Zitat
Original von Delphin
1. Ab wann wäre er denn für Dich ein "wirklicher Afroamerikaner"?
Müsste er zwei afroamerikanische Eltern haben? So "wirkliche Afroamerikaner"?
Müssten beide in Afrika geboren sein?
Müssten sie auf einem Sklavenschiff nach Amerika gekommen sein?
Müsste er selbst in Afrika geboren sein?
Ist man erst ein "wirklicher Afroamerikaner", wenn man in einem überwiegend afroamerikanischen Viertel aufgewachsen ist?
Oder in einer bestimmten Schicht?
Ist diskriminiert worden zu sein Voraussetzung?
2. Ich kann dem Wikipedia-Eintrag entnehmen, dass seine Eltern zu einer Zeit geheiratet haben als "in Teilen der USA Ehen zwischen Schwarzen und Weißen noch verboten waren". Bist Du sicher, dass er nicht die "Ballast der Segregation" in seinen Wurzeln hat? In Harvard wurde er zum Präsidenten der Fachzeitschrift Harvard Law Review gewählt. Er gilt als der erste Afroamerikaner in diesem Amt. Da ist er anscheinend wieder ein "wirklicher Afroamerikaner" und vielleicht war es auch nicht ganz einfach, dieses Amt zu bekommen, wenn es vor ihm keinem gelungen ist. In vielen Medienberichten, wird immer wieder erwähnt, dass er schwarz ist. Wieso eigentlich? Solange Hautfarbe überhaupt erwähnenswert ist, gibt es noch Diskrimination.
Alles anzeigen
1. Delphin, du sprichst genau das Thema an, dass mich immer wieder aufbringt in dieser Frage: Wann ist jemand "schwarz".
Die Europäer haben sich die Beantwortung dieser Frage seit ihren ersten Kontakten zu Afrikanern sehr leicht gemacht: Schwarz, oder farbig ist jeder, der auch nur irgendeinen Urahn dunkler Hautfarbe hat. Dahinter steckt ein fast religiöses "Reinheitsgebot", dass jeden von der eigenen Hautfarbe ausschließt, der auch nur einen Tick anders aussieht.
Nun hatte aber diese Bezeichnung "weiß" - "schwarz" nie nur beschreibenden Charakter, wie es bei der Beschreibung von Haarfarben der Fall ist.
Die Bezeichnung als "schwarz" war gleichbedeutend mit dem Ausschluss aus der Mehrheitsgesellschaft, bzw. in den Südstaaten, wo Sklaven zahlenmäßig die europäischen Einwanderer weit übertrafen, bedeutete dies ein Ausschluss aus der besitzenden und herrschenden Klasse. Oder anders: Jeder, der irgendwie afrikanische Vorfahren hatte, wurde von den wesentlichen Menschenrechten ausgeschlossen.
Diese Tradition macht es mir sehr schwer, in diesen Begriffen von schwarz und weiß zu denken. Ich habe nie verstanden, warum jemand, der einen "weißen" und einen "schwarzen" Elternteil hat, deswegen nun als "schwarz" und nicht als "weiß" gelten soll. Das ist eine Ideologie, mit der ich nicht klarkomme.
Was allerdings zweifellos anzuerkennen ist, ist dass sich aus diesem europäischen Rassedenken massive soziale Implikationen ergeben: Unabhängig von seiner Hautfarbe wächst ein afroamerikanisches Kind in einem Umfeld auf, dass auch heute noch nicht zu vergleichen ist mit der Situation eines "weißen" Kindes. Ein afroamerikanisches Kind hat in den USA zu 90 % afroamerikanische Freunde, Familienmitglieder, etc. Es wächst mit Menschen auf, die noch eine lebendige Erinnerung an die Segregation und die Diskriminierungen haben, die wissen, dass sie aufgrund ihres Äußeren immer besser und hartnäckiger sein müssen, um das gleiche zu erreichen wie ihre "weißen" Schulkameraden, Kollegen, etc. Diese Kinder wachsen in dem Bewusstsein auf, dass sie aufgrund ihres Äußeren von den "Weißen" lange Zeit drangsaliert, unterdrückt, missachtet werden konnten. Ich glaube, dass es Deutschen, die nicht aus einem Migrations- oder anderen Minoritätshintergrund kommen, schwer fällt, einzuschätzen, was dieses Bewusstsein der ehemaligen Inferiorität bedeutet.
