Beiträge von dbhellmann

    Sie fühlte sich von keinem ernst genommen, nicht von ihrer Familie, nicht von ihren Freunden. Keiner von uns hatte Lust darauf bzw. Verständnis dafür, dass sie so überhaupt nicht damit zurechtkam, älter zu werden. Botox, Facelifts, Liposuction, gebleichte Haare, immer einen Spiegel und einen Lippenstift in der Hand. Sie war 56. Das Ganze erschien uns lächerlich, mackig, nicht krank. Nicht einmal mein Mann ist auf die Idee gekommen, dass es krankhaft war. Genau das war es aber. Sie muß so zornig gewesen sein über den fortschreitenden Alterungsprozess, dass sie dem ein Ende gemacht hat.

    Meine Mutter konnte sich in den letzten Tagen ihres Lebens auch so gar nicht mehr aus eigener Kraft bewegen. Als der eigentliche Tod dann kam, hat sie alle Kissen aus dem Bett geworfen und sich mit nahezu geschmeidigen Bewegungen ausgerichtet: Beine gerade nebeneinander, Hände lang ausgestreckt an eine gedachte Hosennaht, Kopf nach oben, Augen auf und "beglückt" - die Frau war in ihrem Leben von nicht viel vom Hocker zu reißen; selbst eine Hotelsuite mit Blick auf die Wiener Staatsoper entlockte ihr nur ein "Ja, sehr schön, Kind!" Aber was sie in ihrem Sterben auch immer erlebt haben mag, DAS hat es gebracht. Sie war total begeistert, enthusiastisch.

    Ja, es hat inzwischen einer gewonnen, leider ich. Am 01. Januar 2009 habe ich statt Plakette eine Zwei-Pfund-Schachtel Godiva-Pralinen bekommen, auf die ich liebend gern verzichtet hätte.
    Wir hatten das typische Grauen in der Sylvesternacht, Schuss-Oper, Verkehrsunfälle, häusliche Gewalt mit Todesfolge, etc. Und dann wurde eine meiner engsten Freundinnen eingeliefert, seit dreißig Jahren glücklich verheiratete Mutter von zwei erwachsenen, wohl geratenen Kindern, die versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Ohne ein Wort. Ohne einen Abschiedsbrief. Ohne, dass es irgend einen "Anlass" dafür gegeben hätte. Und sie hat es geschafft.
    Normalerweise hätten wir in einem solchen Fall einen Kollegen geholt, aber da Sylvester war, klappte das nicht. Das war eine der schlimmsten Nächte meines bisherigen Arbeitslebens. Es wußte hinterher auch irgendwie keiner, dazu was zu sagen, und so meinte unser Chef, ich sollte mich jetzt einfach zu Hause mit der "Plakette" ins Bett legen und so viel Zucker in mich reinhauen, dass mir die Endorphine aus den Ohren kämen.

    Mit kosmischer Einwirkung und positivem Denken hat das mit dem Platz in der U-Bahn nur wenig zu tun, wenn ich meinem Mann da Glauben schenken soll. Ich habe eine Freundin, die vor Jahren immer behauptet hat, dass sie immer sofort einen Parkplatz findet, weil sie das eben mit ihren Gedanken so manipuliert. Mein Mann erklärte ihr daraufhin, die Sache sei leider viel platter:


    Von zehn Leuten, die zur gleichen Zeit in eine U-Bahn steigen, denken sieben darüber nach, was sie am Vorabend gemacht haben oder was sie über Tag vor der Brust haben: Die dümpeln also. Zwei weitere steigen ein in die Bahn und gucken sich dann um, ob da ein Sitzplatz ist. Und dann ist da die Britt. Die denkt schon vor dem Einsteigen an den Sitzplatz.
    Da es von den Augen zum Gehirn und zurück zu den Füßen ein ziemlich weiter Weg ist, erklärt sich von selbst, wer den Sitzplatz zuerst entdeckt und gezielt darauf zusteuert. Die anderen hängen dem Ganzen hinterher.

