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Der Geiger und Held von Vikram Seths drittem Roman ist auf der Suche nach Harmonie in seinem Leben. Stattdessen lässt sich aber Michael Holme, der seit einem einschneidenden Schlüsselerlebnis vor zehn Jahren in London lebt, von seiner schönen, jungen (und noch dazu französischen) Freundin und von seinen Kollegen im Maggiore-Quartett leicht aus der Ruhe bringen. Kurz gesagt, er hat es satt, sowohl im Leben als auch in der Kunst die zweite Geige zu spielen. Eine zufällige Begegnung mit Julia, jener Pianistin, die er einst in Wien geliebt, aber wieder verloren hatte, gibt seinem Leben eine andere Richtung. Julias Situation allerdings -- und das Geheimnis, das ihre Karriere beenden könnte -- droht, die Liebenden wieder auseinander zu reißen.
Verwandte Stimmen ist deutlich kürzer als Seths Eine gute Partie, was aber der reichen Ausgestaltung nicht abträglich ist. Auf knapp 400 Seiten entwirft der Autor besondere komplexe -- persönliche wie dichterische -- Sachverhalte, während er gleichzeitig geschickt Befürchtungen entkräftet, dass er Unterhaltung für Intellektuelle geschrieben habe. Einmal sagt Michael, während sich die emotionale Spannung immer weiter steigert, zu Julia: "Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie ich all die Jahre ohne Dich gelebt habe", nur um festzustellen, "wie kläglich und banal meine Worte klingen, als wären sie aus irgendeiner Hausfrauenfantasie entnommen worden". Nicht nur die Stimmung der Liebesgeschichte gehört zu den Dingen, die das Buch zum Genuss machen, auch Seths Schöpfung musikalischer Extreme trägt dazu bei. Während das Maggiore probt und sich dabei von ungeduldigem Anschießen zur Perfektion hin bewegt, beschreibt der Autor meisterlich die Freuden des Zusammenspiels, des Vertrauens und des Schaffens. "So ein Quartett ist eines der seltsamsten Dinge", sagt ein Mitglied. "Ich weiß nicht, womit ich es vergleichen soll. Mit einer Ehe? Einer Firma? Einem Militärzug unter Beschuss? Einer selbstachtenden, selbstzerstörerischen Geistlichkeit? Es sind so viele verschiedene Spannungen unter seine Freuden gemischt."
In dem Roman Verwandte Stimmen ist die Länge von Schuberts "Forellenquintett" von großer Bedeutung, kommt die Entdeckung eines wenig bekannten Opus' von Beethoven einem Wunder gleich und jedes Instrument besitzt sein eigenes Wesen. Sowenig Michael darauf hoffen darf, Julia jemals zu besitzen, kann er ebensowenig davon träumen, seine geliebte Tononi zu besitzen, die Geige, die er schon lange lediglich als Leihgabe hat. Und es ist überhaupt keine Frage, dass Vikram Seth es versteht, eine Geschichte zu erzählen und uns unaufhörlich rätseln lässt -- rätseln läasst über die Antwort auf die Frage, was denn wohl die vierminütige Zugabe des Quartetts sein wird, bis hin zum wirklichen Anlass für Julias Weggang aus Michaels Leben (oder war es vielleicht sogar Michael, der Julia verließ?). Diese Liebesgeschichte führt uns von London in Michaels Heimatort im Norden Englands, von Wien nach Venedig, und es wird nur wenig Leser geben, die ihrem Reiz nicht erliegen werden.