Es war schon mal Ein beliebiger, mir vollkommen undurchsichtiger Mix aus Weihnachtsgeschichte, Psychiatrie, Atomkriegsszenario und eigenartigem Lokalkolorit ("Der Zufall wollte es, dass sie sich nach langen Monaten in Köln wieder trafen" - ...). Auch sprachlich nicht überzeugend.
Arbeit um Mitternacht Sprachlich schlecht, Situation wurde mir nicht wirklich klar; sollte dieses Betiteln von Todeskandidaten als "Kunden" eine Reflexion auf die Kommerzialisierung und Privatisierung aus gutem Grund staatlicher Bereiche sein? Wenn ja, kann man die Pointe nur erraten. Gefiel mir gar nicht.
Die Geisterstunde geht vor die Hunde Sehr gewollt kritische Auseinandersetzung mit der verlotternden Jugend (und auch mit den verlotternden Erwachsenen); die immer wieder thematisierte "Fleischwunde" sollte da evtl. einen ironischen Kontrapunkt setzen? Das misslingt leider und so bleibt ein vage zivilisationskritisches Verfallsgejammer. Ein nochmaliges Durchlesen hätte außerdem vielleicht ein paar unfreiwillig komische Tippfehler vermeiden helfen (zB "zerrüttelte Familienverhältnisse") - Zeitdruck bestand hier ja offenbar nicht.
Der Traum Etwas lau geratene Auseinandersetzung mit der Schwierigkeit, Traum und Wachen auseinanderzuhalten. Blieb mir zu belanglos und ohne wirkliche Pointe.
Mitternacht auf Schloss Reichenau Liebesgeschichten werden nicht dadurch besser, dass sie mal ausnahmsweise nicht heterosexeull sind. Ziemlich schwülstig und eher ideenlos.
Marketing für den Tod Ein guter Ansatz, der in der engeren Wahl für die Punkte war. Die Verbindung von leerem Wirtschaftsgeblubber und dem Thema "Tod" gefiel mir. Fiel ab "Ich arbeite eng mit unseren Partnern zusammen..." sprachlich leider etwas ab, wobei die Pointe mit dem Brief von G. wieder gut gesetzt war. Platz 5.
Kein Entkommen Sehr konventionelle und durchsichtige Geschichte durchsetzt mit ein paar Stilblüten (zB "Der rote Lebenssaft klebte an seinem Leib"...). Mit Werwölfen kann ich außerdem allgemein sehr wenig anfangen.
Morgenstern Gefiel mir gut, wobei mir der Text thematisch nicht fokussiert genug war. Die Pointe war aber gut gesetzt. Knapp auf Platz 4.
Der Hochzeitstag Aschenputtel bleibt immer Aschenputtel? Keine schlechte Grundidee, jedoch konnte mich die Umsetzung nicht überzeugen, die Ich-Perspektive passte nicht und motivisch wirkte das alles sehr konfektioniert.
Mutternacht Schöner Titel, hätte mir als Anbindung ans Thema fast schon gereicht. Überzeugende Entmystifizierung der Mutterschaft. Auch sprachlich gut gelungen, 2 Punkte.
Meterphysik Noch ein brillant gewählter Titel, sprachlich das Beste diesen Monat. Die Überlegungen zu Zeit und Bewegung, die kurz angerissenen und dabei prägnanten Charaktere, das hat mich alles sehr überzeugt, selbst in dieser Kürze. Mein unangefochtener Sieger!
Nachtrag: Da ich sehe, dass hier einmal mehr über "Thema getroffen oder verfehlt" nachgedacht wird: Ein Wort ist kein Thema, das man verfehlen könnte. Wegen des Anfangs eine Fäkalphantasie zu diagnostizieren finde ich auch sehr übertrieben. Wo merkt man im Zug denn am stärksten die Bewegung? Beim Laufen und auf dem Klo. Und um Bewegung und Zeit geht es doch.
Wiegenlied Ich liebe "Peterchens Mondfahrt", aber es einfach nur vorzulesen trägt als Idee keinen Text. Es hätte jedes andere Buch sein können.
Seelentanz Die Kurve am Ende wurde um Haaresbreite noch genommen, sonst wäre dieser Text in die Beliebigkeit abgestürzt. Insgesamt klebt er trotzdem ein bisschen im sehr Bekannten.
Historisch unkorrekt Sprachlich leider nicht immer ganz sauber, aber Dialoge finde ich auch sehr schwer zu schreiben. Insgesamt eine witzige Idee mit ein paar schönen Einfällen, besonders die Sache mit Hänsel und Gretel. Diese Passage hat mich überzeugt, diesem Text meinen letzten verbliebenen Punkt dieses Monats zu geben.
Ein Abend im Sommer Sehr dick aufgetragen und, ähnlich wie "Seelentanz", wenig originell. Ein sogenanntes "wichtiges" Thema macht einen Text leider noch nicht gut.
Und noch einmal ganz allgemein. Mitternacht und Zeit ist ungefähr eine so "logische" Assoziation wie Mitternacht und Tod oder Mitternacht und Selbstmord oder Mitternacht und Unfall. Und das ist doch vollkommen in Ordnung, das allmonatliche Wort kann doch gar nicht mehr sein als ein Reizwort. Wem etwas zu weit hergeholt erscheint, der muss ja nicht dafür abstimmen, aber ich kann nun wirklich nicht erkennen, dass der Zusammenhang ausgerechnet bei "Meterphysik" besonders weit hergeholt wäre.