Beiträge von Bartlebooth

    Hallo magali,


    deine Kitschvorwürfe kann man so, wie sie da stehen, nicht entkräften. Deine inhaltlichen schon: Natürlich gab esim KZ Dachau auch jüdische Häftlinge und natürlich gab es auch 1942 noch Transporte nach Dachau. Ein Blick auf die Homepage der Gedenkstätte genügt.
    Bücherverbrennungen fanden in der medienwirksamen Form 1933 im Mai und imJuni statt. Aber auch später gab es immer wieder kleinere Verbrennungen aus unterschiedlichsten Anlässen.


    Deine Vermutung, man habe Markus Zusak eine fiktive Biographie verpasst, finde ich etwas konstruiert. Wie kommst du darauf? Nur weil das Buch zu perfekt ist?


    Ich breche gern noch einmal eine Lanze für das Buch und vor allem gegen die Nazikitschvorwürfe. Meiner Ansicht nach ist "Die Bücherdiebin" kein Buch über den Nationalsozialismus, wenigstens nicht in erster Linie. Der Terror der Diktatur tritt kaum einmal konkret zutage (der Marsch auf Dachau ist eine ziemliche Ausnahme), es ist ein Buch über den Alltag in einer angstbefrachteten Welt wie aus einer Theaterkulisse. Als der Vorhang bzw. die Bomben fallen, verschwindet auch die Welt.


    Herzlich, Bartlebooth.

    Zitat

    Original von magali
    ch hab das vorgemacht?
    :wow


    Oben steht doch, daß Thomas' Vater seine Mutter prügelt und ihn, den Kleinen, auch.
    Der Begriff 'häusliche Gewalt' kommt im Text auch vor.


    Das stimmt schon, aber darauf folgt ein ganzer Absatz, worum es in dem Buch sonst noch geht. Am Ende schreibst du: "Ein Buch von allen Dingen eben". So ähnlich wird es meine Buchhändlerin wohl auch machen :-).


    Zitat

    Original von magali
    Es gibt seit etwa Mitte der 90er Jahre vermehrt Bücher für Kinder ab etwa 4 Jahren, in denen es um Mißbrauch durch den Vater geht.
    Das erste, das mir einfällt, ist 'Nora ist mal so, mal so', von Mirjam Pressler. Es ist ein wenig umstritten, weil das Ende offen bleibt.
    Dann gibt es zwei Bücher von Claudia Baumann, die allerdings vergriffen sind. 'Lena hat Angst' lautet der Titel des einen. Der zweite will mir grad nicht in den Sinn kommen, er läßt sich sicher leicht bibliographieren.


    Das Buch von Mirjam Pressler ist von 2000. Allerdnigs gibt es den zugehörigen Kleinverlag schon seit 2002 nicht mehr. Die Titel von Claudia Baumann stammen auch aus einem mir nicht bekannten Haus. Will sagen: Kommerzieller Erfolg stellt sich bei diesem Thema nicht ein, wenn es auf der Seite angepackt wird, auf der die Gefahr wirklich lauert, selbst wenn eine prominente Autorin wie Mirjam Pressler ihre Finger im Spiel hat. Ist doch auch interessant, dass ihr Hausverlag Beltz hier offenbar abgewunken hat. Und Beltz ist wahrlich kein Verlag, dem man mangelndes Engagement für wichtige Themen vorwerfen kann.


    Missbrauchsgeschichten, in denen es um Fremde geht, sind hingegen auch kommerziell sehr erfolgreich. Spontan fällt mir zB der Titel von Veronica Ferres ein, den ich anhänge.


    *

    Zitat

    Original von magali
    Das ist wirklich eine erstaunliche Information. Wie sonst kan man denn dieses Buch beschreiben?


    Naja, du selbst hast es doch vorgemacht, wie das geht ;-). Dass man dem Buch damit nicht wirklich gerecht wird, finde ich auch.