    Die Schule, die im Buch von den Drescher-Mädchen besucht wird, gibt es unter anderem Namen wirklich, und die Schulgeldbeträge hatte ich dem Eltern-Katalog entnommen, der damals gerade aktuell war. Dabei handelt es sich nicht um DAS Schulgeld in den USA, denn das ist nicht irgend eine, sondern eine Elite-Schule, und von denen gibt es in fast jeder größeren Stadt eine.


    Bevor ich jetzt weiterschreibe, möchte ich kurz darauf verweisen, dass in den amerikanischen Law & Order-Serien mehrmals Fälle verarbeitet wurden, in denen Eltern gemordet hatten, um ihre Kinder auf eine dieser Elite-Schulen zu bringen. Und bei diesen Eltern handelte es sich immer um selbst akademisch erfolgreiche Menschen mit einer guten bis sehr guten Karriere. Es waren allesamt Fälle, die auf wahren Begebenheiten beruhten.


    Wie in Deutschland gibt es auch in den USA ein öffentliches und kostenloses Schulsystem. Jedes Kind besucht die High School. Der Abschluß ist also nicht mit dem Abitur zu vergleichen, sondern eher mit einem etwas niveauvolleren Hauptschulabschluß. Damit hat der 18- bis 19jährige nichts in der Hand. Lehrberufe gibt es nicht. Wer nicht an einer Tankstelle Benzin zapfen oder in einem Supermarkt Tüten packen will, muss zum College gehen. Nun sind die USA aber auch ein riesiges Land. Jährlich stürmen Millionen von den High Schools in Richtung College, und die Colleges nehmen nur Schüler, die Einzer und Zweier vorzuweisen haben.


    Wohl dem, der in Amerika ein Kind hat, dass akademisch keinerlei Probleme hat. Dieses Kind wird in den öffentlichen Schulen gefördert und hat alle Chancen. Wohl dem, der in Amerika ein Kind hat, das körperlich oder geistig behindert ist oder an Aufmerksamkeitsdefizitstörung oder Tourette-Syndom leidet. Dieses Kind wird in den öffentlichen Schulen erst recht gefördert und hat alle Chancen.
    Die Arschkarte gezogen (ich drücke mich hier bewußt poetisch aus) hat derjenige, der in Amerika ein schulisch mittelmäßiges Kind hat, eines, das in allem zwischen zwei minus und vier plus mitkommt. Ein Schüler mit solchen Noten hat nach der High School keine Chance, in ein College zu kommen, und ohne College hat er weitgehend keinerlei Zukunftsaussichten.


    Nur was soll man tun, wenn man Kinder hat, die mittelmäßige Schüler sind? Ich weiß ein Lied davon zu singen, denn ich habe zwei Stiefsöhne, die beide nur mittelmäßige Schüler waren, und uns finanziell nahezu buchstäblich die Haare vom Kopf gefressen haben.
    Wenn man dieses Problem hat und weiß, welche Konsequenzen es haben kann und haben wird, tröstet man sich zunächst einmal eine Weile mit dem "Der ist nur faul. Der könnte das, aber der ist faul." Irgendwann muss aber jeder mal aufwachen und begreifen, dass nicht jeder Schüler einfach nur faul ist. Manche KÖNNEN das auch einfach nicht.
    Und an dieser Stelle winken in Amerika die Privatschulen. Hier zahlen die Eltern viel Geld dafür, dass ihr Kind mehr oder weniger eine individuelle akademische Ausbildung erhält. Die Unterrichtsprogramme sind derart umfangreich und werden ständig umfangreicher, dass jeder der Schüler über kurz oder lang das finden wird, worin ER/SIE wirklich gut ist. Und das wird dann munter weiter gefördert.


    Prompt mussten auch da wieder findige Köpfe aktiv werden. Es entstanden die Eliteschulen. Dabei handelt es sich um Privatschulen, die ausschließlich Kinder aufnehmen, die auch auf jeder anderen Schule mit Leistungen brillieren würden, und diese Kinder werden dann von frühester Kindheit an akademisch und auch darüber hinaus gefördert. Angeborene Intelligenz, angelernte Bildung und das Geld schaffen einen Menschen, dem alle Türen offen stehen: Harvard, Yale, Princeton, Columbia.


