie, Humor und Dramatik.


    Damit spiegelt ihre Schreibe auch den Inhalt dieses Romans über Generationen und die Schwierigkeiten von Erwartungen und Kommunikation. Die Familie Teddy Todd ist aus der Realität gegriffen, könnte eine von vielen sein, in denen ein Familienmitglied im Krieg gekämpft, die Last dieser Taten weitergetragen und an Folgegenerationen übergeben hat.
    Neben einem eindrucksvollen Familienpsychogramm bewegt sich der Leser durch die Zeit des zweiten Weltkriegs. Begegnet Drama ebenso wie Hoffnung.


    Kate Atkinson ist es zum wiederholten Male gelungen mich mit einem ihrer Romane zu begeistern und gedanklich zu beschäftigen.

    Nell, Leo, Chris, Anton und Valeska sitzen in der Schule fest. Während eines Nachschreibetermins bricht solch ein starkes Unwetter aus, dass die Gefahr das Gebäude zu verlassen viel zu groß ist, um dieses Risiko einzugehen.


    Risiko freudig ist eigentlich eh nur Leo. Der Draufgänger, der Macho, der in seiner Lederjacke so lässig wirkt, dass ihm die Mädels zu Füßen liegen.


    So auch die nette Nell, die schon lange für ihn schwärmt und nun ihre Chance wittert. Ein bisschen romantisch ist es in der Schule ja schon, so ganz ohne Erwachsene. Aber ob Leo überhaupt auf Romantik steht?


    Valeska ganz sicher nicht. Sonst wäre sie bestimmt nicht so hochnäsig und würde viel häufiger auf ihre Klassenkameraden zugehen. Ihre Mauer aus Arroganz ist ziemlich hoch und dick. Warum? Ist es vielleicht weniger ihre Art sich auszudrücken, als vielmehr ein Schutz?


    Schutz könnte Anton auch vertragen. Am besten vor sich selbst. Mit seinem seltsamen Kleidungsstil macht er sich doch freiwillig zum Opfer.


    Zumindest sticht er damit ziemlich aus dem bunten Haufen raus, der immer wieder im Fokus von Chris Kamera landet. Er selbst steht nicht gern im Blitzlicht, kann es aber nicht von den anderen abwenden. Zu groß sein Wunsch nach dem perfekten Foto, dem perfekten Moment. Am allerliebsten gemeinsam mit Nell.


    „Ich muss vieles, was ich gestern noch geglaubt habe, gründlich überdenken.“


    Fünf Jugendliche, fünf Charaktere so unterschiedlich wie die farbigen Regentropfen auf dem Cover von Patrycja Spychalskis neustem Jugendbuchuch „Heute sind wir Freunde“. Unfreiwillig verbringen sie die Nacht miteinander. Eine Romanidee, die so simpel klingt und doch so spannend und interessant umgesetzt wurde. Ein Zusammentreffen so turbulent wie der Sturm, der sie dazu zwingt eine Gemeinschaft zu werden.


    Der Fokus liegt auf den differenten Persönlichkeiten der jungen Menschen, die sich zwar schon oft erblickt haben – schließlich sind sie in einer Jahrgangsstufe ihrer Schule – , die sich aber noch nie so richtig angesehen haben.


    Das ist eine Fähigkeit, die ich an der Autorin so sehr mag. Sie sieht genau hin, sie nimmt Menschen und deren Charaktereigenschaften wahr. Und vor allem Ernst. So ernst, dass sie ihnen einen ganzen Roman gewidmet hat. Vorbeischauen ist leicht. Doch was steckt wirklich in einem Menschen? Was versteckt er hinter seiner Fassade, die er vielleicht aus Schutz, vielleicht, um beliebt zu sein, vielleicht, um Geheimnisse für sich zu behalten, aufgebaut hat.


