Wie bei fast jedem Werk des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami fällt es mir nicht ganz leicht, die Vielseitigkeit von 1Q84 in Worte zu fassen. Vorweg möchte ich anmerken, dass das Buch Band 1 und 2 der Trilogie umfasst. Band 3 ist in Japan bereits erschienen, wird jedoch in Deutschland voraussichtlich erst im Herbst 2011 veröffentlicht.
Über 1000 Seiten umfasst 1Q84. Da ist es nicht verwunderlich, dass Murakami die Fülle der Seiten nutzt, um eine Reihe äußerst rätselhafter Ereignisse miteinander zu verknüpfen.
Das erste Buch startet verhältnismäßig langsam. Die Charaktere werden vorgestellt, der Leser taucht in ihre persönlichen Schicksale ein und hier und da findet man Bezüge zu historischen Ereignissen. Der Schreibstil wirkt dabei ungewohnt distanziert und beschreibend. Als Leser ist man nicht mitten im Geschehen, sondern betrachtet die Figuren von außen.
Möglicherweise liegt das an der für Murakami eher untypischen Erzählperspektive, denn diesmal bedient er sich nicht der Ich-Perspektive, sondern erzählt in der dritten Person. Zudem neigt er dazu, manche Vorgänge wiederholt zu beschreiben, was mich an der ein oder anderen Stelle etwas Geduld gekostet hat.
Ich muss zugeben, dass ich abgesehen von den ersten Kapiteln doch ein wenig überrascht war. Konnte mich bisher fast jedes von Murakamis Werken fesseln, fand ich den ersten Teil der Trilogie ungewohnt langatmig. Zwar finden sich hier bereits mysteriöse Andeutungen, doch im Ganzen kam mir das gesamte erste Buch eher wie eine Einleitung vor.
Das ändert sich jedoch mit Beginn des zweiten Buches. Die Ereignisse werden überaus spannend. Es fällt zunehmend schwerer, 1Q84 beiseite zu legen und endlich häufen sich auch die undurchsichtigen Verstrickungen. Die zuvor parallel verlaufenden Handlungsstränge werden miteinander verwoben, sodass sich die Zusammenhänge herauskristallisieren. Wer jedoch auf klare Schilderungen und offensichtliche Berührungspunkte Wert legt, wird hier hoffnungslos verloren sein.
Murakami übertrifft in 1Q84 das Maß an Surrealismus seiner Vorgängerwerke um Längen.
Zwar gestaltet sich der Handlungsverlauf gewohnt fantastisch, doch es bedarf einer Menge Vorstellungskraft und Aufmerksamkeit, um das Gelesene greifen zu können. Die Geschichte ist so vielschichtig, dass zwar vieles in die passende Ordnung gebracht wird, zugleich aber auch sehr viel Raum für Spekulationen bleibt.
Auch thematisch zeigt sich Murakami vielseitig. In 1Q84 geht es um häusliche Gewalt und religiösen Fanatismus, aber auch um Freundschaft, familiäre Verstrickungen und eine lebenslange Liebe. Das Geschriebene wirkt gesellschaftskritisch, allerdings auch überaus romantisch, sodass sich in dem Buch verschiedene Genres mischen: 1Q84 ist nicht nur ein ungewöhnlicher Thriller, sondern auch eine komplexe Familiengeschichte und eine wunderbare Liebesgeschichte.
Ich muss zugeben, dass ich nach Beenden des Buches (noch) nicht alles begriffen habe, dennoch wirkt das Gelesene bereits jetzt rund. Stundenlang könnte ich darüber rätseln, was genau hinter den Details des Romans steckt und trotzdem scheint mir das Ende irgendwie passend.
So wirr der Inhalt nun auch scheinen mag, im Ganzen ist Murakami wieder ein kleines Meisterwerk gelungen, das zahlreichen Fans gefallen wird. Zwar unterscheidet sich der Schreibstil von den Vorgängern und vor allem das erste Buch erschien mir etwas langatmig, doch der zweite Teil ist randvoll mit murakamischer Fantasie, die von der Hand des Schriftstellers erstaunlich mühelos in eine bestimmte Ordnung gebracht wird.
Für Fans ist 1Q84 also durchaus empfehlenswert. Einsteiger sollten es lieber mit einem anderen Murakami versuchen, da die Konzentration der mystischen Elemente in diesem Buch leicht überfordern kann, wenn man mit Murakamis Schreibstil nicht vertraut ist.
Ob man 1Q84 auch unabhängig vom dritten Band lesen kann?
Momentan denke ich schon, dass man das Buch zuklappen kann, ohne es allzu sehr zu bedauern, dass man noch ein Jahr auf den offiziellen Schluss warten muss. Doch natürlich schwebt man vorerst in einer Luft, die randvoll mit rätselhaften Ereignissen und Interpretationsmöglichkeiten ist. Das Ende von 1Q84 bleibt offen und der Kopf schwirrt einem, weil sehr viele Fragen unbeantwortet bleiben – in meinen Augen ein typisches Merkmal für Murakamis Geschichten. Trotzdem möchte man natürlich wissen, inwiefern sich die Zusammenhänge in Band 3 offenbaren werden.
Ich werde mir den dritten Band auf jeden Fall zulegen.