Beiträge von Lipperin

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    Über das Buch:
    DDR 1982/1983: Auch in Ostberlin, Leipzig und Dresden gibt es eine Jeans und Parka tragende Generation, die aufbegehrt. Zu ihr gehört der siebzehnjährige Schüler Stefan Berg, der dem bekannten Autor Günter de Bruyn einen Brief schreibt, in dem er ihm für einen mutigen Vortrag zur Friedensbewegung dankt. In der Folge entwickelt sich ein freundschaftlicher Briefwechsel, in dem es um Literatur und Politik, vor allem aber um ein zentrales Thema geht: das Leben des jungen Wehrpflichtigen Stefan Berg als sogenannter Bausoldat. Ein bewegendes Dokument, das die Sehnsucht nach Freiheit – nur wenige Jahre vor dem Mauerfall – für heutige Leser spürbar und erlebbar macht.


    Die Briefeschreiber:
    Stefan Berg, geboren 1964 in Berlin (Ost). Nach seinem Abitur wurde er 1982 Bausodalt. Seit 1986 war er Redakteur bei verschiedenen kirchlichen Zeitungen, wechselte 1991 zum „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ und schreibt seit 1996 für den „Spiegel“. Berührend und aus meiner Sicht sehr empfehlenswert ist seine autobiografische Erzählung „Zitterpartie“, erschienen 2011.


    Günter de Bruyn, geboren 1926 in Berlin. Freier Schriftsteller, vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Heinrich-Bölle-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Johann-Heinrich-Merck-Preis. Verfasser zahlreicher Romane wie „Buridans Esel“ oder „Neue Herrlichkeit“, autobiografischer Bücher wie „Zwischenbilanz“ und „Vierzig Jahre“ und anderer wunderbarer Bücher wie „Kossenblatt“ oder „Als Poesie gut“. Ich wüsste von keinem Buch Günter de Bruyns, von dem abzuraten wäre.



    Meine Meinung:
    Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, insgesamt 143 Seiten. Es beinhaltet ein Vorwort von Stefan Berg, den Briefwechsel mit eingeschobenen Dokumenten, unter anderem der Staatssicherheit, abgeschlossen wird der Band durch ein Nachwort von Günter de Bruyn.


    Bausoldat – was ist das eigentlich? Wehrdienstverweigerung war im Westen nichts Neues, im Osten dagegen Straftat. Zivildienst war in der DDR nicht vorgesehen, obwohl ein Ersatzdienst, ein sozialer Friedensdienst von vielen gewünscht und gefordert wurde. Wer nicht den Dienst an der Waffe leisten wollte, wurde Bausoldat. Trug Uniform, hatte Befehle auszuführen, war eingezogen, in Kasernen (und Zelten) untergebracht, war Soldat, nur einer ohne Gewehr und Panzer, dafür mit Schaufel und Axt. Kontakt zu den „richtigen“ Soldaten (denen mit einer Waffe) war streng untersagt.


    1981/1982 war auch Stefan Berg in der Situation, sich entscheiden zu müssen. Er wusste, dass er auf den sozialen Friedensdienst nicht warten konnte, die Aussicht auf zwei Jahre Haft, die für die Verweigerung des Wehrdienstes obligatorisch waren, schreckte viele, so auch ihn. Was er anscheinend nicht wusste – und darin liegt für mich eine gewisse Tragik -, war, dass ab Anfang der 80er Jahre Wehrdienstvollverweigerer nur noch selten inhaftiert wurden (Quelle: Amet Bick, 1989 – Fünf Männer, ein Jahr, Wichern Verlag 2014).


    Woher hatte er eigentlich das Vertrauen? Vorsicht war doch angesagt, er wusste, seine Briefe wurden von der Staatssicherheit überwacht, aufgefallen war schon der Schüler Stefan Berg, er wusste, dass und welche Folgen auf ihn warteten, würde er seine Meinung zu deutlich äußern. Und trotzdem war er von einer bemerkenswerten Ehrlichkeit, machte, wie man so schön sagt, auch in seinen Briefen auf seinem Herzen keine Mördergrube, schrieb, was er schreiben wollte, auch an Günter de Bruyn. Der hatte in seiner Rede im Dezember 1981 bei der „Berliner Begegnung zur Friedensförderung“ deutliche Worte gesprochen, hatte Worte in den Raum gestellt, den es in der DDR dafür eigentlich gar nicht gab: „sozialer Friedensdienst“ etwa oder gar „Untergrund“. Auch westliche Schriftsteller nahmen an dieser „Begegnung“ teil, auch westliche Presse war zugelassen, die – natürlich – in aller Breite und Ausführlichkeit von den Reden nicht nur berichtete, sondern DDR-Bürgern Gelegenheit gab, sie im Wortlaut zur Kenntnis zu nehmen.


    Stefan Berg hielt sich nicht zurück mit seiner Meinung, mit seinen 17, 18 Jahren war er bemerkenswert treffsicher in seiner Wortwahl. Er hat ein Vertrauen in den von ihm angesprochenen Schriftsteller, das einerseits wohltuend ist, andererseits mich noch mehr als 30 Jahre nach dem Verfassen der Briefe um ihn hatte bangen lassen. Wie sicher er sich doch war! Es sind Briefe, zu denen mir hauptsächlich zwei Worte in den Sinn kommen: ehrlich und unverstellt. Ohne jegliche Scheu berichtet er von seinen Gewissenskonflikten, von seinem Ringen um das, was er tun soll, aber auch von den unwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten, die er als Bausoldat zu ertragen hatte, von den Schikanen, von den kleinen Freuden, von seinen Versuchen, den Gegebenheiten etwas abzutrotzen, Literaturabende beispielsweise, vielleicht sogar auf eine Besserung der Verhältnisse hinarbeiten und hoffen zu dürfen.