    Verständlicherweise wird an diesem Schulsystem viel Kritik geübt, doch trifft sie auf taube Ohren. Denn daneben gelten immer auch noch andere Erfolgsprinzipien, für die Amerika ja von jeher bekannt war. Auch heute noch kann man in einer Firma als Schreibkraft mit zwei Jahren College anfangen und sich zehn Jahre später in der Geschäftsführung wiederfinden. Doch schafft man eben auch das nur, wenn man NICHT mittelmäßig ist.

    Ich muß gestehen, dass ich durch meinen Mann zum Teil unangenehm tiefen Einblick in die Problematik bekommen habe, die mit diesem Thema "Gedanken können Berge versetzen" einhergeht.
    Es ist ja bekannt, dass in den USA alles etwas früher kommt als in Europa und auch alles etwas extremer gehandhabt wird. Hier gibt es eine Welle von philosophischen "Lehren", die sich wie Epidemien ausbreiten, und wie Epidemien ihre Opfer fordern.


    Fall 1: Vor einer Krebs-Selbsthilfegruppe berichtet Patientin A, dass ihre letzte Nachuntersuchung ohne Befund war, und alle applaudieren, denn sie ist "a winner". Weil sie ihrem Krebs gute Gedanken geschickt hat, ist er weggeblieben. Sie hat visualisiert, mit ihrem Mann in einem Altenheim zu enden, und deshalb wird das auch so kommen. Nur was ist mit Patientin B? Die hat gerade erfahren, dass jetzt Ende ist im Karton, Krebs ist in der Leber und in der Lunge, und ihre drei Kinder werden in sechs Monaten Halbwaisen sein. Was hat sie falsch gemacht? Nach der vorliegenden Lebenslehre ist ihr Schicksal allein ihre Schuld. Sie ist "a loser".


    Fall 2: Ein Ehemann und Vater von drei minderjährigen Kindern, Alleinverdiener, wird auf dem Heimweg von der Arbeit von einem betrunkenen Autofahrer getötet. Wenn wir das, was uns Gutes widerfährt, selbst bestimmen, weil kraft unserer Gedanken "anziehen" können, müssen wir, um die Theorie auch nur leidlich ernstnehmen zu können, auch die Umkehrung akzeptieren. Was sagen wir in einem solchen Fall also den Hinterbliebenen? Dass es der heimliche Wunsch ihres Vaters/Ehemannes war, just auf diese Weise zu enden? Oder sind Unfälle und Naturkatastrophen von der Heilsleere des postiven Denkens ausgenommen? Und wenn das so ist, wo liegen dann die Grenzen?


    Mein Mann erzählt mir immer, dass viele der schweren psychischen Zusammenbrüche, mit denen sie es heute zu tun haben, auf dieser Egomanie beruhen, die sich inzwischen in alle Bereiche des menschlichen Lebens vorgearbeitet hat. Es stimmt, dass ein Mensch, der selbst nicht glücklich ist, keinen anderen Menschen glücklich machen kann. Doch hat das Wissen darum in den letzten Jahren lediglich dazu geführt, dass jeder - angeblich aus Altruismus - auf der Jagd nach seinem eigenen Glück ist. Aber alle gelangen irgendwann an einen Punkt, wo Leistung, Bemühen, Beziehungen und Geld nicht mehr ausreichen, um das angestrebte Glück zu erreichen. Plötzlich ist das Schicksal im Spiel.


    Logisch, dass auch da findige Köpfe versuchen, Abhilfe zu schaffen (es läßt sich mit nichts so schnell so viel Geld verdienen in den USA wie mit einem geschickt plazierten Self-Help-Book!). Was ich will und wovon ich überzeugt bin, es zu brauchen, schicke ich mit all meiner Energie wie ein Gebet ins Universum, und voilà, mir wird gegeben. Und wenn mir nicht gegeben wird, ist an meiner Denke was verkehrt, muss ich die revidieren, korrigieren, adjustieren. Ich-meiner-mir-mich habe ALLES selbst in der Hand. Und dann kommt trotzdem ein unauffälliger, aber frustrierter Jugendlicher und schießt mich einfach tot?


