Beiträge von Desdemona

    Zitat

    Original von Voltaire


    Das liest sich so, als würden hier willkürliche Entscheidungen getroffen werden, dabei ist das Asylrecht in Deutschland relativ klar und lässt den zuständigen Verwaltungsgerichten nur wenig Spielraum. Zudem sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die der Asylentscheidung nachfolgende Abschiebe- bzw. Duldungspraxis nicht Teil des Asylverfahrens ist. Bei der Behandlung abgelehnter Asylbewerber handelt es sich um ein gänzlich neues Verwaltungsverfahren.


    Da es sich allerdings im Fall von Lahers Text nicht um Deutschland, sondern um Österreich handelt - und dieses nach Auffassung von Amnesty und anderen NGOs eines der Länder ist, die ständig das Fremdenrecht verschärfen (Erst in den letzten Tagen wieder: Überraschende weitere Verschärfungen im Fremdenpaket, Artikel der Ausgabe vom 24. Februar 2011 bzw. eine andere Quelle: "Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010) - ohne jeden Spielraum oder Möglichkeiten für die Betroffenen einzugreifen oder aber das Verfahren positiv (negativ sehr wohl) zu beeinflussen.


    Ich wollte damit keine Diskussion über das geltende Fremdenrecht anstoßen, egal in welchem Staat; ich wollte nur anmerken, dass es in der Praxis des Asylrechtes, der Abschiebe- und Duldungsverfahren wesentliche Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich gibt ;-)

    „Schlagzeilen versperren der Wahrheit den Weg.“


    Am 17. Juli 1932 war ein SA-Aufmarsch[1] in der Stärke von 7000-Mann vom Polizeipräsidenten der Stadt Hamburg-Altona – Otto Eggerstedt[2] – genehmigt worden; angekündigt war ein Demonstrationszug durch die Altonaer Altstadt (auch „Klein-Moskau“ genannt), in der vorwiegend die sozialdemokratisch- oder kommunistisch-gesinnte Arbeiterschaft lebte. Beim Demonstrationszug durch die Große Marienstraße, die Schauenburgerstraße und Johannisstraße kam es zunächst nur zu verbalen Auseinandersetzungen (Anstimmen der „Internationalen“ als Reaktion auf die Schmährufe der Marschierenden), später dann gezielte Angriffe mit Wurfgeschossen und Waffen, wie Totschlägern und Karabinern durch die SA an den Zuschauern, ungeachtet Alter, Geschlecht oder politischer Positionierung. Es fielen zwei Schüsse, zwei Mitglieder der SA wurden getötet, woraufhin die Altonaer Polizei folgerte, von Dächern und den Häusern angegriffen zu werden. Sie evakuierten den Demonstrationszug, schossen auf Häuser, Dächer und Fenster, durchsuchten die Häuser, verhafteten 90 Personen und erschossen – bzw. „starben im Kugelhagel“ – sechzehn Menschen der Wohnbevölkerung[3]. Wer für den Tod der zwei SA-Angehörigen verantwortlich ist, ist unbekannt; hingerichtet wurden vier Kommunisten – Bruno Tesch, Walter Möller, Karl Wolff und August Lütgens[4] – nach einem Sondertribunal der NSDAP am 1.August 1933.


    „Mein Name ist Klara Schindler. Ich werde einen Menschen töten. Vorsätzlich, aber nicht aus niederen Beweggründen, es ist meine Pflicht.“[5]


    Protagonistin des Romans ist die bei der Hamburger Volkszeitung angestellte Reporterin und überzeugte Kommunistin Klara Schindler. Mithilfe eines Aufnahmegerätes[6] sammelt sie Zeugenaussagen und Berichte über den Altonaer Blutsonntag, mit dem Ziel einer Veröffentlichung dieser Aussagen und, mehr noch, um dieses Verbrechen aufzuklären und den Tätern ihrer gerechten Strafe, damit der Gerechtigkeit zuzuführen: „Es ging mal wieder um Strategie, nicht um Wahrheit. Spricht die Wahrheit keine deutliche Sprache? Muss man Mörder nicht anklagen? Brauchen die revolutionären Massen nicht ein Ziel, müssen sie nicht aufgepeitscht werden in ihrem Gerechtigkeitsstreben, und hilft es da nicht, wenn man die Namen der Verbrecher nennt, denen das Blut der Arbeiter an den Händen klebt?“[7]
    Die Stärke des Buches liegt in der Dokumentation dieser Aussagen; in ihnen prahlen Lebenssituation der Arbeiter und Handwerker und damit ihrer (mehr oder weniger) demokratischen, damit politischen Gesinnung aufeinander. Es ist ein auf Authentizität ausgelegtes Zeit- und Sittenbild von Altona der 1930er Jahre. Auffallend dabei ist die Dichotomie der Aussagen, die drei bzw. eher zwei große politische Lager erkennen lässt: Kommunisten / Sozialdemokraten und Sympathisanten und Mitglieder von NSDAP/SA bzw. SS, die sich beide durch Radikalität und fehlendes Verständnis für demokratische und faire Spielregeln auszeichnen.


    „Warum stehen die Arbeiter nicht auf und folgen ihrer Bestimmung? Warum, zum Donnerwetter, verläuft die Geschichte nicht so, wie es ihr vorherbestimmt ist?“


    So auch Klara. Als überzeugte, dennoch intelligente junge Frau und Kommunistin angelegt, tritt sie als die Zeichen der Zeit verkennende, phrasendreschende Figur auf, die zwar Kant, Rousseau und Marx gelesen, aber wenig Wissen über die praktische Umsetzung dieser Ideologie (vor allem in Sowjetrussland) vorzuweisen hat. Sie ist eine Figur der Widersprüche, wenig fassbar für den Leser; sie bietet keinerlei Identifikationspotential, weil ihre Vehemenz, ihre Intoleranz gegenüber politisch Andersdenkenden, ihre Ignoranz gegenüber sich nicht mit ihrer Meinung deckenden Argumentationen, ihre politische und auch persönliche Naivität eine Idee von ihrer Umsetzung zu unterscheiden, sich als Konfliktpotential erweisen. Sie ist anderen Argumentationslinien nicht zugängig, agiert emotional und unsachlich und zeigt sich damit nicht in der vom Autor beschriebenen Intelligenz:


    „Na Mädchen, dann sieh mal her! […] Das sind Arbeiterhände. Und glaub bloß nicht, dass ich nicht ins Schwitzen komme, wenn ich durchführe, was ihr ständig propagiert. Ich praktiziere Enteignung.“
    „Zum persönlichen Gewinn.“
    „Na und? Wenn alle so beherzt zugreifen würden, dann wären eure Feinde bald mittellos. Meine Faust ist nicht leer, da steckt ein Schweißbrenner drin.“
    “Sie propagieren planlose Anarchie!“
    „Anarchie? Meinetwegen, aber weißt du denn, wie genau ich planen muss, bevor ich losschlage?“
    „Es ist sinnentleerter Individualismus.“
    „Ganz genau, bravo! Was bleibt mir denn übrig in einer sinnentleerten Welt? Ich hab mein Sach auf nichts gestellt.“[8]


    Konfrontationen dieser Art dienen wahrscheinlich dazu, das politische Profil der Figur, aber auch ihre Beständigkeit und ihre Durchsetzungskraft, ihren Sinn für Gerechtigkeit darzustellen und den Weg vorzuweisen – den des meisten Widerstandes – den sie gehen wird, um ein „Zeichen gegen den Nazismus“ (Klappentext) zu setzen. Dem Autor ist es, meiner Ansicht nach, dennoch nicht gelungen mir die Motivation der Figur, sich überhaupt für diese Ereignisse zu interessieren, zu erläutern, mir ihre Art und Weise zu leben und zu handeln nachvollziehbar zu machen und – in letzter Konsequenz – ihre Form des Widerstand als etwas Höheres zu werten, als einen durch Selbstjustiz und damit niederen Beweggrund („Vorsätzlich, aber nicht aus niederen Beweggründen…“, siehe [5]) provozierten Mordversuch.


    „Es ist doch… mein Kampf, und ich stehe allein.“[9]


    Viel weniger verständlich als die Motivation von Klara, ist die der anderen Charaktere ihr zu helfen, sie zu unterstützen oder auch nur ihr in Gesprächen zu begegnen. Eingeführt werden Diebe (Ludwig Rinke), Seemänner (Bandura), Straßenkinder (Elly, Paul), gescheiterte Künstler (Kurt), Polizisten (Weber, Behn) – Sie alle bleiben Rollenbilder, Pappkameraden ohne Innenleben, die bewegungslos wie Schaufensterpuppen sind und, aufgrund ihres fehlenden emotionalen Kostüms, nur wenig zum Handlungsverlauf beitragen können. Sie dienen eher als Reibepunkte, als Konfrontation für Klara. Mit Bedauern allerdings stellt der geneigte Leser fest, dass ausgerechnet die Figuren, die auf ihre Art und Weise ihr gegenüber Widerstand leisten, nur wenig Eigenleben bekommen, wie Bandura, der Seemann, von Klara als „Anarchist“ bezeichnet, weil er den von ihr als Vorbild verehrten Sowjetkommunismus unter Stalin kritisiert und als Diktatur bezeichnet: „Diktatur ist immer das Gegenteil von Freiheit, egal in wessen Namen sie errichtet wird.“[10] Nicht die erste stilistische Spitze, die dem Leser zu gefallen weiß:


    „Die Schranktür blieb offen, so dass Klara die Buchrücken betrachten konnte. Es waren philosophische Werke: Machiavelli, Hobbes, Spinoza, Descartes, Fichte, Hegel, Schopenhauer, Kierkegaard, Nietzsche.
    „Da fehlen Rousseau, Kant und Marx“, stellte sie fest.
    […] Während er vorsichtig einschenkte, sagte er: „Der Schwärmer, den Tugendbolzen und den Kirchenvater der Zwangsarbeit hab ich absichtlich liegen lassen. Lasse ich immer wieder liegen.“ [...]„[11]


    Treffsichere Analysen von Zeitphänomen, politischen Richtungen und auch Menschen, die eher unbeteiligt in der Handlung ihre Rolle wahrnehmen („Der Stellvertreter, ein untersetzter Mann mit Buchhalterbrille und klebrigen Haaren, war der Meinung, dass Politik und Kultur das Gleiche seien und man deshalb auf Kultur im Kulturteil verzichten könnte. „Umgekehrt wird ein Schuh draus“, hatte Klara ihm in einer Diskussion darauf geantwortet. Seitdem polemisierte er, so oft er konnte, gegen ihr „kleinbürgerliches Kunstverständnis“.“[12]) bleiben allerdings in dem 250-Seiten starken, dialoglastigen Roman eine Seltenheit; es regiert ideologie-verzerrtes Sprechen (Selbst Klara sich ein neues Sprechen frei von „hohler Propaganda“ wünscht, spricht nur von „Massenstreiks“, dem „Volkseigentum“, dem „Klassenfeind“.), Treffen von Allgemeinplätzen bzw. starken Pauschalisierungen. Es fehlt an poetischer Verbindung, an sprachlichen Bildern, an emotionalen Beschreibungen allgemein, die ein tieferes Bild der Protagonisten hätte geben können und vielleicht damit die Motivationen der Figuren logischer hätte erscheinen lassen.


    Fazit:


    Sprachlich wenig versiert, wird der Leser mit dem Hamburg der 1930er Jahre konfrontiert; mit Dieben, Seemännern, Kommunisten, Angehörigen der SA versucht Robert Brack ein authentisches Bild zu zeichnen und politische sowie soziale Eindrücke der Alltagswelt einzufangen; es misslingt ihm mehr auf inhaltlicher denn sprachlicher Ebene. Die Protagonistin ist in ihrer Rolle wenig überzeugend und bittet kein Identifikationspotential, es fehlt gänzlich am Innenleben, an Motivationen, Gefühlen und nachvollziehbaren Gedanken. Sie ist Fleisch, aber kein Mensch.


    Abschließend bleibt eine Korrektur bzw. die Erweiterung um eine Position. Brack schreibt: „Ohnmächtig ist der Einzelmensch im Taumel der Weltgeschichte, und voller Schrecken muss er zusehen, wie alles, was geschieht, nicht so geschieht, wie es geschehen sollte.“[13] Dem möchte ich etwas gegenüber stellen: „Never doubt that a small group of committed people can change the world. Indeed, it is the only thing that ever has.“ – Margaret Mead.