Und das ist genau der Punkt, wo ich glaube, dass Obama den großen Vorteil hatte, diese Erfahrung nicht in der Prägnanz machen zu müssen, wie die meisten anderen Afroamerikaner. Er wuchs bei seiner "weißen" Familie auf, die eben nicht die Erinnerung an die dunkelste Zeit der Rassentrennung in sich trug. Es ist ein Unterschied, ob man etwas im Geschichtsunterricht lernt, oder von klein auf, lange bevor man es realisieren kann, über die Reaktionen seiner Eltern ständig aufnimmt. Natürlich wird Obama wissen, was Rassismus ist, und er wird sicher auch einige Erfahrungen damit gemacht haben. Aber er hat ein familiäres Erbe, in dem sich seine Familienmitglieder nie als die Verlierer des amerikanischen Traums, nie als die Unterdrückten fühlen mussten. Das ist ähnlich wie bei einem afrikanischen Kind, dass von "weißen" Europäern oder Amerikanern adoptiert wird. Dieses Kind wird vielleicht mal wegen seiner Hautfarbe komisch angeguckt. Aber es sieht seine Eltern als absolut integrierte, respektierte Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft. Das ist für die Entwicklung seines Selbstbewusstseins, seiner Identität als Teil der Gesellschaft ein großer Vorteil, den die meisten afroamerikanischen Kinder bisher nicht hatten.
Diese "weißen" Wurzeln, von denen ich sprach, führen meiner Meinung dazu, dass Obama sehr versöhnlich hinsichtlich des Verhältnises von "schwarzen" und "weißen" Amerikanern ist. Er hegt nicht den verständlichen Groll vieler Afroamerikaner, und gerade auch der afroamerikanischen Bürgerrechtler. Er hat die Wut eines Jesse Jackson oder auch einer Michelle Obama über ihre Geschichte und ihre eigenen Erfahrungen eben nicht tief in sich vergraben. Interessanterweise gab es ja von seiner Frau zu Beginn des Wahlkampfes einige Bemerkungen zum Thema Rassismus und Afroamerikaner, die vom Wahlkampfteam schleunigst unterbunden worden sind, weil man Angst hatte, damit die "weißen" Wähler zu vergraulen.
zu 2. Natürlich hast Du recht, dass Hautfarbe immer noch eine Rolle spielt, und zwar bei Obama unabhängig von seiner "weißen Sozialisation". Was bestätigt, dass viele Amerikaner eben wirklich noch auf die Hautfarbe gucken. Aber wenn ich Obama als "schwarz" oder Afroamerikaner bezeichne, folge ich der jahrhundertelangen rassischen Definition der Europäer, mit denen jeder Weiße, der etwas "afrikanisches Blut" in sich trug, zum "Schwarzen" und damit meist zum Rechtlosen wurde. Ich gönne mir die Arroganz, Obama so als weiß zu bezeichnen, wie andere ihn eben als schwarz bezeichnen. Für mich ist nicht die Hautfarbe, sondern der soziale Kontext seiner Erziehung entscheidend.
So, das war jetzt etwas ausschweifend. Ich wollte nur deutlich machen, dass ich diese sozialen Implikationen, die sich in den USA aus der Hautfarbe ergeben, für wesentlicher halte als die Definition über die Hautfarbe selbst, die sonst nicht mehr wäre als der Unterschied zwischen Blonden und Brünetten hierzulande.