Beiträge von Clio

    Hans Herbjornsrud
    Die Brunnen
    Erzählungen
    Luchterhand
    gebunden 19,95 Euro


    Der Band Die Brunnen von Hans Herbjornsrud besteht aus fünf Erzählungen, die nur schwer zusammenzufassen sind, fällt doch zunächst ihre Unterschiedlichkeit auf. Auf ganz unterschiedliche Weise steht das norwegische Landleben dabei im Mittelpunkt, so in einer Geschichte, die in einer Dorfschule spielt und in der ein sagenumwobenes Gedicht über einen Brudermord jeden Leser in den Wahnsinn trifft. Nicht nur in diesem Text fühlt man sich an Schauergeschichten des 19. Jahrhunderts erinnert. Und nicht nur hier vermischen sich volkstümliche Vorstellung vom Phantastischen mit einer modernen Skepsis an der Wirklichkeit der Welt. Immer wieder vermengen sich Fiktion und Realität, wie in der Geschichte, in der eine Grenzführung in einem Text des Ich-Erzählers den Zorn seines Nachbarn erweckt, der darin eine Finte sieht, tatsächlich die Grenzen zwischen beiden Grundstücken zu verschieben. Die Natur spielt im Werk Herbjornsrud eine ebenso beiläufige wie entscheidene Rolle, was vielleicht kein Wunder ist, da der Autor tatsächlich Landwirt ist. Verschiedene Leitmotive durchziehen die verschiedene Texte, das herausrragende ist der, bereits im Titel benannte, Brunnen, der für einen Eingang in eine anderen Welt, einen anderen Bewusstseinszustand steht.
    Sehr unterschiedlich ist jedoch der Ton der einzelnen Texte, so sind einige Geschichten heiter, andere düster bis ins Groteske, dass offensichtlich an Kafka angelehnt ist.
    Herausgekommen ist ein höchst eigenwilliges, anregendes Stück Literatur, das dem Leser einiges abfordert.

    Arno Geiger
    Der alte König in seinem Exil
    Carl Hanser Verlag
    ISBN 9783446236349


    Der alte König in seinem Exil ist ein sehr persönliches Buch. Der mehrfach preisgekrönte Romanautor Arno Geier ("Alles über Sally", "Es geht uns gut") schreibt darin über die Demenzerkrankung seines Vaters. Erst spät erkennt die Familie die Krankheit, das veränderte Verhalten seines Vaters wird als Alterspleen abgetan. Als die Krankheit diagnostiziert wird, ist schon vieles verloren. Sprichwörtliches wie eine Photographie des Vaters kurz nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft, das für Vater und Sohn eine besondere Bedeutung hat, aber auch die Erinnerungen des Vaters an sein Leben. In Gesprächen mit dem Vater versucht Arno Geiger das Leben des Vaters zu rekonstruieren. Kurze Interviewfetzen sind in den Text eingewoben und zeigen deutlich die zunehmende Verwirrung des Vaters.
    Trotz der Verwirrung und der immensen Belastung der Familie ist Geigers Buch oft heiter. Er vermag nicht nur das negative an der Krankheit zu sehen, sondern beschreibt auch eine neue Zärtlichkeit zwischen ihm und seinen Vater und ein Zusammenwachsen der Familie. In ihrer Absurdität sind die Dialoge mit dem Vater oft komisch, Geiger macht jedoch deutlich wie schwierig das Vergessen für Betroffenen und Angehörige auszuhalten ist. Komik und Tragik, Vertrauen und Verwirrung, Resignation und Aufbegehren liegen in diesem Text sehr nah beieinander. Das hat mich sehr gerührt. Das Buch hatte sicherlich einen therapeutischen Effekt für den Autor, und so kann er für Menschen, die ähnlich davon betroffen sind, sehr hilfreich sein. Aber Geigers Buch ist auch ohne diesen Bezug ein großartiger Text über das Leben und das Verabschieden vom Leben. Vollkommen unpompös und sehr persönlich beschäftigt sich der Autor mit den ganz großen Lebensfragen.