    Um es abzukürzen: Wer keinen Sport treibt, läuft nicht Gefahr, eine Sportverletzung zu erleiden. Wer hofft, dass alles immer gut ausgeht, schläft besser. Es ist indes erwiesen, dass Pessimisten im Leben erfolgreicher sind als Optimisten. Keineswegs glücklicher, aber erfolgreicher, weil sich einfach den Realtiäten klarer ins Auge sehen. (Pessimisten gelten übrigens auch als mental gesünder, darf man gar nicht laut sagen.)
    Letzten Endes ist es gut, dass keiner von uns weiß und auch nicht bestimmen kann, was ihm in seinem Leben passiert. Uns allen bleibt der Moment. Den zu genießen, steht jedem von uns frei. Und wir dürfen uns sogar gefahrlos auf die Zukunft freuen, wenn wir positives Denken so praktizieren, wie es ursprünglich gemeint war: Gleichgültig, was mir blüht, irgendwie werde ich damit fertig werden. Wie ... das wird sich zeigen, wenn es soweit ist.

    Irgendwann werde ich wieder selbst ein Buch schreiben, nicht jetzt. Es ist gesellschaftspolitisch zu viel in Bewegung im Moment. Was die Ereignisse in Winnenden nur einmal mehr beweisen. "Alles wird gut!" klingt zwar nett, greift derzeit aber nicht mehr. Und solange "Alles wird gut!"-Literatur gefragt ist, nehme ich mir eine Auszeit.

    Es freut mich sehr, die Stellungnahmen zum Cover und zum Titel zu lesen, denn das Problem, das hier angesprochen wird, ist leider noch sehr viel tiefschürfender.
    Bei den Großverlagen sitzen sie und richten ihr Verlagsprogramm nach rein kommerziellen Gesichtspunkten aus. Gefragt ist zum einen, was Kontroverse auslöst. Am Besten, einer schreibt ein Buch, das BEWEIST, dass der Papst eine sexuelle Beziehung zum US-Präsidenten unterhält. Daneben zieht das Genre: der Kriminalroman, der Erfahrungsbericht, der Frauenroman.
    Bei den Krimis hat man fest unter Vertrag stehende Autoren, auf die man sich verlassen kann. Beim Erfahrungsbericht verzweifelt man allmählich, denn in der Zwischenzeit ist alles irgendwann schon mal dagewesen. Beim Frauenroman ist man überzeugt, dass die Frau nur Erfreuliches lesen will. Ihr muss also ein Konzept serviert werden, in dem sie sich selbst wiederfindet, die Protagonistin muss unüberwindlich scheinenden Problemen gegenüberstehen und selbigen aus eigener Kraft heraus mit einem Lächeln auf den Lippen trotzen.


    Wenn ein Manuskript diesen Kriterien nicht entspricht, wird zunächst der Lektor versuchen, das Problem zu richten. "Aus Liebe zu ihm" war EIN ROMAN, in dem persönliche Erfahrungen verarbeitet wurden, doch beschloss man, daraus ZWEI ERFAHRUNGSBERICHTE zu machen.
    Bei "Zeit der Freundinnen" hatte man es zwar mit einem Frauenroman zu tun, doch war er halt nicht positiv genug. Deshalb das strahlende Modell mit Hütchen auf dem Cover. Was der Lektor nicht geschafft hatte, gelang der Werbeabteilung. So paßte das Buch ins Programm, denn das Programm wird über den Vertrieb vermarktet, nicht das einzelne Buch.


    Als Autorin befinde ich mich seit "Zeit der Freundinnen" in einer Kunstpause. Momentan möchte ich nicht schreiben, - die Gründe dafür dürften nachvollziehbar sein! - bin aber unter die Übersetzer gegangen. Zumal das ein Beruf ist, den ich in grauer Vorzeit auch mal richtig anständig gelernt habe. Im Juni erscheint da mein erstes "Werk", Joseph Wambaughs Kult-Kriminalroman DIE CHORKNABEN.


