Zitat
Original von Pelican
Interessant, zum ersten Mal machen mich "negative" Kritiken richtig neugierig...
Bye
Pelican
Hallo Pelican, und natürlich alle anderen,
das ist ein verbreitetes Phänomen: Selbst Verrisse bringen neue Leser.
Ich versuche, meine Kritik mal etwas konkreter zu fassen.
Als ich das erste Drittel von "Kristus" gelesen hatte, dachte ich, Jungejunge, das wird der beste Roman, den du in den letzten Jahren gelesen hast, ein Volltreffer, du wirst ihn dir x-mal bestellen und ihn an alle Freunde verschenken, du wirst ihn wieder und wieder empfehlen und auch selbst oft zur Hand nehmen -- das beste also, was einem beim Lesen passieren kann. Mich hat die Sprache umgehauen (wirklich, die gehört in eine Reihe mit Alfred Döblin, Joseph Roth & Konsorten), mich haben die Details umgehauen. Fabelhaft.
Etwa bei der Hälfte habe ich gemerkt, das etwas nicht stimmt. Und im letzten Drittel war ich richtig enttäuscht. Da bietet einer höchste Kunst auf, schreibt ein Meisterwerk -- und sagt: nichts. Keine Schönheiten, die einem einen neuen Blick auf das Leben schenken, keine weisen Worte, die Aha-Effekte produzieren, kein Schmunzeln, keine Sehnsucht, kein Weitwinkel auf die Welt; Robert Schneider hatte meine volle Aufmerksamkeit, ich habe ihn als Lehrmeister akzeptiert, es war still im Saal, wir alle warteten auf das, was er zu sagen hatte, und er: zuckte die Achseln.
Es ist nicht leicht zu beschreiben. Vielleicht hilft es, wenn ich den Roman mit einem Orchester vergleiche, das eine Sinfonie zum Höhepunkt aufbaut, man wartet auf die Melodie, die sich mit Hilfe der im Saal schwebenden Rampe von Klängen hoch hinaufheben wird, um über alles hinwegzuschweben. Aber sie kommt nicht.
Nun muß nicht jeder Roman ein Aha-Erlebnis bringen, versteht mich nicht falsch. Aber ich möchte ihn am Ende zuklappen und sagen: Das war schön. (Oder traurig. Oder spannend.) Und: Es hat sich gelohnt, und wenn es nur für diesen Satz oder diese Idee oder jenes Bild war.
Robert Schneiders Roman "Kristus" habe ich zugeklappt und dachte: Schade, das hätte was werden können. Aber irgendwie hatte er nichts zu geben.
Wißt ihr jetzt, was ich meine?
Titus