    Clay Carmichael
    Zoe
    Carl Hanser Verlag
    Jugendbuch ab 12
    ISBN: 3446237836
    Taschenbuch 13,90 Euro


    „Zoe“ von Clay Carmichael ist wirklich ein besonderes Jugendbuch. Als Zoe zu ihrem Onkel Henry zieht, fällt es ihr sehr schwer Menschen zu vertrauen. Zu oft ist sie enttäuscht worden: von ihrer Mutter, die an schweren Depressionen litt und sich das Leben nahm, und von deren diversen Männern, um die sie sich merh kümmern mußte als umgekehrt. Tiere stehen ihr sehr viel näher, für diese hat sie ein fast magisches Gespür. So freundet sie sich mit einem wilden Kater an und streift mit ihm durch die Gegend. Nur langsam öffnet sich Zoe, von ihrem Onkel, der ihr Zuneigung gibt, ohne sie zu bedrängen, und seinen Freunden ermutigt. Aber Zoe muss auch lernen, dass es neue Verletzungen mit sich bringen kann, zu vertrauen und zu lieben.


    Auf ihren Streifzügen durch die Natur begegnet Zoe ein merkwürdiges Paar: ein weißes Reh und ein verwilderter Junge. Die beiden sind jedoch in Gefahr und Zoe muss ihnen helfen.
    Clay Carmichael hat in „Zoe“ eine besondere Sprache geschaffen, die jugendgerecht ist ohne banal zu sein, die nie ungelenk, sondern sehr genau und von schlichter Poetik ist. Besonders aufgefallen sind mir die präzisen Nauturbeschreibungen. Da hat jemand genau gewußt, worüber er schreibt. Birgitt Kohlmann hat das Buch sehr einfühlsam und genau übersetzt.


    Die Hauptfiguren Henry und Zoe sind sehr tief ausgelotet und Charaktere, die sich dem Leser einprägen. Die Beziehung von Zoe und Henry ist einfühlsam aber auch komisch beschrieben. Zoe ist nicht auf den Mund gefallen und ihre Dialoge mit Henry bringen viel Humor in die Geschichte. Einige Nebenfiguren sind ein wenig eindimensional geratet, was an der Fülle des Personals schwer zu vermeiden war. Die Menge an Figuren angesichts eines relativ kurzen Romans ist mein einziger Kritikpunkt, wobei einige Figuren doch noch Überraschungen bieten, neue Perspektiven schaffen und das Veränderungspotential von Menschen verdeutlichen.


    Das Ende ist trotz oder gerade wegen seiner Bittersüße ein wenig kitschig. Das lässt sich vielleicht über das ganze Buch sagen – aber es ist Kitsch vom allerfeinsten!

    Gerd Ruebenstrunk
    Das Wörterbuch des Viktor Vau
    ISBN: 3492702244
    Piper
    Taschenbuch 15,95 Euro


