Beiträge von Wolfram

    Guten Abend allerseits und erst einmal vielen Dank, dass ich mal wieder "live" zuschauen darf, wie eins meiner Bücher gelesen wird.


    Mit Kommentaren halte ich mich in dieser frühen Phase natürlich noch zurück, aber es gibt ja schon eine Frage zum Umschlag.


    Schutzumschläge sind immer ein grosses Problem bei mir, weil meine Romane nicht hundertprozentig in eine Kategorie passen. Entsprechend gab es bei diesem Roman eine monatelange Diskussion, um was für einen Roman es sich eigentlich handelt: eine Liebesgeschichte, ein Universitätsroman, ein akademischer Krimi oder womöglich eine coming-of-age-story des Autors? Die wirkliche Frage im Bezug auf den Umschlag ist natürlich: als was soll das Buch verkauft werden, denn der Inhalt ist nun mal nicht in ein klares Genre zu pressen.
    Es gab fünf oder sechs Titel und dadurch mindestens dreißig Entwürfe für den Umschlag. Am Ende wurde mein ursprünglicher Titel gewählt, aber bei der graphischen Umsetzung habe ich mich rausgehalten, da dies Teil der "Verpackung" und damit nicht mein Zuständigkeitsbereich ist. Das Thema ist immer sehr heikel und wie so vieles beim Bücherschreiben ein weites Feld ... Aber ich finde, der Graphiker hat die eigentlich unmögliche Aufgabe sehr gut gelöst. Jedenfalls haben wir alle uns endlos viel Mühe gegeben.

    Hallo allerseits!


    Auch ich war durch die Buchmesse etwas mit Beschlag belegt und will mich heute mal wieder melden.


    Zunächst einmal vielen Dank für Eure Reaktionen. Natürlich freue ich mich sehr über Lob, bin aber auch immer sehr neugierig auf alles, was Schwierigkeiten bereitet und entweder nicht gelungen ist oder nicht so richtig rüberkommt.


    Tatsächlich ist der Roman schwer einzuordnen, was ja immer das Problem bei mir ist, da ich nun mal keine Genre-Romane schreibe sondern nur manche Techniken daraus benutze, um die eben etwas anspruchsvolleren Stoffe besser erlebbar zu machen. Meine Verleger und Vertreter stöhnen immer, wenn ich Ihnen meine Stoffe erzähle, denn sie passen nun mal nicht auf einen Bierdeckel und sind daher zunächst schwerer zu verkaufen als ein nach einer bestimmten Masche gestrickter Roman. Aber da ich genau solche Bücher gerne lese, will ich auch keine anderen schreiben.


    Der Roman sollte ursprünglich zwischen 1970 und 2000 spielen. Er ist also durchaus nicht "historisch" von der Anlage her. Aber wie ich schon gesagt habe, die Thematik ist zu groß, man braucht Abstand, um sie überblicken zu könne. Daher die achtzig Jahre Distanz.



    Nun zu Euren Fragen:


    Das Blut am Ende, also Alinas Tod.
    Einmal geht es darum zu zeigen, mit welcher Gewalt und Skrupellosigkeit die Nazis allen, die sie nur zu benutzen dachten, plötzlich entglitten sind. Alinas Ermordung soll durchaus wie ein Schock wirken, nicht nur auf die Familie, die plötzlich erkennt, welche Bestie sie da in ihrer Mitte herangezüchtet haben, sondern auch auf den Leser.
    Dann gibt es natürlich die Bedeutungsebene des Romans. Alina ist Leonies Wiedergängerin. Ihre Schicksale sind verbunden. Leonies "Rückkehr" erzwingt Alinas Ende, jedenfalls aus der Figur Alina heraus gedacht. Das ist freilich nur angedeutet, sonst wäre es ja plötzlich eine fantastische Geschichte, was es nicht ist. Aber Fragen der Mystik grenzen daran, deshalb habe ich ein Bild gesucht, das sowohl realistisch (Nazi-Terror) als auch allegorisch (das Schicksal erfüllt sich) lesbar ist.


