3 Punkte: Du und ich
2 Punkte: Von Männern und Schafen
1 Punkt: Coming in
Beiträge von Bartlebooth
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Annette Pehnts zweiter Roman kann den Vergleichen zu Kafka und Saint-Exupéry nicht gut ausweichen. Die Bezüge sind einfach zu klar, wenn auch nicht die Rede davon sein kann, es handele sich bei „Insel 34“ um einen lauen Aufguss der Literaturgeschichte. Mit dem „Petit Prince“ verbindet Pehnts Buch das Motiv des Inselhoppings, das bei Saint-Exupéry bekanntlich ein „Planetenhopping“ ist. Wie der kleine Prinz, so begegnet auch die Ich-Erzählerin auf ihrem Weg eigenartigen Gestalten, mit denen sie in Dialog tritt. Wie bei Kafka ist dieser Dialog allerdings höchst unbefriedigend und zermürbend für die junge Sprachwissenschaftlerin.
Im ersten Teil ihres Romans, in dem die Ich-Erzählerin erst eine Leidenschaft für die vor der Küste ihres nicht näher benannten Heimatlandes liegenden Inseln entwickelt, wird nicht ohne Reiz diese Geschichte der erwachenden Leidenschaft ins Zentrum gestellt: Aus einem überall gleichermaßen hochbegabten Mädchen wird mit der Zeit und mit der Pubertät eine etwas dickliche junge Frau, deren einziges Interesse sich auf die namenlosen Inseln bezieht, die sie in der zweiten Hälfte des Buches schließlich auch bereist, wenn sie auch nur auf drei von ihnen einen Fuß setzt, nämlich auf die Nummern 28, 32 und 33. Während auf „Achtundzwanzig“ noch eine sehr abweisende Dorfgemeinschaft wohnt und die junge Frau nur von den zugereisten reichen Damen wirklich gern gesehen ist, die ihr im Gegenzug für eine Auflockerung ihres uninteressanten Alltags ein Forschungsstipendium gewähren, scheint es auf den nächsten Inseln schon gar keine Einheimischen mehr zu geben. Auf 32 findet eine archäologische Grabung an einem mysteriösen Weg statt, der quer über die Insel und schließlich ins Meer zu führen scheint, auf 33 lebt nur noch ein einziger Mensch, der die die gesamte Insel bedeckende Mülldeponie leitet. An ihr eigentliches Ziel, die letzte und 34. Insel, gelangt die Ich-Erzählerin hingegen nicht, sie kann sie nicht einmal aus der Ferne betrachten, da sie sich hinter einem undurchdringlichen Nebelschleier befindet.
Anders als Kafkas „Schloss“, sind die Inseln allerdings keine Machtzentren, auf denen unvorhersehbare, aber wirkungsvolle Entscheidungen getroffen werden. Vielmehr erscheinen die Inseln völlig uninteressant. Sie bilden ein Biotop für ihre Bewohner, das auch nur für diese und im Zusammenhang mit deren Leben eine Bedeutung zu entfalten scheint. Eine Forscherin von außen kann auf ihnen ebenso wenig finden wie die Tätigkeiten der Inselbewohner irgendeine Relevanz für Außenstehende entwickeln. Die Inseln wirken nicht bedrohlich, sondern eher hermetisch. Ihr anfänglich geheimnisvoller Charakter entzaubert sich mit der Zeit, es gibt auf ihnen und auch im sie umgebenden Meer nichts, dessen Erforschung sich lohnen würde, so dass am Ende, als sich durch die Gezeiten die Möglichkeit zu ergeben scheint, einfach durchs Watt nach 34 zu gehen, die Ich-Erzählerin sich gegen diese Möglichkeit entscheidet.
Unabschließbarkeit von Sehnsucht, keine Leidenschaft ohne Leid? Ich würde vielleicht noch ein bisschen drastischer formulieren und sagen: Wonach man sich sehnt ist nur aus der Ferne transparent, verliert aber seine Konturen, je näher man kommt. Schreibe ich da gerade einen Gemeinplatz hin?