    Um zu verdeutlichen wie unterschiedlich Fremd- und Eigenwahrnehmung häufig sind, nutzt sie verschiedene Erzählperspektiven. Jeder der Protagonisten kommt zu Wort. Der Leser bekommt ein Bild davon wie die Figuren aufeinander wirken, aber auch was tief in ihrem Inneren vor sich geht. Mehr als einmal stelle ich fest, dass ich mir ein falsches Bild gemacht habe.


    Patrycja Spychalski ist eine Autorin, die mir mit ihren Büchern immer sehr nahe kommt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass unsere Gedankengänge sich ähneln. In den letzten beiden Romanen war dieses Gefühl etwas weniger, bei „Heute sind wir Freunde“ ist es wieder sehr stark. Manchmal sind es Worte, manchmal Sätze, manchmal Momente in denen ich mich von ihr verstanden fühle, in denen sie sich mit Themen beschäftigt, über die auch ich nachdenke.


    „Ich frage mich, wie das kommt mit diesen Schubladen, in denen wir alle stecken. Der da. Wie das schon klingt, als wäre ich ein halber Verbrecher, ein Arschloch, ein Aufreißer, ein Sprücheklopfer.“


    Mit „Heute sind wir Freunde“ schenkt sie uns Lesern eine Geschichte, die auf verschiedene Arten wunderbar ist. Wir bekommen die Möglichkeit neue Menschen (okay, Romanfiguren) kennenzulernen. Wie viel wir aus ihnen herausholen, wie tief wir unter ihre Oberfläche schauen, das bleibt jedem selbst überlassen. Sie zeigt uns wie einfach Freundschaft sein kann, wie leicht man auf seine Mitmenschen zu gehen kann, wenn man nicht in Schubladen denkt und ihnen die Möglichkeit gibt, sich so zu zeigen wie sie wirklich sind, wie schwer es aber oft ist, den Vorhang fallen zu lassen.


    „Heute sind wir Freunde“ ist ein sehr farbenprächtiger Roman. Er ist ernst und unterhaltsam. Er ist bedrückend, in der vom Sturm ausgelösten Atmosphäre, die immer ein wenig Angst in sich trägt, und gleichzeitig löst er ein wohliges Gefühl von Hoffnung aus. Er ist lässig, er ist cool, er ist tiefgründig. Er ist trotz, dass die Handlung nur über einen Zeitraum von weniger als 24 Stunden geht, eine kleine Abenteuerreise, auf der es viel zu entdecken gibt. Und damit sagt er mir, dass ich diese Möglichkeit auch in meinem eigenen Leben, meinem eigenen Umfeld habe, wenn ich nur die Augen öffne.

    Liebe LauraJane,


    dieses Zitat hat mich auch sehr gerührt.


    Ich finde, dass das Buch Kindern, die "anders" sind (egal in welcher Weise) Mut machen kann, halte es aber auch für sinnvoll, wenn du vorher überprüfst, ob es für deinen Sohn geeignet ist. Und wenn ihr es zusammen lest kannst du ihm nicht nur einiges erklären, sondern schöne Mutter und Sohn Momente mit ihm verbringen :)


    Ich wünsch euch alles Liebe.

    Fabio und Tom verbringen ihre Ferien gemeinsam mit ihren Eltern in Island. Ein kleiner Schatten liegt auf der sympathischen Familie. Klein, im wahrsten Sinne des Wortes, denn Fabio ist – obwohl der ältere der beiden Brüder – viel kleiner, als Tom, der in der Schule super gute Leistungen abliefert, sportlich ist und dem sowieso alles gelingt, was er anpackt.


    So auch in Island. Schnell findet Tom Kontakt zur struppigen Elin, die sich wie ein wildgewordener Troll aufführt, während Fabio erst einmal stiller Beobachter ist. Die Kinder, denen er begegnet verhalten sich fremdartig. Da ist z.B. ein Junge, der immer einen Wolfskopf auf dem Kopf trägt und dessen Laptop bei Berührung Stromschläge aussendet. Alles sehr seltsam. Fabio gehen diese Verhaltensmuster nicht aus dem Kopf und während er Islands Kultur, Landschaft und Mythen erkundet, kommt er einem dunklen Geheimnis auf die Spur.