    ~*~


    [1] Unter dem Kabinett Franz von Papens wurde das Verbot von SA und SS (verhängt am 13. April 1932, von Reichswehrminister Wilhelm Groener durchgesetzt, in der Regierungszeit von Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum), zur Verhinderung von Putschversuchen und Stabilisierung des politischen Systems: „… je nach ihrer parteipolitischen Einstellung mehr oder weniger offen die Beseitigung der SA´s begrüßen, da sie sich durch deren Bestand in ihrem politischen Dasein bedroht fühlen.“ (A.L. Mannes: Heinrich Brüning. Leben, Wirken, Schicksal. Olzog, München 1999)) aufgehoben, um eine Tolerierung, gar Unterstützung der Minderheitenregierung zu erwirken. In Folge kam es zu passiv-politischen, aber auch offen- aggressiven Zusammenstößen der politischen Kräfte, vor allem zwischen Anhängern und Mitgliedern der Parteien KPD und NSDAP, mit 99 Toten und mehr als 1100 Verletzen. (Virtuelle Ausstellung: Weimarerzeit (1918-1933))
    [2] Eggerstedt – Mitglied der SPD bzw. Reichsabgeordneter von 1921-1933 – erhält später eine wesentliche Schuld am Ablauf der Ereignisse; er selbst war aufgrund einer Wahlkampfveranstaltung nicht zugegen, hatte auch seinen Stellvertreter freigestellt und auch seinen Vorgesetzten, den Regierungspräsidenten, uninformiert gelassen. Mit dem so genannten „Preußenschlag“ als Folge des „Altonaer Blutsonntags“ von Papens, bei dem die gesamte preußische Regierung aufgelöst und die Beamten ihres Postens enthoben wurden, verlor auch Eggerstedt seine Position. Nach der Machtübernahme 1933 tauchte er unter, wurde verhaftet und in „Schutzhaft“ genommen und „auf der Flucht“ am 12.Oktober 1933 im KZ Esterwegen erschossen. (Informationen zum Stolperstein in: Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V. | Bild des Stolpersteins)
    [3] Dazu vermerkt Robert Brack im Epilog: „Der Tod der sechzehn Unschuldigen, die am 17.Juli 1932 von Angehörigen der Hamburger und Altonaer Polizei ermordet wurden, blieb ungesühnt. Bis heute haben weder der Hamburger Senat noch die Bürgschaft noch die Polizeibehörde es für nötig gehalten , sich zu diesen Bluttaten zu bekennen.“ (Robert Brack: Blutsonntag. Edition Nautilus im Verlag Lutz Schulenberg, Hamburg 2010. S.250)
    [4] Gedenktafel im Innenhof des Amtsgerichts Altona
    [5] Robert Brack: Blutsonntag. Edition Nautilus im Verlag Lutz Schulenberg, Hamburg 2010. S.7
    [6] Tatsächlich gab es das erste Aufnahmegerät bzw. wurde das erste auf der Funkausstellung in Berlin 1935 vorgestellt.
    [7] Brack, S.143
    [8] ebenda, S.172/173
    [9] ebenda, S.7
    [10] ebenda, S.187
    [11] ebenda, S.172
    [12] ebenda, 16/17
    [13] ebenda, S.143

    "Weißt du nicht, dass man in der Liebe die Welt neu gründen kann?"


    Michael Köhlmeier ist kein unbekannter österreichischer Autor, nicht nur aufgrund seiner im Jahr 2007 ausgestrahlten 80-teiligen Sendereihe über die griechischen Mythen bei br-alpha (Link), sondern auch wegen seines schriftstellerischen (Abendland, 2008 oder Idylle mit ertrinkendem Hund, 2009) und feuilletonistischen Engagements. 2008 gewann er dafür den Bodensee-Literaturpreis für "Abendland" bzw. sein Gesamtwerk und erhielt 2007 das Goldene Verdienstzeichen der Stadt Wien.


    "Wie viele Bücher würden wir verabscheuen, wenn wir die Geschichte ihrer Entstehung wüssten."


    Sebastian Lukasser, dem geneigten Leser schon als Schriftstellerfigur aus dem Jahrhundert-Panorama "Abendland" bekannt, lässt sich in dieser Erzählung die Geschichte von Madalyn, einer jungen, gerade 14-jährigen jungen Frau erzählen, die mit Moritz, einem Schulkollegen, ihre erste Liebesbeziehung, ihre erstes großes Glück, ihre erste große Enttäuschung erlebt. Als fünf-jähriges Mädchen bei einem Unfall medizinisch notversorgend und später im Krankenhaus seelischen Beistand leistend, entwickelt der Schriftsteller und Nachbar eine zarte Bindung zu Madalyn, die bis in ihre Jugendzeit andauert. Sein Interesse an ihr und ihrer Geschichte, begründet er, mehr ausweichend, mit seiner "Berufskrankheit" sich das Leben anderer Menschen erzählen zu lassen, er sei dabei nur ein geduldiger Chronist von Zuständen und Prozessen: "Sie erzählte mir ihre Liebesgeschichte, um mich auf ihre Seite zu ziehen - sicher auch deshalb. Ich hörte ihr zu. Das ist mein Beruf, rechtfertige ich mich vor mir selbst."
    Madalyns Geschichte ist dabei nicht zuletzt eine Projektionsfläche des Autors; sie ist als Figur die eigentliche Erzählinstanz des Romans, sie formuliert ihre Erlebnisse selbst (Erkennbar an einem Bruch in der Perspektive - vom Ich-Erzähler Sebastian Lukasser zur auktorialen Erzählfigur Madalyn), selektiert die Themen, strukturiert ihre Berichte und füllt sie mit Leben. Nur wenige Fremdbeobachtungen fügt der Chronist hinzu und ordnet das Material.


    "Wo man die Wahrheit sagt, hat man nichts zu befürchten. Wo man lügt, schon."


    „Zugleich jedoch bleibt mit dem Erzählmotiv eine Ungewissheit, was tatsächlich und wahrhaftig vor sich gegangen sei.“, schreibt Klaus Zeyringer im Wochenendstandard vom 21./22.August. Das Spiel mit Identitäten, mit Lüge und Wahrheit sowie Hass und Liebe sind laufende Diskurse, nicht zuletzt in der Figur von Moritz. Madalyn und er sind ein junges und damit sehr unsicheres Paar. Selten sprechen sie - und wenn nur floskelhaft - über ihre Liebesbeziehung. Verstecken sich hinter Lügen, weichen sich aus, entdecken Dinge am Partner, Fehler und Schwächen, die sie nur schwer tolerieren können. Madalyn hat wenig Verständnis für Moritz' Lügerei, sie versucht zunächst mit dem ihr eigenen psychologischen Gespür hinter die Ursache dessen zu kommen und erleidet anhand von Geständnissen Enttäuschungen, die sie jedoch verdrängt bzw. nicht wahrzunehmen versucht. „Er hat gelogen, weil er Angst hatte, man könnte ihn nicht mehr mögen, wenn er die Wahrheit sagte, und jetzt meinte er, er muss weiterlügen immer lügen, und traut sich nie zu sagen, was in ihm vorgeht.“ Sie stellt fest, ihm fehlt es an Substanz, an innerer Festigkeit, vielleicht auch an Rückhalt in der Familie: "Alles an ihm ist einsam." Ein Gefühl, von dem sie gleichzeitig abgestoßen, aber auch fasziniert ist und sich angezogen fühlt, ist ihr doch Einsamkeit innerhalb ihrer Familie nicht fremd.


    "Bei allen Launen ihrer Mutter wusste sie doch, dass sie gemocht wurde... "


    Körperlich sind beide Elternteile nur selten anwesend und auch kaum präsente emotionale Teilnehmer in Madalyns Leben. Die Beziehung zur Mutter - der Vater verweigert sich konsequent einer zu offensiven Auseinandersetzung mit der Tochter - ist zwiespältig. Auf der einen Seite durch liebevolle Gesten begleitet, durchschaut die Tochter sehr schnell das Schauspiel ihrer Mutter ihrer Selbstverwirklichung und Karriere mehr Zeit einzuräumen als der Familie und damit ihrer Tochter. Madalyn hat über die Jahre auch Strategien entwickelt, mit der Grausamkeit und Bösartigkeit der Mutter umzugehen: sie verweigert sich körperlich, das Gehörte überhaupt aufzunehmen. Vorwürfe, Beleidigungen lässt sie an sich abprallen, bzw. unterwandert im Laufe ihrer Jugend das von der Mutter so gewohnte Streitsystem, in dem sie, statt zu weinen und das reuevolle Kind zu mimen, auf den Vorwurf "Ich habe nie ein Kind gewollt." antwortet: "Dann gib' mich doch zurück."
    Dennoch weiß sie, im Anbetracht der (vermeintlich wahren?) Geschichte von Moritz zu differenzieren: „Bei allen Launen ihrer Mutter wusste sie doch, dass sie gemocht wurde; und auch, wenn sie dem Vater nicht einen Millimeter hinter die Stirn schauen konnte, war doch klar, dass sie sein Liebling war und dass er sich zwischen seiner Frau und seiner Tochter für seine Tochter entscheiden würde, wenn's drauf ankäme. Und Hass? Was ist Hass? Schlechte Laune ist kein Hass und Jähzorn auch nicht, und wenn man bockt und einen Tag oder zwei mit keinem Wort rausrückt, ist auch das noch lange kein Hass.“


    Mutter-Tochter-Konflikte sind in Adoleszenzromanen keine seltenen Themen, es gebe schließlich keine schwierige Beziehung im Zeitraum der Pubertät, so Christine Nöstlinger: „Wenn ich aber ein Buch schreibe, wo ich aus dem Blickwinkel eines 14-jährigen Mädchens eine Mutter beschreibe, dann kann ich diese Mutter einfach nicht freundlich beschreiben. Oder nur in kleinen Bereichen freundlich, weil der Mutter-Tochter-Konflikt, gerade während in der Pubertät, ein derart heftiger ist, dass das einfach nicht abgeht mit einem objektiven, einsichtigen Blick.“
    So erscheint auch der Vorwurf, den Evelyne Polt-Heinzel im Furche-Booklet gegenüber Köhlmeier und dem Erzähler Sebastian Lukasser erhebt, er würde „... die egomane Mutter" und "deren Verurteilung" in den Vordergrund der Erzählung rücken, mehr noch, diese einseitige Darstellung würde "dem Erzähler am Herzen [zu] liegen...“, anstatt sich mit der opportunistischen Vaterfigur auseinanderzusetzen, die immer präsent, aber auch nicht präsent sei, absurd. Zum einen ist die eigentliche Erzählfigur nicht Sebastian Lukasser, sondern Madalyn. Sie steuert die Geschichte und damit auch die in ihr vorkommenden Personen. Und zum anderen: „Zum einen ist die Pubertät ein Zustand der absoluten Wahrheit, weil ein Mensch die Welt der Erwachsenen zu keinem anderen Zeitpunkt besser zu durchschauen vermag als in jenem Augenblick, in dem er sich selbst anschickt, erwachsen zu werden - eine eigentümlich hellsichtige Phase.“ Diese Hellsicht beweist Madalyn sowohl gegenüber ihrer Mutter (der sie Egoismus als auch Grausamkeit vowirft), aber auch gegenüber ihrem Vater (opportunistisch veranlagt und eher konfliktscheu).


    "Wir dürfen annehmen, dass Herr Lukasser zu seinem liegengelassenen Roman über den jugendlichen Mörder zurückkehrt. Vielleicht aber auch nicht."

    Der Roman bietet eine Auseinandersetzung mit den Gefühlen einer Jugendlichen; sie reflektiert über Liebe und Hass, über Wahrheit und Lüge und versucht damit erste Wertkategorien für sich festzulegen. Sie hinterfragt das Leben ihrer Eltern, ihre Eltern selbst. Dass Erwachsenwerden ist eine Folge eines Prozesses, der mit der Liebesbeziehung zu Moritz beginnt, den Abnablungsvorgang von den Eltern, der allerdings schon im frühen Kindesalter begonnen hat, nur fortsetzt. Dabei spielt es im übrigen keine Rolle, ob das Geschehen autobiografische Tendenzen aufweist, wie Kristina Pfoser im Kulturjournal des Radiosenders Ö1 vom 13.8.2010 hinterfragt. Der Roman selbst gibt auf diese Frage eine Antwort auf Seite 18: "Ich kenne sie [Anm.: Madalyn] in Wahrheit nicht, sie ist erwachsen, natürlich kenne ich sie nicht, woher auch; und dachte, nein, sie ist nicht erwachsen. Und dachte: Ich hatte über all die Jahre kein richtiges Bild von ihr. Ich hatte ein Bild von ihr, aber das hatte ich aus der Luft gegriffen, aus der Sentimentalität meines undankbaren Heldentums, ein präliterares Ding war sie für mich gewesen, eine Inspiration. [...] Das hier strengte mich an, ich wollte Charaktere in den Computer hacken und nicht in der Wirklichkeit ein Bild korrigieren, dass ich mir einmal gemacht hatte und das mehr über meine Rührseligkeit mir selbst gegenüber verriet als über Madalyn."


    Nicht von Relevanz, aber auch für den geneigten Leser nicht uninteressant ist, dass es tatsächlich eine Buchhandlung, geführt von Anna Jeller in der Margaretenstraße in Wien gibt. Oder aber die Tatsache, dass Lokalitäten wie das "Neni" am Naschmarkt oder das "Flex" existieren. Dennoch formuliert Köhlmeier im Interview mit Kristina Pfoser den Anspruch, es sei nicht "alles eins zu eins" zu interpretieren, auch, wenn man Sebastian Lukasser als ein "Alter Ego" von ihm bezeichnen könne.


    "Madalyn" bleibt ein Roman, der die Frage nach Erzähltraditionen stellt und wie man einen realen Stoff fiktiv verdichten kann, oder eine Fiktion wirklichkeitsgetreu darstellen kann. Auch ein Spiel mit Identitäten, mit der Frage, wie kleine Geschichten wie die der ersten Liebe nicht groß, aber dennoch elegant und melodiös gestaltet werden können. Eine Auseinandersetzung mit den großen Fragen der Literatur: Wie kann ich was erzählen, von wem wird es erzählt, wie verwende ich das Material und wie interpretiere ich es?

