Als ich "klein" war, habe ich nachgemacht. Als ich anfing, Bücher zu lesen, wollte ich das auch können, Bücher schreiben.
Als in der DDR aufgewachsenes Menschenkind hatten wir nur DDR-Bücher und keine Videorekorder. Als mir einmal eine Fernsehserie suuuupertoll gefiel, hatte ich keine Wahl - ich musste jede Folge ganz intensiv schauen und hinterher aufschreiben, was darin passiert ist, und dann bis zur nächsten Folge versuchen, das Aufgeschriebene so auszuschmücken, dass es sich wie ein Buch las. Denn ich konnte die Folgen ja nicht aufnehmen, und wer konnte schon sagen, ob und wann die wiederholt würden? (Falls sich noch jemand erinnert - die Serie hieß "Das Geheimnis des Weißen Büffels" und lief um 1984 herum, und meines Wissens nach wurde sie nie wiederholt, aber das kann täuschen - immerhin hatten wir auch kein Kabel. Die - übrigens ausschließlich von Hand - niedergeschriebenen Folgen sind irgendwann mal einem Umzug zum Opfer gefallen, ich hab den Ordner nicht mehr.)
Aber sowas prägt. Danach konnte ich nicht mehr ohne "Erzählen". Immer mal wieder habe ich ein paar Jahre ausgehalten, ohne etwas "Belletristisches" zu schreiben, aber ich bin immer wieder dazu zurückgekehrt.
Und dann eines Tages packt einen eine Geschichte so sehr, dass man sie erzählen muss. Dann begreift man auch, ob man es wirklich kann. Der Gedanke an eine Veröffentlichung ist dabei völlig zweitrangig. Es ist eine Geschichte, und es sind Figuren, und die drängen sich in den Vordergrund, und sie wollen geschrieben werden. Irgendwann verdrängt man sie ein wenig, und plötzlich sind da andere, die auch eine Geschichte haben, und die auch erzählt werden wollen, und dann weiß man, es ist ein Bedürfnis geworden.
So jedenfalls war das bei mir.
Aber ehe ich da viel Geld für eine Veröffentlichung hinlege, da bleiben meine Lieblinge lieber bei mir in der Schublade. Denn sie haben ihre Geschichte ja erzählt, und ich habe sie aufgeschrieben. Aber das heißt ja nicht, dass andere sie auch lesen müssen.
Etwas, was ich aber nie verstanden habe und auch nie verstehen werde, sind die "Autobiografie-Schreiber". Wen soll das interessieren? Wer soll das lesen? Die ach so schreckliche Kindheit in der DDR hab ich selber gehabt. Die Auswandererjahre habe ich selber gehabt. Die verkorkste Ausländerehe hatte ich nicht, aber jemand aus dem engsten Familienkreis. Bücher sollen in eine andere Welt entführen, mir etwas erzählen, das ich nicht kenne, von dem ich nichts weiß. Autobiografien jedoch sind Dinge, von denen ich, sofern ich sie nicht kenne, auch nichts wissen will. Und dennoch sind es die 22jährigen Autobiografinnen aus Hinterkuckucksheim, die ihre Ambition, schreiben zu müssen, am vehementesten verteidigen. Wieso?