Ich denke schon, dass es auch früher eine Menge gut recherchierter Bücher gab, aber das 'breite Mainstream-Rauschen' - also schnell heruntergeschriebene Genreliteratur, weil sich's halt gut verkaufte (und nein, das ist nicht ein Phänomen der heutigen Zeit :grin), ist tatsächlich einfach so geschrieben, wie der Autor es sich vorstellte, und nicht wie es wirklich war. Besonders unfreiwillig komisch wirkt das aus heutiger Sicht, wenn man mal in ältere Nackenbeißer/Historicals, Abenteuerromane, die in fernen Ländern spielen oder Spionagethriller reinliest.
Jetzt muss bedenken, dass, wie Beowulf schon schreibt, Bücher/Filme zum Zeitpunkt ihres Entstehens für ein Publikum gemacht werden, das der gleichen Zeit wie der Autor entspringt. Und dass die Erwartungshaltung an ein Medium zunehmend höher wird, auch was den Grad der (scheinbaren) Perfektion betrifft.
Zuschauer, die heute eine Krimiserie sehen, tun das mit einem Hintergrundwissen, das überwiegend von anderen Krimiserien und/oder Büchern geprägt ist. Die scheinbar detaillierten und technologisch aufwändigen Ermittlungsmethoden erscheinen ihnen richtig, weil sie die Erwartungshaltung erfüllen.
Dem Publikum in den fünfziger oder sechziger Jahren wird's nicht anders gegangen sein. Sie hielten für richtig, was dem zeitgenössischen Standard entsprach.
Bei einigen Sachen konnte man damals natürlich alle fünfe gerade sein lassen, weil z.B. die Möglichkeit, Dinge mal rasch über's Internet zu recherchieren, nicht gegeben war. Und weil es vor fünfzig Jahren auch noch nicht üblich und normal war, jedes Jahr zum Urlaub in die entlegensten Ecken der Welt zu reisen. Da konnte ein Autor seine Story problemlos in einer erfundenen Stadt mitten in Afrika ansiedeln, in der die Eingeborenen weiße Jäger als Gulasch verzehrten und sich deren Blut als Kriegsbemalung auf die Brust schmierten. Das hätten die meisten Leser geglaubt. Und weil die damaligen Sehgewohnheiten das akzeptierten, konnten Kostüme bei historischen Filmen auch ruhig aus Dederon und Alufolie geschneidert sein. Und die Monster sich in Stop-Motion bewegen. Es gab ja nichts Besseres zum Vergleich.
Heute wird selbst noch bei der anspruchslosesten Nackenbeißer-Historical-Klamotte erwartet, dass der Autor sich zumindest die Mühe macht, Kleiderschnitte und höfische Tänze der beschriebenen Epoche zu recherchieren und nicht versehentlich Mittelalter, Barock und Biedermeier zu einem lustigen 'irgendwie historischen' Mix verrührt.
Auch heute noch gibt es jede Menge schlecht recherchierter Romane, aber die wirken zumindest auf den ersten Blick und an der Oberfläche 'korrekt'. Um das zu bewerkstelligen, reicht für den eine ausgiebigere Recherche scheuenden Autor ein bis zwei Tage Google und Wikipedia - einem Buch also zumindest den äußeren Anstrich einer Basisrecherche zu verleihen, ist heute dank Internet viel einfacher als noch vor fünfzig oder sogar dreißig Jahren.
Was nun die 'moderne' Frau im Mittelalter angeht:
Ehrlich gesagt, da bewegen wir uns doch sowieso in einem Feld grober Spekulation, angereichert von den jeweils aktuellen PoliticalCorrectness-Strömungen und jeder Menge Halbwissen, gespeist aus Büchern und Filmen, die der Unterhaltung dienen.
Zunächst einmal glaube ich, dass es zu allen Zeiten vom Charakter der jeweiligen Person abhängig war, wie sie lebte (und sich durchsetzte) und wie nicht. Natürlich fügen sich Menschen immer in die jeweiligen sozial-/kulturellen Rahmenbedingungen ein. Aber innerhalb derer bleiben sie immer noch Menschen, in all ihrer Vielfalt. Und das bedeutet vor allem, dass nicht jede Mittelalterfrau automatisch ein verhuschtes Weiblein sein musste, sowie nicht heute jede Frau automatisch eine karrierebewusste Powerkampfemanze ist. Am schönsten illustriert sich das in der aktuellen Diskussion, die durch eine Femen-Aktion zur Befreiung der islamischen Frau (geile Verallgemeinerung übrigens) angestoßen wurde. Während ein Großteil der westlichen Welt Kopftuch automatisch mit Unterdrückung gleichsetzt, gibt es eine immense, von (starken) arabischen Frauen getriebene Gegenbewegung, die nicht damit einverstanden sind, als Opfer dargestellt zu werden und auf einer Akzeptanz ihrer kulturellen Eigenheiten bestehen.
So ist die Welt ebenso wenig schwarzweiß, wie sie das vermutlich auch im Mittelalter war.
Last but not least darf man aber natürlich nicht vergessen, dass die Renaissance des historischen Romans in den letzten Jahren der locker-leichten Unterhaltungsliteratur zu verdanken ist, und deren Leser wollen nun mal eine Heldin, mit der sie sich identifizieren können. Nun wäre es durchaus möglich, eine solche starke Figur trotzdem als Frau ihrer Zeit darzustellen, aber das ist eben viel schwieriger, als einfach eine von Nachbarin Brigitte inspirierte Figur in Leibchen und fünfzehn Wollunterröcke zu packen und fertig.
Man sollte da nur nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt solche und solche.
LG, Andrea