    Gelesene Bücher 2010


    Statistisches



    Gelesene Bücher: 79
    Davon - SUB: 45
    Davon - eBooks: 11
    Davon - Geliehen: 23


    Gelesene Seiten: 11582


    Januar


    01.) Tschingiz Ajtmatov - Du meine Pappel im roten Kopftuch (160 S.)
    02.) Nicolas Barreau - Die Frau meines Lebens (142 S.)
    03.) Salim Alafenisch - Der Weihrauchhändler (138 S.)
    04.) Jean-Paul Sartre - Geschlossene Gesellschaft. Stück in einem Akt (80 S.)
    05.) Ernst Theodor Amadeus Hoffmann - Der Sandmann (74 S.)
    06.) Tschingiz Ajtmatov - Aug in Auge (112 S.)
    07.) Johannes Merkel (Hrsg.) - Eine von tausend Nächten. Märchen aus dem Orient (143 S.)
    08.) Susanna Kaysen – Durchgeknallt. Seelensprung. Ein Leben in zwei Welten (224 S.)
    09.) Rafik Schami - Gesammelte Olivenkerne. Aus dem Tagebuch der Fremde (144 S.)
    10.) Sibylle Mulot – Das Horoskop (124 S.)


    Februar


    11.) Erich Hackl - Sara und Simón. Eine endlose Geschichte (198 S.)
    12.) Erich Hackl – Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick (76 S.)
    13.) Karlhans Frank (Hrsg.) - Menschen sind Menschen. Überall. P.E.N.-Autoren schreiben gegen Gewalt (154 S.)
    14.) Josef Winkler - Der Katzensilberkranz in der Henselstraße. Klagenfurter Rede zur Literatur (33 S.)
    15.) Virginia Woolf - Ein eigenes Zimmer (130 S.)
    16.) Silke Scheuermann - Die Stunde zwischen Hund und Wolf (174 S.)
    17.) L.J. Smith - Vampire Diaries, Part I: The Awakening (320 S.)
    18.) L.J. Smith - Vampire Diaries, Part II: The Struggle (320 S.)
    19.) Joanne K. Rowling - The Tales of Beedle the Bard (108 S.)
    20.) L.J. Smith - Vampire Diaries, Part III: The Fury (320 S.)
    21.) L.J. Smith - Vampire Diaries, Part IV: Dark Reunion (312 S.)


    März


    22.) Noëlle Châtelet - Mit dem Kopf zuerst (156 S.)
    23.) Kirsten Boie - Nicht Chicago. Nicht hier. (128 S.)
    24.) Carlos Ruiz Zafón - Gaudi in Manhattan. Eine phantastische Erzählung (59 S.)
    25.) Dagmar Chidolue - Lady Punk (176 S.)
    26.) Iris Hanika - Das Eigentliche (176 S.)
    27.) Julián Ayesta - Helena oder das Meer des Sommers (110 S.)
    28.) Gila Almagor - Der Sommer von Aviha (110 S.)
    29.) Carlos María Domínguez – Das Papierhaus (96 S.)
    30.) Felix Mitterer - Kein Platz für Idioten (143 S.)
    31.) Felix Mitterer – Die Beichte (80 S.)


    April


    32.) Maria Nurowska – Briefe der Liebe (255 S.)
    33.) Umberto Eco – Die Bibliothek (39 S.)
    34.) Rick Gekoski - Eine Nacht mit Lolita. Begegnungen mit Büchern und Menschen (224 S.)
    35.) Karl Kraus und Rosa Luxemburg - Büffelhaut und Kreatur. Ein unterdrücktes Kapitel in den "Letzten Tagen der Menschheit" (29 S.)
    36.) Peter Handke - Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien (134 S.)
    37.) Felix Mitterer – Sibirien (72 S.)


    Mai


    38.) Hugo von Hofmannsthal – Andreas (148 S.)
    39.) Oscar Wilde – Salomé. Tragödie in einem Akt (69 S.)
    40.) Friedrich Dürrenmatt - Minotaurus. Eine Ballade (51 S.)
    41.) Christine Nöstlinger – Stundenplan (152 S.) Re-Read
    42.) Gilles Leroy - Alabama Song (240 S.)
    43.) Robert Louis Stevenson - The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde / Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde (168 S.) Re-Read
    44.) Simone de Beauvoir - Ein sanfter Tod (128 S.)
    45.) Zelda und F. Scott Fitzgerald - Lover! Briefe (265 S.)
    46.) Peter Stamm – Agnes (153 S.)
    47.) Andrea Maria Schenkel – Tannöd (192 S.)
    48.) Albert Einstein und Sigmund Freud - Warum Krieg? Ein Briefwechsel (64 S.)


    Juni


    49.) Tschingiz Ajtmatov - Der erste Lehrer (95 S.)
    50.) Hannah Green – Bevor du liebst (402 S.)
    51.) Connie Palmen - Idole und Ihre Mörder (103 S.)
    52.) Erich Hackl - Die Hochzeit von Auschwitz. Eine Begebenheit (192 S.)
    53.) Roland Barthes - Tagebuch der Trauer (272 S.)
    54.) Prosper Mérimée – Carmen (126 S.)
    55.) Ödön von Horváth - Jugend ohne Gott (208 S.)
    56.) Stéphane Bruchfeld, Paul A. Levine und Robert Bohn sowie Uwe Danker - Erzählt es euren Kindern. Der Holocaust in Europa (160 S.)
    57.) Editors of Time Magazine, Yad Vashem, Rutka Laskier - Rutka's Notebook. A Voice from the Holocaust (96 S.) 58.) T.C. Boyle – Das wilde Kind (112 S.)
    59.) Michael Cunningham – Die Stunden (222 S.)


    Juli


    60.) Kathrin Schmidt – Du stirbst nicht (347 S.)


    August


    61.) Erich Hackl – Anprobieren eines Vaters. Geschichten und Erwägungen (304 S.)
    62.) Maarten 't Hart - Mozart und ich (208 S.)
    63.) Lisa Schroeder - I Heart You, You Haunt Me (240 S.)
    64.) Agota Kristof - Die Analphabetin. Autobiographische Erzählung (75 S.)
    65.) Elizabeth Scott - Love You Hate You Miss You (304 S.)
    66.) Seher Çak1r - Zitronenkuchen für die 56. Frau. Kurzgeschichten (115 S.)
    67.) Alessandro Baricco – Novecento. Die Legende vom Ozeanpianisten (96 S.)
    68.) Régis de Sá Moreira - Das geheime Leben der Bücher (170 S.)


    September


    69.) Michael Köhlmeier – Madalyn (172 S.)
    70.) Sylvia Plath – Die Glasglocke (262 S.)
    71.) Christine Nöstlinger - Geplant habe ich gar nichts. Aufsätze-Reden–Interviews (158 S.)
    72.) Heinrich von Kleist - Die Marquise von O … (40 S.)


    Oktober


    /


    November


    73.) Ilija Jovanovic - Vom Wegrand/Dromese rigatar (96 S.)
    74.) Hans Magnus Enzensberger - Die Große Wanderung. 33 Markierungen (76 S.)
    75.) Margit Hahn – Entgleisungen. Eisenbahn-Erzählungen (64 S.)
    76.) Michael Köhlmeier - Sunrise. Erzählung (96 S.)
    77.) Harry Mulisch – Strafsache 40/61. Reportage über den Eichmann-Prozess (236 S.)
    78.) Herman Hesse – Kinderseele (80 S.)
    79.) Heinar Kipphardt – Bruder Eichmann (160 S.)

    Arena Verlag, März 2009
    Sonderausgabe (Magnet-Bücher), 112 Seiten, 3,95 Euro


    ISBN-10 3401063650
    ISBN-13 978-3401063652


    „Sie trank davon, wie ein hungriges Wesen.“ „Sie trank die Geschichten?“ „Davon lebt sie. Feen vergessen sehr schnell. Und wenn jemand keine Erinnerungen mehr hat, dann hört er zu leben auf. Also muss sie sich von fremden Erinnerungen ernähren. Von fremden Gefühlen fremder Menschen.[...]“ (1)


    In Stephen Kings 1999 erschienen Roman „Das Mädchen“ (OT: „The Girl Who Loved Tom Gordon“) verläuft sich die neunjährige Patricia „Trish“ McFarland bei einer Wanderung, mit ihrer Mutter (, die sich von ihrem Mann gerade getrennt hat) und ihrem Bruder, in den Wäldern Neuenglands, genauer gesagt in Maine. Mit Urängsten wie Hunger, Durst, Orientierungslosigkeit, Einsamkeit, die Angst der Bedrohung des eigenen Lebens und der Unversehrtheit konfrontiert, vermischen sich in ihrer Wahrnehmung Realität und Fantasie. Sie führt Zwiegespräche mit ihrem Baseball-Idol Tom Gordon, Pitcher bei der Baseballmannschaft Boston Red Sox; dieser bestärkt sie, ermutigt sie, ermuntert sie nach einem Weg aus dem Wald zu suchen. Nicht nur mit alltäglichen, existenziellen Ängsten konfrontiert, fühlt sie sich von einem Wesen in ihren Träumen bedroht, dem „Gott der Verlorenen“. Paranoia, ein starker Verfolgungswahn treiben sie schließlich aus dem Unterholz auf eine befahrene Straße. Ihr Verfolger weist sich als ein ausgewachsener Schwarzbär, den sie nur durch den eigenen Mut und das schnelle Handeln eines Wilderers ‘besiegen’ kann.
    Offensichtlich war dieser Roman eine große Inspiration, eine Ideensammlung für Christoph Marzi.


    Inspirationen von anderen Autoren, wie Karl May, Neil Gaiman, Charles Dickens oder Edgar Allen Poe als literarische Anspielungen, wie bei „Der uralten Metropole“ (Neil Gaiman, Neverwhere), oder aber als eingeworfene Zitate (2) sind für den in der Eifel geborenen Autor intertextuelle Bezüge, ohne die ein heutiges Werk nicht mehr auskomme:


    “Dass Künstler sich von anderen Künstlern inspirieren lassen, ist wohl nichts Neues. Ich denke nicht, dass sich ein Musiker findet, der nicht von Bob Dylan, den Beatles, den Rolling Stones oder Abba beeinflusst wurde. […] Ich denke, dass Intertextualität dem Zeitgeist entspricht und einer Geschichte sehr gut tut– und diejenigen, die wirklich erkennen, worauf die Geschichte anspielt, haben auch ihre Freude daran. “ (3)


    Die Geschichte „Tagundnachtgleiche“ spielt für ihn im „tiefsten Stephen-King-Land“ (4), sie sei eine „Mischung aus Liebesgeschichte und Schauermärchen“(5). Elemente des Schauermärchens lassen sich viele finden – so ist die Geschichte um Fox, das Kind welches der Vater versprochen hat, um die Gesundheit seiner Frau zu bewahren eine moderne Fassung von „Rumpelstilzchen“, die Erlösung durch die Protagonistin Pippa erinnert stark an die Motivik innerhalb des Märchens „Der Froschkönig“. Und doch hat diese Geschichte etwas sehr Eigenes. Die Stilistik ist flüssig, voller Metaphoriken, voller Stilfiguren, die der Geschichte etwas sehr Zauberhaftes, sehr Poetisches geben. Ein Beispiel:


    “Es tat gut darüber zu reden. Es war fast so, als könnte man spüren, wie der Wind die Worte packte, sie dann mit sich nahm und irgendwo hoch oben an die Wipfel der Bäume band, wo sie niemanden mehr weh tun konnten mit ihren spitzen Kanten und scharfen Rändern.“(6)


    Wie eine Zusammenstellung aller möglichen Einflüsse aus Sagen, Märchen, Liedern und Zitaten wirkt dieses Buch – die Geschichte wirkt stellenweise beliebig, vielmehr berichtend als erzählend. Der Vorwurf des „Abkupferns“ steht im Raum, zu viele Einflüsse seien aufzufinden, zu viele Ideen fast unreflektiert übernommen worden, so die Rezensenten der Romane über „Die uralte Metropole“. Mag das auch stimmen und mag auch „Du glaubst doch an Feen, oder? Oder Tagundnachtgleiche“ nur eine Ansammlung fremder Textstreusel sein – Sie funktioniert. Die Geschichte ist stimmig, flüssig, rasant wie ein Road Movie, eine Suche nach sich selbst.


    Fazit:


    Eine rasante, schnell erzählte Geschichte mit Elementen des Märchens mit den altbekannten Zutaten von Liebe, einen Kampf gegen das Böse und Fabelwesen, die nicht nur gutes im Sinne haben. Der Stil ist wunderbar, wechselt zwischen berichtenden zu dialogischen Momenten und wirkt poetisch und zauberhaft mit vielen ausdrucksstarken, anschaulichen sprachlichen Bildern. Trotzdem wirkt die Geschichte wie eine Zusammenstellung aller möglichen Sagen und Märchen, teilweise beliebig in der Richtung, teilweise durchschaubar und eindimensional. Ein „Schmankerl“, ein „Betthupferl“ (7). Nicht mehr, aber auch nicht weniger.


    ~*~


    (1) Christoph Marzi: Du glaubst doch an Feen, oder? Oder Tagundnachtgleiche; 1.Auflage 2009; Arena Verlag, S.77
    (2) „Ein Geräusch wie von jemanden, der versucht kein Geräusch zu machen.“ ist eine direkte Anspielung auf die Kindergeschichte, die der Kinderbuchautor Ted Cole in „Witwe für ein Jahr“ von John Irving (OT: A Widow for One Year, 1998) seiner vierjährigen Tochter Ruth erzählt bzw. auf das 2003 erschienene Kinderbuch „Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen“ (OT: A Sound Like Someone Trying Not to Make a Sound).
    (3) Literatopia
    (4) ebenda
    (5) ebenda
    (6) Christoph Marzi: Du glaubst doch an Feen, oder? Oder Tagundnachtgleiche; 1.Auflage 2009; Arena Verlag, S.39
    (7) libromanie

    Meine Meinung:


    Nachdem ich “Goodbye Lemon” innerhalb von zwei Tagen gelesen hatte, war meine erste Reaktion mich zu fragen, welcher arme Praktikant für dieses Werk den Klappentext schreiben durfte, ohne es gelesen zu haben. Von “Jacks neuer Liebe Hahva” ist da Rede, die “droht ihn zu verlassen, wenn er sie nicht einweiht”. Auch von seinem Vater wird gesprochen, “der droht das Geheimnis mit ins Grab zu nehmen”, weil “er [ist] der Einzige ist, der weiß, was damals wirklich geschehen ist”, aber sich nicht mehr äußern kann. Warum? Seit einem Schlaganfall ist er gelähmt und stumm, kann sich nur über’s Augenzwinkern mitteilen bzw. über ein Gerät namens Dynovox kurze, knappe Befehle geben, die seine Grundbedürfnisse befriedigen sollen.