    „'[…] Und du weißt, wie es mit dem Zwergenvolk ist. Wir verbinden Dinge, die zu verbinden unmöglich sind. Wir vereinen Gegensätze – auch Menschen und Elfen.Und wen wir zum Freund haben, den lassen wir nie im Stich.'“


    Meine Schwiegereltern sind im vergangenen Jahr in Island gewesen und haben dort viele Bilder gemacht. Von einer Landschaft, die in ihrer Art einmalig ist. Felsig, karg, sagenumwoben. Island strahlt eine Atmosphäre aus, die selbst via Fotos zu spüren ist. Genau diese Stimmung hat Nina Blazon mit ihren Worten eingeschlossen und auf's Papier gebannt, so dass ich mit aufschlagen der Buchseiten dieses kleine mystische kribbeln spüren konnte, das in der isländischen Luft liegt.


    Zu Beginn gleicht jedoch nicht nur die Atmosphäre der in Island, sondern auch die Länge des Einstiegs in die Geschichte der Ödnis der isländischen Straßen. Ich gebe zu, ich habe mich etwas schwer getan und sogar ein wenig gelangweilt. Nina Blazon verwendet ziemlich viel Zeit darauf, zwischenmenschliche Szenen und Gespräche einzubauen, um dem Leser so die Figuren näher zu bringen. Diese gut zu kennen, ist für den weiteren Verlauf sehr wichtig, hat mich am Anfang aber etwas ermüdet.


    „'[…] Es bedeutet, dass irgendetwas in meinem Gehirn falsch verschaltet ist. Als würde ständig eine Sicherung rausknallen. Ein Arzt hat gesagt, deshalb denke ich so komisch. Meine Mutter will, dass ich Tabletten nehme, die mich ruhiger und langsamer machen. […] Damit ich mehr bin wie die anderen und besser klarkomme.'“


    Doch zum Glück habe ich mich nicht abschrecken lassen und ist die erste Hürde an Geplänkel genommen, gewinnt der Roman plötzlich an Fahrt. Nun bin ich froh darüber die beiden Jungs und auch Elin so genau betrachtet zu haben, denn sie alle sind sehr besonders. Sympathische Figuren, die aufgrund ihrer Äußerlichkeiten oder ihrer Verhaltensweisen nicht der Norm entsprechen und deswegen ganz ordentlich mit ihrem Umfeld zu kämpfen haben. Anders sein ist nicht schlimm, denn kein Mensch gleicht dem anderen und für Freunde ist es nicht ausschlaggebend wie jemand aussieht, sondern nur, wie man im Herzen zusammenpasst.


    Freundschaft und Selbsbewusstsein werden zum zentralen Thema der Geschichte und sind so schön verarbeitet, dass ich mir gut vorstellen kann, dass viele kleine Leser Mut daraus schöpfen können.


    Eingebettet in eine spannende, mystische Geschichte, in der ich viel über Islands Sagen und Mythen erfahren habe ist „Silfur“, obwohl es sprachlich eher für jüngere Leser ausgelegt ist, ein sehr schöner Roman, mit dem es Nina Blazon gelingt Bücherwürmern jeden Alters ein bisschen Gänsehaut zu verursachen.

    Iris Eltern sind getrennt. Sie lebt bei ihrer Mutter, einer egoistischen Frau, die es ihr Leben lang nicht geschafft hat eine Bindung zu ihrer Tochter aufzubauen oder diese auch nur annähernd zu verstehen. Sie hat es nicht einmal versucht, denn Hannah interessiert sich ausschließlich für Geld und sich selbst.