    Edgar und Alina sind am Ende nicht als Liebespaar vereint. Alina folgt nicht Edgar (das geht ja aus ihrem Brief klar hervor). Sie folgt Leonie. Sie ist Leonies Wunsch. Alina lebt in einer ganz anderen Welt als Edgar. Ihre Begegnung ist nur physisch, im ganz engen Wortsinn. Edgar ist ja gar nicht zur Liebe fähig. Er ist zu Beginn der Geschichte ein seelisches Wrack. Er ist völlig leer. Alina kann nur über Sex an ihn heran. Und so lockt sie ihn in eine andere Erfahrungswelt. Das kommt bei vielen Lesern nicht gut an, weil sie das Manipulation nennen. Aber das ist eben genau die Grenze, die mich an dieser Geschichte interessiert, die Grenze zwischen Verführung und Manipulation, zwischen Anregung und Zwang, zwischen Erziehung und Konditionierung.


    Warum wollte Alina Edgar mit seiner Mutter in Kontakt bringen?
    Das will sie zunächst gar nicht. Sie weiß ja gar nicht, daß Leonie noch lebt. Sie schlittert ja auch mehr oder minder in diese Sache hinein. Sie will das alles eigentlich gar nicht machen, aber als sie Phil in Berlin besucht und sieht, wie bekümmert und hilflos er ist, da will sie sich Edgar wenigstens mal ansehen ... und dann kommt eins zum anderen. Sie hat die ganze Zeit Skrupel, deshalb ist ihr Verhalten seltsam, hin und her gerissen zwischen ihrer Wut auf Leonies Schicksal und dem Willen, das Testament dieser unglücklichen Frau, mit deren Tagebuch sie sich identifiziert, zu vollstrecken. Dann reizt sie Edgar als Mann. Er bietet ihr die Möglichkeit, eine Rolle, eine Phantasie auszuleben. Ich glaube, aufgrund all dieser Widersprüche scheint sie so unnahbar zu sein. Sie bleibt bis zum Schluß rätselhaft, wie Leonie ja eigentlich auch. Aber das kann gar nicht anders sein. Das Rätsel dieser beiden Frauen (plakativ gesagt: ihre mystische Weltsicht) kann nicht gesagt, kann nicht beschrieben werden ... man muß es selbst erleben, das kann einem niemand abnehmen, kein Buch und kein Kommentar. Man muß dort selbst hinein ... wenn man will.


    Woher wußte Leonie, dass ihr Kind von Phil war?
    Soviel man mir erzählt hat, weiß eine Frau in solch einer Situation im allgemeinen, wer der Vater ist. Spätestens nach der Geburt.


    Welchen Sinn hat der Kontakt zwischen Wilhelm und Phil?
    Das habe ich oben bereits erklärt. Das wird wohl wirklich nicht klar. Tut mir leid, ist wohl zu skizzenhaft geraten.


    Tja, ich hoffe ich habe wenigstens einige Unklarheiten beseitigt.


    Herzliche Grüße und vielen Dank auch für die vielen positiven Bemerkungen.

    Liebe Elbereth,


    sorry daß die Antwort so spät kommt, aber die Buchmesse hatte mich voll im Griff.
    Die Verlagsfrage hängt immer auch ein wenig mit der Art Buch zusammen, das man schreibt. In diesem Fall schien Piper der bessere Verlag für diese Art Roman zu sein, denn die Geschichte ist doch ein wenig anders als die anderen. Die Verlags-Entscheidung ist auch von derart vielen Faktoren abhängig, daß ich sie als Autor gar nicht alle überschauen kann und daher dem Ratschlag kompetenter Berater folge, also meistens meiner Agentur.
    Heute ist das Verhältnis zwischen Autor und Verlag auch nicht mehr so wie früher, wo es fast wie eine Ehe war. Heute gibt es auch hier die Tendenz zu Lebensabschnittspartnerschaften. In den Verlagen ändert sich ständig so viel, daß ich zum Beispiel in 10 Jahren noch bei keinem Buch den gleichen Lektor hatte. Einmal wurde sogar ein Buch an einen Verlag verkauft, und als es dann erschien, gab es den Verlag gar nicht mehr, d.h. er war in einem anderen aufgegangen und das Personal zum Teil auch nicht mehr das gleiche. Es ist also auf allen Seiten immer alles im Fluß und als Autor kann man nur versuchen, jedes Buch so zu positionieren, daß es von der größten Zahl der möglichen Leser wahrgenommen wird. Um Geld geht es da übrigens meistens gar nicht so sehr, jedenfalls nicht bei mir. Das Geld verdient man ja erst, wenn die Leser das Buch kaufen, und die sind autonom in ihrer Entscheidung.