    Günter de Bruyn ist naturgemäß vorsichtiger. „Bleiben Sie doch hier, solange es nur geht! Mir geht’s doch ähnlich, seit Jahren und Jahren.“ (Seite 54) – er überredet nicht, aber er zeigt Möglichkeiten auf. Sich einzurichten in den kleinen, sich zu schaffenden Freiräumen, in einem stillen Widerstand, zu dem auch beispielsweise gehörte, das Gedicht „Sergeant Waurich“ von Erich Kästner oder nicht ganz so liebsame Bücher einem Bausoldaten zu schicken (de Bruyn an Berg) oder mit einem Wolf Biermann-Gedicht oder Erich Fried-Vers zu antworten (Berg an de Bruyn). Er vermittelt dem jungen Mann glaubwürdig, ihm zuzuhören, wirklich zuzuhören, für ihn da zu sein in seinen Möglichkeiten, er gibt Hinweise, die in der damaligen Situation wertvoll gewesen sind. Er ist für Stefan Berg, so war mein Eindruck, neben dem verehrten Schriftsteller auch eine Art „Kummerkasten“, eine Art „Klagemauer“, ein Hoffnungspunkt, bei dem er seine Worte gut aufgehoben wusste, von dem er aber auch – so glaube ich zumindest – wusste, dass ein einzelner Intellektueller, und sei er noch so angesehen, keine Veränderungen bewirken konnte. Im Kleinen zu wirken, Mut zu machen, Tür, Ohr und Herz nicht zu verschließen vor Ängsten, Kummer, Not, so lese ich es heraus, war die Erwartungshaltung an Günter de Bruyn. Vielleicht nicht nur von Stefan Berg, vielleicht nicht nur in Bezug auf Günter de Bruyn.


    In den Text eingebunden sind an den betreffenden „Stellen“ Dokumente der Staatssicherheit und der beim Militär mit Stefan Berg befassten Stellen. Es sind traurige Dokumente der Überwachung und Einschätzung der Persönlichkeit und des Charakters der überwachten Person, die etwas von den Mitteln aufzeigen, mit denen gearbeitet wurde, sie zeugen aber auch von der Paranoia, in allem und jedem Feindliches zu sehen. Mir blieb das Lachen im Halse stecken, als ich von den Fragen eins Majors bei der Volksmarine las (Seite 92), welche Rolle denn zum Beispiel ein gewisser Günter de Bruyn im Schriftstellerverband spiele, oder von dem Bemühen eines Gefreiten, herauszubekommen, wer den eigentlich dieser Rainer Maria Rilke sei. Es sind Dokumente, die zu lesen fast hilflos machen und damit den Gedanken nicht mehr loslassen, wie hilflos sich erst die Überwachten gefühlt haben müssen.


    Eine Empfehlung also?: „Ist wohl eines der schönsten Erlebnisse: ein Buch nicht mehr aus der Hand legen wollen!!“ (Seite 130), so schreibt Stefan Berg an Günter de Bruyn – und mehr ist zu diesem Buch von meiner Seite aus eigentlich nicht zu sagen.


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    Zitat

    Original von Voltaire
    Wie jede Buchvorstellung von dir - so hört sich auch diese Buchvorstellung wieder hochinteressant an. Nur! Wann soll das alles gelesen werden? :gruebel :gruebel


    Ganz herzlichen Dank für deinen Beitrag. :wave


    Danke!
    Letzten Monat hatte ich so wunderbar interessante Bücher, wenn ich Zeit finde, wollte ich noch das eine oder andere vorstellen. Soll ich mich lieber zurückhalten?

    Über das Buch:
    Shalom Nagar erzählt um sein Leben. Er wiederholt sich, widerspricht sich, seine Geschichten haben Löcher, durch die passt eine ganze Faust. Doch das spielt keine Rolle. Darum geht es nicht. Um Adolf Eichmann geht es hier, immer wieder um Eichmann. Shalom, sein Henker wider Willen, muss Blut vergießen, um Eichmanns Blut abzuwaschen, er muss von ihm erzählen, um seinen Fluch zu übertonen. Nur so übersteht er die Nacht des 31. Mai 1962, in der Eichmann gerichtet wurde und die für Shalom nicht enden will.
    Moshe und Ben hören ihm zu, am Feuer auf dem staubigen Rastplatz hinter den Schafställen. Trinken Tee und teilen Birnen mit ihrem kauzigen und zutiefst berührenden Freund, lauschen seinen Geschichten. Doch dann beginnt Moshe zu schreiben, schreibt um sein Leben, wie Nagar um seines erzählt. Zwei ganz unterschiedliche Stimmen erheben sich, jede auf ihre Weise, in ihrer Tonlage, ringen miteinander, ringen um Frieden, endlich.



    Die Autoren:
    Astrid Dehe und Achim Engstler bilden seit 2008 ein Autorenteam. Sie lebt und arbeitet in Münster, er lebt und arbeitet in Friesland.