    Übrigens ... selbst wenn ich das, was hier zum Cover und Klappentext von "Zeit der Freundinnen" geschrieben wurde, an meinen Verlag weiterleiten würde - was ich nicht tun werde - das brächte es nicht. Wer für die Programmplanung, Umschlaggestaltung und das Marketing verantwortlich ist, weiß alles besser. Den interessiert nicht, was der Leser denkt. Ist ja "nur" der Leser.

    Ich bin in Essen geboren und aufgewachsen. Von 1989 bis 1994 war ich von 365 Tagen 200 bis 250 auf Lesereise in deutschen Landen. Es gibt kaum einen Ort, an dem ich nicht schon irgendwann mal gelesen habe. Was Menschen immer ganz lustig finden. Wenn sie mir sagen, sie kämen aus einer kleinen Stadt in Norddeutschland namens Ganderkesee, und ich dann in die Hände klatsche und erkläre: "Habe ich auch mal gelesen!"

    Liebe Christiane Neumann,


    ich persönlich glaube nicht, dass das, was wir denken, auch passiert, weil wir es mit unseren Gedanken anziehen. Das wäre ja schrecklich. und Gott hat doch immer auch noch ein Wörtchen mitzureden. Und warum hat mein Freund Franz dann auch nicht längst den Rolls Royce, den er, seit er "The Secret" gelesen hat, immerzu visualisiert?
    Ich glaube aber, dass wir für unsere Gedanken ebenso verantwortlich sind wie für unsere Taten. Das fängt schon an mit der unterschiedlichen Einschätzung dessen, was unter Untreue zu verstehen ist. Werde ich meinem Partner erst untreu, wenn ich mit einem anderen schlafe, oder bin ich bereits untreu, wenn ich mir Sex mit dem anderen wünsche? Für mich persönlich ist Letzteres auch Untreue, nur nicht beweisbar, und es verletzt den Partner nicht so, mich selbst schon.

    Sterbende Menschen haben nach meiner Erfahrung eine nicht mehr weltliche Empfindungsfähigkeit. Sie spüren, was um sie herum geschieht, mit übersinnlichen Fähigkeiten. Ich weiß noch genau, wie das war, als ich damals, als meine Mutter starb, eines Nachts neben ihr im Hospiz im Bett darüber nachdachte, wie ich das mache mit der Todesanzeige. Was ich da reinschreibe. Von einer Autorin erwarten ja auch immer alle was. Ich klamüserte mir das im Kopf zusammen, als meine Mutter plötzlich nach meiner Hand griff und sagte: "Das mach genau so!" Ich habe sie daraufhin gefragt, ob sie gehört hätte, was ich gedacht habe, und sie guckte mich ganz verwirrt an und meinte: "Klar." Dann hat sie weitergeschlafen.

    Rückstandslos sind wir sie losgeworden. Was sie aber nicht daran hindert, es in regelmäßigen Abständen immer mal wieder über gemeinsame Bekannte zu versuchen. Es geht ihr ja jetzt psychisch besser, wie sie sagt. Deshalb hat sie verdient, dass man ihr Gelegenheit gibt, alles zu klären. Sagt sie. Übrigens hat sie unseren Jungen in ihrer ersten Lehrstunde darüber informiert, dass Prostitutierte diesen Job machen, weil sie Sex lieben, und dass keine Prostitutierte jemals unter ihrem Job leidet. Das ist sozusagen ein Traumberuf, den die Welt nur völlig verkennt ... wenn ich das den Nutten auf dem Hollywood Boulevard erzählt hätte, wären wir das Problem "Jodie" viel früher losgeworden - die Damen hätten ihr den Schädel eingeschlagen.

    Diese Frage hier hatte ich zunächst auch nicht wiederfinden können. Bei Patienten, die als Organspender in Frage kommen, kann es für die Angehörigen sehr schwierig werden, den "Tod zu erkennen". Der Patient liegt da und atmet, und obwohl er das gar nicht selbst tut, es vielmehr eine Maschine für ihn macht, sieht es aus, als würde er atmen, wie auch das Herz schlägt.