    Zum Vater hat Iris keinen Kontakt. Möchte sie auch nicht, denn Ernest hat sie mit Hannah allein gelassen, als Iris noch ein Kind war. Doch dann kommt ein Anruf, der alles verändert. Ernest ist sterbenskrank, hat nur noch wenige Tage zu leben und äußert einen letzten Wunsch: Iris zu sehen und die verbleibende Zeit mit ihr zu verbringen.


    Iris hat es wirklich nicht leicht. Sie hat immer so vor sich hin gelebt, die Launen ihrer Mutter ertragen müssen, hat als Mittel zum Zweck gedient, aber nie die Liebe und Zuneigung erfahren, die normalerweise zwischen Mutter und Kind besteht. Um die fehlende Herzlichkeit zu kmpensieren, flüchtet sich Iris ins Feuer. Wenn sie zündelt erfährt sie eine Art Genugtuung, fühlt sich wohl und geborgen. Es ist ihre Art mit Frust und Trauer umzugehen, gibt ihr Sicherheit. Eine Struktur, die ihr zu Klarheit verhilft und wie ein Schutzwall um sie herum wirkt. Hannah kann damit nicht umgehen. Sie kehrt die Tatsache der Zündelei lieber unter den Tisch, als sich damit auseinander zusetzen und bemerkt auch nicht, dass sie einer der Triggerpunkte für Iris' Spiel mit dem Feuer ist.


    Jenny Valentine hat ein Herz für Außenseiter. Für Charaktere, die es nicht leicht haben, aber tief im Inneren über viel Kraft verfügen. Die trotz aller Widrigkeiten stark sind und den negativen Seiten ihres Lebens trotzen. So eine Protagonistin ist auch Iris. Schon lange hat sie ihre eigenen Strategien entwickelt. Und seit neustem hat sie Unterstützung von einem ihr bislang unbekannten Vater, der sie ernst nimmt und ihr Geheimnisse offenbart, die ihr Leben von Grund auf verändern.


    „Durchs Feuer“ ist für Autorin Jenny Valentine ein sehr persönliches Buch, denn sie verarbeitet darin den eigenen Verlust des Vaters. Wie Feuer brennt sich die Geschichte von Protagonistin Iris unter die Haut. Verletzt, berührt und wärmt.

    Willkommen in Night Vale. Der Stadt in der das Unmögliche möglich und nichts unmöglich ist. Oder auch genau umgekehrt. Wie auch immer.


    Wer sich nun über die verwirrte Wortwahl wundert, der sollte wissen, ich bin infiziert. Möglicherweise unheilbar, obwohl ich denke, dass eine Chance auf Besserung möglich ist. Angesteckt habe ich mich bei Joseph Fink und Jeffrey Cranor, die den Virus in ihrem Roman „Willkommen in Night Vale“ ausgesetzt haben. Symptome: Verwirrung, Halluzinationen, Glaubenskrisen, Gefühlschaos.


    Noch nie ist es mir so schwer gefallen die passenden Worte zu einem Roman zu finden bzw. Inhalt, eigene Reaktionen und handwerkliches Können der Autoren in eine Rezension zu packen. Grund dafür ist die Besonderheit von „Willkommen in Night Vale“. Einem Buch wie diesem bin ich zuvor noch nicht begegnet.


    „Jede Information war eine wichtige Information, selbst wenn die Gründe dafür nicht sofort ersichtlich waren. Der Grund für irgendetwas war selten sofort oder auch nur irgendwann ersichtlich, aber es gab ihn, irgendwo, so wie einen Mond war, sondern ein Stück Irgendwas, das im Nichts trudelte.“


    Ganz kurz zum Inhalt (so weit möglich): Pfandhausbetreiberin Jackie bekommt einen Zettel zugesteckt auf dem das Wort „King City“ steht. Kurz nachdem der Kunde den Laden verlässt, ist er auch schon wieder aus Jackies Gedächtnis verschwunden. Nur „King City“ bleibt in ihrem Kopf, ohne, dass sie weiß, was es bedeutet und in welchem Zusammenhang es dort gelandet ist.