    Zitat

    Original von magali
    Ich war aber bis dato der Ansicht, das eben Themen zu häuslicher Gewalt gut laufen. Sexueller Mißbrauch durch Väter oder andere männliche Verwandte ist z.B. ein Motiv, das in Jugendbüchern, vor allem in Mädchenbüchern häufig auftaucht. Zu häufig, manchmal, ehrlich gesagt, die Inflation des Motivs steht kurz bevor.


    Das finde ich nun wieder interessant. Zugegeben, ich lese keine Mädchenbücher, aber selbst in anderen Jugendbüchern ist mir dieses Motiv bisher noch nicht untergekommen (wenn ich darüber nachdenke, gibt es eine Ausnahme, da ist es aber eine von vielen Nebenhandlungen).
    Im Kinderbuch oder - noch schlimmer - im Bilderbuch geht die Gefahr doch meist von Fremden aus. Hast du Beispiele aus diesem Bereich, wo das anders ist?

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    Original von Conor
    Das Buch kommt mir allerdings doch etwas realitätsfremd vor - eher ein wenig märchenhaft.


    Auch wenn es in diesem Roman überraschend anders endete, so habe ich mir trotzdem die Frage gestellt, wie die Rechte der Frauen im Iran sind.
    Muss eine verwitwetete Frau den Bruder ihres verstorbenen Mannes heiraten?
    Nur auf einer Seite des Buches wurden die Frauenrechte im Iran kurz erwähnt.


    Da stellt sich mir die Frage: Muss das Auftreten eines Iraners als Romanfigur immer dazu führen, dass die grundsätzlichen Verhältnisse im Iran reflektiert werden? Und wenn der Text sich dem verweigert, ist er realitätsfremd?
    Das scheint mir an den Stärken des Textes vorbeizugehen. Wichtig ist hier doch: 1. Die Heirat der Witwe ist keine Zwangsheirat, sondern ein Akt der Nächstenliebe. Firouzeh ist als völlig selbstbestimmt gezeichnet. 2. Sam ist nicht einfach Iraner, praktiziert die Traditionen in einer Weise, die sowohl die Engländer als auch seine iranische Familie brüskiert.


    Herzlich, Bartlebooth.

    Ein wirklich ungewöhnlich gelungenes Kinderbuch. Und ein Buch, bei dem ich durch Zufall einmal auf einen Beitrag zum Thema "Nachkriegsgesellschaft" gestoßen bin, ein Thema, das ich in der nicht trivialen Literatur noch weitgehend vermisse. Die bleierne Zeit der 50er wird von Kuijer schlaglichtartig eingefangen, auch die Kontinuität in der Gewalt.
    Interessant ist, dass mir die Buchhändlerin in meiner örtlichen Lieblingsbuchhandlung erzählte, sie müsse ihren Kunden immer verschweigen, dass es in diesem Buch zentral um häusliche Gewalt gehe, denn sonst kauften es die Erwachsenen nicht.
    Das macht mich nachdenklich. Gewalt in der Familie ist zweifelsohne ein Thema, das Kinder in besonderem Maße betrifft und bedroht, die Erwachsenen finden aber offenbar, man solle die Kleinen damit nicht konfrontieren. Gleichzeitig haben Titel, die die Gewalt in den nichtfamiliären Bereich verlegen, immer wieder gute Chancen am Markt.

    Zitat

    Original von Vulkan
    Habe ich Euch richtig verstanden, dass Ihr erstmal die Teile 1-3 lesen wollt, und den Nachlaß offen lassen wollt? (Falls jemandso weit kommt? ;-))


    Das hast du richtig verstanden.


    Zitat

    Original von Vulkan
    Ich glaube, Ihr könnt mich zu 3/4 einplanen. So ein Buch ist wahrscheinlich wirklich nur mit LR und Leidensgenossen zu bewältigen! :wave


    Na, so weit würde ich dann nicht gehen und ich habe auch nicht vor zu leiden. Aber ich glaube schon, dass es Bücher wie dieses sind, die sich ganz besonders für gemeinsames Lesen eignen.


