Beiträge von tomki

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    Original von Seestern


    Ich habe das unterschiedliche Menschen- bzw. Gottesbild, in Deiner Begrifflichkeit den unterschiedlichen Gott-Mensch-Entwurf durchaus erwähnt, wenngleich nicht mit Deiner Ausführlichkeit und Eloquenz ...
    Deine Postings scheinen mir potenziell sehr bereichernd für diese Leserunde zu sein, allerdings wirken sie auf mich auch ein bisschen belehrend, ein wenig von oben herab ...
    Es ist immer ein Problem, wenn man es im Internet mit Menschen zu tun hat, die man nicht kennt, deren Äußerungen man nicht einschätzen kann, es mag also durchaus sein, dass ich Dir Unrecht tue. Jedenfalls würde es mich freuen, wenn man hier bald ein bisschen was zu Deiner Person erfahren könnte. Es würde mir helfen, die Dinge besser einzuschätzen :-)


    Edit: Falsches Quote


    Denke es geht doch nicht um Bewertungen hier oder doch: also falsches, richtiges Quote. Es soll doch etwas Spass auch dabei sein. Der alte Goethe war ja kein Kostverächter. Von oben her, da kommt ja nur der Herr her, und ich will hier nicht so jemanden erscheinen - Absicht ist es nicht, jedenfalls.



    Es geht Goethe vielleicht nicht, wie uns heute, um die Darstellung eines wie Du sagst "stabilen Charakters". Im Gegenteil: Faust ist vollkommen instabil. Er entgrenzt sich, weitet sich, dehnt sich aus - Erdgeist-Szene- um dann, in gleicher Szene eins so richtig drauf zu bekommen "Du gleichst dem Geist den Du begreifst": Verngung, zusammenziehen: wie gesagt: Das Ganze Thema heisst: Systole-Diastole = Ausdehung - Zusammenziehen.


    Darin liegt der Kern. Ob Faust sympathisch ist nicht, spielt ja keine Rolle. Beim Ostersparziergang schmieren ihm ja die schlcihten Dorfbewohner seine Arroganz schön auf`s Brötchen.


    Es ist gerade diese Instabilität die ihre ganz eigene Qualität hat. Für uns heute ist ein gefestigter, gradliniger, starker Charakter positiv besetzt. Für Goethe sind - siehe Vorspiel auf dem Theaterboden:"Ihr naht Euch wieder, ihr schwankenden Gestalten..." das unentdeckte, unerreichte, ja das unerhöhrte..also das ewig sich im gebähren befindliche, was Spannung verursacht.


    Unser Denken, unsere Sprache neigt zu Verfestigungen. Nietsche hat darüber nachgedacht und aufgeschrieben ( vgl. Nietsche Verführen des Denkens durch die Grammatik ) Goethe gibt Faust gerne jenen "Gesellen zu"..weil der Mensch sich gerne "die unbedingte Ruh" so gerne zueignet. Wir denken und grammatikieren uns Sprache und Seinsformen gerne als stabile Systeme, wie die Waschmittelwerbung: "Da weiss man was man hat" So bilden wir in uns ein, ein stabieler Charakter sei ein guter Lümmel - Goethe hat keine Reisleine, kein Netz, keinen doppelten Boden: Existenz kann auch Werther oder Unwerther sein: Es sollte immer aber nach etwas streben. Da ist eine Verfestigung, eine einmal erreichte Stabilität, und damit einhergehend: gepflegte Ordnung, mehr als hinderlich für das, was nach Goethes Auffassung bedeutend ist: Wachstum. Und sei es, dass dieses auf Teufel komm raus ermöglicht werden muss. "Die Uhr mag stehen, der Zeiger fallen, dann sei die Zeit für mich vorbei..." - Mit Stabilität, auch im Charakter, kann Goethe nichts anfangen, sein Faust auch nicht...und Herrn Mephisto wollen wir lieber gar nicht erst fragen....

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    Original von Seestern
    tomki,


    ich habe auch nicht behauptet, dass Mephisto unmotiviert ist oder handelt. Mir schien beim ersten Lesen, wohlgemerkt ohne die nachfolgenden Entwicklungen zu berücksichtigen, einfach der Stein des Anstoßes dafür zu fehlen, dass Mephisto derart verächtlich von den Menschen spricht.


    ok - Der Anstoss von Mephisto ist schlicht: Langeweile. Er brauch mal wieder frisches Blut, etwas das ihn reizt als Mephisto....bei o815 Sündern vergeht dem alten Klumppfuß halt die Lust - da kommt der Faust ihm gerade recht: Herr Ballack mag ja auch nicht in der Kreisliga Tore rein kloppen: wo ist da der Spass ?