    Meine Meinung:
    Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, insgesamt 239 Seiten Romantext.
    Erwähnt sei, dass die zitierten und auf einer Schreibmaschine geschriebenen Texte Moshes auch im Schriftbild so daherkommen, sich also von der Roman“handlung“ deutlich sichtbar abheben.
    Erwähnt sei außerdem, dass der erste Absatz zur oben stehenden "Inhaltsangabe" von Moshe stammt, der zweite von dem, der für diese "Inhaltsangabe" verantwortlich ist.


    „Ich will euch eine Geschichte erzählen“, so steht es da, wiederholt sich, sagt er wieder und wieder, der Shalom Nagar. Er erzählt immer dieselbe Geschichte und doch immer eine andere. Gleich sind nur zwei Dinge: Shalom erzählt und er erzählt von Eichmann. Von seinem Eichmann. Den, den er zu bewachen hatte, damals, in Israel, als man ihm den Prozess machte. Den, dessen Henker er wurde. Und von dem, dessen Blut über ihn kam, was – ganz prosaisch – passieren kann, wenn es nicht so glatt läuft wie in den Handbüchern erläutert bei dieser Prozedur. Und von dem er glaubt, er werde sein letztes Opfer.


    „Alle Stimmen will ich reden lassen“ (Seite 87) sagt Moshe und schreibt. Schreibt und schreibt ab, wie er es formuliert, schreibt, was er hört, was er weiß, was er ahnt. Schreibt, um die Alpträume zu bannen. Schreibt, um zu verstehen. Weiß, dass beide nicht gelingen kann.


    Wenn einer erzählt und einer schreibt, muss da nicht einer sein, der zuhört, der liest? Ja. Ben. Zuständig fürs Hören. Und für die richtigen Fragen. Und für das Schweigen. Für die Vorwürfe. Und dafür, dass ein Rollstuhl dahin kommt, wohin Geschichten erzählt werden.


    Ein wenig kryptisch klingt das alles? Man könnte auch sagen: Drei Männer, drei Kapitel, der eine erzählt, der andere schreibt, der dritte hört zu und liest, was man ihm zu lesen aufgegeben hat. Im Mittelpunkt ist Eichmann. Adolf Eichmann. Hitlers Garant für die Vernichtung der Juden. Shalom wird nicht nur zu seinem Wächter bestellt, sondern auch zu seinem Henker. Moshe, Sohn eines Täters, entscheidet sich für das Volk der Opfer. Ben ist da, vielleicht symbolisiert er den Versuch, so etwas wie Normalität nicht völlig aus den Augen zu verlieren angesichts des Grauens und des Schreckens, die den beiden anderen Männern zu folgen scheinen, die sie nicht loslassen.


    „... wie kannst du diesem Vieh eine Stimme geben!“ (Seite 87). Nein, Dehe und Engstler haben Eichmann keine Stimme gegeben. Er ist präsent durch von Anderen Erzähltes. Die Autoren haben Opfer sprechen lassen, Menschen, die leiden mussten, auch wenn sie vordergründig nicht der Mordmaschinerie der Nazis ausgeliefert waren. Ihr Leiden ist nicht nur ihr eigenes, es ist das Leiden der Geschundenen, es ist immer ein anderes und immer ihr ganz eigenes. Mir schien es, als sei ein Vergessen für sie nicht möglich, als sei das Erinnern die Daseinsform, die ihnen maßgeschneidert angepasst wurde, als gebäre jeder Versuch, dem Erinnern zu entkommen, eine neue Erinnerung. Moshes Versuch, nüchtern zu schreiben, was ist, was er erfuhr, erlebte, erlitt, von anderen hörte und las, steht dabei in einem fast krassen Kontrast zu dem manchmal fast überbordenden Erzählen Shaloms, bei dem sich nicht nur Ben und Moshe fragen, was ist wahr, was ist es nicht?


    „Er hat alle getäuscht“ (Seite 107), so hält Shalom ihnen vor, wenn sie Einwände erheben, seine Freunde, seine Leser vielleicht auch. Und er hat ja Recht, wie sehr, konnte er wohl fühlen, was für ihn dann sicher zu einem „Wissen“ wurde. Wie nah ist er mit diesem Satz dem gekommen, was Bettina Stangneth in ihrem nach meinem Verständnis ganz hervorragenden Buch „Eichmann vor Jerusalem“ beschrieben hat, diese Frage hat mich permanent begleitet. Vielleicht ist dieser Roman auch ein Versuch, Eichmann zu fassen zu bekommen, den Ansatz einer Erklärung zu finden. Was man über ihn weiß, was wissenschaftlich erforscht ist, findet sich verdichtet im Erzählten, ist nachprüfbar. Aber ist es der ganze Eichmann? Jeder, so macht der Text deutlich, hat ein eigenes Bild, jeweils andere Facetten werden wichtiger, sind die Konturen schärfer oder nicht. Widerspruch ist da auch nicht ausgeschlossen, er muss ausgehalten werden.


    Drei Männer, drei Kapitel. Ein Anfang, der Fragen aufwirft. Ein Mittelteil, ausführlich, jedem Raum gebend. Ein Ende, das keines ist, aber wenigstens den Hauch einer Erklärung bieten kann. Weil das Böse nicht aus der Welt zu schaffen ist. Vielleicht ist das ja die eigentliche Banalität.


    Der Text bereitet meiner Meinung nach keine Schwierigkeiten beim Lesen, trotzdem ist mir die Lektüre des Buches nicht leicht gefallen. Gut möglich, dass es das Highlight des Lesejahres 2014 für mich sein wird.