    Die schweren Verletzungen werden bei uns ebenso mit Tüchern abgedeckt wie etwaige Eingriffsfelder, falls zum Beispiel der Brustkorb des Patienten eröffnet wurde, um das offene Herz zu schocken und/oder eine Blutung zu stillen. Den Angehörigen wird zwar geraten, sich nicht anzusehen, was unter den Tüchern ist, doch liegt es immer am jeweiligen Menschen, ob der den Rat annimmt.
    Für viele, die sich dafür entscheiden zu gucken, ist es im Nachhinein hilfreich, das getan zu haben. Es macht gnadenlos deutlich, dass ein Weiterleben DAMIT nicht möglich war, und überdies zeigt es auch, dass seitens der Mediziner alles versucht wurde, den Menschen am Leben zu erhalten.

    Das ist im wirklichen Leben ausgelaufen wie im Buch. Sie wollte immer alles machen, was andere taten, denn sie war überzeugt davon, alles besser zu können. Und schneller zu lernen. Sie hat beispielsweise hier in Los Angeles erstmals in ihrem Leben eine Tennisstunde genommen und danach überall erzählt, dass sie die Absicht habe, ihr Tennis-Talent trotz ihres Alters noch voll zu nutzen und Turniere zu spielen ... ja, die in Wimbledon hätten sich da echt in Acht nehmen müssen. Wenn ihr Arm nicht so geschmerzt hätte. Dem Arm zuliebe mußte sie den Tennisschläger an den Nagel hängen, wie sie einstmals - nach Besuch des Konservatoriums - das Klavierspielen hatte aufgeben müssen ... gemeinsame Freunde haben ein Klavier. Ich hatte sie mehrmals gebeten zu spielen, doch konnte ich ihr nicht einmal den fröhlichen Landmann abringen. War einer Konzertpianistin sicher nicht würdig.

    Die Frage läßt sich, glaube ich, am besten mit einer weiteren Lästergeschichte beantworten. Eines Tages telefonierte ich mit einer Freundin in Deutschland, die am Boden zerstört war. Sie hatte gerade erfahren, dass sie Brustkrebs hatte, obwohl sie immer regelmäßig zur Vorsorge gegangen war und die letzte Untersuchung auch gerade erst wenige Wochen zurücklag.
    Während dieses Telefonats rief "Jodie" an und wollte mit mir plaudern, und ich wimmelte sie ab mit der Erklärung, dass ich mit meiner Freundin sprach, die sie aus meinen Erzählungen kannte, und dass es sich dabei um ein sehr wichtiges Gespräch handelte, das ich nicht unterbrechen wollte.


    Müßig hinzuzufügen, dass Jodie im Verlauf der nächsten drei Stunden trotzdem noch mehrere Male bei mir anrief, denn sie konnte sich nicht erklären, was ich da so lange mit jemand anderem zu bereden hatte.
    Als ich mich nach insgesamt vier Stunden bei ihr meldete, erzählte ich ihr, was passiert war, und nach den ersten paar Sätzen unterbrach sie mich und erklärte, sie müsse jetzt Schluß machen. Die nächsten drei Tage hörte ich nichts von ihr. Als ich anrief um zu fragen, ob bei ihr alles in Ordnung war, reagierte sie äußerst erbost: "Wie konntest du es wagen, mir von dem Brustkrebs dieser Frau zu erzählen, die mich doch so überhaupt nichts angeht und auch gar nicht interessiert. So etwas will ich nicht hören. Das belastet mich. So was kann ich nicht ab. Wegen meiner Geschichte. Ich finde das ungeheuerlich, dass du es wagst ..."


    Und so weiter, und so weiter ... aber zu der Zeit kannte ich die Nummer mit dem Hammer schon. Gottlob!