    Ich hab dich mit auf die Liste gesetzt. :-)

    Hallo zusammen,


    meine Ausgabe hat inclusive aller Skizzen und Notizen sogar über 2000 Seiten, von denen die letzten paar hundert sogar noch in einer kleineren Type gedruckt sind. Von Musil ist dabei aber alles. Es wäre ganz hilfreich, wenn du, Sylli7, vielleicht mal sagen könntest, bis wohin die Taschenbuchausgabe geht, damit ich dann mit meiner vergleichen kann. 1040 Seiten erscheint mir ziemlich wenig. Da sind vielleicht sogar die Druckfahnen-Kapitel, die Musil kurz vor seinem Tod noch zurückgezogen hat, rausgelassen.

    Das sieht doch alles sehr gut aus :-)
    Während wir noch auf die Bestätigung der weiteren Mitleserinnen warten, können wir schon mal überlegen, bis wohin wir lesen bzw. ob wir sämtliche Skizzen und Varianten lesen wollen. Die Chronologie endet ja nach Kapitel 63 des zweiten Bandes. Danach sind die Fragmente aus dem Nachlass in meiner Ausgabe nach Themenkomplexen gegliedert ediert worden. Ich weißnicht, wie sinnvoll es ist, sämtliche handschriftlichen Anmerkungen aus dem Nachlass zu lesen. Ich bitte um Meinungen.
    :-)

    Ich bin ja auch ein ganz großer Stadtgeschichten-Fan, seit ich die Reihe 2004 zum ersten Mal in die Finger bekommen habe. Das Erscheinen dieses bandes ist ein willkommener Anlass, mir alle Bände noch einmal auf Englisch zu kaufen. Wie ich nämlich gerade feststellen musste, erinnere ich mich nur noch grob an die Handlung.


    Wann war denn übrigens die "große Stadtgeschichtenzeit"?

    Hallo buzzaldrin,


    also, das ist ja ein sehr früher Barthes, der erste Text, mit dem er einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit zum Begriff geworden ist. Ich finde ihn lesenswert, aber zum Einstieg ist er vielleicht nicht so gut, bzw. gibt keine ganz so guten Eindruck von dem, was Barthes ausmacht. "Der Tod des Autors" ist übrigens auch so ein Text, den man ohne Hintergrundinformationen zur Entstehungsgeschichte leicht in den falschen Hals bekommen kann.
    Wenn du mich fragst, dann lies von Barthes mal die "Mythologies" (dt. "Mythen des Alltags" in Auszügen bei Suhrkamp erschienen), die bestehen aus einem - wie ich finde - sehr guten theoretischen Teil zum Thema "Mythenbildung" und einem analytischen Teil, der sich mit allen möglichen französischen Medienphänomenen befasst, von der Darstellung der Armee bis zur Kosmetikreklame. Sehr empfehlenswert.


    Herzlich, Bartlebooth.

    Roland Barthes war einer der einflussreichsten Kulturtheoretiker des 20. Jahrhunderts. 1980 an den Folgen eines Unfalls gestorben, hat er in den voraufgegangenen 30 Jahren eine beeindruckende Menge literaturtheoretischer, oft sehr essayistisch gehaltener Texte verfasst, die sich mit den maßgeblichen Fragestellungen der Zeit befassen. Barthes ist gerade durch diese Vielfalt und durch seine relativ gute Zugänglichkeit ein guter Einstieg für alle, die sich für literaturtheoretische Fragestellungen interessieren, sich aber an die (meist zu Unrecht) verschrienen "Franzosen" nicht so recht herantraut. Außerdem ist er einer, dessen Lektüre sich in jedem Fall immer wieder lohnt,


    Le degré zéro de l'écriture ist ein relativ früher Text Barthes', in dem er sich mit der ethischen Dimension von Literatur auseinandersetzt. Er reagiert damit vor allem auf die von Sartre vorgetragene Position, dass der Schriftsteller für sein Zeitalter verantwortlich sei und Literatur immer auch engagiert zu sein habe. Wichtige Voraussetzung ist dafür die Freiheit, die sowohl Schriftsteller als auch Publikum brauchen, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.
    Barthes betrachtet dieses Problem vom Standpunkt der Schrift aus, das heißt in einer semiotischen (zeichentheoretischen) Perspektive: Welchen Zwängen unterliegt literarisches Schreiben und welcher Art sind die Freiheiten, die ein Schriftsteller oder ein Leser für sich reklamieren kann? Was bedeutet das für das Projekt einer "engaierten Literatur"?