    Zum Verhältnis Phil Manings-Wilhelm Falkenbeck:
    Das haben bereits einige Leser nachgefragt, daher hier kurz eine Erklärung, denn offenbar wird das nicht ganz klar: Manings sucht Wilhelm Falkenbeck erst auf, nachdem die Sache in Berlin gescheitert ist. Er will verhindern, daß das Falkenbeck-Geld dazu dient, Hitler zu finanzieren. Als er jedoch bei Wilhelm eintrifft, ist Edgar gerade abgereist. Die beiden müssen jetzt also erst einmal abwarten, wie die Sache sich entwickelt. Ich meine, das geht aus Alinas Erzählung in Indien eigentlich deutlich hervor, aber ich fürchte, das ist wohl in irgend einem Nebensatz untergegangen. Manings ist die ganze Zeit hin - und hergerissen bezüglich der Frage, wie er mit Edgar umgehen soll. Denn wenn er ihm seine wahre Identität nennt, dann verliert Edgar ja sein Erbe. Andererseits will er auf alle Fälle verhindern, daß das Geld dazu benutzt wird, die Nazis zu finanzieren. Dieses Dilemma lähmt ihn. Erst durch Alina nimmt die Sache eine völlig unerwartete Richtung. Sie setzt das Drama in Gang indem sie klar entscheidet: das wichtigste ist, daß Leonies Wunsch respektiert wird.

    Zur Blutleuchte usw: die Texte sind alle echt. Es handelt sich um Passagen aus esoterischen Schriften der unterschiedlichsten Sorte, die um die Jahrhundertwende erschienen sind. Das Standardwerk zu diesem Thema ist Goodrich-Clark: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch das Buch "Hitlers Wien". Eine Schlüsselfigur ist Alfred Schuler. Thomas Mann hat ihm sogar eine Erzählung gewidmet (Der Prophet). Leider konnte ich das alles nur streifen, wäre ein Roman für sich.

    Ich beginne mal mit der einfachsten Frage: auf der Buchmesse wird es am Samstag im Lesezelt von 17:00-18:00 eine Lesung von drei Autoren geben, wozu ich eingeladen bin. Ich weiß nicht, ob es einen thematischen Zusammenhang mit Indien gibt, denn ich kenne die beiden anderen Autoren nicht, aber auf jeden Fall werde ich da ein Stück lesen und vermutlich auch Gelegenheit haben, ein wenig über die Entstehung des Romans zu erzählen.


    Ich habe diesen Stoff fast zwanzig Jahre lang mit mir herumgetragen, insofern ist es also mein ältestes Buch, auch wenn es jetzt erst geschrieben wurde. Ausgangspunkt war immer die Frage nach dem freien Willen und eben jene Geschichte, die Edgar zustößt. Allerdings sollte die Geschichte immer heute spielen, d.h. irgendwann zwischen 1970 und jetzt. Und das hat einfach nie funktioniert. Ich habe es immer wieder mal versucht und bin jedes Mal stecken geblieben. Ich vermute, das Thema ist einfach zu groß für die Gegenwart. Man braucht etwas Abstand, um das ganze Panorama der Frage erfassen zu können. Erst durch die Verlagerung in die zwanziger Jahre ging plötzlich alles wie von selbst. Ich fand auf einmal so viel Material, daß ich große Mühe hatte, das alles in einem Roman unterzubringen. Aber ich wollte unbedingt beide Seiten der Medaille zeigen: die Gefahr von Esoterik und Mystik, UND die absolute Notwendigkeit von Spiritualität. Dafür bietet der Beginn des 20. Jahrhunderts eine großartige Denkschule. Die Entzauberung der Welt schlug um in ihre Verhexung. Warum ist das so? Gibt es keinen dritten Weg zwischen Aufklärung und Mystik?