    Das Problem, das die Dreschers mit der Schulwahl geschaffen haben, ist in Los Angeles ein Gängiges, doch gibt es das auch in Deutschland. Ich kenne dort viele Leute, die kurz nach der Geburt ihrer ersten Kinder bewußt in die Peripherie einer hervorragenden Wohngegend gezogen sind, nur um so gerade noch die Möglichkeit zu haben, ihren Nachwuchs später in der "feinen" Schule anzumelden.
    Hier in Kalifornien sind die Gefälle freilich größer. In den staatlichen Schulen muß man gut sein, um in den Genuss einer guten Ausbildung zu kommen; es zählt ausschließlich die akademische Leistung. In den Privatschulen kann auch ein mittelmäßiger Schüler einen guten Abschluß bekommen, doch hat man es da eben durch Film-, Fernseh- und Musikindustrie oftmals mit Klassenkameraden zu tun, die schon mit zehn eine Kreditkarte haben. Da wären die Schulen gefordert, einen Riegel vorzuschieben, was sie aber nicht tun, weil sie es sich mit diesen megareichen Eltern nicht verscherzen wollen, die Hunderttausende spenden, wenn man sie bittet. Und wie mein Vater schon immer so richtig vermerkte, ist Gott ja gerecht: Er verteilt nur in den seltensten Fällen Geld UND Verstand. Viele dieser Mega-Reichen sind dermaßen dämlich, dass sie nicht einmal unter gezielter Anleitung in der Lage wären, so etwas wie moralische Werte zu entwickeln. Die finden das noch klasse, jedem zu erzählen, dass ihre Tochter eine Hose immer nur ein einziges Mal trägt und dann in die Altkleidersammlung gibt. Und in dieser Altkleider-Sammelstelle von Bel Air, Pacific Palisades und Beverly Hills wird der nächste Multimillionär geboren: Der klaubt die Versaces und Guccis und Chanels aus den Packen und verkauft sie auf eBay.

    Ich muss hier mal lästern, denn mein Mann sagt ja immer, das sei gesund: Die wirkliche "Jodie" brauchte nur einen Mann im Supermarkt zu "sehen" und plante bereits ihre Zukunft mit ihm. Es rief sie jemand an, der eine falsche Nummer gewählt hatte, und sie verwickelte ihn in ein Gespräch, in dessen Verlauf sie ihn davon zu überzeugen versuchte, dass das Schicksal ihn die Nummer hatte wählen lassen und sie sich unbedingt treffen mußten. Kaum dass sie aufgelegt hatte, rief sie mich dann an und berichtete mir von diesem Ereignis, das nun fraglos und in Bälde ihr gesamtes Leben auf immer verändern würde.
    Rief der Mann nie wieder an, hatte ich die Hölle. Dann wurden mir Monologe gehalten, wie alt und wie häßlich und wie wenig begehrenswert sie sich fühle, alles darauf ausgerichtet, ihr zu widersprechen und sie damit wieder aufzurichten.
    Fazit: Ich bin ein friedliebender Mensch, der nur schwerlich aus der Fassung zu bringen ist. Bei "Jodie" entwickelte ich Mordgelüste. Mein Mann mußte mich damals in Geheimtip 2408 für gestresste Therapeuten einweihen, den ich hiermit freudig weitergebe:

    1. Man schließe Haustiere und kleine Kinder sicher in ein Zimmer ein.
    2. Man hole sich aus dem Handwerkskasten einen Hammer.
    3. Man gehe ins Schlafzimmer und stelle sich vor das Bett.
    4. bis Erlösung eintritt: Man schlage mit dem Hammer auf die Matratze ein.
    Schlußbemerkung: Dabei darf man sich ruhig das eine oder andere vorstellen, man sollte es hinterher nur artig mit dem Therapeuten besprechen.

    Ich kenne viele solcher Geschichten und halte keinen einzigen Menschen, der etwas in der Art erlebt hat, für einen Spinner - denn dann wäre ich selbst die größte Spinnerin von allen! Ich war 13, als meine Großmutter starb. Ich wußte seit Tagen, dass sie sehr krank war, und war mit meiner Klasse im Schullandheim. Es war der 22. August, 12.40 Uhr, und es war glühheiß, als ich einen Hügel hinaufkletterte und plötzlich das Weihnachtslied "Tochter Zion, freue Dich!" singen MUSSTE. Es war das Lieblingslied meiner Oma, und ich bin ganz ergriffen stehengeblieben, habe leise vor mich hingesungen und gewußt, dass sie gestorben war. Hinterher stellte sich heraus, dass sie genau um 12.40 Uhr gestorben war.