Dieser Augenblick, in dem Lisa stirbt, ist ein Auslöser. Zuerst, wie Caia sagt, nur dafür, sich zu verweigern. Dann aber, im Anschluss, wird tatsächlich ein Umdenkungsprozess in Gang gesetzt. Etwas Verschüttetes in seinem Innern wird wiedererweckt. Es gibt diese kurzen, prägenden Augenblicke, die einem Weckruf gleichen und die Persönlichkeitsveränderungen hervorrufen, ich habe sie selbst erlebt. Ich wollte darstellen, dass die Kraft, die Lisa selbst noch im Tod hat, ihm selbst Kraft gibt, aus seiner Situation der Lethargie und der Sinnlosigkeit hinauszufinden - wie ein Licht in der Finsternis. Lisas selbstbestimmter Befreiungsakt wird zu einem Vorbild für Matthäus, sich selbst aus den Fesseln seiner Kraftlosigkeit zu befreien, ohne dass er sich dessen wirklich bewusst ist.
Zuerst äußert sich das ja tatsächlich nur darin, dass er sich weigert, Jiska zu verkrüppeln (was übrigens in der Tat erstmals eine Verkrüppelung gegen den Willen der zu Verkrüppelnden wäre). Daraus entwickelt sich aber langsam die Erkenntnis des Matthäus, dass es an der Zeit ist, endlich Verantwortung zu übernehmen. Zuerst für sich, dann für andere. Eine Entwicklung, die später auch Judith instinktiv in diesem Mann spürt.
Das Bettelmädchen wird so zu einem Bild, einem Symbol - denn Matthäus hat sich zwar sinn- und ziellos durch sein Leben treiben lassen, aber zugleich war er immer einer, der nach Sinn und Ziel suchte (siehe das Verlassen es Elternhauses, seine traurige Liebe zu Sophie, seine Gier nach Anerkennung in der Gesellschaft). Vielleicht ohne es zu wissen.
Ich möchte darüber hinaus noch anmerken, dass der mittelalterliche Mensch in sehr großem Maß von gefühlsmäßiger Sprunghaftigkeit geprägt war. Symbole waren für ihn von existentieller Bedeutung. Ein Blitzeinschlag in der Nähe - und schon wurde das ganze Leben umgekrempelt. Lisas Todesblick war für Matthäus dieser Blitzeinschlag.