    Mit dieser Frage im Kopf bin ich zwei Mal nach Indien gefahren und habe die merkwürdige Erfahrung gemacht, daß dieser Gegensatz völlig idiotisch ist. Vernunft und Spiritualität sind am Ende das Gleiche. Die Frage stellt sich erst, wenn man einen der beiden Wege einschlägt, ihn aber nicht bis zu Ende geht. Was Edgar in Madras erlebt ist ein kleiner Teil dessen, was ich in Gesprächen mit verschiedenen Indern in Bombay, Poona, Trivandrum und anderen Ashrams gehört und gelesen habe. Einmal habe ich drei Tage lang mit einem alten Mann über Moral gestritten. Sein Standpunkt war, daß Moral Unsinn ist (Kurz gesagt: niemand ist jemals schuldig). Das konnte ich natürlich nicht akzeptieren. Aber nach drei Tagen Diskussion stand ich plötzlich in der Frage ganz woanders. Bildlich gesprochen waren wir plötzlich bei der Bergpredigt angekommen, bei christlichen Ideen, aber ausgehend vom Gegenteil dessen, was man allgemein unter Christentum versteht. Das war völlig verrückt.


    Nun ja, ich könnte für jedes größere Thema im Roman solche Geschichten erzählen, aber das ergäbe wieder einen Roman. Die Vorgehensweise wird aber so hoffentlich sichtbar. Frage, Aufbruch, Auseinandersetzung und dann Gestaltung. Es sind eben viele Reisen: nach Indien, in Archive, oder wenn es sein muß auch in Sexclubs.

    :waveSchönen guten Abend allerseits - und vielen Dank für diese ersten Reaktionen. Ich wollte mich nur kurz melden, halte mich mit Reaktionen und Erklärungen jedoch erst noch einmal zurück, denn ich will mich nicht zu früh in das Lesererlebnis einmischen. Vielleicht nur so viel vorneweg: diese Geschichte behandelt die Zeit zwischen den Weltkriegen, d.h. also die Zeit des aufkommenden Faschismus und - insbesondere - die Inkubationszeit des Nationalsozialismus. Diese Zeit war unter anderem auch die Epoche der ersten großen Esoterikwelle. Diese unheimliche Doppelung hat mich interessiert.
    Ich wünsche allen eine aufregende Reise. :wave

    Liebe Eulen,


    nun ist die Leserunde ja wohl zu Ende und ich wollte mich bei allen herzlich bedanken, fürs Lesen, für die vielen interessanten Kommentare, seien sie jetzt positiv oder kritisch bzw. sogar ablehnend. Ich denke, es ist für jeden Autor eine tolle Erfahrung, so ein direktes Feedback zu bekommen. Man sollte diese Leserunden vielleicht sogar veranstalten, bevor man die letzte Überarbeitung eines Buches vornimmt, so eine Art kollektives Lektorat. Wäre sicher sehr hilfreich.
    Wie sagt Borges so schön: die einzige Möglichkeit, ein Buch abzuschließen ist, es zu veröffentlichen. Viele Bemerkung haben mich gefreut, viele haben mich nachdenklich gemacht. Dieser Roman war bisher von allen der schwierigste für mich, weil einerseits die Stofffülle enorm war und andererseits die Fremdheit dieser untergegangen Welt notwendigerweise nur sehr schwer zu kommunizieren ist. Und das Denkgebäude Immanuel Kants als dramaturgische Bombe nutzen zu wollen, war natürlich kompletter Irrsinn. Ein Romanlösung sollte eigentlich immer einfach sein, denn Lösungen sollten schnell geschehen. Das ging hier natürlich nicht. Ich habe es dennoch versucht. Kants Philosophie intellektuell nachzuvollziehen setzt ein längeres Studium voraus, das jeder aufnehmen kann. Doch mir ging es darum, die Bedeutung Kants sinnlich erfahrbar zu machen. Denn Verstehen ist immer auch ein sinnnlicher Akt. Meine Hoffnung war, dass diese sinnliche Erfahrung vielleicht den einen oder anderen reizt, die intellektuelle nachzuholen. Dies kann der Roman natürlich nicht leisten.
    Es ging mir darum, die Folgen der Kantischen Denkentscheidung sinnfällig zu machen. Ich dachte, zum Kantjahr wäre es den Versuch wert, diese Seite des Jubiläums zu beleuchten.
    Nochmals vielen Dank für Lob und Tadel, beides ist mir wichtig, denn ich sitze ja jeden Morgen vor dem weißen Blatt. Man braucht beides, um es zu füllen.


    Herzliche Grüsse


    Euer Wolfram

    ZITAT:
    Interessieren würde mich, ob die Beschreibung der Leibesgestalt in dem abgefangenen Brief authentisch ist oder vom Autor nachempfunden. Sie klingt nämlich sehr authentisch.