    Barthes trifft dafür eine Unterscheidung zwischen Sprache (langue), Stil (style) und Schrift (écriture). Während die ersten beiden für die Teilnehmer am literarischen Betrieb gleichsam natürlich ("comme une Nature") gegeben sind - Sprache als Horizont dessen, was gesagt werden kann, Stil als die persönlich erworbene Ausdrucksfähigkeit - liegt für Barthes die eigentliche Wahlmöglichkeit und der wichtigste Aspekt der Freiheit der Literatur in der Dimension dessen, was er Schrift nennt. Doch Schrift ist für ihn alles andere als neutral. Sie ist historisch - und zwar anders als die Sprache, die er synchron relativ homogen betrachtet, die sich nur im Laufe der Zeit verändert und andere Dimensionen des Ausdrucks ermöglicht - und sozial. Dadurch das die Schrift immer an Sprache gebunden ist, steht sie immer in einem historischen Zusammenhang, bezieht sich auf Früheres, ordnet sich in eine Tradition ein und grenzt sich von einer anderen ab. Dies geschieht nicht in jedem Augenblick intentional, sondern ist einem Pakt zwischen Gesellschaft und Literaturschaffenden geschuldet, ohne die es Literatur nicht geben kann. Literaur - so könnte man etwas vereinfacht sagen - braucht Leser. Im Moment der Positionierung ist der Schriftsteller frei, jedoch nur hier, ein ahistorisches Schreiben ist undenkbar (Barthes bespricht viele Versuche von Neutralität oder "Gegensprachlichkeit", wie zB Camus oder Mallarmé). Jedoch in der Rezeption und auch schon in der konkreten Produktion kann Literatur nicht einfach als ein geradliniger "freier" Akt eines Autors beschrieben werden.


    Barthes zeigt in diesem Zusammenhang auch die historische Gebundenheit politischer bzw. politisch gewollter Literatur auf, setzt sich etwa mit dem sozialistischen Realismus und seiner Verwurzelung im Bürgertum auseinander. All diese Analysen geraten manchmal etwas knapp. Barthes ist eher ein Essayist, ein Freund starker und nicht immer ganz wasserdichter Thesen. Das macht ihn aber auch zu jemandem, der Debatten immer wieder fruchtbringend angestoßen hat und ganz erstaunliche Erkenntnisse zutage förderte.


    Im vorliegenden Text lässt sich jedenfalls ablesen, dass er der Sartreschen Forderung nach Freiheit skeptisch gegenübersteht. Er nimmt damit spätere Kritiken an einer solchen Literaturbetrachtung vorweg, die eine stärkere Konzentration auf - z.T. unbewusste - historische Verankerung der Sprache und der Literatur stark gemacht haben.


    *

    Detective Meyer Landsman lebt in einer Welt, die es hätte geben können, wenn sich der Vorschlag des amerikanischen Staatssekretärs für Inneres Harold L. Ickes in den 1938 hätte durchsetzen können: Alaska ist zur Heimstatt der aus Europa emigrierenden Juden geworden, zur Hauptstadt ist in diesem Entwurf Sitka geworden, das Millionenstadt ist. Allerdings steht die Auflösung des jüdischen Staates unmittelbar bevor. Meyer Landsman wird noch für zwei Monate Polizist sein. Was danach kommt, ist ihm ohnehin egal, da sowohl seine Ehe zerrüttet ist als auch seine Karriere nicht mehr vorankommt. Er flüchtet sich in den Alkohol. In dieser Situation wird im Hotel "Zamenhof", in dem Landsman wohnt, ein junger Mann erschossen aufgefunden, der sich unter dem Namen eines berühmten Schachspielers - Emanuel Lasker - im Hotel eingeschrieben hatte. Bald wird jedoch die wahre Identität des Jungen klar: es handelt sich um Mendel Shpilman, einziger Sohn des fanatischen Rabbi Shpilman, der auf Verbov Island vor der Küste Alaskas einen mafiös-religiösen Parallelstaat aufgebaut hat. Als Meyer dieser Spur folgt, kommt ans Tageslicht, dass Mendel Shpilman viel mehr als nur ein begabter Schachspieler war, was die Ermittlungen alles andere als einfacher werden lässt.


