Klappentext
Distel und Orchidee
Victoria ist eine richtige Kratzbürste, kennt sie doch von Geburt an nur Waisenhäuser und Pflegefamilien. Ihre Gefühle kann sie nur in der Sprache der Blumen ausdrücken: ein Strauß Ringelblumen für Trauer, eine Pfingstrose für Wut. Daher findet sie in einem kleinen Blumenladen einen Job. Mit Immergrün weckt sie zärtliche Erinnerungen in ihren Kunden, bringt mit Maiglöckchen das Glück für sie zurück. Doch ihre Vergangenheit holt Victoria immer wieder ein - auch als sie dem einen Mann begegnet, der ihre Sprache spricht.
Rezension: Idee, Umsetzung, Meinung
San Francisco, ein nebliger Morgen am ersten August – das Leben beginnt. Victoria blickt auf einen endlosen Wechsel von Adoptivfamilien, Heimen und schließlich auf ihre Zeit in der letzten betreuten Wohngemeinschaft zurück. Dies hat nun ein Ende. Mit Erreichen der Volljährigkeit geht die Verantwortung für ihre Person auf sie selbst über. Die Sozialarbeiterin Meredith Combs, seit Geburt für das Mädchen zuständig, fährt sie samt ihren wenigen Habseligkeiten, im gros Bücher botanischen Inhalts, zum Übergangswohnheim Gathering House im Bezirk Sunset. Nun steht Victoria die Welt offen … Doch was tun, ohne Schulabschluss, Beziehungen, gesellschaftliche Umgangsformen oder gar Motivation?
Seit jeher interessiert sich Victoria für Pflanzen. Hat sie eine Botschaft zu übermitteln, tut sie dies in der Sprache der Blumen. Ringelblumen stehen für Trauer, Disteln für Menschenfeindlichkeit, Basilikum für Hass. So sieht sich Victoria. Sie liebt Blumen und sehnt sich vorgeblich nach Einsamkeit.
Nach drei Monaten endet die Mietfreiheit im Gathering House. Sie landet auf der Straße, schläft im Park und ernährt sich von Essensresten in Restaurants und Kostproben der Feinkostläden. Als sie im Blumenladen Flora nach einem Job fragt, hat sie nichts vorzuweisen. Beim nächsten Versuch beweist sie Erfahrung mit einem persönlich zusammengestellten Hochzeitsstrauß. Renata, die Inhaberin des Ladens, ist beeindruckt und gewillt, der jungen Frau eine Chance zu geben. Zunächst unterstützt Victoria die Floristin bei einzelnen Aufträgen. Schließlich vertraut Renata ihr sogar den Laden an, greift immer häufiger auf ihre tatkräftige Unterstützung zurück und organisiert ihr eine Unterkunft.
Victoria hat endlich erkannt, was sie vom Leben erwartet – herausgefunden, was sie will!
Doch die Vergangenheit heftet sich an ihre Fersen. Auf dem Blumenmarkt macht ein vermeintlich Fremder keinen Hehl daraus, an Victoria interessiert zu sein. Und zum Erstaunen der jungen Frau scheint auch er der Sprache der Blumen mächtig. Die Erleuchtung folgt auf dem Fuße als sich die beiden schließlich außerhalb des Marktes treffen. Victoria kennt ihren Verehrer bereits aus früheren Tagen. Sein Name ist Grant. Er ist der Neffe ihrer einstigen und einzig lieb gewonnenen Pflegemutter Elizabeth. Jene Frau, die Victoria die Bedeutung der Blumen lehrte als sie neun Jahre alt war.
Die Sprache der Blumen sei nicht verhandelbar, so sagte Elizabeth einst - und doch muss Victoria heute erkennen, dass manche Bedeutungen widersprüchlich erscheinen und vor allem nicht eindeutig sind.
Akribisch genau vergleicht sie Aufzeichnungen in der Bibliothek und debattiert mit Grant bei der gemeinsamen Suche nach der Sinn gebenden Symbolik.
Renata gewährt ihr indes eine Festanstellung. Das Leben könnte so schön sein. Doch Erinnerungen an die Vergangenheit trüben die Freude. Eine schwere Schuld lastet auf ihren Schultern.
Grant stellt ihr eine Kamera zur Verfügung. Mit den Fotos von Pflanzen aus seiner Gärtnerei, ihrem vernachlässigtem Garten im McKinley Square, dem Golden Gate Park, der Küste und den Mammutbaumwäldern nördlich von San Francisco stellt Victoria ihr eigenes Wörterbuch zusammen, um Missverständnisse in der Blumensprache zu vermeiden.
Die beiden jungen Leute kommen sich näher. Viel näher, als die von Berührungsängsten geplagte Victoria zunächst für möglich gehalten hätte. Doch zuviel Nähe hat ihren Preis …
Victoria erwartet ein Kind, fühlt sich jedoch nicht geeignet, Mutter zu sein. Panik nimmt überhand. Der einzige Ausweg scheint die Flucht, der Traum eines gemeinsamen Lebens endgültig geplatzt.