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    Über das Buch:
    Sechs Porträts von Menschen, die sich zum Widerstand gegen das NS-Regime entschlossen und aktiv wurden: Sophie Scholl, Helmuth James von Moltke, Adam von Trott zu Solz, Dietrich Bonhoeffer, der englische Bischof George Bell und der Gefängnispfarrer Harald Poelchau. Ihre Motivation, ihr Denken und Handeln waren verschieden, doch sie hatten eines gemeinsam: eine christliche Grundhaltung. Anschaulich und berührend schildert Ferdinand Schlingensiepen ihren Weg zum mutigen Widerstand.


    Über den Autor:
    Ferdinand Schlingensiepen wurde 1929 geboren. Er ist evangelischer Theologe und Publizist sowie Mitbegründer der Dietrich-Bonhoeffer-Gesellschaft. Harald Poelchau und Bischof George Bell hat er persönlich kennenlernen dürfen.



    Über das Buch:
    Taschenbuchausgabe, insgesamt 207 Seiten, unterteilt in Vorwort, Einleitung, sechs Porträts bzw. Kurzbiografien in unterschiedlicher Länge, ein Nachwort oder besser ein Fazit mit dem Titel „Wie wird man zum Vorbild?“, Literaturhinweise sowie Bildnachweis.


    Eine Frau, fünf Männer = sechs Widerständler gegen Hitler, gegen den Nationalsozialismus? Ja, so einfach kann das manchmal sein. Auch, wenn man vielleicht auch anfangs begeistert mittat bei den Nationalsozialisten wie Sophie Scholl, wenn man zum Teil tief eintauchen musste in die Strukturen und den Machtapparat wie Adam von Trott oder Helmuth James von Moltke, wenn man im Dienst für die Menschen eingebunden wurde wie Harald Poelchau und Dietrich Bonhoeffer oder Bischof Bell. Nämlich dann, wenn man nicht wegschaute, wenn man die gellenden, die heiseren und die lautlosen Schreie derer hörte, denen Unrecht, bitteres und bitterstes Unrecht geschah in den Zeiten der Nazi-Herrschaft, wenn man nicht mehr durch Stillhalten und Stillsein mittun wollte bei den Verbrechen, die geschahen.


    Sechs Menschen porträtiert Ferdinand Schlingensiepen, denen, so sagt es der „Klappentext“, eine „christliche Grundhaltung“ gemeinsam war; man darf wohl hinzufügen, dass ihr christliches Denken und Fühlen ihren Widerstand nicht gerade verhindert, sondern sie eher bestärkt hat. Bemerkenswerterweise sind es protestantische Christen, denen sich der Autor widmet; einen anderen Grund als den, den Schlingensiepen nennt, dass nämlich das Buch auf einer Vortragsreihe für die Evangelische Gemeindeakademie in Hamburg-Blankenese beruhte, kann ich nicht erkennen. Drei der Namen sind sehr bekannt, ihnen sind zahlreiche Publikationen und Forschungsarbeiten gewidmet: Sophie Scholl, Helmuth James von Moltke und Dietrich Bonhoeffer. Die drei anderen Männer tauchen auf in den Biografien von Bonhoeffer und Moltke, nämlich Harald Poelchau, Bischof George Bell und Adam von Trott. Auch Letzterer war Gegenstand einiger Untersuchungen. Über Bischof Bell gibt es englischsprachiges Material, über Poelchau zu Schlingensiepens und meinem Bedauern lediglich autobiografische und derzeit vergriffene Texte.


    „Vom Gehorsam zur Freiheit“ so lautet der Titel, er ist dem theologischen Denken Bonhoeffers entnommen. Anhand dieser beiden Begriffe zeichnet Schlingensiepen in der gebotenen Kürze, aber in aller Deutlichkeit den Weg seiner Protagonisten nach, der in vier Fällen zur Ermordung führte; er belegt eindrücklich, dass es gerade der – christlich motivierte - Gedanke der Freiheit ist, die freie persönliche Entscheidung, die zum Ungehorsam – auch gegen christliche Gebote - führt und in den sechs niedergelegten Fällen führen musste. Mir hat dieser theologische Ansatz Schlingensiepens außerordentlich gut gefallen; er zeichnet diese Leben so aus einer etwas anderen Perspektive nach, er deutet Handeln und Denken der Porträtierten auch in der Entwicklung ihres Glaubens, der sich den Sphären eines sonntäglichen Wohlfühlglaubens und des Einrichtens darin weit abhebt. Er macht aber auch deutlich, wie sehr Anleitung und Vorbild anderer Menschen, die persönliche Bildung und die Fähigkeit zum eigenständigen Denken diesen sechs Personen im Suchen und Finden ihres Weges, ihres Ziels, ihrer Standhaftigkeit und ihrer Gewissheit dienlich waren, wie sehr sie sich so auf sich selbst und das, was sie glaubten, verlassen konnten im Zweifel wie in der Bedrängung.


    Der einzige Kritikpunkt, den ich erwähnen muss: Das Buch, so sagt Schlingensiepen wie bereits erwähnt in seinem Vorwort, gehe auf eine Vortragsreihe zurück, sie trug den Titel „Christliche Biografien aus dem Widerstand gegen Hitler“. Dies wurde im Untertitel - „Biografien aus dem Widerstand“ - des vorgestellten Buches verkürzt – doch warum, hat sich mir nicht erschlossen. Fürchtete man, potentielle Käufer und Leser des Buches abzuschrecken durch dieses eine Wort „christliche“? Dazu sollte man vielleicht bedenken: Der Ansatz des Autors, Leben und Handeln der sechs Widerständler aus dem Glauben zu erklären und zu entwickeln, ist ungewöhnlich, zudem geht er gerade in den Beiträgen zu Dietrich Bonhoeffer – natürlich – und zu Helmuth James von Moltke in tiefere theologische Schichten. Schlingensiepen vermag exzellent zu erklären, aber angesichts unserer immer säkularer geprägten Welt ist das Verstehen solch theologischen Argumentierens nicht mehr selbstverständlich; es wäre mehr als schade, wenn das Buch deshalb an- oder ungelesen weggelegt würde.


