Mühsam ernährt sich das lippische Eichhörnchen ...
Ein neues Haus für die Familie, aber die Probleme bleiben nicht nur, sie scheinen sich zu steigern. Georginas Verhalten stärkt in mir eigentlich den Verdacht, sie habe irgendeine Beziehung bzw. Bindung an die Orang Laut. Aber „niedlich“ ist doch ihre Eifersüchtelei. Seltsames Mädchen- sie träumt von einem anderen, aber bitte, eine Nebenbuhlerin sollte es dann doch nicht geben (nicht, dass das einmalig wäre, man hörte schon dergleichen). Die finanziellen Probleme, von denen Paul berichtet, lassen natürlich sofort die Gedanken an Raharjos Drohung schweifen. Aber ob es so „einfach“ ist?
Manchmal verliere ich ein wenig aus dem Blick, wie alt bzw. jung sie ist. 26 also, jung genug für alle Schandtaten.
Raharjo ist mir manchmal allzu komplex, ich habe hin und wieder Mühe, ihn zu verstehen … und will es wenigstens im Moment auch gar nicht. Aber: Sein Vorschlag, seine Wortwahl auf Seite 256 sind genau das, was ich von ihm erwartet hatte … und trotzdem werde ich ihm beides nicht so rasch verzeihen, wie immer Georgina das auch sieht. Ihre Antwort, sie würde es für ihre Kinder und die Firma ihres Vaters tun, überzeugt mich nicht ganz. Mich irritiert, dass sie Vorschlag und Wortwahl erst einmal so hingenommen hat, selbst wenn ich Zeit und Ort und ihre schwächere Position berücksichtige.
Wenigstens sagt sie ihm (noch?) nicht, dass einer der Söhne sein Kind ist. Ab und an zeigt sie wirklich einen Anflug von Vernunft (wenn es um Raharjo geht). Pardon. Aber das musste einfach mal gesagt sein.
Bei der einen oder anderen kleinen Szene habe ich den Eindruck, sie versucht, mit Raharjo zu „spielen“, beispielsweise wenn sie diese … Bezahlung als einmalig hinzustellen versucht (vielleicht ist es aber auch „nur“ ein Versuch, etwas von der Schärfe, dem fast schon gewalttätigen Potential aus der Beziehung zu nehmen). Sie wird doch wohl nicht allen Ernstes geglaubt haben, dass Raharjo es dabei belassen würde .. und wohl auch nicht gehofft, so wie ich sie einschätze.
Der Orang Laut schafft es jedenfalls spielend, sie aus ihren Träumen herauszureißen, seine Beleidigungen (Seite 268) geben zwar in einem Fall die Tatsache wieder, im anderen Fall nur seine Vorstellung, aber sagt man so etwas der Frau, die man zu seiner Geliebten gemacht hat? Doch wohl nur, wenn man sich ihrer allzu sicher ist, wenn es kein Miteinander geben soll, sondern nur ein Beherrschen. Die Worte, die diese Beziehung kennzeichnen, werden deutlich genug genannt: Seite 267 „Lust und Begierde“, Seite 271 „Leidenschaft“. Und sonst, was ist da sonst noch? Im vorigen Abschnitt habe ich diese Beziehung etwas Seltsames, etwas nicht Erklärbares genannt, hatte einen anderen Begriff dafür gestrichen: Manie. Georginas Verhalten gegenüber ihrer Familie spricht fast dafür (Seite 274).