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Nach langer Zeit bin ich mal wieder dazugekommen, die Wettbewerbsgeschichten hier zu lesen. Insgesamt fand ich den September einen guten Monat, die drei Geschichten, für die ich Punkte gegeben habe, finde ich nahezu gleichwertig.
A la donna, eine schöne Idee und gut durchgeführt, der Text neigt sich nicht zu sehr in eine Richtung, sondern spannt eine bestimmte Problematik auf, ohne zu penetrant zu bewerten und - vor allem in diesem Fall angenehm - ohne eine klare moralische Zuweisung der vertretenen Positionen vorzunehmen. Das Ende ist mir da im Ton fast schon wieder zu wenig nachdenklich. Der Dialog und die gedachten Kommentare sind nicht so ganz geschmeidig geschrieben, weshalb diese Geschichte meinen zweiten Platz eigentlich nie verlassen hat.
Augustin, solche Kindheitserinnerungen haben bei mir, wenn sie gut geschrieben sind, und das ist hier der Fall, immer gute Chancen auf Gefallen. Eine kleine, unaufdringliche Episode über eine lose Bekanntschaft mit einer phantastischen Pointe. Insgesamt war's mir ein bisschen zu glatt, aber das ist eigentlich nur Geschmäcklerei, vielleicht könnte man ein bisschen mit der Länge experimentieren, die einzelnen Kürzestepisoden (Sportplatz, Comicladen, Garage) ein bisschen schärfer aufeinander beziehen.
Cäcilias Coup, ganz amüsant geschrieben, ich erkenne die Funktion der Händel-Zote, sie bleibt mir aber trotzdem zu zotig; die Insider-Pointe hat mir nicht gefallen.
Irgendwann, diese Beziehungssachen haben's ja bekanntlich schwer bei mir. In diesem Fall gefällt mir schon die Einrahmung der kurzen Alltagsszene durch die beiden Traumsequenzen (?) nicht, das ist mir einen Tick zu bedeutungsschwanger. Außerdem geht mir diese Geschichte zu sehr in Richtung der alten Weisheit: Bloß nicht zu träge werden und rechtzeitig ausbrechen, bevor man sich in einer suboptimalen Beziehung eingerichtet hat. Mit diesem Gedanken assoziiere ich automatisch, dass es so etwas wie eine "optimale" Beziehung geben muss. Und wenn ein Text dann zu kurz ist, um diese Assoziation wieder zu löschen, hat er schlechte Karten, mir zu gefallen.
Verteidiger der Zukunft, schöne Idee, von dem Zitat eines seinerseits vergessenen Musikprofessors ausgehend eine Szene über Zukunftsfähigkeit, mangelnde Initiative, zeitlose Schönheit und zeitgebundenen Tratsch zu drechseln. Das Zitat würde ich vielleicht als Motto voranstellen. Gut gemacht!
Rückblick in die Zukunft, hat mir insgesamt am wenigsten gefallen, der "lockere" Dialog zwischen zwei Schöpfern (einem Gottvater und einem Gottsohn), hat etwas Verstaubtes (der Kommentar zum Wörtchen "geil" etwa, ich weiß gar nicht wie ich sagen soll, das hat so was onkelhaft Joviales, puh!) und die Pointe hat mich auch nicht überzeugt.
Geistertanz, hätte mich vielleicht mehr angesprochen, wenn der einleitende Dialog etwas weniger hölzern gewesen wäre und wenn ich nicht den Eindruck gehabt hätte, dass hier einfach nur ein Faktum verwurstet worden wäre, zu dem mir aber eigentlich gar nichts Detailliertes erzählt wird. Insofern gar keine schlechte Idee, aber einfach der falsche Aufhänger für einen Text von nur 500 Wörtern.
Super Aussichten, irgendwie witzig und irgendwie pointenlos. Diesmal leider mit einer etwas zu biederen Grundierung für meinen Geschmack. Mal gucken, ob ich mit meinem Autorenverdacht richtig liege.
Zukunftsmusik, blasser Aufguss eines altbekannten Themas (des von der Zeit hinter sich gelassenen Rentners). Um mir das schmackhaft zu machen, muss man sich ein bisschen mehr einfallen lassen.