    Es gibt da noch dieses letzte Kapitel, das, was ich als „Nachwort“ bzw. „Fazit“ bezeichnet habe, und das allein schon den Griff zum Buch lohnt. „Wie wird man zum Vorbild?“, so lautet die Überschrift; die Antwort, die Schlingensiepen gibt, ist einfach und ist es doch nicht. Nicht mehr gehe es um ein Vorbild, um die Frage beantworten zu können, wofür man bereit sei zu sterben. Ganz im Gegenteil stellen die von Schlingensiepen Porträtierten und wohl auch er selbst uns die entscheidendere Frage: „Wofür lebt ihr?“ (Seite 203). Im dem Weg, den sie gingen, im Erfahren und Erlernen dessen, das sie zu dem formte, was sie wurden, was sie zu handeln zwang, „sind sie Vorbilder“. Nicht nur Sophie Scholl, Helmuth James von Moltke, Dietrich Bonhoeffer, Adam von Trott zu Solz, Harald Poelchau und Bischof George Bell schimmern aus der „dunkelsten Epoche unserer Geschichte“ als Vorbilder, wer sich für den Widerstand interessiert, wird, so meine ich, weitere Namen kennen oder zu finden wissen. Es sind „Vorbilder, die uns zwar keine Antwort auf heutige Fragen geben, wohl aber zeigen, mit welcher innerer Haltung auch schwere Krisen bestanden werden können“, so Schlingensiepen wörtlich (Seite 204).


    Ein sehr nachdenkliches, nachdenkenswertes Buch, dem meine Empfehlung gilt.


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    Irmtraud Gutschke; Eva Strittmatter. Leib und Leben; 2
    Stefan Berg, Günter de Bruyn; Landgang; 1,5
    Ferdinand Schlingensiepen; Vom Gehorsam zur Freiheit; 1,5
    Günter de Bruyn; Mein Brandenburg; 1,5
    Günter de Bruyn; Kossenblatt; 1,5
    Günter de Bruyn; Abseits; 1,5
    Christa Wolf; Moskauer Tagebücher – Wer wir sind und wer wir waren; 1,5
    Philip Roth; Nemesis; 2; Leserunde
    Astrid Dehe, Achim Engstler; Nagars Nacht; 1; Monatshighlight
    Susanne Schädlich; Herr Hübner und die sibirische Nachtigall; 2
    Kjersti A. Skomsvold; Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich; 2


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    Danke für die Vorstellung des Buches! Ich schlich schon drumherum, weil mein Buchhändler es mir ans Herz legte ...



    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Schwieriger wird es schon, wenn Walser sich immer wieder auf dieLiteraturwissenschaftlerin Susanne Klingenstein und ihre Autobiographie über Abramovitsh, (ebenfalls erst vor kurzen erschienen) bezieht. Schließlich habe ich die nicht gelesen.
    Doch Walser betont auch die Kompetenz von Klingenstein bei der Beurteilung von Abramovitsh. Und es entsteht so eine Art Dialog, die dem Buch gut tut.


    ... das Klingenstein-Buch habe ich stattdessen gekauft, weil ich mit Walser ja so meine Schwierigkeiten habe.

    Über das Buch:
    Zehnmal besucht Christa Wolf die Sowjetunion, zum ersten Mal 1957 als junge Frau, zuletzt im Oktober 1989. In ihren bisher unveröffentlichten Tagebuchnotizen erleben wir sie als neugierige Touristin, als scharfe Beobachterin der Verhältnisse und als zugewandte Gesprächspartnerin der russischen Freunde.


    Über die Autorin:
    Die nüchternen Lebensdaten: geboren 18.03.1929 in Landsberg/Warthe, gestorben 01.12.2011 in Berlin. Dazwischen ein Leben in zwei Diktaturen und im wiedervereinigten Deutschland. Überzeugte Sozialistin bis an ihr Lebensende, den Traum von einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz konnte und wollte sie nicht aufgeben. Christa Wolf resp. ihr Buch „Was bleibt“ war Auslöser für einen der giftigsten und mit großer Schärfe geführten Literaturstreits der deutschen Nachkriegsgeschichte.


    Herausgegeben wurde das Buch von Gerhard Wolf unter Mitarbeit von Tanja Walenski.



    Meine Meinung:
    Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, insgesamt 267 Seiten. Vorangestellt sind Gedichte von Boris Pasternak und Anna Achmatowa. Nach einer Einführung von Gerhard Wolf folgen die die Reisen betreffenden Dokumente, dann ein Memorial mit Texten, Reden, Briefen. Abgeschlossen wird das Buch mit editorischen Notizen, Quellennachweisen und einem Abbildungsnachweis. Enthalten sind zahlreiche Fotos, die sich auf die jeweiligen Reisen beziehen.
    Die jeweiligen Tagebuchnotizen zu den einzelnen Reisen werden mit Erläuterungen von Gerhard Wolf abgeschlossen, zu etlichen Reisen sind weitere dazu passende Texte angeboten, unter anderem ein Interview, das Christa Wolf mit Konstantin Simonow führte.


