Für mich ist das Buch ein echter Überraschungshit – ich bin rein zufällig drauf gestoßen und habs eigentlich nur im Second-Hand-Laden mitgenommen, weil ich dachte, dass man es gut bei Buchticket vertauschen kann. Jetzt hat es einen festen Platz im Regal.
Kommentar:
"Wenn du bleibst, tue ich, was immer du willst. Ich verlasse die Band und gehe mit dir nach New York. Aber wenn du willst, dass ich aus deinem Leben verschwinde, dann tue ich auch das. (…) Ich kann ertragen, dich so zu verlieren, wenn ich dich nur nicht hier und heute verlieren muss. Ich werde dich gehen lassen. Wenn du bleibst. (Adam zu Mia, S. 264f.)"
Ein Familienausflug endet für die 17-jährige Mia in einer Katastrophe: Eben noch sitzt sie mit geschlossenen Augen auf dem Rücksitz des Autos und lauscht Beethovens Cellosonate Nummer drei, im nächsten Moment findet sie sich in einem Straßengraben wieder. Das Auto ist nur noch Schrott ist, doch da sie selbst scheinbar unverletzt ist, ist sie guter Hoffnung, dass auch ihre Familie den Unfall unbeschadet überstanden hat. Dann allerdings findet sie die Leichen ihrer Eltern und nicht viel später steht sie ihrem eigenen schwer verletzten Körper gegenüber. Während die Ärzte zunächst an der Unfallstelle und später im Krankenhaus um ihr Leben ringen, betrachtet Mia das Geschehen von außen und versucht zu begreifen, was vor sich geht. Es dauert eine Weile, bis sie erkennt, dass sich ihr Geist von ihrem Körper gelöst hat und sie sich in einem Zustand zwischen Leben und Tod befindet – und dass es allein ihre Entscheidung ist, ob sie ihrer Familie ins Jenseits folgt oder im Diesseits bleibt.
Um ihre Wahl zu treffen zu können und festzustellen, was sie verloren hat und was ihr noch geblieben ist, lässt die komatöse Mia ihr bisheriges Leben Revue passieren. Sie denkt zurück an ihre erwachende Leidenschaft für die Musik, die eine große Rolle in ihrem, aber auch im Leben ihrer Eltern und ihres Freundes spielt (auf der Homepage zum Buch findet sich eine Playlist der im Roman erwähnten Liedern), an ihr erstes Konzert und ihre Aufnahmeprüfung an einer Musikakademie. Sie erinnert sich an die Geburt des kleinen Bruders und die Wandlung ihres Vaters, an Erlebnisse mit ihrer treuen Freundin Kim, an ihren ersten Kuss und die zeitweise schwierige Beziehung zu Adam sowie an die eigentlich noch zu treffende Entscheidung zwischen ihrer Musikkarriere und ihrem alten Leben, das nach dem Unfall aber gar nicht mehr existiert. Die Rückblicke fügen sich wunderbar ins gegenwärtige Geschehen ein, denn sie werden jeweils ausgelöst von aktuellen Ereignissen im Krankenhaus und von Mias Besuchern, ihren Handlungsweisen und Worten. Obwohl die Rückblenden immer nur relativ kurze Episoden erzählen, sind sie von hoher Intensität, denn sie offenbaren die Schlüsselmomente im Leben der Siebzehnjährigen und sind ausgesprochen gefühlvoll beschrieben, ohne überladen oder kitschig zu sein. Sie zeigen ein bis zu diesem Zeitpunkt relativ unbeschwertes, nahezu perfektes Leben eines zufriedenen, ziemlich normalen Mädchens, das in einem Umfeld der Geborgenheit und Zuneigung aufwächst, und machen nur allzu deutlich, welch hohen Stellenwert die Familie für Mia hatte und wie immens gerade deshalb der Verlust für sie sein muss. Wer könnte nicht nachvollziehen, dass sie an ihren Erinnerungen verzweifelt, dass sie müde, erschöpft und unendlich traurig ist und den Wunsch verspürt, einfach aufzugeben und ihrer Familie zu folgen.
Und doch gibt es da noch die Zurückgebliebenen, liebevolle Verwandte und wundervolle Freunde, vor allem in Gestalt von Mias Großeltern, Adam und Kim, die Mias Entscheidung beeinflussen. Sie sind im Krankenhaus an ihrer Seite, versuchen, für sie da zu sein, ihr Mut zu geben und sie davon zu überzeugen, dass ihr Leben trotz des schrecklichen Verlusts immer noch lebenswert sein kann. Jeder von ihnen ist bereit, eigene Opfer zu bringen und Mia notfalls auch aufzugeben, um den Druck von ihr zu nehmen und ihr die Entscheidung – wie auch immer sie ausfallen mag – zu erleichtern.
Ohne Pathos und Sentimentalität, aber mit viel Gefühl erzählt die Autorin diese wundervolle und extrem berührende Geschichte über Familie, Freundschaft und Liebe, über Wertschätzung, Verlust, Leidenschaften, Entscheidungen und das Leben an sich. Trotz seiner positiven Botschaft ist das Buch – ebenso wie Mias Schicksal – erschütternd und herzzerreißend traurig, nicht zuletzt deshalb, weil es erschreckend deutlich vor Augen führt, wie kurz und vergänglich das Leben sein kann und dass sich ganz plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, alles ändern und man alles verlieren kann, was einem etwas bedeutet, ohne dass man Einfluss darauf hätte.
Fazit:
15/15 Punkte – Eine mitreißende, zutiefst bewegende Umsetzung eines schwierigen Themas, die einen in heillosen Gefühlsaufruhr stürzt und zu Tränen rührt.