    Michael Chabon wurde zu diesem Roman inspiriert durch eine kuriose Begebenheit: Er kaufte sich 1993 eine Wiederauflage aus der Wörterbuch-Reihe "Say it in..." von Uriel und Beatrice Weinreich: "Say it in Yiddish". Die Existenz dieses Buches war für ihn ein derart absurdes Faktum, dass er sich in einem Artikel für Harper's Magazine eine Welt ausdachte, in der es Verwendung für solch ein Buch gäbe: Eine Welt, in der tatsächlich Jiddisch gesprochen würde, etwa ein Europa, in dem der Holocaust nicht stattgefunden hätte - oder eben ein Alaska nach dem Ickes-Plan. Tatsächlich gab es 1958 für "Say it in Yiddish" durchaus Verwendung, so wurde Chabon nach seinem Artikel mitgeteilt. Jiddisch wurde etwa im Israel der 50er durchaus noch verbreitet gesprochen. Es gab aber nicht nur informative, sondern auch böse Stimmen, die ihm vorwarfen, sich über das Verschwinden der Sprache lustig zu machen. Chabon gibt zu Protokoll, diese Kränkung zum Anlass genommen zu haben, einen gut recherchierten Roman zu schreiben: The Yiddish Policemen's Union.


    Herausgekommen ist ein alternative history-Roman, der mit Dicks The man in the high castle nichts zu tun hat. Um den Ausgang des Zweiten Weltkriegs geht es hier nämlich nur sehr bedingt - wir erfahren darüber auch nichts Alternatives -, nur insofern er für die Besiedlungspläne Alaskas von Belang war. Der Krimiplot ist nicht immer ganz schlüssig, schwer zu verstehen fand ich ihn allerdings an keiner Stelle, die Erzählung schreitet recht linear fort. Die Beziehung Meyers zu seiner Chefin und Exfrau Bina stand mir phasenweise zu sehr im Vordergrund. Sie war weder besonders originell noch interessant gestaltet. Überhaupt ist Chabon nicht der brillanteste Schöpfer von Figuren. Die meisten Protagonisten wirken altbekannt und tausendmal gelesen. Ausnahme ist die Familie Shpilman, die mir, obwohl recht knapp beschrieben, bei weitem am interessantesten erschien.
    Über die Hintergründe des Personals erfährt man wenig, nur häppchenweise, was für den Krimiplot notwendig ist. Dafür werden endlose Seiten auf sinnentleerte Nickligkeiten zwischen Berko und Meyer/Meyer und Bina/Berko und Willie usw. verwendet, die eigentlich nirgends hinführen. Das Buch hätte gut und gern 100 Seiten kürzer sein dürfen.


    Alles in allem stört der Krimi an dem Buch. Ich weiß nun wieder, warum ich Krimis nicht lese, die meisten Krimiautoren konzentrieren sich so sehr auf den Fall, dass das Personal einfach nur langweilig wird. Bei den anderen fragt man sich meist, wozu der Fall eigentlich da ist. Bei Chabon ist das ganz ähnlich. Die alternative history ist für die Handlung dabei wichtig genug, um das Buch dennoch interessant werden zu lassen. Es geht um große Themen wie Messianismus und um Welpolitik, wobei vor allem ersteres zwar etwas kurz und ballastreich, aber dennoch nicht uninteressant behandelt wird.


    Chabon schafft so einen Spagat, der sowohl Krimilesern als auch Interessierten an alternative history durchaus einiges bietet, der aber durch den Spagat auch ein bisschen länglich und an manchen Stellen instabil und überdehnt erscheint.


    EDIT ISBN-10 eingefügt


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    Hallo janda,
    Jetzt gehen aber ein paar Vorurteile mit dir durch.

