„Der Kongo, ein grüner Ozean und unter Bäumen – nichts“ (Albert Sánchez Piñol aus Pandora im Kongo)
Inhalt
Pandora im Kongo erzählt zwei Geschichten über zwei Hauptfiguren. Die erste Hauptfigur und zugleich Erzähler ist Thomas Thomson. Er blickt zurück auf seine Jahre, die er vor und während des ersten Weltkrieges in London als junger Schriftsteller verbracht hat, der für andere schreibt. Nach einigen wenig einträglichen Romanen, die er für einen Trivialbuchautor schreibt, gerät er durch eine Kette merkwürdiger Zufälle an einen Anwalt, der die Öffentlichkeit durch ein literarisches Werk auf die Geschichte einer seiner Klienten aufmerksam machen möchte. Er beauftragt Thomsen damit, den mordverdächtigen Garvey wöchentlich im Gefängnis aufzusuchen und seine Geschichte niederzuschreiben. Darin sieht er die einzige Chance, dessen Unschuld allen glaubhaft zu machen und zu zeigen, um welch einen Helden es sich tatsächlich bei Garvey handelt. Diesem wird vorgeworfen, zwei britische Aristokraten, die er als Diener begleitet hat, aus reiner Gier im Kongo ermordet zu haben.
Die Geschichte, die Thomson von Garvey hört, ist aberwitzig. Zunächst handelt sie von der wochenlangen Wanderung durch den kongolesischen Urwald auf der Suche nach Gold und Diamanten. Dabei werden Dörfer zu Stätten, an denen auf brutale Weise Träger rekrutiert werden. Der Wert eines Menschenlebens wird dabei von den drei Weißen in Kilo gewogen, die der Lastenträger tragen kann. Der größte Schrecken und meist ein Todesurteil bedeutet dabei das Los, der Champagnerträger zu sein, da die Kiste mit den Champagnerflaschen die schwerste ist. Nach vielen Toden gelangt die Gruppe an eine Lichtung, wo in der Geschichte Garveys das Gold schon an der Oberfläche lag. Die Schwarzen müssen eine Mine ausheben, in der sie nachts selbst eingesperrt sind.
Dann passiert das Aberwitzige. Ein Wesen aus dem Untergrund, aus dem Erdreich, taucht auf. Es ist menschenähnlich, aber doch kein Mensch. Später erscheinen mehr und mehr von diesen Wesen, sogenannten Tektonern. Darunter ist Amgan, ein weibliches Wesen, in das Garvey sich verliebt. Es ist der Anfang einer reinen, archetypischen Liebe. Die Ereignisse werden im Laufe der Geschichte immer fantastischer und führen in unterirdische Gänge, die tief unterhalb des Kongos liegen. Garvey und die beiden englischen Adligen, die sich nach schweren Kämpfen mit tektonischen Soldaten geschlagen geben mussten, werden tagelang als Entführte durch Katakomben geführt, bis sie eine so gewaltige unterirdische Stadt erblicken, wie sie die Fantasie kaum erschaffen kann. Doch es kommt nicht dazu, dass sie über die Schwelle dieser fremdartigen Welt treten. Die Menschen können ihre Entführer durch eine List überwältigen und fliehen. Am Ende findet Garvey auch seine geliebte Tektonerin wieder, mit der er sich auf höchst romantische Weise in der Krone eines Baumes liebt. Doch er erkennt die Bedrohung, die der Menschheit aus dem unterirdischen Volk erwachsen kann, und kehrt zurück in die Katakomben, um sie mit Sprengstoff zu versiegeln. Heldenhaft rettet er die Menschheit, indem er die zwei Welten für immer voneinander trennt. Dabei nimmt er in Kauf, dass er auch seine Liebesbande zu der Tektonerin durchtrennen muss, die in ihre Heimat zurückkehrt.
Kritik
Diese krude Geschichte ist fantastisch und romantisch. Thomson glaubt an sie, weil er an sie glauben möchte. Er verliebt sich selbst in Amgan, die Figur der Tektonerin, die er in Literatur verwandelt. Später muss er feststellen, dass die Liebe keinen Unterschied macht zwischen Wahrheit und Trugbild. Die Wahrheit, die er später über die tatsächlichen Abläufe im Kongo erfährt, ist nicht seine Wahrheit, an die er glauben will.
Der Kongo ist in Piñols Werk ein Sinnbild. Es geht nicht um den realen Kongo, sondern um einen fernen Ort, der schon immer unentdeckt irgendwo existiert hat. Es geht auch um die Leichtgläubigkeit, die aus Sehnsucht nach dem Übernatürlichen entsteht, die auf das noch Unentdeckte projiziert wird. Dabei denke man bloß an alte Landkarten aus dem 16. oder 17. Jahrhundert, in denen das Meer voll von Seedrachen und die weißen Flecken voll von Menschenfressern und Fabelwesen waren. Die Geschichte Garveys ist aber auch sinnbildlich für den Kampf um Macht, der zuerst zwischen Schwarzen und Weißen und dann zwischen Weißen und Tektonern tobt. Das dritte Element, das Piñol hintersinnig mit den Tektonern einführt, zeigt die Beliebigkeit von Hautfarbe oder Herkunft, wenn es um die Durchsetzung der eigenen Interessen, Kultur oder des eigenen Wesens geht. Bis zum letzten Kapitel bleibt die Wahrheit etwas sehr relatives, über das Piñol geschickt sowohl seine Leser als auch Thomson, seine Hauptfigur, im Unklaren lässt. In der Mitte des Romans sind einige Passagen zwar etwas zäh zu lesen, weil Ereignisse sich unpointiert aneinanderreihen, aber das mindert nicht die literarische Qualität dieses tektonisch sehr raffiniert angelegten Werkes. Durch mehrere Handlungsstränge, die z.T. miteinander verschmelzen, wird über mehrere Ebenen ein Spannungsbogen aufgebaut, der sich bis zum Ende, bis zur Auflösung des Rätsels, hält.
„Die größte Lüge ist immer die glaubhafteste Lüge“ (Albert Sánchez Piñol aus Pandora im Kongo)