    Die Welt in der Zukunft: Die alten Nationalstaaten gibt es nicht mehr. Demokratie ist Geschichte. Große Imperien werden von gesichtslosen Dynastien regiert. Geheimdienste kontrollieren die Bevölkerung.
    Plötzlich taucht ein unbekanntes Flugobjekt auf. Ziemlich schnell wird klar, dass es aus der Zukunft stammt. Nur einer kann die Botschaft entschlüsseln, die das UFO enthält: Viktor Vau. Denn er hat die Sprache erfunden, in der die Botschaft verfasst ist und die seinen eigenen Tod befiehlt. Die Sprache des Viktor Vaus beruht auf einem System, das es ermöglicht alle Phänomene der Welt eindeutig zu bestimmen. Mehrdeutigkeiten, Missverständnisse sind dadurch ausgeschlossen. Aber die Forschungen des Viktor Vau gehen noch viel weiter und bedrohen die Menschheit.
    Ruebenstrunks dystopischer Roman ist eine merkwürdige Mischung aus Zukunft und Gegenwart. Politisch hat sich die Welt vollkommen verändert, was die Technik und die Lebensführung angeht, ist sie jedoch fast heute schon veraltet. Die Menschen kaufen z.B. noch DVDs, ein Medium, dass bereits jetzt am verschwinden ist.
    Die Handlung des Romans ist vollkommen überfrachtet. Der Autor führt viel zu viele Personen ein. Einige Handlungsstränge erscheinen recht unmotiviert. Dazu kommt, dass viele der Figuren recht klischeehaft gezeichnet sind. Der Autor nimmt sich nicht die Zeit seinen Figuren Tiefe zu verleihen. Die teils schwerwiegenden moralischen Entscheidungen, die die Figuren zu treffen haben, werden geradezu abgehandelt.
    Viel Platz geht dabei dafür drauf, die Welt der Zukunft zu erklären. Diese Passagen sind jedoch so ungeschickt eingefügt, dass sie den Roman sehr schwerfällig machen. Da hilft selbst der reichliche Einsatz von Cliffhangern nicht, Spannung zu erzeugen.
    Auch sprachlich konnte mich das Buch nicht überzeugen. Es ist fast ironisch, dass ein Roman über eine Sprache von hundertprozentiger Präzision selbst so vage, so klischeehaft, so mutlos geschrieben ist.
    Insgesamt erscheint mir Das Wörterbuch des Viktor Vaus unausgegoren. Die spannende Grundidee ist leider vollkommen verschenkt worden...

    Danke für die Rezension. Das landet gleich auf meiner Wunschliste.
    Habe bisland "The Echomaker" und "Klang der Zeit" von ihm gelesen. Powers schreibt sehr gelehrt und ausufernd. Manchmal hat man das Gefühl, dass er unbedingt jede Information aus seinen Recherchen einbringen. Ohne ein gewisses Interesse für die Themen, die er behandelt, kommt man bei seinen Büchern wahrscheinlich nicht weit. Die Story ist nicht so das Hauptding in seinen Büchern. Aber sprachlich ist er einfach toll und seine Figuren gingen mir zumindest sehr nahe.

    Andrej Stasiuks Bücher "Unterwegs nach Babadag" und "Jenseits von Dukla" kann ich empfehlen, sehr anspruchsvoll und danach bekommt man erstmal einen Eindruck, wie weit Europa reicht.

    Jean Rolin
    Boulevard Ney
    Berlin Verlag 2009
    ISBN: 3827007976
    gebunden 24 Euro


    Paris - wer denkt da nicht an die Stadt der Liebe, die Stadt des Glamours und der Mode? Jean Rolin zeigt in seinen Stadtbeschreibungen Boulevard Ney jedoch ein ganz anderes Bild der französischen Hauptstadt. Er beschreibt die Gegend rund um den Boulevard Ney im Banlieue St.Denis, die von sozialem Wohnungsbau und Einfahrtsstraßen geprägt ist. Minutiös schildert er Plätze und Häuser und zeichnet dabei ein einzigartiges Bild urbaner Tristesse und Hoffnungslosigkeit. Sein Paris ist geprägt von Armut, Kriminalität und Prostitution. Für die meisten, die einmal in St. Denis gelandet sind, gibt es kein zurück mehr. Dies alles wird von Rolin mit einer schonungslosen Genauigkeit und nüchterner Sachlichkeit wiedergeben, die nie ins Zynische abgleitet. Die Lebensgeschichte des napoleonischen General Neys ist in seine Stadtgeschichten eingeflochten und lange habe ich mich gefragt, was diese biographischen Informationen eines Militärführers aus dem 19. Jahrhunderts in diesem Text zu suchen haben. Eine zaghafte Antwort: Rolins Blick auf die städtische Landschaft gleicht der eines Militärstrategen, der sein Terrain sorgfältig ausspäht. Mit viel Wärme berichtet Rolin jedoch von den Bewohnern des Viertels, den Obdachlosen und den Prostituierten, den Trinkern und Fixern. Und gelegentlich findet er auch inmitten der Trostlosigkeit des Vororts Bilder von berückend lyrischen Schönheit.