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    Original von Seestern


    Ich denke auch, dass das Buch Hiob als Vorbild für den Prolog im Himmel diente. Die Ausgangssituation ist ähnlich, beidesmal wird der Mensch (einmal Hiob, einmal Faust) von Gott als "Knecht" bezeichnet. Doch im Gegensatz zu Hiob, der das ganze Leid von oben auferlegt bekommt, um seine Gottestreue auch in Zeiten tiefster Not zu testen, lässt sich Faust aus freien Stücken mit Mephisto ein. Und anders als Hiob, der Gott trotz allem treu ergeben ist, verneint Faust mehrmals seinen Glauben (z.B. "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube").
    Es ist ein anderes Menschen- und auch Gottesbild, das in den beiden Texten zum Ausdruck kommt.



    Naja, wenn Du selber schon auf die Unterschiede eingegangen bist, kann ja klar sein, dass hier Äpfel und Birnen zusammen kommen. Das Buch HIOB entstammt der alten judäischen Erzähltradition, in Gleichniserzählungen die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk, was dieser erwartet, was man zu geben hat usw. darlegt.
    Schön ist hier der Bezug auf das Buch HIOB aber dann trotzdem, weil es genau den fundamentalen Unterschied aufzeigt, den Goethe verfolgt - in Unterscheidung zu anderen Gott-Mensch-Entwürfen:


    HIOB wird geprüft, bis auf die Knochen. Geprüft wird sein Gottergebenheit, seine bedingungslose Unterwerfung unter den, auch völlig irren, nie verstehbaren Willen dieses Gottes. Dieses Gottesbild des nie ergründbaren Giottes, der auch Leid und Prüfungen auferlegt ist ebenfalls tiefste jüdische Tradition.


    Goethe hat mit dererlei Gottergebenheiten nichts am Hut. Goethe vetritt ein Gottesbild, das einen sehr interlektuellen Gott zeigt. Nicht eben jenem, der von morgens bis abends mit den 10 Geboten dasteht und seine Engelschar Listen und Kreuzchen machen lässt obwohl heute Gustav Fanz oder Lotte Baumeister wenigsten 6 von 10 Punkten in Befolgung der Gebote eingefahren hat. Wer dann Tagessieger wird gewinnt die Kaffeemaschiene oder darf Himmelstor 3 aufmachen. Goethe hat einen intelligenten Gott im Kopf: Der lässt den Menschen nah an sich heran - nicht auf Distanz. Er lässt den Faust sich entgrenzen, nach den Sternen greifen..lässt den Faust an sein eigenes interlektuelles Ende geraten ("Und sehe, das wir nichts wissen können...") und daran verzweifeln ("..das will mir schier das Herz verbrennen...") Dieser Gottesentwurf zeigt die Bestimmung des Menschen als Ebenebildlichkeit des Schöpfers. Der Mephisto hat hier auch keineswegs die Aufgabe den Faust fies zu piesacken - im Gegenteil, das liest sich doch recht errektiv: in Teufelsküche kommen, Verjüngungskur, als Jüngling dreimal geliftet auf die Weibchen gelassen...... Klingt irgendwie nicht ...Strafe....Leid...Verlust von....In Warheit ist Mephisto Diener der Liebe - eines liebevollen Umgangs des Schöpfers mit seinem Geschöpf: Er lässt ihn ins Scheitern führen und damit aber auch zur Erkenntis: Das Dunkel, mephistolische Verfügungsprogramm hat am Ende nichts zu bieten ausser Trostlosigkeit und Langeweile......wie so manche Verrohungskost aus Literatur, Kino und Vera am Mittag.....Naja...vielleicht hat dann das Buch HIOB dann doch etwas mit Faust und unserem Alltag zu tun....

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    Original von kamelin
    Ich finde es auch vor dem Hintergrund der Dichte vieler Texte schwierig. Da steckt einfach so viel drin - aber wo anfangen, wie beschreiben oder werten?
    Ich müsste im Grunde jede Passage erwähnen, weil man eigentlich nichts auslassen sollte. Aber das ist dann doch etwas überfordernd.
    Na ja, aber wie gesagt, Versuch macht kluch ... .o)



    Das ist ja ein zentrales Problem der gymnasialen Verbildung: Da wird Stoff, falls überhaupt noch, durchgekleckert, ohne den Geschmack daran zu vermitteln.