    Was nach einer Familie klingt, die ein Familiengeheimnis hütet, welches sich um den verstorbenen Bruder Dexter, genannt Lemon, rankt, ist ein einziges Verwirrspiel, in dem Realität und Scheinrealität durchmischt werden. Für den Protagonisten Jackson richtet sich sein ganzer Hass, seine ganze Trauer, seine Aggressivität, die daraus entsteht, und die Hilflosigkeit gegen seinen Vater, gegen dessen Alkoholismus, insgesamt gegen seine Existenz. Für ihn ist klar, sein Vater, der zum Zeitpunkt des Todes seines Bruders die Aufsichtspflicht hatte, hat diese vernachlässigt und deswegen ist er ertrunken. Außerdem hat er die universitäre Karriere des älteren Bruders Press auf dem Gewissen, genauso Alkoholiker wie sein Vater; genauso eine gebrochene Existenz, die noch im Hause seiner Eltern wohnt, der kein eigenes Leben führen, keinen Job machen und keine Beziehung halten kann. Dazu gehört noch die kontrollsüchtige, neurotische Mutter, die ihren Söhnen hinterher wischt, hinterher räumt und im Eigentlichen keine eigenen Wünsche und keine Ideale hat. An all diesen Umständen ist der Vater Schuld - Er muss dafür büßen, dass er der Familie das schöne Leben zerstört und den kleinen Bruder Dexter ums Leben gebracht hat… glaubt zumindest Jackson.


    Es geht eigentlich weniger um den Bruder als vielmehr um die nicht aufgearbeitete Trauer, die nicht aufgearbeiteten Probleme und Konflikte innerhalb der Familie, die dazu führen, dass der Protagonist Jackson sich eine Wahrheit zimmert, die mit seinen Kindheitserfahrungen konform geht. Kein anderer, außerhalb dieser Familie, weiß von dem Geschehen und so ist die neue Freundin Hahva, die ihn im übrigen nicht die Wahrheit durch emotionale Erpressung entreißen will, ein Störfaktor - Sie stellt unangenehme Fragen, versucht hinter die Fassade zu kommen und dringt in Jacks Welt ein, die er so fest versucht hat vor ihr zu verbergen.


    Die sprachliche Aufbereitung erinnerte mich mit dem spritzigen, ab und an sehr flapsigen Stil an Nick Hornby. Die Trauer ist trotz der „urkomischen Geschichte“, wie amazon-Rezensentin Helga Kurz es nennt immer präsent, immer liegt ein leichter, melancholischer Schatten über dem Erzählten, trotz der leichten Erzählweise. Wie ein Krimi lässt sich dieses Werk lesen – Man findet einen Täter, den Vater vor; man sucht nach den Hintergründen und vor allem nach den Ursachen, wie eine ganze Familie so emotional gestört, ja, zerstört werden konnte. Oder aber man liest dieses Buch wie eine Fallstudie. Eine Fallstudie über zerstörte Existenzen – wie sehr Alkoholismus den Menschen, nicht körperlich, auch psychisch, nachhaltig schädigt und wie sehr am Ende Angehörige und Bekannte darunter leiden.


    Eine lohnende Lektüre, eine spannende Lektüre.
    Sowohl handwerklich als auch inhaltlich spannend, mit vielen Geheimnissen umwobene, skurrile Geschichte mit liebevoll, gezeichneten, schrägen Charakteren.


    Ich sage nur noch eines: Wer dieses Werk lesen möchte, sich dafür interessiert, den heiße ich wie Jackson „willkommen im Sellbstmordpalast“.

    OT: Of Mice and Men
    Genre: Novella
    Erscheinungsdatum:1937, Covici Friede


    Übersetzung: Mirjam Pressler
    Erscheinungsjahr: 2001
    Verlag: K.G.Saur-Verlag im Paul Zsolnay-Verlag


    Eindrücke und Beobachtungen zu „Of Mice and Men“


    Historischer Hintergrund


    Der „schwarze Donnerstag“ – der 24.Oktober 1929 – markiert nicht nur den Beginn der Weltwirtschaftskrise, viel mehr ist hier der Startschuss für mehrere Negativentwicklungen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu suchen. Vor allem Kleinanleger verloren so binnen weniger Stunden ihr gesamtes Vermögen, die vorausgehende „Hurra-Stimmung“(2) (Sogar einer der bekanntesten Makroökonomen wie der, zu dieser Zeit an der University of Chicago, lehrende Rüdiger Dornbusch formulierte der positiven Grundstimmung entsprechende Sachverhalte, u.a.: „Der jetzige Aufschwung wird für immer andauern. Wir wollen keine Rezession, wir brauchen keine, und weil wir die Instrumente haben, diesen Aufschwung fortzusetzen, werden wir auch keine bekommen.“(3)) entwich einer „großen Depression“. 25% aller Amerikaner waren im Jahr 1932 arbeitslos gemeldet, was einer Zahl von 15 Mio. Menschen entspricht, der Durchschnittslohn sank um 60%, in der Landwirtschaft um 50% und viele Menschen waren gezwungen sich in eher limitierte, prekäre Arbeitsverhältnisse zu begeben(4), Saison- und Wanderarbeiter prägten das Bild, trotz schlechter Versorgungs- und Lebensverhältnisse.


    Eindrücke und Beobachtungen


    Susan Shillinglaw bezeichnet als die größste Stärke des amerikanischen Autors sein Gespür, seine Empathie die Probleme ‘einfacher Leute’ zu erkennen und ihre Ängste, Sorgen, Nöte und Wünsche zu teilen bzw. diese gekonnt zu verschriftlichen:


    „Steinbeck’s greatness as a writer lies in his empathy for common people – their loneliness, joy, anger, and strengh, their connection to places, and their craving for land. […] … and they are sustained by the author’s awareness of the genuine loneliness and tragedy of dispossessed Americans.“(5)


    Die Fähigkeit Handlungsabläufe zu verbinden, Charaktere auszuarbeiten mithilfe einfacher, beinahe nur in Arbeiterslang gehaltener Sprache, gelingt Steinbeck. Diese nicht konstruierte, nicht gestelzte, schnörkellose und direkte, dem Jargon von Wanderarbeitern angepasste, eher umgangssprachliche Ausdrucksweise verleiht dem Werk ein hohes Maß an Authentizität und Glaubwürdigkeit.
    Steinbecks wichtigste Technik ist hierbei die Vereinfachung durch Dramatisierung. Im April 1936 schreibt er an einen Agenten: „The work I am doing now […] is neither a novel nor a play but it is a kind of playable novel. Written in novel form but so scened that it can be played as it stands.“(6)
    Der Aufbau wird von Steinbeck selbst als stringent, zirkulär, szenisch und episodenhaft geschildert, ein roter Faden zieht sich durch die Handlung, durch Andeutungen wird ab der ersten Seite ein tragischer Ausgang des Geschehens vorausgesagt: „Ich glaube, ich hab’s von Anfang an gewusst. Ich glaub, ich hab gewusst, dass wir es nie schaffen.“(7); auch die ständigen Warnungen von George an Lennie sich nicht auf „Raufereien“ ("Hör zu, Lennie. Du versuchst ihm aus dem Weg zu gehen, ja? Sprich nicht mal mit ihm. Wenn er hier reinkommt, gehst du gleich auf die andere Seite vom Raum. Wirst du das tun, Lennie?“(8)) einzulassen bzw. das Verabreden eines Treffpunktes, falls Lennie „in Schwierigkeiten kommt“(9), sind deutliche Symptome dafür, dass der Weg, den beide Figuren so beherzt und voller Elan befolgen (den „American Dream“) sie in eine Sackgasse führen wird.


    Kritisch betrachte ich dabei die vereinfachte Charakterisierung der Hauptfiguren durch den Autor. Meiner Auffassung nach ist diese stark simplifiziert und eindimensional, die Charaktere sind mehr Schablonen, mehr Teil einer schematischen Struktur in dieser Novelle; für Steinbeck im Zentrum steht die Gruppe der Außenseiter – isoliert und ausgegrenzt, aufgrund der Hautfarbe (Crooks), der körperlichen Verfassung (Crooks, Candy), des Alters (Candy), des Geisteszustandes (Lennie), des Geschlechtes (Curleys namenlose Frau). Deutlich wird deren Position innerhalb der Farmgesellschaft beim Zutreffen aller vier Charaktere in Crooks Stube. Sowohl Crooks als auch Candy, Lennie und Curleys Frau wurden von dem gemeinsamen Treffen nach Feierabend ausgeschlossen, sie als Einzige versprachlicht dabei die Gründe: „Alle Schwachen haben sie hier gelassen. […] Ich stehe hier rum und rede mit einen Haufen von Tölpel, mit einem Nigger, einem Blödmann und einem lausigen alten Schaf…“(10). Meiner Ansicht nach, ist das eine Banalisierung und Verflachung der Lebensumstände aller Figuren, es besteht kein Interesse die Gründe dafür zu hinterfragen, es besteht auch nicht die Möglichkeit für den Leser selbst die Figuren nach ihrer Position zu beurteilen, vielleicht auch durch einen stärkeren Kontrast auch zu einer alternativen Einschätzung zu kommen. Der Autor hat nur eine Möglichkeit der Interpretation gegeben und lässt dem Leser so keinen Spielraum für eigene Gedanken und Vorstellungen.


    Eine intensive emotionale Verbindung kann der Leser zu Lennie und George aufbauen, sie zeigen sich im Laufe der Handlung sehr ambivalent, die einzige Konstante bleibt ihre Freundschaft zueinander. Lennie erscheint dem Leser als groß, mächtig und stark, dabei aber sehr tollpatschig, unkontrolliert und hilflos. Ob ihm die notwendige Bildung und Erziehung fehlt bzw. eine geistige Behinderung vorliegt, ist nicht erkennbar und gehört auch nicht in den Bereich des notwendigen Wissens. Diese Figur neigt nicht nur zur Gewalttätigkeit und geht Konflikten aus dem Weg, so sagt George am Ende: „Lennie hat es nicht aus Bosheit getan. […] Er hat dauernd was schlimmes angestellt, aber nie aus Bosheit.“(11) Er erscheint als sehr hilfloser Charakter, der sich nicht wehrt, eher zur Unterwürfigkeit neigt und mehr Befehlsempfänger denn eigenständig handelnde Person ist. George dagegen wirkt sehr harsch, sehr bestimmend und dominant in der Beziehung, erweckt dabei allerdings fast immer den Eindruck, dies nicht aus selbstsüchtigen Zielen heraus zu tun, sondern mehr aus Zuneigung und zum Schutz von Lennie. Er stößt oft Drohgebärden aus, schüchtert seinen Freund ein, ängstigt ihn mit der Vorstellung ihn allein zu lassen: „Mein Gott, mit dir hat man schon seine Last. […] Ich könnte es so leicht und schön haben, wenn ich dich nicht am Hals hätte. Ich könnte bequem leben und vielleicht ein Mädchen haben.“(12) Lennie reagiert fast kindlich, trotzig: „George, willst du, dass ich weggeh und dich allein lass? […] Wenn du mich nicht mehr haben willst, kann ich zu den Hügeln gehen und mir ‘ne Höhle suchen. Ich kann jederzeit fortgehen.“(13) Ob Lennie sich der Wichtigkeit bewusst ist, die er für George darstellt, ob ihm bekannt ist, dass Lennie der einzige Freund ist, der einzige Ausweg aus der, durch die Position ergebenden, Einsamkeit zu entfliehen? Möglich, viel wichtiger erscheint aber der sie verbindende Traum einer gemeinsamen Farm mit Tieren, vor allem Kaninchen, einem Feld voller Luzernen, ein sesshaftes, ruhiges, eigenes Leben also. Sie verbindet eine tiefe Freundschaft, Crooks verdeutlicht es mit den Worten: „Du hast George. Du WEIßT, dass der wiederkommen wird.“(14) und die beiden wiederholen immer wieder ihr Motto:


    „Sie haben niemand auf der Welt, der sich auch nur einen Deut um sie kümmert….“
    „Aber uns kann das nicht passieren.“, rief Lennie glücklich. […]
    „Aber uns nicht.“, sagte er dann.
    „Weil…“, sagte Lennie.
    „Weil, ich hab dich…“
    „Und ich hab dich.“, rief Lennie triumphierend. „Wir haben uns gegenseitig und das ist verdammt gut so.“(15)


    So schließt sich der Kreis; die Geschichte beginnt am Flussufer des Salinas, wo sie das Motto zuerst erwähnen, und endet dort auch wieder. Mich als Leser lässt das sehr traurig zurück mit einem starken, melancholischem Gefühl. Man wünscht sich einen positiven Ausgang für die beiden Figuren, man wünscht ihnen, dass sie nicht am „American Way of Life“ zerbrechen und wie viele andere ihr Ziel nicht erreichen. Crooks hat dazu auch etwas gesagt:


    „Ich habe Hunderte von Männern gesehn, die von der Landstraße auf die Farmen gekommen sind, mit ihrem Bündel auf dem Rücken und denselben verdammten Ideen im Kopf. Hunderte sage ich dir. Sie kommen und sie gehen und ziehen weiter und jeder verdammte Kerl von ihnen hat ein Stück Land im Kopf. Und verdammt keiner erreicht es je. Es ist wie mit dem Himmel. Jeder wünscht sich ein kleines Stückchen Land. […] Es kommt keiner in den Himmel und keiner bekommt ein Stück Land.“(16)


    Für mich bleibt nach wie vor eine Botschaft die wichtigste in der Novelle, formuliert von Slim (In dem sich im übrigen wieder nur positive Eigenschaften vereinigen. Steinbeck mag für ihn kein Negativattribut finden; er wirkt damit wie ein Übermensch, ein Charakter an den niemand anderes heran kommen kann.): „Es gibt nicht viele Männer, die zusammen rumziehen. […] Ich weiß nicht warum, Vielleicht hat in dieser ganzen verdammten Welt jeder Angst vor dem anderen.“(17)


    Fazit:


    Die Novelle beginnt mit einer wunderschönen Landschaftsbeschreibung der Umgebung, rund um den Salinas River, atmosphärisch sehr dicht, sehr melancholisch, beinahe ein wenig pathetisch. Die beiden Hauptfiguren treten in diese Landschaft, man baut eine Beziehung zu ihnen auf, ihre Beziehung wird ambivalent und sehr detailliert geschildert. Die Charakterisierung der anderen Figuren wirkt dagegen nur schematisch, schablonenhaft, teilweise sehr eindimensional und einseitig. Sie wirken wie Spielfiguren, die dazu da sind, den strikten, sehr stringenten Aufbau voranzutreiben. „Of Mice and Men“ ist flüssig lesbar aufgrund seiner umgangsprachlichen, dem Milieu angepassten Stilistik. Die Lektüre erweist sich als kurzweilig, viele, auch historische Probleme werden angesprochen, aber nicht vertieft, um dem Leser die Möglichkeit zu bieten sich entweder noch selbst damit zu beschäftigen oder aber sich einfach auf die Rahmengeschichte zu konzentrieren. Das Buch weiß zu gefallen, noch lange nach der Lektüre lässt es einen nicht los, man wird vom Autor fast nachdenklich zurück gelassen. Ein gutes Buch.


    ~*~


    (1) „Banned Books Week (BBW) is an annual event celebrating the freedom to read and the importance of the First Amendment. Held during the last week of September, Banned Books Week highlights the benefits of free and open access to information while drawing attention to the harms of censorship by spotlighting actual or attempted bannings of books across the United States.“ (American Library Association)
    (2) Krise. Wirtschaft. Freiheit (Teil III): America´s Great Depression – Die wahren Gründe für den Crash von 1929, Gregor Hochreiter, Institut für Wertewirtschaft, Wien, November 2006 (Onlineressource)
    (3) Ebenda
    (4) Wikipedia
    (5) Of Mice and Men. With an introduction of Susan Shillinglaw, John Steinbeck, Penguin Books, 1994, New York, S.7f
    (6) Of Mice and Men, Steinbeck, 1994, S.15f
    (7) Von Mäusen und Menschen, John Steinbeck, K.G.Saur-Verlag im Paul Zsolnay-Verlag, Wien, 2001, S.142
    (8) Von Mäusen und Menschen, John Steinbeck, S. 46
    (9) Ebenda
    (10) Von Mäusen und Menschen, John Steinbeck, S.116ff
    (11) Von Mäusen und Menschen, John Steinbeck, S.143
    (12) Von Mäusen und Menschen, John Steinbeck, S.13
    (13) Von Mäusen und Menschen, John Steinbeck, S.21f
    (14) Von Mäusen und Menschen, John Steinbeck, S.110
    (15) Von Mäusen und Menschen, John Steinbeck, S.156
    (16) Von Mäusen und Menschen, John Steinbeck, S.112
    (17) Von Mäusen und Menschen, John Steinbeck, S.54

    Erich Hackl; Sara und Simón. Eine endlose Geschichte; 2,0
    Erich Hackl; Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick; 2,5
    Karlhans Frank (Hrsg.); Menschen sind Menschen. Überall. P.E.N.-Autoren schreiben gegen Gewalt; 4,0
    Josef Winkler; Der Katzensilberkranz in der Henselstraße. Klagenfurter Rede zur Literatur; 1,0; Monatshighlight
    Virginia Woolf; Ein eigenes Zimmer; 1,5
    Silke Scheuermann; Die Stunde zwischen Hund und Wolf; 4,0
    L.J. Smith; Vampire Diaries, Part I: The Awakening; 3,0
    L.J. Smith; Vampire Diaries, Part II: The Struggle; 2,5
    L.J. Smith; Vampire Diaries, Part III: The Fury; 3,5
    L.J. Smith; Vampire Diaries, Part IV: Dark Reunion; 2,5
    Joanne K. Rowling; The Tales of Beedle the Bard; 2,0

    Isabelle Minière; Ein ganz normales Paar; 5
    Michael Köhlmeier; Dein Zimmer für mich allein; 3
    Jessica Durlacher; Schriftsteller!; 3,5
    T.C. Boyle; Guten Flug, Zwei Erzählungen; 2
    Neil Gaiman; Sternenwanderer; 2,5
    Christoph Marzi; Du glaubst doch an Feen, oder?, oder Tagundnachtgleiche; 2,5
    Marcel Reich-Ranicki; Über Literaturkritik; 1; Unilektüre
    Gunther Nickel (Herausgeber); Kaufen! statt Lesen!, Literaturkritik in der Krise?; 2; Unilektüre
    Jean-Paul Sartre; Die Eingeschlossenen von Altona; 3,5
    Tilman Rammstedt; Der Kaiser von China; 3
    Andrew Kaufman; Alle meine Freunde sind Superhelden; 4
    Mauricio Rosencof; Die Briefe, die nie angekommen sind; 2
    Thomas Bernhard; Heldenplatz; 1; MONATSHIGHLIGHT

    DUMONT Literatur und Kunst Verlag, Oktober 2008
    Hardcover, 192 Seiten, 17.90 Euro


    ISBN-10 3832180745
    ISBN-13 978-3832180744


    Der Text sei „hochkomisch und super“(1), so Klaus Nüchtern(2), geradezu „brilliant“(3), „… diese überbordende Suada sei mit großem Können ausgeführt, besitze bei seinem slawischen Humor etwas sehr Eigenständiges“(4), so Daniela Strigl(5), ein in seiner „Musikalität hervorragend ausgeführter Text“(6), so Andre Heiz(7).
    Einzig Burkhard Spinnen(8) attestierte dem wenig Potential, er „… gerät auch irgendwann in eine Schieflage, weil immer mehr und mehr aneinander gereiht wird“(9); zwar wäre die Idee, die Figurengestaltung interessant, die Motive, die Figuren, die humoristische Aufarbeitung des Thanatos-Themas seien aber nicht neu. Er sehe kaum eine Weiterentwicklung schon bekannter Themata: „Zwar blendend komponiert, ein virtuoses Potpourri - aber was hat er der Summe seiner Teile hinzuzufügen…“(10). Trotz des negativen Urteils von Spinnen wusste der Text sowohl bei den anderen Juroren als auch beim Publikum zu begeistern. Er erhielt nicht nur den Hauptpreis der Jury, sondern auch den Publikumspreis. Zurecht?


    Ursula März(11) kritisierte die Haltung des Juryvorsitzenden Spinnen mit den Worten: „Immer wenn hier ein Text mit enormer Leichtigkeit und einer schönen Sprache daherkommt, bei dem viel gelacht wird, wird der Moment kommen, wo er verdächtig gemacht wird.“(12) Mir liegt es fern die Leistung Tilman Rammstedts zu verdächtigen; mir liegt es fern dem Buch eine Sogwirkung zuzuschreiben, genauso wenig möchte ich ihm das Talent absprechen zwischenmenschliche Beziehungen analysieren, beschreiben, beurteilen, darstellen zu können. Die Beziehung des Großvater-Enkel-Gespanns ist gezeichnet von Missverständnissen, Konflikten, die nicht nur die Probleme zweier Menschen in unterschiedlichen Altersklassen betreffen, mehr sind es nicht ausgesprochene Gefühle und Gedanken, mehr noch sind es die Dinge innerhalb des Alltagslebens, die beide trennen. Die Liebe ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Beziehung; das Gefühl jemanden zu lieben, ihn sich nähren zu wollen, nicht zu wissen wie, die Ablehnung, die aus einer solchen Unsicherheit resultiert – all das sind keine humoristischen, schönen Momente. Beide, sowohl Keith, der Enkel, als auch der Großvater sind in dieser Beziehung einsam; sie fühlen sich vom Gegenüber allein gelassen, missverstanden, fehlinterpretiert. Die gegenseitige Suche nach Nähe innerhalb der Familie, auch zu Keith, wird der Figur des Großvaters als Negativum angelastet. Seine zahlreichen, teilweise sehr skurril beschriebenen Eigenheiten übertrieben, auch seine positiven Charakterzüge ins Negative umgekehrt.


    Zitat


    “Du kannst froh sein einen solchen Großvater zu haben“, sagte Dai, als wir den Park wieder verließen. „Ja“, sagte ich, auch wenn ich nicht wusste, ob ich darüber wirklich froh sein konnte. Ich wollte es aber können, ich wollte nichts lieber können als das, allen anderen gelang es doch auch, es konnte doch nicht so schwer sein.“(13)


    Der verzweifelte Versuch ihn zu lieben, ihn zu verstehen, lässt ihn auch die Nähe zu Franziska, der letzten „Großmutter“ suchen. Er baut mit ihr eine ‘Beziehung’ auf, die vornherein zum Scheitern verurteilt ist; sie teilen keine Liebe füreinander, keine tiefer gehende Emotion, einzig ihre negative Beziehung zum Großvater bleibt ihre Gemeinsamkeit.
    Die Beziehung zwischen beiden steht ganz im Mittelpunkt dieses Romans und wird damit auch zum Damoklesschwert für meine negative Beurteilung. Die Handlung bleibt stoisch, Konflikte zwischen den Figuren werden durch das Ableben des Großvaters nicht geklärt; die Beziehung wird einzig und allein durch Keith beurteilt. Es bleibt kein Raum für fremde Beobachtungen, für Beobachtungen von Franziska z.B. oder anderen Mitgliedern dieser Familie. Die Umwelt bleibt ein nicht erwähnter Faktor innerhalb dieser zwischenmenschlichen Beziehung. Nur die charakterliche Schwäche beider Figuren steht im Mittelpunkt, Einflüsse von Außen gibt es kaum, selbst in den fiktiven Briefen Keiths aus China verändert sich dieses Verhältnis nicht. Der Roman ist als Introspektive aufgebaut und bleibt diesem Schema bis zum Ende treu. Ein großes Manko, meiner Ansicht nach.
    Nicht nur die Eindimensionalität der Figuren bleibt so bis zum Ende vorhanden, auch bewegt sich in der Handlung nichts; es gibt keinen Fortgang, keine neue Erkenntnis für Keith. Er bleibt in seiner Welt gefangen, in der Konflikte nicht ausgesprochen werden, Emotionen und Gedanken nicht ausgetauscht werden. Auch die China-Episoden, die durchaus imposant, sehr skurril, sehr innovativ in Briefen des jungen Mannes an seine Familie geschildert werden, verstärken den Eindruck noch. Diese Reise hat nicht stattgefunden, sie ist nur ein Phantasieprodukt von Keith, um über den Verlust des eigentlich Ungeliebten hinweg zu kommen – Zudem wirken die Briefe nicht authentisch, aufgesetzt, zu stark konstruiert, um eine Aussage treffen zu können. Andre Heiz hat es sehr passend charakterisiert, wenn er sagt, dass in diesem Roman „Humor als Therapie eingesetzt“(14) werde und der Leser einem „ständig schwatzendes Über-Ich“(15) begegne.


    Fazit:


    Eine stilistisch gut aufgearbeitete Großvater-Enkel-Beziehung, die sich allerdings innerhalb von fast 200 Seiten wenig bis gar nicht entwickelt; ein Problem ist hier, dass die Möglichkeit Konflikte auszutragen und Lösungsmöglichkeiten zu finden von Anfang an nicht gegeben ist. Der Roman bleibt so stoisch, ohne große Wendungen, ohne große Veränderungen in seiner atmosphärisch heiter-melancholischen Introspektive.