    Mal davon abgesehen, dass abgescannte oder abfotografierte Seiten zu lesen auch nicht gerade ein Hochgenuß sind. Ich fotografiere häufiger mal Bücher oder Kapitel für den wissenschaftlichen Gebrauch (wenn man die nicht ausleihen kann), aber ich verfluche das lesen!

    Wenn's nur einzelne Bibliotheken machen, sicher nicht. Wenn sich viele beteiligen, ist das nicht zu unterschätzen. Bibliotheken sind für Verlage eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle. Die gesamte Fachbuchbranche lebt ja in Grunde von Bibliotheken.

    Dany-Maus, die kommen natürlich in den feuerfesten Safe. :-)
    Ich habe gerade eine Hausratsversicherung abgeschlossen. Da meinte der Makler, man müsse Bücher nicht im einzelnen Nachweisen, wenn man vorher eine Pauschale angeben würde. Ich hoffe niemals in die Lage kommen zu müssen, die Zahlungswilligkeit meiner Versicherung auszutesten...

    "Lily" von Ray Robinson ist wirklich harter Tobak. Die Protagonistin Lily wurde von ihrer Mutter als Kleinkind die Treppe runtergeworfen und leitet seither an Epilepsie. Die Anfälle brechen regelmäßig über sie ein, so dass sie am ganzen Körper Narben und Spuren von Verletzungen trägt. Auch sonst spielt ihr Gehirn immer wieder verückt, so dass sie an Wahrnehmungsstörungen leidet.
    Als erwachsene Frau lebt Lily im Norden Englands und arbeitet in einem Spielcasino. Eines Tages taucht ihr lang vermisster Bruder wieder auf, der mittlerweile spielsüchtig geworden ist und sein Geld mit nebulösen Geschäften verdient. Lily versucht auch ihren zweiten Bruder, Mikey wiederzufinden - die Geschwister wurden als Jugendliche getrennt, als sie in unterschiedlichen Heimen untergebracht wurden. Lily geht nach London und macht sich auf eine hofnungslos erscheinende Suche.
    In Rückblicken erzählt Lily immer wieder aus ihrer Kindheit. Ihre Mutter war Alkoholikerin, schlug und vernachlässigte ihre Kinder. Lily machte sie beispielsweise für ihre epileptischen Anfälle verantwortlich und zwang sie mit den Kleidern, die sie bei ihren Anfällen vollgepinkelt hatte, zur Schule zu gehen. Natürlich wird Lily in der Schule zur Außenseiterin. Der Freund der Mutter nutzt die Liebesbedürfdigkeit des Kindes aus und mißbraucht es sexuell.
    Trotz der schwierigen Thematik ist "Lily" eine erfrischende Lektüre. Die Stimme der Heldin ist frech, direkt und trotz allem hoffnungsvoll. Obwohl Lily schon oft verletzt worden ist, findet sie immer noch die Stärke Menschen zu vertrauen und wird dafür belohnt. Immer wieder findet sie Menschen, die ihr helfen und sie lieben. Der Autor hat für Lily eine authetische Sprache gefunden, die auch in der Übersetzung gut übertragen wurde. Lilys ganz eigene Wahrnehmung der Welt, die zum Teil durch ihre Epilepsie bedingt ist, finden sich in sehr gelungenen Sprachbildern wieder. Auch typographisch ist das schön gestaltete Buch vom Mare-Verlag etwas besonderes.