    Zitat

    Original von janda
    Wenn man Bücher als Kulturgut unterhaltend darstellt, wie es zum Beispiel Oprah Winfrey in ihrer Talkshow tut, dann heißt es - wie du hier gerade treffend vorführst - Hilfe, Trivialisierung! (...) Und wenn diese Sendung Erfolg haben, in Zuschauerquote und Resonanz, dann wird es trivial. Etwas, dem die Masse folgen kann, kann nur trivial sein.


    Das ist einfach nicht richtig. Die Unterscheidung von "Kultur" und "Unterhaltung" habe nicht ich, sondern du eingeführt, also mal die Kirche im Dorf lassen. Über Oprah Winfrey redet Grass nicht, sondern über den von dir als verstaubt eingestuften, obwohl höchst erfolgreichen Reich-Ranicki. Meine Anmerkung zielte darauf, dass die Kritik an MRR und Heidenreich gerade nicht lautete: zu verstaubt, zu verkopft.
    Dass etwas trivial ist, ist übrigens nicht mit dem gleichzusetzen, dass es massentauglich ist. Man kann auch nicht-trivial über Massentaugliches reden. Allerdings sind unbegründete Qualitätsurteile à la Heidenreich - "ein fantastisches Buch!" - sowohl massentauglich als auch trivial.


    Zitat

    Original von janda
    Für mich gibt es keinen Unterschied: Kultur und Unterhaltung können in meinen Augen wunderbar Hand in Hand gehen. Und die E - U Unterscheidung ist eine meiner Meinung nach wichtigtuerische Unterscheidung, die irgendwelchen Wissenschaftlern irgendeine Berechtigung geben sollen. In den USA gibt es so etwas nicht - und in den USA macht sich Kultur nicht verdächtig, dadurch, dass sie unterhält und Massen begeistert.


    Nein, aber in den USA gibt es dennoch eine Unterscheidung zwischen Trivialem und nicht Trivialem. Was die Amerikaner in puncto Kultur den Europäern voraushaben, ist Unterhaltung nicht per se als unkünstlerisch zu begreifen. Das begründet allerdings keinesfalls den Umkehrschluss. Ich stimme mit dir insofern von Anfang an überein, als Unterhaltsames in Europa von vornherein eher unter Generalverdacht steht, schlecht zu sein. Das liegt aber vor allem an der Entgegensetzung von "Unterhaltung" und "ernster/literarischer/wertvoller Literatur". Diese Unterscheidung wird aber bei weitem nicht nur von "Bildungssnobs" gemacht, sondern in immer höherem Maße auch von Anhängern des Trivialen. Wie oft lese ich hier: "Das soll doch auch nur unterhalten" - eine in meinen Augen höchst fragwürdige Aussage.


    Herzlich, Bartlebooth.

    Zitat

    Original von janda
    Wenn eine Kultursendung hierzulande nicht verstaubt und unverständlich ist, taugt sie nicht, um als Kultursendung ernst genommen zu werden.


    Kann ich so nicht nachvollziehen. "Lesen!" ist doch nicht unverständlich. Das "Literarische Quartett" war das auch nicht. Außerdem wurden diese Sendungen nicht zuletzt immer wieder für ihre Trivialisierung kritisiert, gerade eben von Günter Grass in der [URL=http://www.sueddeutsche.de/,tt5l3/kultur/563/314462/text/]Süddeutschen[/URL].


    Zitat

    Original von janda
    Eine gelungene Mischung von Kultur und Unterhaltung ist nicht erwünscht. Zumal es bei uns noch immer die fatale Unterscheidung zwischen ernster und Unterhaltungs- Literatur gibt. Grauenhaft!


    Hmm, wendest du diese Unterscheidung nicht selbst an? Oder wie ist der Unterschied von "Kultur" und "Unterhaltung", wie du ihn benutzt, zu verstehen? Ich bin auch ein großer Gegner der E/U-Unterscheidung, aber das gerade weil ich "Unterhaltung" nicht als Gegensatz von "Niveau" oder "Anspruch" begreife.


    Herzlich, Bartlebooth.


    EDIT Fehlende Kommata