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3 Punkte: Verteidiger der Zukunft
2 Punkte: A la donna
1 Punkt: Augustin
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Zitat
Original von wolf kunik
Vielleicht sollten wir bei all dem einen Aspekt nicht vergessen: Frauen sind biologisch und hormonell durchaus unteschiedlich zu Männern. Ich zumindest kann das nach meiner bisherigen Lebenserfahrung hundertprozent bestätigen - egal was wir uns in unseren Köpfen wünschen - wir stecken noch immer in männlichen und weiblichen Körpern, die unserem Denken, Fühlen und Handeln jeweils eine gewisse Richtung geben.Nur soviel: Dass es hormonelle und "biologische" Unterschiede gibt, heißt - die Schwierigkeit der Konzepte selbst mal beseite gelassen - selbstverständlich nicht, dass es dadurch automatisch Unterschiede im Bewusstsein gibt.
Du kannst das natürlich einfach behaupten und Dich nicht um die Probleme scheren, die so entstehen, der Meinunng sein, auf sie hinzuweisen sei pure Rhetorik oder das Auslegen von Fußangeln (!). Die Schwierigkeiten werden aber nicht kleiner, nur weil man sich entscheidet, sie zu ignorieren.
Herzlich, B.
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Hallo zusammen, hallo wolf,
ZitatIch denke, der entscheidende Unterschied ist die Erzählperspektive. Es macht einen großen Unterschied, ob ich einen Charakter, egal ob Mann oder Frau von außen beschreibe, oder ob ich in ihn hineinschlüpfe, fühle, was er fühlt, sehe, was er sieht und denke, was er denkt.
Und wenn du also in eine Frau auf diese Weise schreibend hineinschlüpfst, heißt das dann, dass du in diesem Augenblick weiblich bist? Und was genau bedeutet das: weiblich sein? Ist es nicht vielmehr so, dass du eine Perspektive einnimmst, von der du glaubst, sie sei typisch weiblich? Wenn nein: wie kannst du dir da sicher sein?ZitatDas heisst aber noch lange nicht, dass Frauen und Männer nicht unterschiedlich sind, sondern nur, dass diese "Brückenmenschen" diese Unterschiede leichter überwinden können, oder sogar umgekehrt Probleme mit den Stereotypen ihrer eigenen Rollen haben.
Das lese ich wiederum so, dass den Stereotypen eine bestimmte Form von "Realität" eignet. Desweiteren gibt es Menschen, die den Stereotypen nicht entsprechen, sondern die zwischen ihnen "überbrücken". Wieso aber sind diese nicht das Muster ihres Geschlechts? Ein rein statistisches Phänomen? Könnte man nicht genauso gut sagen, dass das, was die meisten für "typisch weiblich" oder "typisch männlich" halten ein reines Diskursphänomen ist? Dass es heute (naja:fast) selbstverständlich ist, dass eine Frau Bundeskanzlerin ist, dass aber vor nicht mal hundert Jahren selbstverständlich weiblich war, dass sie nichts von der öffentlichen Sphäre versteht und deshalb auch nicht wählen darf? Auch das wurde keinesfalls für ein Problem der Bildung, sondern für eines der "Natur", des "Weiblichen" an sich gehalten.Dass Schriftsteller/innen sich ein gegengeschlechtliches Pseudonym zulegen, weil sie sonst in einem bestimmten Genre nicht reüssieren, ist ein Problem der Wahrnehmung, aber nicht der Substanz - sonst dürfte es ja auch mit Pseudonym nicht funktionieren.
Herzlich, B.
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Zitat
Original von Angelcurse
ich meinte damit, dass Unterhaltungsliteratur - wie der Name schon sagt - nur den Zweck der Unterhaltung hat. Kurzgeschichten aber sollen nicht nur unterhalten, sondern eine tiefere Aussage haben.
Das U/E-Gespenst ist einfach nicht totzukriegen!Bartlebooth
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Zitat
Original von Herr Palomar
Verlegerin Donata Kinzelbach hat sich auf Bücher aus dem Maghreb spezialisiert.