    Carol Bruneau
    Glasstimmen
    übersetzt von Gregor Hens
    mare Verlag
    ISBN: 3866481217
    gebunden 22,90 Euro


    Im Sommer 1969 bricht Lucys Ehemann plötzlich mit einem Schlaganfall zusammen und fällt in ein langes Koma. Lucy muss sich darauf einstellen, nach vielen Jahren Ehe allein zu sein. Der Schock weckt ein altes Trauma in ihr zum Leben. Lucy und ihr Ehemann waren Zeugen der Halifax-Explosion, bei der im Ersten Weltkrieg ein Munitionsfrachter im Hafen von Halifax mit einem anderen Schiff zusammenprahlte und explodierte. 1500 bis 2000 Menschen kamen dabei ums Leben, ganze Stadtteile wurden vollkommen verwüstet. Lucy und Harry verloren bei diesem Unglück ihre kleine Tochter. Der Verlust hat in ihrer Ehe über lange Jahre tiefe Wunden hinterlassen. Lucy kommt über den Verlust ihrer Tochter nicht hinweg und macht sich immer wieder Hoffnungen, dass sie im Chaos nur verloren gegangen ist. Harry findet einen anderen Weg mit seiner Trauer umzugehen. Er freundet sich mit den etwas heruntergekommenen Nachbarn an, trinkt und spielt und hat eine Affäre mit einer anderen Frau.


    Die Ehe von Lucy unf Harry war nicht glücklich und dennoch sind sie einander über die Jahre immer näher gekommen, so dass sich Lucy ein Leben ohne Harry kaum noch vorstellen kann. Die Tiefe mit der Carol Bruneau diese komplexe Beziehung beschreibt ist wirklich beeidnruckend. Da gibt es keine klaren Antworten. Und sicherlich ist dieses Buch auf eine unaufdringliche Weise auch ein Plädoyer für Durchhaltevermögen und Verständnis.


    Die eigenwillige Lucy, die auch im Kontakt mit der Familie ihres Sohnes, stets versucht, ihre Unabhängigkeit zu wahren, ist ein interessanter, ungewöhnlicher Charakter. Lucy ist keine emanzipierte Frau, die gesellschaftlichen Veränderungen der 60er Jahre überfordern sie, aber trotzdem wehrt sie sich gegen die Konventionen ihrer Gemeinschaft und versucht ein selbstbestimmtes Leben zu führen.


    Glassstimmen von Carol Bruneau ist ein sehr stilles, auch stilistisch unaufdringlich-gekonntes, bezauberndes Buch!

    Zitat

    Original von woelfchen


    Es kommt auch auf den Anspruch des Textes an. *Das Gleichgewicht der Welt* hängt einem noch nach dem Lesen nach, ein Thriller / Liebensroman eher weniger.


    Das ist ganz entscheidend! Bei bestimmten Büchern schaffe ich auch 400 Seiten in drei Sätzen (bei entsprechender Schriftgröße). Das liegt dann daran, dass die Sätze so unoriginell sind, dass man nach drei Worten den Rest eh nicht lesen muss, weil man als erfahrener Leser weiß, wie es weiter geht. Und dass auch die Phantasie kaum Anregung braucht, weil vollkommen abgegriffene Bilder evoziiert werden.
    Andererseits habe ich für einen 10-seitigen Aufsatz von Walter Benjamin auch schon mal ein ganzes Wochenende gebraucht, ohne etwas anderes zu lesen. Da mußte jeder Satz auseinandergenommen werden.


    Ansonsten ist mein generelles Lesetempo sehr hoch. Das Verständnis leidet nicht unbedingt darunter, allerdings merke ich, dass ich mir sehr viel mehr merken kann, wenn ich langsamer lese.