    Auch Kellnerin Diane und der Gestaltwandler-Teenager Josh fühlen sich von King City angezogen. Und so kommt es, dass sich die Wege der drei genannten Protagonisten immer und immer wieder kreuzen auf der Suche nach dem geheimnisvollen King City.


    „Willkommen in Night Vale“ zu lesen ist wie eine Seefahrt bei starkem Sturm. Ein Wellengang mit etlichen Auf's und Ab's. Kein Roman hat bei mir bisher mit nur wenigen Sätzen so viele unterschiedliche Meinungen und Gefühle dazu ausgelöst.


    Es war schwer in die Welt von Night Vale hineinzukommen. Am Anfang bin ich fast verzweifelt, habe das Buch deshalb in Etappen gelesen und immer wieder zur Seite gelegt. Jedes Mal, wenn ich schon kurz davor stand aufzugeben, erfasste mich plötzlich der Sog, der die Gegenseite des schwierigen Zurechtfindens bildet. Fink und Cranor gelingt es immer wieder den Leser zu packen und mit kleinen Appetithäppchen neugierig zu machen. Nutzen die Faszination des Unerklärlichen, des Unbegreiflichen, dem Wunsch danach einer Auflösung der Geheimnisse näher zu kommen.


    An „Willkommen in Night Vale“ mochte ich besonders dieses Spiel mit Wahrnehmung, Illusion, Realität und Täuschung. Fink und Cranor zeigen, was Literatur, was fantastische Literatur kann. Alles ist erlaubt. Ein Autor kann machen, was er will, kann seiner Fantasie freien Lauf lassen. In der Fantasy dürfen Engel mit vier Beinen, die Erika heißen oder Kellnerinnen, denen Zweige mit Früchten aus dem Körper wachsen, kreiert werden. In der fantastischen Literatur gibt es (fast) keine Grenzen und das nutzen Fink und Cranor aus.


    „Damals war alles einfacher. Weil ich nicht so viele Erinnerungen hatte und die Welt deshalb nicht so überlagert war. Alles war klarer, und außerdem war ich jünger. Also, die Welt war einfacher.“


    Dass sie sich schon lange in der Welt von „Willkommen in Night Vale“ bewegen, ist deutlich zu spüren. Die Beschreibungen ihrer eigens kreierten Welt und deren abgefahrenen, skurrilen Bewohner sind detailliert und genau. Seit einigen Jahren schon arbeiten die Autoren zusammen und veröffentlichen Podcasts mit Geschichten aus der Welt von Night Vale.


    Die Schreibe der beiden Autoren ist mir zum Teil etwas abgedreht, verdeutlicht aber dieses von mir angesprochene Spiel mit Illusionen und der Realität, in das nicht nur die Protagonisten verstrickt werden, sondern auch die Leser. Im Roman gibt es etliche versteckte Anspielungen zu verschiedensten Themen, die ich definitiv nicht alle ausfindig gemacht habe.


    Anspielungen, mit denen die Autoren vielleicht auch ein bisschen provozieren wollen. „Willkommen in Night Vale“ ist ein Buch, das polarisiert. Das viele Fans finden wird, aber auch einige Leser, denen es einfach zu drüber ist. Mir hat es trotz Höhen und Tiefen als Gesamtpaket gefallen, denn ich finde es gut, dass die Autoren aus den Vollen ihrer Fantasie geschöpft und einen Roman geschrieben haben, wie er mir zuvor noch nicht begegnet ist.

    Als auf dem Hof von Matthias Lessmann das Mädchen auftaucht, weiß er nicht, was er tun soll. Gesellschaft hatte er seit dem Tod seiner Frau nicht mehr. Die Männer, die nach ihr fragen, sehen bedrohlich aus. Es ist eine Kurzschlussreaktion, die ihn dazu veranlasst, das frierende Mädchen, das aussieht, als habe es schon länger nichts mehr zu essen bekommen, in seinem Wohnhaus zu verstecken. Er ahnt, dass sie in Not ist, dass die Männer ihr nichts Gutes wollen. Was er nicht ahnt – sie ist Opfer eines Menschenhändlerringes, der junge Osteuropäerinnen zur Prostitution zwingt.


