Gnade und Ungnade des Vergessens
1. Vorbemerkung Mit großer Begeisterung habe ich die Nacht hindurch diesen Roman gelesen. 2.Vorbemerkung Drei autobiographische Ersteindrücke haben mich magisch angezogen: Auch ich bin Mitte der 70er Jahre von einer Großstadt (München) in eine Kleinstadt Oberhessens umgezogen. Außerdem gehöre ich in die 68er Generation und bekenne mich auch gerne zu einem Teil deren Ideale, die mir alles andere als peinlich sind.Und schlussendlich identifiziere ich mich mit dem Titel des Buches: Schrei nach Stille. Ich suche Stille in einer Zeit, in der überall dem Krach sogar per Gericht rechtgegeben wird. Überall wird die Freiheit derer geschützt, die in ihrer Freizeit Krach machen und feiern wollen, nirgendwo die Freiheit eines Menschen, der Ruhe sucht.Betroffene schreien nach Ruhe obwohl natürlich darin bereits ein Widerspruch liegt. Viele geben auch das Schreien auf und suchen Stille, z.B. in Norwegens und Kanadas Weiten, was die Auswandererzahlen belegen. Um den Übergang zum Roman zu finden: auch in einem oberhessischen Dorf findet man keine Ruhe, wie man an Sophie Winter sieht.
Inhalt: Sophie Winter, in Frankfurt wohnhaft, schreibt einen Romanbestseller "summer of love". Der Roman handelt von dem Leben dreier Blumenkinder der 68er Jahre, die von Frankfurt in ein oberhessisches Dorf ziehen um in Ruhe ihre Freiheit zu genießen. Die Dorfbewohner aber, fühlen sich in ihrer Heimatidylle gestört durch diese Außenseiter, und machen ihnen das Leben äußerst schwer.Sascha, eines der Hippiemädchen verschwindet spurlos. Und Angel, hinter der sich Sophie Winter versteckt, deckt in diesem Buch knallhart das Verbrechen auf, dem Sascha zum Opfer gefallen ist. Sophie Winters Buch wird verfilmt und sie wagt es sich iin jenem oberhessischen Dorf ein Haus zu kaufen. und sich praktisch mitten in die Höhle des Löwen zu begeben. Der Zufall will es, dass in jenem Dorf Paul Bremer wohnt. Paul Bremer, den man bereits aus früheren Romanen von Anne Chaplet kennt. Ein ehemaliger Werbefachmann, auch ein ZUgezogener aus Rüsselsheim, aber doch ziemlich gut in die Dorfgemeinschaft integriert. Der Roman wird zu einem Teil aus Pauls Sicht erzählt, zum anderen aus Sophies und desweiteren aus der Sicht: Giorgio DeLange. Dieser ist Öffentlichkeitsverantwortlicher bei der Frankfurter Polizei und damit beauftragt die Filmarbeiten "summer of love" zu begleiten. Mit Hilfe seiner Freundin, der Staatsanwältin Anne, bekommt er Zugang zu der Akte Sascha und ist beteiligt an der Aufklärung dieses Verbrechens. Zusätzlich spielt noch die Suche nach dem vermissten Kind Luca eine Rolle. Außerdem: um meinen Obertitel aufzunehmen: Sophie leidet an schleichender Demenz, einem Zustand, den sie bewusst wahrnimmt. Mehr möchte ich nicht verraten. Kritik: Chaplet hat eine wunderbare Sprache. Bilderreich, anschaulich, pointiert und auch witzig. Sie trifft voll ins Schwarze, wenn sie die Dorf"idylle" eines oberhessischen Bauerndorfs schildert. Diese misstrauischen, starrköpfigen Einheimischen, die sich nicht scheuen auch Gewalt anzuwenden, wenn man denkt, dass die Idylle gestört wird. um zu zitieren, hauptsache, "die Gass ist gefegt". Ich fühle mich auch den übriggebliebnen 68ern nahe, verkörpert in wunderbarer Beschreibung von dem nickelbrille, spiegellesenden Moritz. Klar: es ist nicht ein oberhessischer Charakterzug, dass Fremde ausgeschlossen werden, inzwischen lebe ich in einem oberbayrischen Dorf, wo es nicht anders ist. Oft zog mich Chaplet mit ihren rasanten Wortcollagen in ihren Bann und den inneren Dialogen von Sophie. Man erlebt hautnah das Vergessen mit.
Für mich ist das "Vergessen" eine ganz wichtige Spur in diesem Buch.. Gnade und Ungnade, die darin liegt. Auch Ruhe, die im Vergessen liegt, wenn die Demenz sich wie ein Nebel über das legt, was Sophie quält. Ich bin begeistert von dem Roman, auch von Paul Bremer, der eigentlich eine so mittelmäßige Figur ist. Ich empfehle Anne Chaplet sehr.
Zusatz:
Was mich sehr stört: dass mein Titel sowohl bei Vorablesen nocheinmal fast kopiert wurde und hier auch. Ich schrieb am 22. 8. dort die 2. Rezi und entdecke überhaupt ein Sammelsurium aus den Rezis.
Hier ist mein Titel in Abwandlung übernommen worden, aber nie klar geworden warum dann dieser Titel über der Rezi steht. Ich finde es sehr bedauerlich so oft darauf zu stoßen, dass nicht die eigenen Köpfe rauchen. Um es freundlich auszudrücken.
Falls ich das jetzt bei Jakob Hein auch entdecke, dann werde ich auf meinem geistigen Eigentum pochen.