Die Vorfreude auf „Reckless“ war immens und somit das Risiko, enttäuscht zu werden, groß – nun, nach Lektüre des Buches, muss gesagt werden: die Vorfreude war nicht gänzlich umsonst, enttäuscht bin ich dennoch.
Cornelia Funke wirft den Leser ohne Umschweife ins Geschehen: hinein in die Märchenwelt hinter dem Spiegel, in der es von Fabelwesen, lebenden Märchen und versteckten Schätzen nur so wimmelt. Die Welt ist finster, bevölkert von Krieg und von Goyls, doch Jacob, der Hauptprotagonist, hat sich dennoch in ihr verloren. Sein halbes Leben lang befindet er sich nun schon in der Märchenwelt hinter dem Spiegel, gehört mittlerweile zu den bekanntesten Schatzjägern und ist vor allen Gefahren gewappnet. Bis ihm eines Tages sein kleiner Bruder Will durch den Spiegel folgt …
Die einzelnen Figuren sind wie immer liebevoll gezeichnet; sei es Fuchs, die sich heimlich oder weniger heimlich in Jacob verliebt hat oder Will, der sich von einem gutmütigen Jungen in einen kaltherzigen Goyl wandelt. Originell ist ohne Frage auch die Einbindung der einzelnen Märchen – mal ist es ein Lebkuchenhaus einer kinderfressenden Hexe, mal ein verzaubertes Rapunzelhaar. Doch gemessen an die doch sehr begrenzte Seitenzahl (große Schriftgröße, viele Illustrationen: effektiv also wohl sogar unter 300 Seiten!) war mir das Ganze doch etwas überladen.
Die Handlung als solche ist spannend, vor allem das Ende kann überraschen, doch zumindest ich war nie voll und ganz gefesselt. Das mag an den mitunter doch sehr kurzen Kapiteln gelegen haben, vielleicht auch an Funkes Schreibe. Sie hat ganz gewiss einen schönen Schreibstil, aber für meinen Geschmack übertreibt sie dann doch manchmal mit Bildern und Vergleichen. Weniger wäre da- genauso wie bei den Märcheneinflechtungen – mehr gewesen.
Aufgrund der kurzen Kapitel und des insgesamt doch sehr schmalen Umfang des Buches kam in mir doch immer wieder die Vermutung auf, dass „Reckless“ eine Filmvorlage sein soll – nicht an den Haaren herbeigezogen, wenn man beachtet, dass Cornelia Funke das Buch zusammen mit Lionel Wigram (Filmproduzent von u.a. Harry Potter) geschrieben hat. Immerhin verliert sich Funke allzu oft in Beschreibung der Umgebung und Märchenfiguren und seltener im Seelenleben ihrer Figuren. Dadurch – trotz oder vielleicht gerade wegen der vielen Perspektivwechsel – fehlt einiges an Tiefe.
So hatte ich doch ab und an das Gefühl, eine schön geschriebene Drehbuchvorlage, als einen richtigen Roman zu lesen.
Alles in allem ist „Reckless“ nett, viel mehr leider nicht. Gute Einfälle, schönes Ende, tolle Sprache, all das reicht aber nicht, um die Schwächen auszugleichen. Im Vergleich zu „Tintenherz“ zieht Funkes Neuester ganz klar den Kürzen, fehlt ihm doch einiges an Tiefe.
Potential für eine schaurig-schöne Trilogie ist aber definitiv gegeben.
8/10