Oder finden auch Bindungslose, Zurückgewiesene und Ungeliebte eines Tages den Weg zum vollkommenen Glück?
Mit DIE VERBORGENE SPRACHE DER BLUMEN präsentiert Vanessa Diffenbaugh, Kunsterzieherin aus Boston, ihr phänomenales Romandebüt. Sie vermittelt darin nicht nur die, in heutiger Zeit längst vergessene, Symbolik der Pflanzen, sondern beweist viel Feingefühl für das Schicksal der Menschen und die Unwägbarkeiten des Lebens. Die dreifache Mutter bot einigen Pflegekindern ein liebevolles Heim, zeigt anhand ihrer weiblichen Hauptfigur Victoria Jones, dass jedoch nicht allen Kindern dieses Glück zuteil wird.
In federleichtem, ruhigen Ton erzählt Vanessa Diffenbaugh von Hoffnung und Zweifel, Schuld und Vergebung, Liebe und Leid.
Unterteilt in vier Abschnitte “Die gemeine Distel”, “Ein unerfahrenes Herz”, “Moos” und “Neuanfang” folgt sie der persönlichen Entwicklung Victorias.
Sowohl Gegenwart als auch Vergangenheit werden im regelmäßigen Wechsel betrachtet. Hierbei zeigen sich Parallelen, vor allem aber auch Erklärungen für das Wesen der jungen Frau.
Die gemeine Distel als Symbol der Misanthropie bestimmt Verhalten und Emotionen. Im ersten Teil des Romans werden Victorias abweisende Charakterzüge hervorgehoben. Ein genauer Blick offenbart die verletzliche Seite. Die besonderen Lebensumstände haben sie zu der Person gemacht, die sie nun einmal ist.
Der zweite Teil ist nahezu ein Hoffnungsträger. Victoria versucht, auf sich allein gestellt, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Sie öffnet sich den Möglichkeiten, findet sozialen Anschluss und ist bereit, ihre Chancen allumfassend zu nutzen. Ein Wettlauf zwischen Erwartungen und Zweifel wird jedoch immer wieder durch Vergangenes beeinflusst.
Moos, mütterliche Liebe, lenkt den Fokus auf eine ganz besondere Mutter-Kind-Beziehung. Nach all den Erfahrungen, die Victoria selbst als Pflegetochter machen durfte, beziehungsweise musste, bekommt sie nun selbst Gelegenheit, ihr Bestes zu geben. Kein einfaches Unterfangen, wenn es an Selbstwertgefühl und sozialer Kompetenz mangelt. Ein erneutes Scheitern scheint unumgänglich.
Bis schließlich der Neuanfang Victorias bisheriges Leben grundlegend ändert …
Zusammen neunundfünfzig Kapitel in erster Person Singular aus Sicht der Hauptfigur sind geprägt von Komplikationen und Ängsten. Herumgereicht zwischen Pflegefamilien und Kinderheimen hat Victoria einen Schutzwall der Härte um sich errichtet. Sie hat erst spät gelernt, Liebe und Nähe zuzulassen und auch dieser Lebensabschnitt endete wenig tröstlich für das Mädchen. Selbstisolation und Distanz zu jeglicher Art positiver Emotionen waren die Folge. Die Ereignisse werden entsprechend herb erläutert. Doch zwischen den Zeilen steckt weitaus mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Harte Schale, weicher Kern! Sanftheit und liebevolle Hingabe zeigen sich im Umgang mit Blumen. Die Sprache der Blumen ist Victorias Kommunikationsmittel.
Die Autorin hat die botanischen Aspekte ebenso wie die verschiedenen Bedeutungen fließend in ihre Geschichte eingearbeitet. Mit ernstem Realismus und teils poetischem Ausdruck hält Vanessa Diffenbaugh ihre Leserschaft in einem ergreifenden Szenario gefangen. Ein lange gehütetes Geheimnis erzeugt Spannung, dramatische Wendungen sichern das Mitgefühl.
Ein wahrlich bewegender Roman mit schließlich zufrieden stellendem Abschluss.
Der Roman ist in gebundener Form mit Schutzumschlag und Lesebändchen zum marktüblichen Preis erhältlich. Nach einem Inhaltsverzeichnis und der Geschichte um Victoria Jones folgen im Anhang Victorias Wörterbuch der Blumen, ein Nachwort und eine Danksagung der Autorin.
Papier, Satz und Druck sind tadellos.
Fazit
DIE VERBORGENE SPRACHE DER BLUMEN ist eine tiefgründige Geschichte um menschliche Beziehungen, Liebe und Vertrauen. Tragische aber auch schöne Momente werden von Vanessa Diffenbaugh einfühlsam umgesetzt, die Charaktere liebevoll in ihrer Entwicklung beschrieben und begleitet. Geheimnisvolle Akzente verleihen dem Roman zudem einen Hauch Spannung.
Alles in allem ein emotionales, authentisches und ausdrucksstarkes Debüt!
Edit hat die ISBN entfernt ...