Wenn ich ehrlich bin, fällt es mir gar nicht so leicht, ein abschließendes Urteil über den Roman zu fällen. Insgesamt betrachtet, scheitert die Geschichte an dem Anspruch der Autorin, neben dem Leben von drei verschiedenen Generationen auch noch viel zeitgeschichtliches Geschehen auf knapp 450 Seiten unterzubringen. Für eine Handlung dieses zeitlichen Ausmaßes ist das Buch einfach zu dünn. Die Figuren können sich auf so engem Raum gar nicht richtig entfalten und wirken dadurch blutleer und konturenlos. Ich habe einfach keinen emotionalen Zugang zu ihnen gefunden. Der erste Teil, der Pajarita gewidmet ist, war meiner Meinung nach der schwächste. Einige Informationen über ihr Gefühlsleben konnte ich mitnehmen, doch mit der Zeit wurden sie als Frau und Mutter immer weniger greifbar für mich. Eva kommt etwas besser bei mir davon, da ich mehr über sie erfahren habe. Dennoch ergaben sich meinerseits auch hier einige Verständnisfragen zu ihrem Verhalten und es bleibt vieles an der Oberfläche.
Zudem wird die wechselvolle politische Geschichte Südamerikas, an dieser Stelle insbesondere Uruguays, nur sehr oberflächlich angerissen. Da nicht alle Leser über ein dementsprechendes Vorwissen verfügen, wären oftmals erläuternde Hintergrundinformationen wichtig gewesen. Ich konnte mir das Land und die Mentalität der Bewohner deshalb immer nur ansatzweise vorstellen. Dabei hätte ich so gern mehr über diesen Teil der Welt und seine Geschichte erfahren. Ein weiteres großes Manko stellen die vielen Ungereimtheiten der Handlung dar, die den Lesefluss für mich doch erheblich störten. Etliche Handlungsfäden und Gedankengänge führen ins Leere, anstatt bei passender Gelegenheit wieder aufgenommen und zu einem für den Leser nachvollziehbaren Ende geführt zu werden. Das empfand ich als sehr verwirrend.
Allerdings muss ich der Autorin zugestehen, dass sich im letzten Drittel eine deutliche Steigerung vollzieht. Ab da war der Roman viel fesselnder und ich konnte mit den einzelnen Personen, allen voran Salomé, leichter mitfühlen. Auch wurden die Probleme der uruguayischen Bevölkerung transparenter. Wenn die Autorin sich auf das Leben von Salomé vor dem Hintergrund der kommunistischen Bewegung in Uruguay beschränkt hätte, wäre bestimmt ein richtig guter Roman dabei herausgekommen. So ist es nur ein ziemlich unstrukturiertes und bunt zusammen gewürfeltes Etwas, das eine Familiensaga sein will. Ein großes Kompliment gebührt der Autorin jedoch für ihren gekonnten Umgang mit Sprache. Die wunderschönen Bildern und außergewöhnlichen Formulierungen haben mich ziemlich beeindruckt. Das ist wahre Erzählkunst! Wenn Carolina de Robertis beim nächsten Mal die Logik weniger außer Acht lässt und sich etwas mehr Zeit für ihre Figuren und deren Entwicklung nimmt, wage ich gern einen zweiten Versuch mit ihr. Ich hoffe aber, dass es sich dabei dann um etwas anderes als einen mehrere Generationen umspannenden Frauenroman handeln wird!
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