Für mich sind die Autoren und ihre Sprache wichtiger als die Spache, in der sie schreiben, sei es auf arabisch oder französisch.
Das verstehe ich jetzt nicht. Was ist denn der Unterschied zwischen ihrer Sprache und der Sprache, in der sie schreiben?
Ich wusste nicht, dass Boudjedra auch auf arabisch geschrieben hat. Häufig sind diese französischsprachigen Maghrebiner aber auch ihre eigenen Übersetzer.Herzlich, B.
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Hallo Herr Palomar,
ZitatOriginal von Herr Palomar
Sehr verdienstvoll finde ich den Donata Verlag.Donata Kinzelbach kümmert sich um arabischsprachige Literatur.
Dort gibt es hervorragende Autoren, die von den meisten Verlägen überhaupt nicht beachtet werden.Besonders gefallen vom Donata-Verlag haben mir z.B.:
Rachid Boudjedra - Die hartnäckige Schnecke
Driss Chraibi - Sündenböcke
Rachid Boudjedra - Sonnenstich
Rachid Boudjedra - Befruchtung (Gedichte)
Tahar Djaout - Die Suche nach den Gebeinen
Moloud Mammeri - Die Überfahrt
Mouloud Mammeri - Treibsandund viele andere mehr.
Nur als Anmerkung: Das sind alles keine arabisch- sondern französischsprachige Autoren. Der Unionsverlag verlegt auch sehr viele Vertreter/innen dieser maghrebinischen Literatur in französischer Sprache; hier gibt es außerdem tatsächlich viele Übersetzungen aus dem Arabischen.
Herzlich, B.
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Man kann von Max Frisch halten, was man will; immer alle Schuld dem Lehrpersonal aufzubürden, wenn einem ein Buch nicht gefällt, finde ich auch ein bisschen läppisch. Mich würde wirklich interessieren, wie in den Augen der Kritiker/innen Deutschunterricht überhaupt noch stattfinden soll. Jede/r liest, was er/sie will, und darüber gesprochen wird auch nicht (bzw. nicht "zuviel" - eine sehr aufschlussreiche Angabe)?
Ich selbst bin übrigens kein Deutschlehrer, nicht dass jemand auf falsche Gedanken kommt.
Max Frisch sagt übrigens "Pneu" für "Reifen", weil er Schweizer ist. Man darf schon auch mal polemisch sein, Ravannah, aber wenn der erste Zorn über das Buch verraucht ist, solltest du vielleicht nochmal mit etwas kühlerem Verstand über die eigene Kritik nachdenken.Herzlich, B.
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Hallo kahlan,
Schön hier den Namen Chraïbis zu lesen!
Driss Chraïbi ist einer der bekanntesten algerischen Schriftsteller. Er ist eigentlich mit ganz anderen Büchern bekannt geworden (La civilisation, ma mère...!, Le passé simple => die müsste es ziemlich sicher auch auf deutsch geben) und hat in den 90ern angefangen, die Krimireihe um Inspektor Ali zu konzipieren. Zu ihr gehören noch die Bände "Une place au soleil" sowie "L'inspecteur Ali et la C.I.A.". Der Roman "L'inspecteur Ali", den Chraïbi schon 1991 und damit vor den eigentlichen Krimis geschrieben hat, ist selbst eben kein Krimi, sondern ein Text über den fiktiven Schöpfer der "Inspektor Ali"-Krimis. Auch ein sehr lesenswertes Buch.
Herzlich, B.
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So, und jetzt gehe ich einkaufen: "Idiotentest" und "Mein Leben mit Mitsu" stehen auf der Liste!
Das nenne ich salomonisches Kaufverhalten! So haben die unterlegenen Konkurrenten auch was von deinem Sieg.
Übrigens: Herzlichen Glückwunsch, Waldfee, auch wenn ich mal wieder nicht für den Siegerbeitrag gestimmt habe, sondern für pollis "Jugend musiziert". Du weißt ja, dass mir auch dein Beitrag gut gefallen hat.
Ich freue mich auf weitere Monatshighlights aus euren Federn.
Herzlich, B.