    Der Einstieg ist doch eigentlich ganz leicht: Himmel und Hölle, Gut gegen Böse - aber ach: Da hat doch der Herr Goethe schon vor einigen Jährchen mehr drauf gehabt als aktuelle Vampirbeißerchenromanzen im Zwielicht: Faust ist nicht die Geschichte Gut gegen Böse, sondern Systole und Diastole. Faust will sich ausdehnen, über sich hinaus. Ihm ist klar: Das hier ist nicht Alles. Er will sich ausdehnen ins Universelle, will TEILHABE am tatsächlich GROßEN und GANZEN. Nur und nur deshalb KENNT ihn sein HERR. Nur und nur deshalb nennt er Faust, nicht etwa seinen Blödmann, sondern: "mein Knecht". Mephisto ist die Verengung. Sagt der Herr "Mein Knecht", son versteht Mephisto nur Bahnhof: "Fürwahr, der dient euch auf besondere Weise, nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise...." Aber gerade da liegt ja der Mephisto im Pfeffer: gerade weil nicht irdisch, sondern überirdisch Faust expandieren will, ist er Gottes Mann, sein Knecht.


    Was wir heute als alberne Kitschpoesie über Menschen mit blassem Hauttyp, deren langweiliges Leben ( immer neue Blutreserven anbohren...für i m m e r und wegi !) ein nie enden wollenden Schmerz von Teenagerromantik zur Darstellung kommt, muss einem Goethe wie Hohn daher kommen. Ihm ging es um Substantielles: Der Mensch, der über sich hinaus, die eigene Menschhülle, die eigene Menschidee will, seinem eigenen metaphysichen Dasein verpflichtet sich fühlt, als Erdling sich ausdehnen versucht, wird vom Teufel selbst in die Verengung und damit in die geistige Ödnis versucht immer wieder zurück zu werfen. Der Kampf ist nicht blöd gegen dumm, oder gut gegen blösse, sondern Ausdehnung gegen Verengung. Mephisto zieht seinen Faust immer wieder in den Staub, wie eine Schlange, wie er das auch selbst sagt: Staub soll er fressen...wie ..meine Schlange": Naja..und wie macht der alte Höllenhudn das....Nun ja: Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach: Auftritt Margarete - nicht Schweinemakers, sondern Gretchen...der Rest..ist....Geschichte.....Wenn uns das heute nichts zu erzählen hat.......dann haben wir nichts mehr zu erzählen.



    UNMOTIVIERT ist der Herr Mephisto keineswegs ! So oft, wie Du ihn schon aus den wenigen Zeilen zitiert hast, kann das schon sprachlich nicht hinhauen mit unmotiviertem Auftreten. Mephisto ist bis in die Fingerkralle seines Klumpffußes motiviert, hat er doch, vermeintlich allerdings nur, eine äußerst attraktive WETTE mit dem Herrn ans Laufen gerbacht: "Was wettet ihr, DEN SOLLT IHR NOCH VERLIEREN..." - Wenn das nicht eine höllische Motivation ist - gerade auch, weil ihn die Menschlein in ihren Jammertagen dauern und er diese 0815 Geschöpfe nimmer plagen will. Faust, Doktor Faust, seines Zeichens voller Gährung die ihn in eine Ferne treibt: ein Festessen. Diesen aufgeblähten Möchtegern Gott-Ebenbildlichen, der aber nun ach Philosophie und die Ganze Welt durchaus studiert hat, mit heißem Behühen, der beständig zwischen Größenwahn und Altersdepression hin und her schwingt, umgeben von nicht einem Gleichen, den allerdings der Erdgeist in die Schranken schickt ("Du gleichst dem Geist, den Du begreifgst..nicht mir.") - also diesen eitlen Genossen seiner Zeit, `in seiner Straße sacht zu führen´, mit der Aussicht "Staub soll er fressen, wie meine Mumie, die alte Schlange....´ , das herausragende Geschöpf, den Gott selber kennt (" meinen Knecht" ) in die Hölle zu reißen - wem juckt es da nicht in den Fingern ? - als Mephisto, natürlich. Das Unzulängliche des Menschen ist ja gerade die eigentliche mephistolische Spielwiese...nur ödet Herrn Mephisto jener Durchschnittsmensch an, der kriechend in den eigenen Eingeweiden keine Hertausforderung bietet, jemanden der doch ein hübsches Arsenal an Verführungskünsten drauf hat - und...wen erinnert es nicht an "Im Auftrag des Teufels": "Eitelkeit ist meine Lieblingssünde..." Vielmehr haben sich also nun zwei Gegenspieler gefunden, die, ohne es zu wissen, beides Knechte des einen Herrn sind, die er nun aber ein wenig mit sich und dem Leben, auf gleicher Augenhöhe spielen lässt - denn auch so ein von der eigenen Engelschar hochgelobter Herr im Himmel liebt sich doch auch mal gerne ein bisschen abwechslungsreiche, intelligente Unterhaltung. Also: Das Spiel möge beginnen.....