Zitat
Original von Voltaire
Damit habe ich auch so meine Schwierigkeiten und ich stelle fest, das sich auch kein Gewöhnungseffekt eingestellt hat.
Die Sprache/der Stil ist eher ungewöhnlich.
Wenn ich euch so lese, trau ich es mich kaum zu sagen, aber ich habe immer mehr Vergnügen an diesem Stil. Im ersten Teil habe ich versucht zu erklären, wie ich mir dieses "Sprechen" vorstelle, es ist für mich eine Art Duett zweier Stimmen, die eine so sprunghaft, wie Franziska nun mal ist, die andere versucht wenigstens ansatzweise mit Erklärungen hinterher zu kommen.
Zum zweiten Teil:
Franziska mit ihrem schönen Lebensmotto („lieber dreißig wilde Jahre...“ - Seite 119), mit ihren schönen Plänen vom Häuserbauen, mit all ihrer offen gezeigten Lebensfreude … dann kommen diese kleinen Details wie das Wiedertreffen mit Django, sie bekommt den einen oder anderen Nasenstüber, aber ich habe nicht wirklich den Eindruck, dass sie in ihrem tiefsten Kern zu treffen war (bisher), auch nicht die desolate Wolfgang-Geschichte, auch wenn die natürlich tiefe Wunden gerissen hat; sie bleibt sich in gewisser Weise treu. Die Bewunderung für ihren Bruder, bei der mich hin und wieder eine leichte Irritation streift, der gnadenlose Blick auf die Eltern, das sind auch so Markierungen, die ihr bleiben, sie wird sie hin und wieder aus den Augen verlieren, aber wissen, dass sie da sind. Sie scheint so überaus offen zu sein, und doch ist da immer auch ein Stück Distanz, vielleicht auch zu sich selber, vielleicht muss sie sich hin und wieder selbst betrügen, um der Welt eine schöne Maske zeigen zu können.
Nun ist sie also in Neustadt. Eine furchtbare Stadt, „so billig wie möglich“ (Seite 144) gebaut, muss sie doch eine buchstäblich unglaubliche Wohnqualität ausstrahlen, vor allen Dingen, wenn alles so gleich ist und aussieht, dass man sich glatt verlaufen kann, dazu dann diese wie überall und immer wieder stattfindende Konzentration gewisser „Elemente“ in einem Block, man könnte es vielleicht sogar Ghetto nennen, dort wie überall ein Fehler, der Auswirkungen hat, die sich nicht nur nach Tagen bemessen lassen. Hoyerswerda wurde genannt, dort spürt(e) man es bis in unsere Tage. „Wir gründen unsere Städte nicht mehr für Generationen“ (Seite 154), eine Bankrotterklärung der besonderen Art. Ist den Planern und Machern eigentlich nie aufgegangen, was sie da eigentlich angerichtet haben, spätestens, als die Probleme immer mehr und größer wurden? Brauchte der „neue Mensch“ nichts fürs Auge? Nichts mehr zum Wohlfühlen, Geborgensein, weil er ja doch nur werkeln tut, für Andere, für die Gesellschaft, immer parat, immer einsatzbereit und Geheimnisse haben wir schon gar nicht voreinander? Funktional die Menschen, funktional die Wohnungen? Reimann beschreibt sie ja teils ironisch genug (beispielsweise als Franziska ihr Zimmer in Augenschein nimmt).
Der Genosse Schafheutlin ist von bemerkenswerter Direktheit, aber natürlich wird auch sein Beschützerinstinkt geweckt, sehr wahrscheinlich lässt die junge Dame ihn keineswegs kalt. Wie überzeugt er doch von seinem Beruf, seiner Mission ist, aber es muss es wohl auch sein, Zweifel sind nicht erlaubt, können nicht geduldet werden. Eine Teufelsmaske hat er in seinem Büro. Interessant, dass immer wieder Masken ins Spiel kommen, Masken, die fallen, zum Beispiel wenn Franziska von Schafheutlin durch den Türspion beobachtet wird oder der Playboy vom Dienst von ihr selbst. Gesellschaftliches Leben … ohne Maskierung nicht zu leben? (Warum setze ich eigentlich das Fragezeichen dahinter?)
Eine der interessantesten Figuren ist für mich Gertrud. Eine von denen, die vom oder ums Leben betrogen wurden. Die Andeutungen, sie betreffend, zeigen die Konturen sehr, sehr hässlicher Geschichten. Andeutungen über eine Art von Selbstmord wirft sie wie einen Köder aus. Franziska fällt darauf herein und streitet natürlich ab. In einem halben Zimmer muss Gertrud hausen, das stelle ich mir grausig vor. Lesbisch? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Eine ungeheure Verletzung, ja, das auf jeden Fall.
Frau Hellwig, eine andere Geschichte, in gewisser Weise doch gradlinig, sie hat ihren Weg gefunden.
Und Jazwauk, was für ein feinfühliger Mensch, und ach, wie er doch die Frauen durchschaut. Die Frau als Objekt sexueller Begierde, ist das nicht auch einer dieser Punkte, von denen man doch träumte, sie im real existierenden Sozialismus (oder erst im Kommunismus?) überwunden sehen zu können.