    ~*~


    [1] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [2] Klaus Nüchtern ist ein österreichischer Journalist und publiziert u.a. für „Literaturen“. Seit 1989 arbeitet er als fixer Kulturredakteur, seit 1990 als Chefredakteur bei der Wiener Stadtzeitung „Der Falter“. Von 2004 bis 2008 war er Juror für den Ingeborg-Bachmann-Preis. (lyrikwelt.de)
    [3] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [4] ebenda
    [5] Daniela Strigl ist „Literaturwissenschaftlerin, -kritikerin und Essayistin (Der Standard, Wiener Journal, Die Presse, Literatur und Kritik, ORF-Radio).“ (literaturhaus.at)
    [6] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [7] „André Vladimir Heiz (* 1951) ist ein Schweizer Schriftsteller, Dozent für Semiotik und ein Designtheoretiker.“ (Wikipedia)
    [8] Burkhard Spinnen ist „seit 1996 (ist er) freier Autor und erhielt zahlreiche Preise; 2004 den Niederrheinischen Literaturpreis der Stadt Krefeld für sein bisheriges Gesamtwerk.“ (perlentaucher.de)
    [9] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [10] ebenda
    [11] Ursula März ist Journalistin bei der Frankfurter Rundschau. (Ursula März: Der 70er-Jahre-Feminismus ist passé)
    [12] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [13] Tilman Rammstedt; Der Kaiser von China; DUMONT; Dezember 2008; S.166
    [14] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [15] ebenda

    OT: „Un Couple ordinaire“
    Les Editions Le Dilettante, Paris, 2005


    Diogenes Verlag, Dezember 2008
    Taschenbuch, 203 Seiten, 8,90 Euro
    Übersetzung aus dem Französischen von Ina Kronenberger


    ISBN-10 3257065876
    ISBN-13 9783257065879



    Benajmin und Béatrice sind „ein ganz normales Paar“, eine ganz besondere Familie. Gemeinsam mit Tochter Marion leben sie innerhalb des französischen Mittelstandes. Er arbeitet als Apotheker, sie als Kinderbuchautorin. Die Kommunikation innerhalb der Beziehung ist schleppend, einseitig, lieblos und bestimmt von nicht ausgesprochenen Wünschen und Vorstellungen. Benjamin agiert und reagiert in Konfliktsituationen mit seiner Partnerin nur passiv, ausweichend, ergreift selten das Wort, zu anderen Ansichten steht er nicht und charakterisiert sich selbst als leer:


    Zitat

    „“Der Schein trügt, das Äußere macht was her, spiegelt uns was vor, aber im Inneren… herrscht Leere.“ Leere… Mit diesem Wort ist plötzlich alles gesagt. Ich fühle mich so leer… Nur noch eine Hülle, nur noch Staffage, aber im tiefsten Inneren, hinter den Kulissen, ist nichts. Nichts mehr. Ohne es gemerkt zu haben, bin ich irgendwo auf der Strecke geblieben.“[1]


    Der Umgang mit Problemen innerhalb einer Beziehung sollte konstruktiv sein; beide Partner sollten im Gespräch einen Kompromiss finden, um Konflikte zu lösen. Mit Sachlichkeit und Objektivität sollte jedes Problem betrachtet werden, ohne Einbeziehung verschiedener emotionaler Befindlichkeiten. Dominanz im geregelten Rahmen kann ein Anstoß zur Problemlösung sein, geht diese aber vermehrt nur von einem Partner aus, kann dies im Machtgefälle einer Beziehung zu beidseitigen Verletzungen, Problemen innerhalb des Liebes-und Ehelebens sowie zum Rückzug des Partners führen.


    Nach Daphne Rose Kingma[2] durchläuft jede Partnerschaft sieben emotionale und spirituelle Stadien[3]. Die erste Stufe, definiert als die Phase des „Falling in Love“, beschreibt die gegenseitige Erfüllung aller positiven seelischen Bedürfnisse, Hoffnung und Glückseligkeit sind die tragenden Emotionen. Offenheit für Konflikte und Probleme innerhalb der Partnerschaft ist nicht vorhanden. Die zweite Stufe, bedingt durch die erste, definiert sich durch „Versprechen und Gelübde“ - also die Befriedigung des Bedürfnisses nach Monogamie und Treue gegenüber dem Partner. Es bedeutet die Anerkennung der Existenz einer bestehenden Beziehung, mit dem Wunsch der Fortsetzung dieser.
    Die dritte Stufe - „Crises“ - ist die des Verlustes jeder romantischen Erwartung, jeder Illusion; Schwächen des Partners werden erkannt, Probleme thematisiert. Es entstehen Spannungen und Konflikte, die sich (in der 4.Stufe) in Machtkämpfen niederschlagen können. Das Erkennen eigener Schwächen, eigener Illusionen und zu hoher Erwartungen kann zum positiven Wachstum der Beziehung beitragen. Werden die Konflikte nicht ausgetragen, Probleme nicht angesprochen und es findet kein Austausch über emotionale Verletzungen statt, kann das auch zum Bruch führen. Die Reaktion auf bestehende Probleme (in der 5.Stufe - „Chaos“) kann unterschiedlich sein. Affären, wiederholt ausgetragene Konflikte, der Rückzug und die Verweigerung jeder emotionalen Zuwendung sind mögliche Optionen, genauso wie die Möglichkeit der konstruktiven Nutzung in Gesprächen an die bestehenden Emotionen, die zu einer Verbindung geführt haben, zu appellieren. Kingsma nennt das eine „Einladung der Seele an die spirituelle Ebene der Liebe“[4]. Kompromisse zu schließen, auf Ansichten zu verzichten bzw. diese neu auszuhandeln, sich über Ziele und Wünsche einigen und objektiv zu diskutieren sei das Ziel in der 6.Stufe, Kingsma nennt sie ‘das Erwachen’. In der letzten Stufe - „transformation“ - erreichen wir als Paar den Status die Verbindung nicht festhalten zu müssen, der Wunsch bestimmte Erwartungen zu erfüllen, bestimmte Wünsche erfüllt zu wissen ist nach konsequenter Arbeit an uns als Person nicht mehr gegeben. Wir erkennen den „höheren Zweck“[5] dieser Verbindung an; die Akzeptanz dieses Vorgangs führt zu „ein[em] Moment großer emotionaler Lösung und spiritueller Erfüllung“[6]. Nach Kingsma inkludiert also jede Partnerschaft Konflikte, die Aushandlung von Werten und Vorstellungen und das gemeinsame, auch persönliche Wachsen an diesen Problemen.
    Die Frage ist dementsprechend nicht, ob Konflikte zwischen Benjamin und Béatrice stattfinden, es ist die Frage nach der Lösung ihrer Konflikte und wie sie insgesamt in ihrem Beziehungsleben miteinander umgehen. Zudem bleibt die Frage, ob die Autorin Minière nicht dem Wunsch mit ihrem Roman ein anderes Bild auf das Thema Paarkommunikation und die Wünsche moderner, emanzipierter Frauen zu werfen, eine Problematik aufgegriffen hat, die sie zu banal, zu trivial, zu eindimensional behandelt und bearbeitet hat.


    Der Charakter und Ich-Erzähler Benjamin bleibt immer das „Opfer“ in der Beziehung zu seiner Ehefrau; er sieht sich außer Stande sich dieser Lage zu befreien, reagiert seltsam passiv, hat mehr Mitleid mit sich selbst und sucht nicht die Möglichkeit sich mit seiner Frau darüber auszutauschen. Béatrice dagegen ist eine emanzipierte, herrische, berechnende Figur – Dauerhaft unterstellt ihr die Autorin die eigenen Emotionen als Mittel zur Erpressung zu verwenden. Klischees werden herauf beschworen: Sie ist keine gute Mutter, tauscht mit ihrer Tochter keine emotionalen Gefühle aus, sondern „benutzt“, eher verwendet sie als Testobjekt für ihre Kinderbücher. Der eigene Erfolg, der Wunsch eines hohen Ranges innerhalb der Gesellschaft lässt sie gedankenlos über die Wünsche ihres Mannes hinweg Entscheidungen für sich treffen. Kritikfähigkeit und Selbstreflexion sind keine ihrer Charaktereigenschaften. Auch ein hohes Maß an Sensibilität und Zärtlichkeit – auf allen Ebenen des Ehelebens – spricht man ihr ab. Benjamin, auch in der sexuellen Beziehung ein Opfer, fühlt sich von ihr während des Geschlechtsaktes benutzt, ist nicht bereit mit ihr über seine sexuellen Wünschen zu sprechen und zieht sich – von der „plumpen Sexualität“ seiner Frau abgestoßen – immer mehr von ihr zurück.


    Minière beweist bei der Beurteilung ihrer eigenen Charaktere sehr viel Ironie durch sehr viel Introspektive. Benjamin ist sich seiner Position in der Ehegemeinschaft bewusst, er bewertet sein Verhalten auch selbst als vollkommen abnormal, als nicht akzeptabel:


    Zitat

    „Ich bin unglücklich. Ich habe zwei Arme, zwei Beine, bin bei bester Gesundheit und doch unglücklich. Ich habe ein quicklebendiges Kind, das wohlauf ist, ein wunderbares Kind, und doch bin ich unglücklich. Ich habe einen interessanten Beruf, verdiene nicht schlecht, habe eine schöne Wohnung und bin doch unglücklich. Meine Frau ist schön, intelligent, und ich bin unglücklich. Viele Menschen wären gern an meiner Stelle, im Leben, im Bett, und ich bin unglücklich. Ich bin privilegiert und unglücklich. Und das schlimmste ist, ich schäme mich nicht einmal dafür.“[7]


    Die Autorin hat sehr viel Mitleid mit Benjamin. Sie stellt ihn dar als einziges Opfer der Verbindung und Béatrice als diejenige, die durch ihre Emanzipation sämtliche Emotionen innerhalb der Beziehung zerstört hat. Das war nicht ihre Idee, nicht ihre Botschaft, und doch erreicht sie durch ihre Charakterdarstellung, die „holzschnittartig“[8], eindimensional und klischeehaft ist, nicht das Publikum. Die stilistische Gestaltung der Figuren lässt sie kindlich, unreif, einfach nicht erwachsen im Umgang mit ihren Problemen wirken. Szene reiht sich an Szene, Konflikte haben denselben Ablauf, bieten dieselben Antwortmöglichkeiten, die selben eher tumb wirkenden Reaktionen von Benjamin, die selben emotionalen Ausfälle (obwohl der Figur jede Emotionalität abgesprochen wird) von Béatrice.
    Der Emanzipationsversuch von Benjamin – erreicht durch die Lektüre von Plutarch – wirkt als Folge von zu vielen Auseinandersetzungen zu passiv, zu konstruiert. Eine wirkliche Befreiung hat nicht statt gefunden und so erscheinen viele Aussagen der Autorin naiv, unausgegoren: „Ich bin nicht überzeugt. Es gibt keine normalen Paare, höchstens glückliche, und die werden nicht von derlei Nöten geplagt.“ [9]
    Die Figuren wachsen nicht, sie entwickeln sich nicht, was die Lektüre langatmig, geradezu langweilig erscheinen lässt. Die Beziehung ist am Ende von rund 200 Seiten genauso desaströs, zerstört und emotional unterentwickelt wie am Anfang. Ein schlechtes Fazit.


    Fazit:


    Schlechte, zu klischeehaft konstruierte Charaktere, die sich nicht entwickeln, weder zusammen wachsen noch auseinander driften, in einer langatmigen, stilistisch geradezu trivialen Aufbereitung. Der Ich-Erzähler wirkt in seinen Darstellung mitleiderregend, holzschnittartig, unreif und einseitig, ist kaum zur Selbstreflexion fähig und ist von der Autorin ohne Identifikationspotential angelegt. Die Bearbeitung eines aktuellen Themas bzw. aktueller Fragestellungen – Wie verändern sich Rollenbilder durch die Emanzipation des weiblichen Geschlechtes? - wirkt banal, eindimensional und langatmig. Nichts Positives kann ich diesem Roman abgewinnen.


    ~*~


    [1] Isabelle Minière, Ein ganz normales Paar, Diogenes, 2008, S. 12


    [2] „… is a poet, psychoanalyst and writer who specializes in books on love and relationships. She wrote the forward for the Random Acts of Kindness book. She has appeared on many radio and television shows, sharing her knowledge about marriage, love, and relationships with everyone.“ (MotivationalQuotes.com)


    [3] zitiert nach: Psychotherapie-Blog - …Fund-Stücke eines Wiener Psychotherapeuten, aus: Daphne Rose Kingma, The Future of Love, Doubleday, New York, 1998


    [4] zitiert nach: Psychotherapie-Blog - …Fund-Stücke eines Wiener Psychotherapeuten


    [5] ebenda


    [6] ebenda


    [7] Isabelle Minière, Ein ganz normales Paar, Diogenes, 2008, S. 161


    [8] zitiert nach:Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension vom 27.06.2007, aus: Martin Krumbholz, Erbarmen mit den Männern, Neue Zürcher Zeitung, 27.06.2007


    [9] Isabelle Minière, Ein ganz normales Paar, Diogenes, 2008, S. 192

    „Menschen tragen Geheimnisse in sich, plötzlich tauchen Erinnerungen und Gedanken auf, dann tritt das Heute in den Hintergrund.“[ 1 ]


    Edvard Hoem hat die Geschichte seiner Eltern recherchiert, konstruiert, verfremdet. Er berichtet von einem bäuerlichen familiären Umfeld, beide Elternteile haben keine Möglichkeit ihre Emotionen, ihre Ängste, vor allem ihre Trauer und Einsamkeit auszudrücken, zu thematisieren. Vieles bleibt unausgesprochen, vieles wird nur durch Mimik und Gestik gegenüber dem Partner ausgedrückt, vieles bleibt verborgen. Hoem, dem die Schweigsamkeit seiner Eltern und vor allem die Aussage seiner Mutter, auf die Frage, ob sie ihren Mann liebe, antwortet: „Ich hatte den Vater nicht lieb, als ich mit ihm zusammenkam, aber ich habe ihn liebgewonnen, weil er beständig war, beständig und treu, und das ist genauso wichtig wie Liebe.“[2] macht ihn misstrauisch, weckt das Interesse an der eigenen Familiengeschichte, an der „Geschichte von Mutter und Vater“.
    Dabei präsentiert er sich mehr als Suchender denn als Wissender, mehr als Journalist denn als Schriftsteller. Er untersucht private Aufzeichnungen, Sammellisten von Orten, an denen der Vater, ein Wanderprediger, Andachten hielt; er las private Aufzeichnungen und Krankenakten, führte Interviews, arbeitete Daten, sogar Schlagzeilen historischer Tageszeitungen von Norwegens Vergangenheit innerhalb des zweiten Weltkrieges ein. Die Suche nach der eigenen Identität in der Familie wird zu einer Suche nach der Identität Norwegens im 2.Weltkrieg, nach der Identität seiner Mutter, ein „Deutschenflittchen“, nach der seines Vaters, fast sein gesamtes Leben lang zu schwach sich gegenüber den elterlichen Anweisungen, die ihn an Haus und Hof binden, zu widersetzen. Er versucht mit der Perspektive des objektiven Beobachters Familienverhältnisse aufzudröseln, Verständnis für Handlungen seiner Großeltern, seiner Eltern zu finden, nicht zu verurteilen, nicht zu dramatisieren. Ihm ist die Distanz zwischen Geschildertem, Berichtetem und dem Konstrukt seiner schriftstellerischen Freiheit wichtig:


    Zitat

    „Die meisten Begebenheiten dieses Buches sind authentisch, aber sie sind mit der Stimme des Schriftstellers erzählt, so, wie er es vor sich sieht, nach dem, was er gesehen und geträumt hat.“[ 3 ]


    Für mich bleibt er viel zu sehr Suchender, Unwissender. Eine literarische Verdichtung von gesammelten Fakten findet praktisch nicht statt. Die Figuren leben nicht für sich und die Geschichte, es bleiben Persönlichkeiten aus dem Leben des Autors, viel zu sehr Erinnerungsgestalten seiner eigenen Vergangenheit. Er scheitert an dem Projekt seinen Eltern eine Romanexistenz zu geben, Figuren zu werden, die nach für den Leser verständlichen emotionalen, moralischen, logischen Massstäben agieren bzw. reagieren und somit ein Produkt ihrer eigenen Vorstellungen und Ideen werden, zu Handlungsträgern, die ihre eigene Identität begründen, ihren eigenen Lebensweg erst bestimmen müssen. Sie werden nicht zu den literarischen Eltern des Ich-Erzählers, sondern sie bleiben die Eltern des Autors Edvard Hoem.