    Zeitgleich sehnt sich in der Ukraine Walentyna nach der Rückkehr ihrer Tochter, die nach Deutschland gegangen ist, um dort Geld zu verdienen. Seitdem hat Walentyna nichts mehr von ihr gehört. Die Wartezeit ist für sie unerträglich, denn sie merkt, dass etwas in ihrem Körper wächst, dass sie von innen heraus zerfressen wird. Nachwirkungen der großen Katastrophe. Damals, als in Tschernobyl der Reaktor explodierte und sie nur wenige Kilometer entfernt lebte.


    Mechtild Borrmann war mir bisher namentlich ein Begriff, eins ihrer Bücher hatte ich aber noch nicht gelesen. Auf Empfehlung einer Bloggerkollegin, die mir erklärte, dass Borrmann die Autorin sei, die sie aus einem Lesetief holen könne, griff ich zu „Die andere Hälfte der Hoffnung“, dessen Inhalt mich schon nach Lesen des Klappentextes angesprochen hat. Trotz der Empfehlung war ich überrascht, welchen Sog der Roman, der als Kriminalliteratur deklariert wird, auf mich ausüben konnte. Es fiel mir schwer ihn aus der Hand zu legen, weil ich so gefesselt war von der Schreibe der Autorin und der Geschichte und doch musste ich immer wieder pausieren, denn der Inhalt ist von bedrückender Schwere.


    Mit feiner Feder zeichnet sie Lessmanns Gefühle und Walentynas Geschichte, die schon vor ihrer Geburt dramatisch verlief. Ihre Mutter war Opfer des zweiten Weltkriegs, verschleppt von Soldaten, nach ihrer Heimkehr verachtet, als eine, die mit dem Feind kooperiert. Von dem, was sie damals erlebte, spricht sie nicht. Doch der Ausdruck ihres Gesichtes, wenn das Thema auf den Tisch kommt, spricht Bände. Umso dramatischer, dass sich solche Erlebnisse Generationen übergreifend wiederholen. In anderer Form, aber mindestens genauso schrecklich, wenn nicht noch schlimmer.


    Jede Figur des Romans wurde mit Präzision herausgearbeitet. Wurde mit psychischen Strukturen versehen, die handeln und denken der Charaktere näher bringen und nachvollziehbar machen, und auch dafür sorgen, dass diese tief unter die Haut gehen. Nicht nur einmal hatte ich einen dicken Kloß im Hals, musste schluckend das Buch zur Seite legen, tief durchatmen, um dann weiterzulesen, damit ich endlich mehr erfahre. Mehr über die verschleppten Mädchen, mit denen ich bis zuletzt gebangt habe, und mehr über Walentyna, die trotz all der Hoffnungslosigkeit und Dramatik in ihrem Leben die Hoffnung nicht aufgibt.


    Es ist nicht nur die faszinierend eindringliche Schreibe der Autorin, die dafür sorgt, dass der Roman so bedrückend ist, sondern auch der Bezug zur Realität. Menschenhandel wird nach wie vor praktiziert, seit der Flüchtlingsschwemme vielleicht sogar noch mehr. Außerdem das Reaktorunglück, das nachhaltig Opfer fordert und eigentlich schon viel zu sehr in Vergessenheit geraten ist.


    „Die andere Hälfte der Hoffnung“ war mein erster, aber nicht letzter Roman der Autorin Mechtild Borrmann. Sie hat mich nicht nur mit ihrer feinen Sprache und gut recherchierten Geschichte beeindruckt, sondern vor allem damit, dass sie mich tief drinnen sehr berührt hat.