    Antwort:
    Ja, die Beschreibungen stammen aus Originaldokumenten aus der Zeit. Die Spitzeltätigkeit dieser Geheimgesellschaften war enorm.


    Zitat:
    Den Begriff „chymisch" kannte ich bisher nur von dem Rosenkreuzer-Buch „Die Chymiche Hochzeit". Dachte immer es heiße „verwandeln". Was sind dann aber chymische Bücher???


    Antwort:
    Einfach "chemische" Bücher.



    Zitat:
    Der Schlußsatz von Di Tassi, ist der original??
    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe.



    Antwort: Ja.




    Insgesamt schafft es der Autor blendend den Leser auf eine Zeitreise in die Vergangenheit zu entführen. ..




    Danke für die Blumen.


    Herzliche Gruesse

    Ach ja, ich bin wirklich nicht gut organisiert. Dieses Wochenende lese ich in Bad Kissingen aus dem Tango-Roman. Es kommt auch ein Tanzpaar und es wird sozusagen eine getanzte Lesung. Die Veranstaltung findet diesen Samstag irgendwo in einem der Kurhäuser von Bad Kissingen statt, Rossini-Saal, gegen 20:00 (bin jetzt wieder in Brüssel, d.h. habe meine Unterlagen nicht hier).


    Am 19.10. lese in Bruchsal, ebenfalls Tango-Roman, aber nur mit Musikbegleitung von Band.
    Und am 20.10. "Das Buch in dem die Welt verschwand" in Würzburg, soviel ich weiß in der Thalia Buchhandlung.
    Das ist alles dieses Jahr denn ich arbeite ja unter Hochdruck an einem neuen Roman.

    Zitat:
    Von „Notgeilheit" sehe ich keine Spur. Er versteht sich ja selbst nicht und kann es nur als „Heilige Lust" sehen, auch wenn andererseits Lust nicht heilig sein kann.
    Zitat Ende.


    Hier muss ich -im Namen von Magdalena- widersprechen. Selbstverständlich kann Lust etwas Heiliges sein bzw. zum Kontakt damit führen. In allen frühen Kulturen ist sinnliche Extase immer Teil religiöser Riten. Viele religiöse Riten waren früher sinnlicher-sexueller Natur und fast alle entgrenzenden Praktiken, die heute verboten oder verpönt sind (Drogen, Gruppensex) waren Jahrtausende lang fester Bestandteil von kultischen Handlungen.
    Heute hat sich das aufgespalten: Sinnlichkeits-Rituale spielen sich fast nur im Schmuddelmilieu ab, ohne jegliche spirituelle Vermittlung, rein pornographisch. Die Welt hat sich geschieden in eine völlig entsinnlichte Religiosität (die gegenwärtigen Religionen) und eine entfesselte, unterirdische Triebwelt, die keinerlei spirituelle Dimension mehr kennt oder sucht (ich empfehle einmal einen Besuch in bestimmten Berliner Clubs zwecks Anschauungsmaterial).
    Nach der Niederschrift des Romans bin ich übrigens nach Poona gefahren, weil diese Verhörprotokolle der Buttlarschen Rotte mich irgendwie an die Baghwan-Bewegung erinnert haben, die ich immer sehr merkwürdig und irgendwie lächerlich fand. Doch wie immer war mein Bild davon, vermittelt durch Zeitungen, Medien und einige schräge Diskotheken, die in den 80 er Jahren in Deutschland existierten, völlig falsch gewesen. Aber das ist jetzt schon eine ganz andere Geschichte, über die ich aber sicher auch einmal schreiben werde.