    Der „Roman“ erweist sich als unpathetisch, unsentimental. Das bäuerliche Leben wird als einfaches, aber hartes Arbeitsleben, im Wechsel der Jahreszeiten, dargestellt, nicht im Fontane’schen[4] Stil verklärt, sondern eher durch die konservativ, stark religiös geprägte Lebensart der Gemeinschaft, bestimmt. Edvard Hoem nährt sich dieser Gemeinschaft, vorurteilsfrei, deckt aber dennoch doppelmoralische Züge dieser Gemeinschaftsform auf. Dabei arbeitet eher pointiert, präzise und fokussiert die Geschichte seiner Eltern als Teil einer solchen Lebensgemeinschaft auf, zeichnet ihre Rollen nach, charakterisiert sie dabei beide als Außenseiter, als identitätslose junge Menschen auf der Suche nach ihrer Bestimmung im Leben, die beide auf ihre Art und Weise an den gesellschaftlichen, aber persönlichen Grenzen, Problemen und Emotionen scheitern. Das Scheitern beider Figuren wirkt nicht gekünstelt, gestelzt oder theatralisch überdramatisiert, die Sprache hat mehr berichtendem, mehr nüchternen Charakter. Da beide Protagonisten keine Sprache für ihre Gefühle und Leidenschaften haben, und sich dabei auch keiner abstrakt natürlichen Beschreibung[5] bedienen, wird die Ebene der Gefühle zumeist über Bibelzitate ausgedrückt, z.B. hat Edvard Hoems Vater, Knut, keine Worte dafür seiner Frau für ihren Fleiß, ihre positive Arbeitshaltung, die ihm das Leben erleichtert, in irgendeiner Form Dankbarkeit zu zollen. Er formuliert diesen Dank in Form eines Zitats aus dem Buch der Sprichwörter[6]: „Eine tüchtige Frau ist mehr Wert als Perlen.“[7]


    Das Buch bietet kaum Spannung, ist doch das Familiengeheimnis bald offen gelegt. Es bietet auch keine Unterhaltung, wirkt es mehr als journalistischen denn als schriftstellerisches Zeugnis. Und doch bereue ich keine Sekunde die Lektüre dieses Buches genossen zu haben. Die Suche nach der eigenen Identität, nach der Identität innerhalb der Familie als kleinste gesellschaftliche Größe, der Suche nach der Identität beider Eltern, findet in Edvard Hoems Roman „Die Geschichte von Mutter und Vater“ eine würdige Darstellung. Die Stärke des Romans ist es keine festen Vorstellungen, keine Meinungen, keine Perspektiven, vom Autor vorgegeben, vorzufinden. Der Versuch eines hohen Grades an Objektivität und Authentizität erleichtert den Zugang zu den Figuren, werden doch ihre Handlungen und Ideen in ein gesellschaftliches System des ländlichen Norwegens innerhalb des 2.Weltkrieges eingeordnet. Aber es gelingt dem Autor nicht die Geschichte zu verdichten, viele Passagen wirken langatmig, vieles wird zu detailliert erklärt, ohne dass einen Fortschritt für die Geschichte bringen würde.
    Viel zu unsentimental, viel zu wenig Identifikationspotential ermöglicht der Autor dem Leser mit seinen Figuren, so dass mehr ein historisches Dokument entsteht, an Stelle eines literarischen Zeugnisses





    ~*~


    [1] Edvard Hoem: Die Geschichte von Mutter und Vater; Suhrkamp Taschenbuch-Verlag, 1.Auflage 2009, S. 77


    [2] ebenda, S.7/8


    [3] ebenda, S.220


    [4] Botho von Rienäcker ist ein von Fontanes Gestalten, die ein erhöhtes Interesse am einfachen Leben hat („Jeder Stand hat seine Ehre. Waschfrau auch.“) , das bäuerliche Leben dabei geradezu verklärt. Dabei rebelliert er passiv gegen das feste Standesdünkel, gegen die Vorstellungen einer ’standesgemäßen Ehe’, bleibt aber dennoch bei seinem adligen Leben, um den bisherigen Lebensstandard halten zu können („Ich bitte Sie, Wedell, [Botho von] Rienäcker steht vor einer viel schärferen: Er hat 9000 jährlich und gibt 12000 aus, und das ist immer die schärfste aller Ecken, jedenfalls schärfer als die Heiratsecke. [Käthe zu] heiraten ist für Rienäcker keine Gefahr, sondern die Rettung.“) - vgl. Theodor Fontane: Irrungen, Wirrungen


    [5] Conxa hat aufgrund des einfachen Lebens, aufgrund der fehlenden Bildung für ihre Emotionen, ihre Gedanken keine Sprache entwickelt und nutzt so abstrakte, natürliche, aus ihrem Lebensumfeld stammende Vergleiche (“Ich fühle mich wie ein Stein im Geröll. Wenn irgend jemand oder irgend etwas mich anstößt, werde ich mit den anderen fallen und herunterrollen; wenn mir aber niemand einen Stoß versetzt, werde ich einfach hier bleiben, ohne mich zu rühren, einen Tag um den anderen…”) - vgl. Maria Barbal: Wie ein Stein im Geröll


    [6] Nach Luthers Bibelübersetzung lautet das Sprichwort allerdings: „Eine tüchtige Frau, wer findet sie? Sie übertrifft alle Perlen an Wert.“ (Spr 31,10-12,25-30) – Quelle: Bibeltexte für Hochzeitstexte


    [7] Edvard Hoem: Die Geschichte von Mutter und Vater; Suhrkamp Taschenbuch-Verlag, 1.Auflage 2009, S. 212


    ~*~


    Im übrigen gibt es bereits eine Fortsetzung “Heimatland. Kindheit”, die sich mit der Entwicklung Edvards auseinandersetzt, vor allem mit einer Identitätsentwicklung, mit seiner Entscheidung auseinandersetzt zwischen dem väterlichen Erbe als Wanderprediger zu arbeiten, den Bauernhof zu übernehmern oder Abitur zu machen, zu studieren und eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen.

    Meine Meinung:


    Zitat

    Original von: Annette Pehnt: Mobbing; Serie Piper; München; Dezember 2008
    „Es ärgert mich, wie Katrin über uns Bescheid zu wissen meint, ihre Bemerkungen geben mir das Gefühl, wir durchliefen eine Fallgeschichte, sie nimmt mir die Einzigartigkeit meiner Verzweiflung.“ (S.46)


    Der Verlust des Arbeitsplatzes, der damit verbundene finanzielle und soziale Abstieg einer mittelständischen Familie, die Veränderungen innerhalb der Paar-Beziehung mit redundant ablaufenden Gesprächen, bestehend aus Vorwürfen, Missverständnissen und Rückzug voreinander. Joachim ist der Protagonist von Annette Pehnts Roman „Mobbing“ - Er ist der Träger der Familie, das finanzielle Standbein, mit dem das schöne Haus im Grünen, der Kindergarten und sämtliche Freizeitangebote für zwei Kinder beglichen werden. Und doch berichtet nicht der Familienvater, sondern dessen Ehefrau. Sie berichtet von Anfeindungen gegenüber Joachim an seinem Arbeitsplatz, von der entstehenden Isolation, vom Mobbing durch die neue Vorgesetzte, durch die Kollegen; von der fristlosen Kündigung und den damit verbundenen Existenzängsten, von der eigenen Hilflosigkeit sich gegen die Ungerechtigkeit zu wehren und von Joachims Rückzug aus der Ehe, den vielen Gesprächen, die misslingen, weil beide nicht in der Lage sind ihre Gedanken zu formulieren; den Gesprächen, die nur aus Vorwürfen bestehen, aus der eigenen Isolation bestehen.


    Die Öffnung gegenüber dem Partner findet nicht statt – Joachim zieht sich zurück, wird ein einsamer Kämpfer und fühlt sich von seiner Ehefrau nicht genügend unterstützt. Sie weiß nicht, wie sie mit ihm umgehen soll, kann ihn nicht rückhaltlos unterstützen, will ein differenziertes Bild statt der einseitigen Beschreibung ihres Mannes. Das eigentliche Thema des Romans – das Mobbing – bleibt ein beinahe ausgespartes Thema; vieles deutet sich an, vieles bleibt im Ungefähren. Die Beschreibungen sind kryptisch und vielseitig auslegbar. Nur in Ausschnitten und zwar dialogisch, im Gesprächsszenen mit seiner Ehefrau, berichtet Joachim von den Problemen an seiner Arbeitsstellen – das Bild wirkt im Roman trotz der Ambivalenz deswegen so scharf gezeichnet, weil die Autorin gekonnt diese Gesprächsfetzen mit anderen Perspektiven verbindet. Immer wieder sind es Freunde und Bekannte, die wenig unterstützend wirken – die Ehefrau reflektiert diese, fühlt sich sogar ausgeschlossen, abgestoßen und missverstanden. Immer wieder gibt es Sequenzen von seiner Arbeitsstelle, wiederum nur kryptisch, die meisten sehr missverständlich, vieldeutig. Es entsteht der der Eindruck, dass das eigentliche Thema des Romans nicht das Mobbing ist, sondern hier eine Fallstudie präsentiert wird, wie sich der Verlust des Arbeitsplatzes auf das Leben einer gesamten Familie auswirken kann. Und geradezu stilistisch perfekt reihen sich da die Dialoge ein:


    Zitat

    Original von: Annette Pehnt: Mobbing; Serie Piper; München; Dezember 2008
    “Hier erklang zum ersten Mal der Refrain, der uns seitdem begleitet. Er kann verschiedene Formen annehmen, sich in unterschiedliche Wendungen kleiden und sich unter anderen Vorzeichen in unsere Gespräche drängen. Er: Du warst nie dabei. / Sei froh, dass du nicht dabei warst. / Du hast keine Ahnung. / Du kannst dir das nicht vorstellen. / Das versteht nur einer, der es selbst erlebt hat.
    Sie: Dann halte ich lieber gleich den Mund. / Dann gehe ich eben ins Bett. / Was soll ich da noch sagen. / Wie sollen wir denn überhaupt noch reden.
    Er: Reden, reden, reden. / Worte sind eben nicht alles. / Immer dieses Gerede. / Dann geh doch ins Bett, du siehst sowieso müde aus." (S.37/38)


    Raffiniert, niemals langatmig, immer sehr lapidar beschreibt die Autorin den Verfall der Familie; sie konzentriert die Handlung auf einen Tag, den Valentinstag, sowie den darauf folgenden Sommer. Lakonisch reiht sich Beschreibung an Beschreibung; die Autorin selbst lässt ihre Figuren sprechen, sie belehrt nicht, sie reflektiert nicht. Der Roman wirkt dennoch wie eine Gesellschaftskritik; poetische Kraft entwickelt sich so dennoch – Nicht nur, wenn die Protagonistin die Sandburg von Kindern zerstört, weil diese ihre älteste Tochter nicht haben mitspielen lassen; und nicht nur, wenn beide nebeneinander liegen, nur schweigen und das einzige Geräusch das der Bienen im Vorgarten ist.



    Fazit:


    Ausnehmend gut, stilistisch sehr dicht und inhaltlich interessant finde ich diesen Roman der deutschen Autorin. Die Lösung nicht Joachim selbst, sondern seine Ehefrau sprechen zu lassen, um die Ungewissheit und Hilflosigkeit in der Familie darzustellen sowie die starke Veränderung in der Paar-Kommunikation halte ich für sehr gelungen. Ein „schönes“ Leseerlebnis.