Paul weiß anscheinend Bescheid. Und wohl nicht nur er, eine Beziehung zu einem Mann wie Raharjo lässt sich auf Dauer nicht verheimlichen (entweder ich habe es nicht bemerkt oder es wird nicht erwähnt, dass dieser sich sonderlich um Geheimhaltung bemüht, aber ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass er es tun würde, ganz im Gegenteil). Nun wird es interessant, oder brenzlig, je nachdem. Es geht schließlich ums Geschäft und Raharjo ist wohl auch für Paul erkennbar nicht jemand, mit dem man sich anlegt, will man als Händler überleben und gut überleben. Der arme Paul. Die Geschichte ist nicht zu Ende, auch wenn er sie fortschickt, daran glaube ich keine Minute, und das nicht nur, weil noch etliche Seiten bis Romanende zu lesen sind. Sein Anwurf „Was bist du nur für eine Mutter“ erscheint mir eine allzu berechtigte Frage zu sein, die mir im Übrigen auch schon hin und wieder in den Sinn kam, spätestens, als sie sich einbildet, sie könne mit den Kindern zu Raharjo gehen. Hat sie überhaupt kein Gefühl dafür, was sie David damit auf Dauer antun würde (auch wenn das Abenteuer natürlich erst mal lockt – und was ist im Übrigen mit der Liebe der Kinder zu Paul)? Ihre Leidenschaft für Raharjo scheint mir ihren Sinn für Relationen und Realitäten ein wenig zu trüben. Es geht nicht nur um sie. Aber mehr als ihre Emotionen, ihre Wünsche und Träume nimmt sie ja fast nicht mehr war, der Realität ins Auge zu blicken scheint nicht mehr nur nicht wünschenswert, sondern vielleicht ab einem Punkt auch nicht mehr möglich.
Pauls Bestreben, „Georgina vor dem Wahnsinn zu bewahren“ (Seite 285) ist vielleicht das, worum es geht. Er ist das erdverbundene Gegenmittel zu einer Macht, die diesen Wahnsinn ausgelöst hat, wer immer sie auch sei. Ich sagte es schon einmal, Liebe ist das für mich nicht. Da ist etwas, was die Menschen nicht „erhebt“, sondern sie zerstören will. Ich empfinde diese Beziehung nach wie vor als beängstigend.
Irritierend ist auch, dass nicht nur Raharjo alleine in ihr malaiisches Blut sah. Eigentlich sollte man denken, dass diese Leute einen Blick dafür haben, wer zu ihnen gehört und wer nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass doch einiges davon abhing, jemand „zu erkennen“, zu wissen, zu welcher Volksgruppe er gehört. Hin und wieder schleicht mir die Frage durch meine Gedanke, ob ihr Vater auch ihr leiblicher Vater ist? Oder ob es da eine vergleichbare Konstellation wie bei Paul und Georgina gab.
Leelavati handelt. Weil sie nicht anders kann, weil sie sich nicht mehr zu helfen weiß. Ihre Liebe zu Raharjo … Entschuldigung, aber ich finde nicht, dass er sie – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – auch nur ansatzweise verdient. Auch wenn das, was sie tut, nicht richtig ist, es hätte ihrem Mann vieles erklärt, auch wenn es die Situation zwischen den verschiedenen Paarkonstellationen verschärft hätte. Aber besser wird es jetzt wohl auch nicht.
Ich glaube, dass Du, liebe Nicole, gespürt hast, wie wenig liebenswert Raharjo auf die Leserinnen und Leser wirken wird, nun bekommt er Gelegenheit, eine Seite zu zeigen, von der ich nicht vermutet habe, dass sie vorhanden sein würde, schon gar nicht, wenn ich berücksichtige, wie er seine eigenen Kinder behandelt. Die Beschreibungen des Kinder-Elends ab Seite 292, besonders 295 lassen mir wieder die Kehle eng werden. Nichts, was ich nicht weiß, wird dort beschrieben, aber sehr eindrücklich, es kommt mir zu nah. Raharjo bemüht sich um eines der Mädchen, es will nicht reden, scheint aber – instinktiv? Das ließe vielen Gedanken Raum – Vertrauen zu ihm zu fassen. Einerseits schön zu lesen, was und wie es sein könnte, sein Verhalten zu den Kindern, andererseits verstörend, weil es nur (wenigstens bisher) diesem Kind gilt. Aber sie wird wohl noch eine gewichtige Rolle zu spielen haben, so ausführlich, wie das alles geschildert ist ...