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"Sich Gedanken um den Autor machen" ist vielleicht mißverständlich ausgedrückt. Richtig wäre: Sich die Gedanken des Autors machen.
Die Produktionsästhetik als Wiedergänger. Mal ehrlich, Tom, über die Idee des "Autobiographischen" in allen Texten kann man ja noch trefflich diskutieren (wenn ich es nicht im Sinne des guten, alten Wilhelm Dilthey als intimes Verstehen einer Person fasse, was mir aber ziemlich deutlich hinter der Formulierung "sich Gedanken über den Autor machen" zu stehen scheint), aber wie um alles in der Welt soll man sich denn "die Gedanken des Autors" machen?Völlig unstrittig ist in meinen Augen, was du vorher gesagt hast: Natürlich sind die Autoren an ihren Texten beteiligt, natürlich sieht ein Thema von einer Autorin behandelt anders aus als aus dem Blickwinkel einer anderen - aber das heißt doch nicht, dass wir wieder anfangen müssen uns im Divinieren zu üben, wenn wir lesen!
"Sich die Gedanken des Autors machen" - du gehst ein bisschen vorschnell davon aus, dass die in einem Text erkennbar sind. Manchmal ist ja selbst das behandelte Thema kaum zu erahnen.
Herzlich, B.
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Der 14-jährige Wolfgang Obermeier entdeckt in einer Psychologiezeitschrift einen Artikel darüber, dass Kinder, die ausschließlich von Frauen aufgezogen werden, angeblich einen niedrigeren IQ haben als andere. Das erklärt für ihn seine in der letzten Zeit rapide sinkenden Schulleistungen und er tapeziert mit den Kopien des Artikels das Haus, in dem er zusammen mit seiner Mutter, seiner Oma, deren Schwester, zwei Tanten und zwei Schwestern wohnt - ganz klar der Overkill für die positive Entwicklung seiner Intelligenz!
Als er dann noch ein ihn betreffendes Gespräch seiner beiden Schwestern belauscht, in dem von einem "nicht abgearbeiteten Ödipus" und einer "drohenden Homosexualität" die Rede ist, reift in Olfi der Entschluss, seinen Vater ausfindig zu machen, dessen Identität über 14 Jahre vor ihm geheim gehalten wurde.
Im Laufe seiner Recherchen lernt er im Café Muxeneder die gleichaltrige Joschi kennen, was zu einem Beziehungschaos erster Güte führt; denn durch unglückliche Umstände ist Wolfgang, genannt Olfi, mit Ulli Ullermann, genannt "die Erbswurstsuppe", verbandelt. Die Eifersüchteleien lassen nicht lange auf sich warten und als eines Tages Joschi vor Olfis Tür steht und diesem berichtet, dass sie es aus Angst vor ihrem gewalttätigen Vater nicht mehr wage, nach Hause zu gehen, und als auch Olfis Mutter, Rechstanwältin, keine Hilfe ist, da fasst Olfi den Entschluss, sein Vater müsse helfen, und macht sich gemeinsam mit Joschi auf die Suche nach ihm.Zu Christine Nöstlinger muss ich wahrscheinlich nichts sagen, sie gehört zu den weltweit erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautorinnen und hat für ihr Gesamtwerk sowohl die Hans-Christian-Andersen-Medaille als auch den Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis zuerkannt bekommen. Ihre Bücher sind vielfach prämiert und weltweite Bestseller.
Nöstlingers Erfolgsrezept ist bestechend einfach. Ihre pubertierenden Hauptfiguren sind unheimlich sympathisch und bieten großartiges Identifikationspotenzial. Nöstlinger verzichtet auf jede Form der Moralisierung. In ihren Büchern wird selbstverständlich geraucht und gekifft und die Schule geschwänzt, es findet weder eine Glorifizierung noch eine Verdammung dieser Sachverhalte statt. Nöstlingers Figuren machen sich Gedanken, sie wissen nicht alles besser.