    Dieses Buch hat mich begeistert und enttäuscht. Es hat meine Fragen an Christa Wolf erneuert und intensiviert, es hat die Konturen, die für mich Christa Wolf darstellen und umgeben, geschärft.


    Vom 01. bis 23. Juni 1957 hatte Christa Wolf, als Mitarbeiterin des Schriftstellerverbandes einer Delegation angehörend, Gelegenheit zu einer ersten Reise unter anderem nach Moskau. Diese Stadt hat sie begeistert, hat sie Dinge sehen lassen, die sie auch für ihr Volk wünschte: „Das Volk ist hier wirklich Volk“ heißt es da Seite 16, wenn auch für sie bedauerlicherweise der „Geschäftsgeist ... immer noch nicht ausgestorben“ sei (Seite 17), da meint sie ihre Gesellschaft in einem besseren Licht sehen zu können, da will sie, so mein Eindruck, vielleicht bewundern, sieht sie in Vielem das Gute, obwohl sie auch da schon den Blick vor dem nicht ganz so Guten nicht verschließen kann. Die Notizen zu dieser ersten Reise umfassen nur vier Beiträge unterschiedlicher Länge, manchmal klingen sie wie einem sozialistischen Lehrbuch (so es ein solches gibt) entnommen.


    Schon bei der zweiten Reise, die vom 17. bis 29. Mai 1959 ist der Blick deutlich kritischer, moniert sie beispielsweise fehlende eigene Meinung bzw. den Mut dazu unter den Schriftstellern, zumal den russischen, ebenso wie die Wohnungssituation in Moskau. Christa Wolf wacher Blick wird in in den folgenden Reisen schärfer und schärfer, so meine ich es wahrgenommen zu haben, sie verliert – etwas oder viel mehr? - von ihrer Gläubigkeit an das, was sie als sozialistische Wirklichkeit wahrnehmen musste, da schimmert auch Bitterkeit durch. Exemplarisch ist für mich die vierte Reise vom 10. Oktober bis 12. November 1966; in diesen Notizen schreibt sie schonungslos und unmaskiert, mit einer Radikalität, die mich um sie hätte fürchten lassen, wären diese Notizen in welcher Form auch immer erschienen, als es den sozialistischen Block noch gab. Und wie ein Momument stehen da diese zwei Sätze, beide auf Seite 84, von denen ich mir zwar vorstellen konnte, dass Christa Wolf sie gedacht hat, aber ich hätte nicht erwartet, dass sie sie aussprechen würde: Sie erwartet nicht, dass „eine geistige Erneuerung des Marxismus … aus der SU wahrscheinlich“ kommen könne, und „“Der neue Mensch“ existiert gar nicht – das war die raffinierteste und vielleicht den Täuschern selbst unbewußteste von allen Täuschungen.“


    Bedrückend ist manches, was man zu lesen bekommt in den Tagebuchnotizen. Bei der neunten Reise beispielsweise vom 05. bis 25. Juni 1987, wenn es um die Auswirkungen der Perestroika in Russland geht. Da hat man zwar den Mut, über „70jährige Unterdrückung“ zu reden, erklärt die „bisherige Form von Sozialismus“ für bankrott, muss man aber auch viele negative Begleiterscheinungen berichten, die Lethargie, das Sicheinigeln, Perspektivlosigkeit, Antisemitismus und anderes mehr.


    Und die zehnte Reise, die vom 9. bis 14. Oktober 1989? Da reflektiert man die Situation daheim in der DDR und in Russland, da liest man etwas von Demonstrationen in Leipzig und erhoffter Entspannung, von Mangel und Wende und dann dieser Satz, den sie einem ungarischen Botschafter sagt: „Aber ihr Ungarn habt schuld an unseren Problemen, indem ihr die Grenze geöffnet habt“, und dann schluckt man und fragt, was hat sie eigentlich wahrgenommen all die Jahre?


    Begeistert hat mich das Buch aus zwei Gründen: Einmal habe ich die Tagebuchnotizen als sehr intensive Texte wahrgenommen, sie widerspiegeln eine Entwicklung, die man auch in den beiden anderen Tagebuchbänden („Ein Tag im Jahr“ und „Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert“) feststellen kann, sie dokumentieren auf der einen Seite immer wieder aufschimmernde Hoffnung, aber andererseis sehr viel mehr, wie sich Träume bestenfalls in nichts, manchmal auch in Alpträume verwandeln. Zum anderen kommt die Kunst des Gerhard Wolf hinzu, der die Texte seiner Frau mit denen anderer Schriftsteller wie Konstantin Simonow, Efim Etkind oder Lew Kopelew korrespondieren lässt, auch mit ihren eigenen, zum Beispiel aus ihrem letzten Roman „Stadt der Engel“, Reden oder Briefen. Von besonderem Reiz war für mich die Gegenüberstellung von Wolfs Texten mit denen einer anderen großartigen Tagebuchschreiberin, nämlich Brigitte Reimann, die dritte Reise betreffend, oder mit denen von Max Frisch, die fünfte Reise betreffend. Die Begeisterungsfähigkeit und große Emotionalität einer Brigitte Reimann konstrastiert auf ganz eigene Art mit der Nüchternheit einer Christa Wolf. Max Frischs scharfer Blick ist dem ihren ebenbürtig; die Gegenüberstellung dieser beiden Aufzeichnungen klingen fast wie ein Duett, wenn auch nicht immer vollendet harmonisch.