    Ich weiß nicht, ob ich mich hier einmischen darf, aber die Diskussion finde ich sehr interessant. Dass Nicolai durch diese Szene an Sympathiepunkten verliert, war mir klar. Andererseits erschien mir die ganze Situation so bezeichnend für alles Nachfolgende, dass ich entschied, das Risiko einzugehen. Letztlich geht es ja hier um eine Versuchung durch einen schwer kontrollierbaren natürlichen Trieb: den Sexualtrieb. Es gibt aber einen noch viel schwerer zu kontrollierenden Trieb: den Machttrieb, den Trieb, Gott werden zu wollen und Schicksal zu spielen. Magdalena wird später genau diese sinnbildliche Verknüpfung herstellen: alles wissen oder erforschen zu wollen (das Programm der Aufklärung) ist aus ihrer Sicht genauso obszön, wie jedem sexuellen Begehren nachzugeben. Die Versuchungen des Geistes sind nicht minder gefährlich als die der Sinne. Diese Sichtweise wollte ich irgendwie vorbereiten und dafür fand ich diese Szene sehr geeignet. In der Szene wird eine wohl jedem vertraute Empörung über ein moralisches Versagen benutzt, um ein Sinnbild für eine moralische Empörung zu finden, die uns "unreligiösen" Menschen völlig fremd geworden ist: die Ehrfurcht vor der Schöpfung etwa, in die einzugreifen für den wahrhaft religiösen Menschen Frevel ist. Für diese für uns absurde Sichtweise und ihre Verkünderin musste ich das Terrain vorbereiten und das ging natürlich nur, indem ich an dieser Stelle die Symptahie- bzw. Mitleidswaage zu ihren Gunsten ausschlagen ließ. Nun ja, ich hätte natürlich auch nicht gedacht, dass nach Filmen wie "Sprich mit ihr" oder - um in die Klassikerkiste zu greifen - der "Marquise von O- die Szene so starke Reaktionen hervorrufen würde. Ich habe versucht, Nicolai hier auch als Opfer und nicht nur als Täter darzustellen, er ist total überfordert und versagt jämmerlich. Aber hier spielt die Sensibilität des Publikums natürlich eine grosse Rolle, und die ist sehr schwer einzuschätzen.

    Liebe Eulen,


    entschuldigt bitte mein sporadischen Antworten, bin leider ziemlich im Stress hier unten.
    Also: ich habe die Gegend, wo der Roman spielt, nur in alten Reisebeschreibungen bereist, denn natuerlich findet man heute kaum noch Spuren von dieser verschwundenen Welt. Es gibt in Eutin eine wundervolle Bibliothek, wo die Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts gesammelt ist, 80.000 Monographien, Karten, Tagebuecher etc. Ich habe mehrere Tage dort verbracht und die Leute aus der Bibliothek haben mir ganz toll geholfen.


    Jetzt endlich zu den geschnittenen Talern und Vomika:
    die Antwort habe ich irgendwo in den Kommentaren schon gelesen. Das Muenzgeld bestand ja teilweise aus Edelmetall, daher war die Versuchung gross, zu manipulieren. Aber man hat wohl auch in Ermangelung von Wechselgeld Muenzen zerschnitten. Es gab so viele Waehrungen und Kursschwankungen, dass es dabei wohl drunter und drueber ging. Fuersten haben auch manchmal selber die Waehrung manipuliert, um Soeldner mit schlechtem Geld (Bleizusatz) zu bezahlen. Ein tolles Kapitel Finanzgeschichte


    Zur Vomika: der Begriff taucht in der zeitgenoessischen medizinischen Literatur im Zusammenhang mit der Heimwehkrankheit auf. Im Grunde ist es ein damals nicht erklaerbares Geschwuer. Heut wuerde es man wohl als Rippenfellentzuendung, TBC oder Krebs bezeichnen. Der Roman benutzt die Krankheit natuerlich sinnbildlich, d.h. v.a. im psychososmatischen Sinne. Merkwuerdigerweise verschwindet die Krankheit fast gleichzeitg mit dem Erscheinen des Buches, um das es geht. Daher erschien mir diese Krankheit als ideal fuer die Grundfrage des Romans: kann man an Gedanken sterben bzw. erkranken.

    Der Geheimcode stammt aus einem Buch ueber Geheimgesellschaften aus dem 18. Jahrhundert. Die ganze Geschichte der Briefspionage, also Di Tassi und seine Leute, ist in einer sechsbaendigen Dissertation ueber die Wiener Ziffernkanzlei dargestellt. Dort arbeiteten damals die besten Codierer und De-Codierer Europas.

    Liebe Heidi,
    Autogrammkarten habe ich leider noch nicht, aber wer moechte, der kann bei mir signierte Buecher bekommen. Einfach per e-mail bei mir bestellen, den Text angeben, den ich vorne hineinschreiben soll (manche Leute wollen signierte Buecher verschenken) und fertig. Ich schicke die Buecher dann per Post.