Christine Nöstlingers Sprache ist originell, lakonisch, witzig, flapsig, mit wohldosiertem Einsatz von Schimpfworten und all das ohne anbiedernd zu wirken.Der Umgang mit den Themen, die für die Pubertät relevant sind (zB Liebe, Sexualität, Identitätssuche, Eltern-Kind-Verhältnis), ist stets unangestrengt, ohne kitschig, plakativ oder vereinfachend zu sein, die Nöte und Zwänge der Eltern werden genauso ernstgenommen wie die der Jugend. Die Figuren Nöstlingers haben Ecken und Kanten, sie machen auch mal Unsinn, sie sind feige oder ungerecht, verharren auch mal in ihrem Irrtum. Es wird nicht alles in Friede, Freude, Eierkuchen aufgelöst.
Das Thema der Gewalt gegen Kinder erscheint in "Olfi Obermeier und der Ödipus" etwas unvermittelt, wirkt dadurch jedoch nicht weniger eindrücklich. Mit zwei, drei klaren Strichen skizziert Nöstlinger das Problem und die Hindernisse, die zu seiner Lösung zu überwinden sind; da wird weder auf die Tränendrüse gedrückt, noch einen auf übermäßigen Heroismus gemacht.
Was soll ich sagen: Christine Nöstlinger ist Literatur, wie man sie sich für Kinder und Jugendliche nur wünschen kann, und auch mir, der ich erst vor kurzem aus beruflichen Gründen begonnen habe, mich mit Jugendliteratur eingehender zu beschäftigen, bereitet sie ein ungeheures Lesevergnügen!
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Der Mittdreißiger Philipp Erlach erbt das Haus seiner Großeltern. Nun wäre die Gelegenheit da, sich mit der Geschichte seiner Familie auseinanderzusetzen. Philipps Geliebte, die Meteorologin Johanna, drängt ihn auch dazu. Doch Philipp lässt einen großen Abfallcontainer vor das Haus stellen, in dem nach und nach wahllos alles verschwindet: vom Taubendreck, der sich über Jahrzehnte im kaputten Dachstuhl angesammelt hat, über die Inneneinrichtung bis hin zur persönlichen Korrespondenz seiner Großeltern.
Zwischen die Kapitel, die diese Renovierungs- und Entrümpelungsarbeiten im Jahr 2001 beschreiben, werden immer wieder Rückblenden geschoben, die aus der Sicht des Vaters, der Mutter, des Großvaters oder der Großmutter Philipps exemplarische Tage aus der Vergangenheit erzählen. So spannt das Buch ein weites Panorama von der Nazizeit bis zur Jahrtausendwende auf."Es geht uns gut" ist also ein Text über das Erinnern bzw. über die Verweigerung des Erinnerns. Außerdem ist es ein Text, der das Festhalten am Status quo thematisiert. Die Versuche, Vergangenes zu vernichten oder auszublenden, um sich so gemütlicher im Jetzt einrichten zu können, sind allerdings zum Scheitern verurteilt, sie machen die Protagonisten unglücklich und einsam.
Arno Geiger hat mit diesem Roman den erstmals vergebenen "Deutschen Buchpreis" gewonnen, das 2005 geschaffene deutschsprachige Äquivalent zum "Booker Prize". Die Prämierung wurde in der Presse zwiespältig aufgenommen, dem Text wurde vorgeworfen, in seiner Darstellung der Kriegs- und Nachkriegszeit zu brav zu bleiben. Auch ich empfand beim Lesen keine Beklemmung; auch das einigermaßen offene Ende lässt mehrere Deutungen zu, in welches Verhältnis Vergangenheit und Gegenwart denn nun gesetzt werden sollen. Insofern liegt der Roman ein wenig im Trend der in den letzten Jahren etwas einreißenden mimetischen Tendenz in den erzählenden Künsten.
Nichtsdestoweniger ist der Roman sehr solide konstruiert; das Haus als Ort der Erinnerung, erinnert so an die antike Topik, in der zwecks Memorierung im Geiste die Räume eines Hauses abgeschritten wurden. Dieses Abschreiten geschieht bei Arno Geiger nun ganz konkret und manche Türen, wie die des taubenverseuchten Dachbodens, müssen sofort wieder geschlossen werden. Die Arbeit der Entrümpelung übernehmen in diesem Fall zwei Schwarzarbeiter mit Gasmasken und Schutzanzügen.