    Enttäuscht war ich von der geringen Anzahl der Tagebuchnotizen. Es sind doch mehrere Reisen, zu denen es nur einen Eintrag gibt. Das Gefühl, dass Christa Wolf – vielleicht auch aus Enttäuschung? - einiges nicht notiert hat, wollte mich nicht verlassen. Insgesamt aber überwiegt für mich der positive Eindruck bei weitem.



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    Zitat

    Original von Herr Palomar


    Ich finde auch beeindruckend, wie wenig Raum Philip Roth benötigt, um so eindrucksvolle Szenen so zu zeigen, dass man sie sich gut vorstellen kann.


    Roth schreibt ökonomisch, deswegen erscheinen mir seine späten Romane besonders gelungen. Allerdings kenne ich viele seiner frühen Romane auch nicht, noch nicht!


    Kennst Du eine lesenswerte Biografie über Roth bzw. gibt es eine solche? Ich würde mich gerne ein wenig mit seinem Verständnis seines Glaubens resp. seines Gottes-Begriffs beschäftigen.

    Zitat

    Original von Findus
    ... gott?? spielt der noch ne Rolle für ihn??


    Ich glaube, das, worauf er ihn für sich zurechtgestutzt hat, kommt ihm immer mal wieder in die Quere, ganz besonders in den Momenten, in denen er Marcia auf der Straße zu sehen glaubt oder in denen er ein (geh)behindertes Kind sieht.

    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Bucky ist meist ziemlich passiv, liegt vielleicht daran, wie er aufgewachsen ist.


    Vielleicht ist es eine Art Minderwertigkeitsgefühl? Immerhin stehen sie auf einer etwas anderen gesellschaftlichen Stufe, haben eine andere Form von Bildung, denke ich. Hier kann er mit seinen sportlichen Leistungen nicht unbedingt punkten, hier zählen andere Werte - von denen er natürlich auch etwas aufweisen kann, aber es fehlt etwas (oder er hat das Gefühl, dass etwas fehlt, was die Familie vielleicht gar nicht so wahrnimmt).

    Zitat

    Original von Saiya


    Marcia habe ich ein bißchen anders wahrgenommen.


    Habe ich mich falsch ausgedrückt?: Mit Marcia habe ich keine Probleme. Mir ist nur die Beschreibung von ihr/über sie zu wertend. Und ich habe ziemlich gegrübelt, wessen Meinung da kundgetan wurde, Buckys oder des Erzählers ... oder gar beider (im Sinne von männlichem amerikanischen Denken - hoffentlich nur - jener Zeit).

    Zitat

    Original von Herr Palomar


    Ja, das interessiert mich sehr. Ich habe sogar schon mal in einer Buchhandlung danach gesehen, aber sie hatten es nicht da! Jetzt warte ich noch auf den richtigen Augenblick!


    Sobald ich etwas Zeit finde, werde ich mich an eine Buchvorstellung wagen. Verraten sei, dass ich es einerseits unglaublich spannend fand, dass mich aber auch Enttäuschung gestreift hat.

    Zitat

    Original von Rumpelstilzchen


    edit fragt Lipperin: hast du eine Ahnung, wie das mit der Freiheit bei Menschen jüdischen Glaubens gesehen wird? Und auch bei Christen ist dieser Freiheitsgedanke auch erst mit der Reformation aufgetaucht, mir ist da Luthers "Freiheit des Christenmenschen" in Erinnerung.


    Es war Paulus, der den Christen sagte, dass sie zur Freiheit berufen sind. Im Brief an die Galater findest Du es wörtlich, aber auch in einem anderen Brief kommt er darauf zu sprechen. Luther erinnerte daran, genau wie an die Gnade, die uns frei macht. Der Begriff der Freiheit ist nach meinem Verständnis einer der Grundbegriffe reformatorischen resp. protestantischen Denkens und Glaubens.
    Mit aller Vorsicht formuliert, um nicht anzuecken: Beim 2. Vatikanischen Konzil wurde den katholischen Christen ins Gedächtnis gerufen, die Bibel zu lesen und zwar in erster Linie zu lesen, denn aus ihr ergebe sich der Grund des/ihres Glaubens. Es wurde kritisiert, dass die Texte der Väter und der Kommentatoren (zu lange?) wichtiger angesehen wurden als die biblischen Texte.


    Genau weiß ich nicht, wie Juden mit dem Begriff der Freiheit umgehen, aber da ihn Paulus quasi auch als Abgrenzung zum jüdischen Glauben etablierte, denke ich, dass für sie "das Gesetz", sprich die Glaubenstexte, die Ge- und Verbote und Vorschriften wesentlich sind. Und die lassen, wenn ich mich recht entsinne, nicht so viel Raum, zumal es eine Unmenge davon gibt (von den Vorschriften).


    Hilft Dir das etwas weiter?

    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Der Strick hängt schon ! :grin


    Sieht aber nicht stabil aus.


    Ob doch noch mal was erscheint? Ohne Philip Roth-Neuerscheinungen ist es halt schwer!
    :cry


    Jetzt hätte ich Dir beinahe das neue Buch einer verstorbenen Schriftstellerin ans Herz gelegt, da kommt ja auch nichts mehr, denkt man, aber nein, es findet sich doch noch was:
    Vielleicht interessiert Dich von Christa Wolf "Moskauer Tagebücher". Empfehlen kann ich es auf jeden Fall.


    Aber schön, dass Dich Nemesis doch noch gelockt hat.