    Tschingis Aitmatow; Dshamilja - Die schönste Liebesgeschichte der Welt; 2
    Cees Nooteboom; Mokusei! Eine Liebesgeschichte; 5
    Daniel Glattauer; Alle sieben Wellen; 3
    Victor Hugo; Der letzte Tag eines Verurteilten; 1,5
    Pawel Sanajew; Begrabt mich hinter der Fußleiste; 2
    Annette Pehnt; Mobbing; 2,5; Rezension
    Gabriel García Márquez; Chronik eines angekündigten Todes; 1; Monatshighlight
    Rafik Schami; Eine Hand voller Sterne; 2,5

    Womit ich in dieser Diskussion ein Problem habe, ist die Tatsache, wie du ( Nomadenseelchen ) mit Begrifflichkeiten umgehst - ein Beispiel sei hier das Wort "Gleichschaltung".


    Zitat

    Original von Nomadenseelchen
    Die Medien sind im Vergleich zu anderen europäischen Ländern faktisch gleichgeschaltet.
    [...]
    Was ist daran getrübt, wenn in einem Krieg Begriffe (und vermutlich auch Sachverhalte) gleichgeschaltet werden?


    Ich möchte dich daran erinnern, dass Gleichschaltung als historisch-politischer Begriff nicht bedeutet, dass nur eine zugelassene, vom Staat genehmigte Position in den Medien vertreten werden darf, sondern das damit JEDE Form anderer Meinungsäußerung unterbunden wird. Ich zitiere:


    Zitat

    Gleichschaltung: die erzwungene Eingliederung aller wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Kräfte in die einheitliche Organisation eines totalitären Staates; damit verbunden ist die ideologische Vereinnahmung und die Kontrolle durch die Führung (--> siehe auch Totalitarismus). Der Begriff der Gleichschaltung geht auf die Diktatur des Nationalsozialismus zurück.


    (Quelle: Lenz / Ruchlak - Kleines Politiklexikon, aus: Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft, Oldenburg, München / Wien 2001)


    Ich möchte dich auch darauf hinweisen, dass im Zuge der Gleichschaltung der Presse durch das nationalsozialistische Regime Gesetze erlassen worden sind, die die Meinungsfreiheit eines JEDEN Menschen, fernab der politisch akzeptierten Meinung, unterbunden haben. Eines darunter war das "Schriftleitergesetz" von 1933/34 (Link zu einem Beitrag des Deutschlandradios: Hier!), durch das eine Regelung getroffen wurde, wer als Journalist und Autor tätig sein konnte, nämlich nur wer "arischer Abstammung" war bzw. in der Berufsliste der Reichspressekammer eingetragen war, somit waren nur Journalisten tätig, die sich gegenüber dem nationalsozialistischen Regime einen einwandfreien Leumund erworben haben. Weiterhin:



    Des weiteren möchte ich an die Amann-Anordnungen von 1935 erinnern, deren drei Hauptanordnungen waren die ,,Anordnung zur Wahrung der Unabhängigkeit des Zeitungswesens" (Jede selbstständig gegründete Verlagsgruppierung wurde eingestellt.), die "Anordnung zur Beseitigung der Skandalpresse" (Darunter befand sich z.B. die liberale, politische Zeitung "Vossische Zeitung".) sowie die ,,Anordnung zur Schließung von Zeitungsverlagen zwecks Beseitigung ungesunder Wettbewerbsverhältnisse" (Jede Zeitung und Zeitschrift wurde eingestellt, die eine zu kleine Auflagenzahl erreichte.).


    Ich möchte dich auch für folgende Begrifflichkeit kritisieren:


    Zitat

    Original von Nomadenseelchen
    Genau dieses wird in Deutschland durch Zensur und Denkverbote behindert.


    Du kritisierst die Gleichschaltung der Presse, die deiner Meinung nach statt findet (ohne es allerdings argumentativ zu begründen), siehst aber gleichzeitig innerhalb der Presselandschaft dein Urteil bestätigt, dass fremde Meinungen zensiert bzw. verboten werden. Ich möchte dich noch einmal an die Begriffsdefinition für einen Terminus erinnern, den du relativ frei verwendest:


    Zitat

    Zensur (lat. censere: schätzen, werten): staatliche Überwachung von Veröffentlichungen aller Art und gegebenenfalls deren Verbot und Einschränkung. Bei der Kontrolle entscheidet die Übereinstimmung mit sittlichen, politischen, gesetzlichen und auch religiösen Normen. In der Bundesrepublik findet laut Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes keine Zensur statt. Dies trifft allerdings vollständig nur auf die Vorzensur zu, d.h. auf die Zensur vor Erscheinen der Veröffentlichung. Bei Veröffentlichungen mit pornographischen, gewaltveherrlichenden oder rassistischen Inhalt können die Behörden eine Prüfung durch die Bundesprüfstelle...


    (Quelle: Lenz / Ruchlak - Kleines Politiklexikon, aus: Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft, Oldenburg, München / Wien 2001)


    Und weiterhin haben wir nach dem Grundgesetz Artikel 5 eine Presse-, sowie Meinungs- und Rundfunk- sowie Informationsfreiheit. Oder warum meinst du ist eine Zeitung, die in ihrer Vergangenheit vermehrt gegen das Presserecht bzw. den Pressekodex verstoßen hat, wie die BILD-Zeitung nach wie vor auf dem Markt vertreten?


    Zum Thema "Zensur", im Bezug auf das Thema des "Verhetzungsparagraphen" hat Tom schon geantwortet - ich möchte dich da auf seine Beiträge hinweisen.


    Zitat

    Original von Nomadenseelchen
    Der Staat entmündigt die Bürger, wenn er ihnen Geld für eine Zwangsaltersvorsorge abzieht.


    Ich möchte dir wiederum zwei Begriffe erläutern: Solidaritätsprinzip (Alraune hat es schon erläutert: "... strukturelle Basis der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Es besagt, dass sich die Beiträge in diesen Bereichen nach der finanziellen Leistungsfähigkeit der Versicherten richten. Dagegen richtet sich der Leistungsanspruch in der Regel nach der Bedürftigkeit und nicht nach dem Beitrag. Das Solidaritätsprinzip läßt sich kurz durch den Grundsatz „Einer für alle, alle für einen“ charakterisieren. [Quelle: Deutsche Enzyklopädie]) sowie der Generationenvertrag ("Wirtschaftliche Basis der gesetzlichen Rentenversicherung ist der so genannte Generationenvertrag: die heute Berufstätigen finanzieren durch ihre Beiträge die Rente der Älteren – in der Erwartung, dass die kommende Generation dann später die Renten für sie aufbringt." [Quelle: rente.com]). Im übrigen steht es dir jederzeit frei eine private Altersvorsorge zu treffen.



    Des weiteren suche ich nach wie vor deine Intention - Ist es reine Entrüstung? Ist es der Gedanke ein kleines Rädchen im Getriebe zu sein?



    (Ach ja, ich bitte im übrigen darum mich zu korrigieren, falls ich im Bezug auf die Definitionen und deren Reflexion fehlerhaft gearbeitet habe ;-) )

    Leseliste Januar 2009


    Gelesen


    Isabella Leitner; Isabella, Fragmente ihrer Erinnerungen an Auschwitz; 2; Berufsvorbereitung
    Marjane Satrapi; Persepolis, The Story of a Childhood and The Story of a Return; 1; Monatshighlight
    Olivier Adam; Keine Sorge, mir geht’s gut; 3
    Adam Davies; Goodbye Lemon; 1
    Gudrun Pausewang; Die Wolke; 2; Berufsvorbereitung


    Angefangen


    Anna Gavalda; Alles Glück kommt nie

    Ich hatte dieses Jahr leider mehrere Bücher, die ich ernüchtert und ohne viel Lesefreude bis zum Ende irgendwann vollkommen entnervt weggelegt habe - an viele Titel kann ich mich allerdings nicht erinnern. Hier mal einige Titel, die ich in Erinnerung behalten habe:


    Daniel Glattauer - Gut gegen Nordwind


    Ich schätze Daniel Glattauer als Journalisten, nicht aber als Romanautor. Obwohl die Textform durchaus interessant war (E-Mail-Roman), wirkten die Charaktere beinahe blutleer, einseitig, geradezu dämmlich.
    "Der Bergdoktor" im modernen Gewande.
    "Sie lieben sich, hassen sich, lieben sich trotzdem, treffen sich zwar nie, aber lieben tun sie sich trotzdem!" - Auf Dauer wirkte das Verhalten der zwischen 20 bis 40-jährigen Protagonisten pubertär, geradezu abstoßend.



    Mitch Albom - Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen


    Eine 220-seitige Belehrung darüber, dass das eigene Leben nie frei sei von fremden Einflüssen, nie frei von Schmerz und Enttäuschung. Eine Versuchsanordnung hat Mitch Albom installiert von einem Prinzip des Nachlebens nach dem Tod - der Protagonist und seine "fünf Menschen" wirken dabei wie Spielfiguren, die auf einem Spielbrett hin und her geschoben werden. Die Versuchsordnung ist allerdings ziemlich unlogisch und schwankend und führt dazu, dass ich mich in eine Predigt eingebunden fühle, die ich nicht hören will.



    Anna Gavalda - Zusammen ist man weniger allein


    Dieses Buch habe ich, trotz der Lobhudelei, nach 50 Seiten abebrochen. Mal ein Zitat aus einer älteren Rezension meinerseits: Sie erklärt, erzählt und analysiert sehr wenig. Sie lässt ihre Figuren nur miteinander sprechen… Das mag funktionieren, wenn man mit zwei Charakteren arbeitet, aber nicht mehr wie in manchen Szenen in “Zusammen ist man weniger allein” mit drei, vier, vielleicht sogar fünf Figuren. Zumal so auch kein Schwung in die Handlung kommt, die Figuren sich so auch sehr selten weiter entwickeln und ich mich frage: “Okay, sie können reden, denken, erleben sie auch einmal etwas?”



    Katryn Berlinger - Das Schokoladenmädchen


    Auch dieses Buch habe ich nach 50 Seiten abgebrochen. Für mich ist dieses Buch ein versteckter Nackenbeißer: Unter ungewöhnlichen Umständen überlebt die Protagonistin eine Überfahrt auf einem Klavier, wird von einem Herrn gerettet, der sie in sein Geschäft aufnehmen will; sie verliert im übrigen in den Fluten ihre ungeliebte Mutter. Sie arbeitet in der Konditorei, die natürlich nur durch ihren Einfluss sehr viel besser frequentiert wird, dafür wird sie mit dem schmachtenden Lächeln des Herrn belohnt, der aber nebenher offensichtlich eine Beziehung zu einer sehr hübschen, rassigen Schönheit führt. Und natürlich wird die Protagonistin (Ich vermute jetzt nur) ihn dennoch bekommen, dazu ihre Rivalin ausschalten, einen Haufen Kinder bekommen...
    Allein der Inhalt bringt mich zu Höhenflügen. Der Stil noch weniger.



    Aber und jetzt kommt mein absoluter Reinfall:


    Jörn Brien - Szenen einer Großstadtjugend


    Das schlimmste an diesem Buch? Der Autor meint es ernst, was er da fabriziert. Ein Zitat aus einer alten Rezension meinerseits:


    Mal etwas zu den Protagonisten: Er stellt eine Gruppe von "Freundeskreislern" (ich zitiere ihn nur.) dar, die mehr oder weniger durch Liebesbeziehungen und Freundschaften verbunden ist. Ein Pärchen kommt erst später zusammen - Steffi und Dirk - vorher ist sie NATÜRLICH mit einem Sunnyboy zusammen, der sie mit reihenweise Frauen betrügt und sie kann ihn nicht verlassen, weil sie ihn so liebt *gähn* Erst nach einer plötzlichen Trennung kommt sie natürlich mit Dirk zusammen *noch mal gähn*, der sie fast betrügt und mit dem sie dennoch ewig zusammenbleibt, zumindest bis im Epilog ein Gespräch Dirks mit ihrem ersten Kind stattfindet *noch mal gähn²*.
    Und natürlich ist dieser Dirk ein Säufer, Mitglied einer fast erfolgreichen Band und hat Abitur gemacht und kann nebenher nur über's "Ficken", den Kapitalismus und Frauen reden.


    Das Buch weist nicht nur Handlungsschwächen auf, sondern auch zahlreiche Fehler in der Orthografie und Grammatik - zudem der Autor mir mit seiner Redundanz von einzelnen Sätzen auf den Keks geht.

    Im Zuge der 3sat-Themenwoche kommt heute Abend nicht nur ab 20:15 Uhr eine Dokumentation über den 1.Weltkrieg:


    20:15 - 21:05 Uhr Der 1. Weltkrieg
    Zweiteilige Dokumentation
    1. Kaiser Franz Joseph und der Krieg
    Film von Andreas Novak
    (aus der ORF-Reihe "Menschen & Mächte")


    21:05 - 21:55 Uhr
    Der 1. Weltkrieg
    Zweiteilige Dokumentation
    2. Ende und Anfang
    Film von Robert Gokl
    (aus der ORF-Reihe "Menschen & Mächte")


    Passend dazu folgt um 22:25 Uhr der erste Teil der Verfilmung des Joseph Roth Klassikers "Der Radetzkymarsch":


    Radetzkymarsch
    Zweiteiliger Fernsehfilm, Österreich/BRD 1965
    Nach dem Roman von Joseph Roth
    1. Teil
    Länge: 91 Minuten


    Der zweite Teil folgt morgen, am 27.11., wiederum um 22:25 Uhr:


    Radetzkymarsch
    Zweiteiliger Fernsehfilm, Österreich 1965
    Nach dem Roman von Joseph Roth
    2. Teil
    Länge: 119 Minuten



    Informationen entnommen von: 3sat.at