Zum anrührendsten, was ich seit langem gelesen habe, gehören die Beschreibungen Philipps als kleinem Jungen. Schon bei ihm scheint die Fähigkeit zum schnellen Vergessen auf, die von der Mutter hier allerdings als positive Qualität aufgefasst wird.
Der Roman bietet übrigens noch eine weitere Möglichkeit des Umgangs mit Erinnerungen an als die ihres kräftezehrenden und lähmenden aktiven Ignorierens: Philipps Schwester Sissi erbt das Geld der Großeltern und nicht ihr Haus. Sie lebt zum Zeitpunkt des Todes ihrer Großmutter bereits seit Jahren in New York. Aus ihrer Perspektive wird folgerichtig auch kein Kapitel des Buches erzählt. Sie hat die Vergangenheit in einem glatten Schnitt hinter sich gelassen - die glücklichere Variante? Schwer zu sagen, die lebensbejahendere ist es wohl auf jeden Fall.
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3 Punkte: Herr Schmitt
2 Punkte: Sachen
1 Punkt: Salami Overkill
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Hallo zusammen,
Das Problem im Kinderbuch-Bereich ist tatsächlich, dass es relativ wenige der bekannten Bücher im TB gibt, was wiederum daran liegt, dass die meisten Jugendbuchverlage (im Ggs. zu den EB-Verlagen) keine eigene Taschenbuchsparte haben. Thienemann, Sauerländer/Patmos, Beltz & Gelberg, Gerstenberg, Oetinger haben meines Wissens alle keine TB-Sparte. Ich glaube, nicht mal Hanser hat eine. Der einzige Verlag mit bedeutender Kinderbuchsparte, der mir einfällt und bei dem das anders ist, ist Diogenes (was aber halt auch kein reiner Kinderbuchverlag ist).
Die HCs vieler Verlage finde ich dabei nicht so überteuert, sie liegen im Schnitt bei unter 15 Euro und das ist für ein qualitativ hochwertiges HC doch ok. Man kann das nicht mit Ländern vergleichen, in denen es gar keine HCs gibt (wie England oder Frankreich, die folglich auch dieses typisch deutsche Problem der Taschenbuchlizenzen nicht haben) und in denen außerdem die Papier- und Druckqualität mit deutschem Standard nicht zu vergleichen sind.
Carlsen verdient sich natürlich eine goldene Nase an Harry Potter und hat überhaupt kein Interesse daran, eine Lizenz an einen TB-Verlag herauszugeben. Bei älteren Büchern kommt es schon mal zu Kurzzeitlizenzierungen (etwa bei der "Unendlichen Geschichte"), aber mit einer dauerhaften TB-Lizenz würden sich viele Verlage die eigene Grundlage entziehen.
Bilderbücher sind mit 13-16 Euro mE auch nicht überteuert. Sie sind zwar dünn, aber ein Bilderbuch ist in der Produktion natürlich viel aufwendiger und teurer als ein reines Textbuch.
Fazit: Abgesehen von einzelnen Ausnahmen, zockt die Buchbranche ihre Kunden vergleichsweise wenig ab. Die Gewinnspannen bei Büchern sind in der Regel nicht zu vergleichen etwa mit denen der Musikindustrie (über die ich mich diesbezüglich viel mehr aufregen kann). Von der Buchbranche erwartet immer jede/r, dass sie in idealistischer Weise das Lesen fördert. Aber es bringt halt auch nichts, wenn Verlage an einem hehren Anspruch bankrott gehen.
Herzlich, B.
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Hallo Salonlöwin,
ich kenne diesen speziellen nicht, aber ich habe nur gute Erfahrungen mit den "lonely planet"-Reiseführern gemacht. Und er ist explizit nur über Stockholm.
Grüße, B.
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Und dann noch eine ganz zauberhafte Geschichte über einen Zirkushund, der die Liebe suchen geht.
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Ein Buch, in dem in netten kleinen Versen und witzigen Bildchen moderne Kunst erklärt wird. Nicht für die ganz, ganz Kleinen, aber mit 5 kann man das schon verstehen.
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