Also ich komme mir hier langsam wie der Nachzügler einer besonders umtriebigen Reisegruppe vor, deren Mitglieder immer schon vor mir alle Sehenswürdigkeiten abgeklappert haben!
Was Bouquineurs Frage anbelangt, so entscheide ich mich ganz klar für Xue Lian!! Ich mag Giovanna, aber sie ist für mich keine Konkurrenz für Pauls Lebensgefährtin, auch wenn sie Europäerin ist. Für Paul dürfte das abgesehen von ihrer Ähnlichkeit mit Giulia keine Rolle spielen. Asien ist mittlerweile seine Heimat und er sucht einen Ruhepol, jemanden, der mit beiden Beinen im Leben steht. Giovanna dagegen ist jung und noch auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Wie soll sich Paul für eine Frau entscheiden, die sich ihn als Kompass ausgesucht hat? Wobei Giovanna sich im Laufe der Asienreise durchaus zu ihrem Vorteil verändert hat. Sie kommt langsam aus sich heraus und lernt, ganz alltägliche Dinge zu genießen und Vorurteile gegenüber der fremden Kultur abzubauen. Ihre Gefühle für Paul vertiefen sich, allerdings nehme ich ihr das nicht übel, da sie nicht bewußt gegen Xue Lian handelt, sondern einfach ihrem Herzen folgt.
Es freut mich, dass ich jetzt endlich erfahren habe, was sich damals in Rom abgespielt hat. Paul ist dem Thema ja bis jetzt ausgewichen, legt aber nun einen Teil seiner Seele bloß und erzählt Giovanna von seiner unrühmlichen Tat. Dass er sich von der Contessa hat verführen lassen, kann ich ihm nicht verdenken. Ich schätze, in der Situation hätte auch der stärkste Mann seine Probleme gehabt! Erfreulicherweise gefiel mir diese Sexszene richtig gut! Kein überflüssiges Herumgerede und weder zu deftig, noch zu weichgespült. Das Verhalten von Maria passt zu ihrer Heißblütigkeit und ihrer Tatkraft. Ihrem Lachen habe ich entnommen, dass das Hereinplatzen ihres Ehemannes im richtigen Moment geplant war, sonst hätte sie ihre Rache ja gar nicht genüsslich auskosten können. Sie hat Paul zwar benutzt, aber sie mag ihn und entschädigt ihn angemessen dafür.
Jetzt kommt mein Lieblingsthema! Paul ist also gerade mit Giovanna in Burma und hat sich, wer ahnte es nicht, in Giovanna verliebt. Anfangs hat er sich noch Xue Lians wegen mannhaft zur Wehr gesetzt, doch er ist nun mal schwach und sich seiner selbst nicht sicher. Giovanna zeigt sich im Laufe der Reise immer unbeschwerter, neugieriger und lebhafter. Sie öffnet sich den neuen Eindrücken und ist bereit, sich ihnen anzupassen. Sie zeigt also genau die Eigenschaften, die Paul an Giulia geliebt hat. Je mehr Giovanna sich verändert, desto mehr wird sie für Paul zu Giulia. Seine Verliebtheit in Giovanna ist eigentlich nichts anderes als die Verliebtheit in eine lang zurückliegende Erinnerung, denn die Giulia, die er sich in seinem Herzen bewahrt hat, gab es wahrscheinlich in dieser verklärten Form nie und sie wäre heute auch nicht mehr dieselbe. Xue Lian dagegen hat er im Hier und Jetzt gefunden und seine Liebe gilt ihren ganz reellen Vorzügen. Nun befindet er sich in einer schrecklichen Bredouillle, denn er will niemanden verletzen und weiß nicht, wie er sich entscheiden soll. Jedenfalls muss er es tun, bevor die Reise zurück zu Xue Lian führt und dafür hat er wohl nicht mehr viel Zeit. Doch der Knackpunkt ist: Xue Lian verkörpert die Zukunft, Giovanna die Vergangenheit. Und die wird Paul hinter sich lassen müssen, wenn er ein selbstbestimmtes Leben führen will! Ja, ja, der Weg zur Erleuchtung ist lang und beschwerlich!!
Was Pauls Vielweiberei betrifft, so messe ich dem nicht allzu viel Bedeutung bei. In Asien werden solche Zusammentreffen wohl anders bewertet und für Paul scheint es selbstverständlich zu sein, auf diese Art neue Kraft zu tanken und Entspannung zu finden. Er geht respektvoll mit den Frauen um und sie leisten ihm gern ihre Dienste. Beide Seiten profitieren von diesem Arrangement. Ich habe an Paul in diesem Teil viel Neues entdecken können, z.B., dass er eine sehr praktische Ader hat und das Prinzip von gegenseitigem achtungsvollem Geben und Nehmen in Bezug auf einheimische Freund- und Bekannschaften sehr schön umsetzt! Wegen Xue Lian braucht sich Paul keine Sorgen zu machen, denn sein Abenteuer in Burma spielt sich auf rein körperlicher Ebene ab und Shwe Shwe nimmt Xue Lian deshalb auch nichts Wesentliches weg. Die Nacht mit Giovanna ist da schon kritischer, aber wohl nötig, um Paul auf den richtigen Weg zu führen. Eine Frau wie Xue Lian kann auch das wegstecken! Ich habe beim Lesen übrigens versucht, die Handlung nicht von meinem westlichen Standpunkt aus zu betrachten. Damit wird man ihr wahrscheinlich nicht gerecht!
Wie schon zuvor, ist mir wieder der geschnitzte Walfischanhänger aufgefallen. Je näher Paul und Giovanna Lamalera kommen, desto stärker wird sein Einfluss auf Paul. Er ist Pauls Verbindung zu dem Ort, an dem er und Giulia am glücklichsten waren. Ich nehme an, dass er sich von dem Anhänger trennen wird, sobald er seine Entscheidung getroffen hat!
Die Beschreibung der fernöstlichen Umgebung ist wieder mal sehr gelungen und trotz der recht kurzen Aufenthalte im jeweiligen Land fühle ich mich dort nicht fremd! Und endlich findet auch die kleine Shannon Erwähnung!
_________________