    John Boynes neuer Roman Das Haus zur besonderen Verwendung fühlt sich an wie ein klebriges Bonbon, dessen unerträgliche Süße mir als Leserin Zahnschmerzen bereitet hat. Erzählt wird die Lebensgeschichte von Georgi, einem armen Bauernsohn aus Russland. Als Jugendlicher verschlägt es Georgi nach St. Petersburg, wo er Leibwächter des Zarewitsches wird und sich in die Zarentochter Anastasia verliebt. Diese erwidert seine Liebe, allerdings ist eine Verbindung zwischen dem ungleichen Paar undenkbar. Und bald werden die beiden auch noch in die Wirren der russischen Revolution gerissen.
    Klingt nach Disney? Aus Filmen wie "Anastasia" scheint Boyne sein historisches Wissen auch gezogen zu haben, historisch ist an diesem Roman wirklich gar nichts. Dazu ist das Geschichtsbild, das der Roman vermittelt, auch noch unerträglich naiv und sentimental. Die Geschichte des Revolution wird aus der Perspektive der Zarenfamilie erzählt. Seitenweise lässt sich der Erzähler Georgi darüber aus, wie ungerecht es doch sei, dass der Zar von seien Untertanen so gehasst wird, wo er sich doch unermütlich für sie einsetzt und so traurig über das Schicksal seiner gefallenen Soldaten ist. Der arme Zar! Das Leid der Bewohner, die von russischen Großgrundbesitzern ausgeraubt wurde oder von der zaristischen Geheimpolizei ins Gefängnis geworfen wurde? Wird mal nebenbei erwähnt, aber wirklich greifbar wird in diesem Roman nur die Leidensgeschichte der Zarenfamilie.
    Dazu fand ich das Buch nicht besonders gut geschrieben. Die Dialoge sind fürchterlich hölzern und es gibt unglaublich viele Redundanzen. Das Buch hätte ohne Sustanzverlust hundert Seiten kürzer sein können. Das Lektorat scheint sich beim Lesen gelegentlich im Tiefschlaf befunden zu haben, mich haben eine Fülle von Ungereimtheiten sehr gestört.
    Georgi erzählt in groben Zügen auch Geschichte seines späteren Lebens und seiner langjährigen Ehe mit seiner Frau Soja. Diese Abschnitte haben mir am besten gefallen, weil sie ein wirklich eindringliches Bild von einer jahrzehntelangen Liebe mit ihren Höhen und Tiefen zeichnet und auch die schwierige Situation von Migranten in einer fremden Gesellschaft beleuchtet. Vielleicht sollte John Boyne sich mal der Gegenwart widmen. Für historische Romane fehlt ihm einfach die historische Imagination!

    Zafons Roman "Das Spiel der Engel" ist eine Mischung aus Liebesgeschichte und mysthisch-phantastischer Kriminalgeschichte. Obwohl der Autor versucht die beiden Elemente zu verknüpfen, wirkt das ganze doch irgendwie unausgegoren, als hätte man zwei Romane zusammengepackt. Insgesamt ist das Buch viel zu überladen, wodurch auch Zafons Talent für interessante Figuren ein wenig verloren geht. Weniger wäre in diesem Fall sicher mehr gewesen. Mir war die Geschichte auch viel zu mystisch angehaucht und das Ende, wo es dem Autor nicht gelingt die verschiedenen Fäden zusammenzubringen, fand ich richtig doof.
    Für mich halbwegs gerettet haben das Buch die wirklich witzigen und rasanten Dialoge und die schönen Beschreibungen von Barcelona, auch wenn man die aus "Der Schatten des Windes" auch schon kennt.
    Kann man lesen, muss man aber nicht...

    Ich finde, das hängt ganz von der Qualität der Serie ab. Wenn sie gut ist, freue ich mich natürlich, dass es weiter geht. Wenn sie nicht so gut ist, ärgere ich mich, weil ich trotzdem weiter lesen muss. Das ist echt eine Macke, aber ich kann es einfach nicht ertragen, das Ende einer Geschichte nicht zu lesen...