    Zitat

    Original von Herr Palomar


    Na, ich bin total gescheitert und habe inzwischen schon abgebrochen! :-(


    Aber doch jetzt nicht das Buch? Das habe ich doch jetzt falsch verstanden, oder?

    Zitat

    Original von Saiya
    Ich verstehe, was du meinst. Ich finde allerdings, dass diese freie Entscheidung sich in diesem Hadern mit "Gott und der Welt" zu verlieren und so unfrei zu sein, nicht ganz so selbst gewählt ist, wie sie zunächst scheint. Ihm wird vieles davon anerzogen, sozusagen in die Wiege gelegt durch den Tod seiner Mutter bei seiner Geburt, die Art und Weise, wie vor allem der Großvater für ihn zum Vorbild wurde und sein Vater eben nicht. Dann die Großmutter, die immer noch trauert. Dieses Nacheifern die Ideale des Großvaters zu erfüllen, bringen ihn in dieser Situation an seine Grenzen. Und auch ist zutiefst menschlich. Er hinterfragt zwar auf den ersten Blick den Gott, in dessen Glauben er erzogen wurde, auf den zweiten Blick wohl doch eher sich selbst.
    Es gibt Menschen, die wachsen in solchen Situationen und können sich tatsächlich "befreien", andere verlieren sich in diesem Hadern und es gerät zum Teufelskreis. Ich denke Bucky gehört zu letzteren Kategorie.


    Die Freiheit eines jeden existiert ja immer nur in dem Rahmen, der uns zu dem gemacht hat, was wir sind.
    Deinen Gedanken an die eigene Selbstbefragung: Mir kam sie auch schon und zwar, weil Bucky zwar perfekt funktionieren will, aber es nicht kann, weil er sehbehindert ist. Perfekt, so wird man ihm beigebracht haben, ist einzig Gott. Mir tut er leid. Vielleicht hätte er eine Chance, wenn er jemanden hätte, mit dem er darüber reden könnte.

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    Original von Herr Palomar
    Nemesis habe ich vor einigen Jahren nur als Hörbuch gehört, in der Buchfassung will ich es noch einmal genau betrachten.


    Wenn ich mir überlege, mit welcher Konzentration ich das Buch gelesen habe: Ein Hörbuch stelle ich mir gerade bei diesem Roman schwierig vor. Wie geht/ging es Dir damit?


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    Ungewöhnlich, wie viele verschiedene Namen der Protagonist hat.
    Eugene, Ace, Bucky und Mr.Cantor. Diese Namensvielfalt zeigt ihn aus unterschiedlichen Sichten in verschiedenen Zeiten.


    Das ist wohl wahr. Viele Namen, viele Beobachter. Und doch hatte ich immer den Eindruck, wenn sie sich austauschen würden, wäre jedem von ihnen klar, über wen sie sprechen. Bucky ging ziemlich geradlinig seinen Weg (bis auf sein Augenproblem, das für den einen oder anderen Stolperstein sorgte).

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    Original von Findus


    Als Dr. Steinberg diese Ausssage macht, dürften weite Teile der jüdischen Bevölkerung noch nicht über die Greuel informiert gewesen sein. Seine Aussage könnte sich aber auf die 30er jahre beziehen als die Juden noch die Möglichkeit hatten zu fliehen, soäter ging das ja schon garnicht mehr.
    Warum es den Antisemitismus gibt, erschließt sich mir sowieso in keinster Weise. Aber schon zu Zeiten der Kreuzüge waren doch die Juden an allem Schuld. Und Warumfragen sind nicht lösungsorientiert. ;-) Also, allerdings war ich jetzt total entsetzt als ich am ende des Kapitels Buckys Aussage las.
    Und das bringe ich jetzt eher mit Nemesis in Verbindung, denn er flieht vor seiner Verantwortung, vielleicht folgt die Rache ihm nach???


    "Zur Freiheit sind wir berufen" sagen die Christen und das ist durch und durch positiv gemeint. Ein französischer Philosoph formulierte es anders: "Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt" und das klingt in meinen Augen nach verflixt viel Eigenverantwortung. Für Bucky, so glaube ich, gilt die zweite Variante, nur dass er nicht hinnehmen kann, dass etwas einfach geschieht. Es muss einen Grund geben, es muss jemand damit etwas im Sinn haben, jemand muss schuldig sein. Mangels besserer Erkenntnisse überträgt er all das auf (seinen) Gott, den er zwar nicht zu fassen bekommt, dem er aber in aller Freiheit Vorwürfe über Vorwürfe machen kann. Und damit bindet er sich für mich gedanklich zu sehr, lässt nichts anderes zu. Will sagen: Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr sehe ich die Nemesis in Buckys Entscheidung, an Gott nicht nur Fragen zu richten, die per se nicht zu beantworten sind, sondern in seiner ganz eigenen und in aller Freiheit getroffenen Entscheidung, diesem Gott den Prozess zu machen, sich selbst damit in gewisser Weise ein Stück weit seiner eigenen Freiheit zu berauben, weil er sich zu sehr in diesen Gedankengängen verirrt und verwirrt. Wir sind verantwortlich für das, was wir tun, für unsere Gedanken, für alles, wir können das nicht auf andere abwälzen. Bucky ist für mich in der für ihn unangenehmen Situation, dass seine freie Entscheidung ihn in eine persönliche Unfreiheit geraten lässt.
    Ich weiß, dass ist alles noch ein wenig unausgegoren, aber vielleicht versteht man ansatzweise, worum es mir geht?