Zitat
Original von Tereza
Ich gehe davon aus, dass Leser ein Buch weiterempfehlen, wenn es ihnen gefallen hat, und davor warnen, wenn sie es nicht gut fanden. Daher verkaufen sich manche Bücher besser als andere.
Jetzt noch mal ernsthaft, zwischen all der Cover-Lingerie:
Ich habe auch eine ziemlich lange Zeit ziemlich viele meiner Hoffnungen auf diese Annahme gestützt. Inzwischen glaube ich da nicht mehr (uneingeschränkt) dran.
Das Weiterempfehlungsprinzip gibt es natürlich, aber echte Auswirkungen auf Verkäufe zeigt es nur dann, wenn damit eine kritische Masse erreicht wird. Wenn also enorm viele Leute mit großer Reichweite (zum Beispiel Blogger mit vielen Followern, Facebookseiten-Betreiber mit zehn- oder hunderttausenden von Fans usw.) diesen Titel wiederholt empfehlen, so dass er immer wieder in die Sichtbarkeit gerückt wird. Liesel aus Buxtehude, die den Roman 'Rauschende Nächte' ihrer Nachbarin ans Herz legt, reicht leider nicht - nicht einmal hundert Liesels reichen da.
Deshalb sind solche Wellen aus eigener Kraft auch sehr selten. Natürlich werden die Amanda Hockings oder - um mal lokal zu bleiben, die Emily Bolds oder die Dinosauriersex-Schreiberinnen in der Szene wie der heilige Gral herumgereicht. Aber die haben den Durchbruch sicher nicht geschafft, weil drei Leute ihre Bücher zufällig entdeckt und dann an jeweils eine weitere Person weiterempfohlen haben. Diese Leute sind in der Regel exzellent vernetzt in der Bloggerszene und Social Networks, die treiben sich z.T. seit vielen Jahren in FanFiction-Foren mit zehntausenden Mitgliedern rum, die einen gewaltigen Multiplikator bilden, wenn sie für eine der ihren Werbung machen. (Und natürlich schreiben sie massentaugliche Themen - aber das tun viele andere auch).
Diese Voraussetzung haben nur die allerwenigsten Autoren. Ein ähnlicher Effekt kann über sehr aufwändiges und teures Verlagsmarketing in Kombination mit exzellenten Pressekontakten erreicht werden (und dann i.d.R. für ein anderes Publikum) - nämlich die Sichtbarkeit über gekaufte Präsentationstische in Buchhandlungen und über breite Streuung in den Feuilletons der ganz großen Tageszeitungen und über sonstige Medienauftritte (Fernsehen...) zu erhöhen.
Aber jetzt mal abseits dieser Megabestseller, die einen winzigen Bruchteil aller Bücher auf dem Markt ausmachen:
Ich habe jetzt über mehrere Jahre die Erfahrung gemacht (als Autor, als Cover-Designer, als Marketing-Helfer), dass insbesondere in der Genre-Literatur der Inhalt zwischen den Buchdeckeln wirklich eine erschreckend geringe Rolle für den Kaufimpuls spielt. Ich habe es Dutzende Male erlebt, dass mehrere Titel zum gleichen Zeitpunkt mit ähnlichen Voraussetzungen starten: Der Autor ein Debütant (entweder wirklich oder weil er ein neues Pseudonym benutzt), ähnliches Genre, identische PR-Maßnahmen. Die Unterschiede: Textqualität (z.T. krasse Unterschiede, die schon auf der ersten Seite der Leseprobe offensichtlich werden). Klappentext (wobei die auch alle sehr ähnlich sind). Cover.
Nehmen wir an, es erscheinen parallel drei Titel - einer mit halbnacktem, eng umschlungenen Pärchen mitten im Vorspiel oder Spitzenunterwäsche (die gehen gleich gut), einer mit Pärchen, aber ohne nackte Haut, einer klassisch-schön-geschmackvoll gestaltet, ein echter Hingucker, aber ohne Sex.
Die Leseprobe des ersten Buches kann sich lesen wie ein Verkehrsunfall im Deutsch-Nachhilfeunterricht, und die vom dritten ist richtig gut - man kann blind darauf wetten, dass die Gurke mit ästhetischem Sexcover binnen zweier Tage in irgendeine Top100-Rangliste schießt (und sich da erstaunlich lange hält), während der zweite Pärchentitel so lala dahindümpelt und beim dritten die Verkaufsränge schnell klar machen, dass den nur seine Freunde und Bekannten gekauft haben. Und die dreieinhalb Fans, die er aus seinem Schreibforum hat. Ein englisches Autorenpseudonym auf dem Sexcover kann noch mal als Multiplikator wirken.
Das ist reproduzierbar. Alle raufen sich die Haare darüber, aber was solls.
Die weitere Entwicklung stellt sich dann wie folgt dar:
Die Sexgurke kriegt zwar lange keine Rezensionen, und dann nach ein paar Wochen, einige Einzeiler a la 'Unter Roman stelle ich mich zwar mehr vor, aber so ist auch sehr schön. Danke für schnelle Lieferung.' Sie hält sich unverändert in den oberen Rängen (außerdem gilt hier: je billiger der Preis, desdo höher). Auch wenn die Hälfte der Bewertungen negativ ausfällt.
Der Durchschnitts-mit-nettem-Pärchen-Titel bekommt recht schnell eine gute Menge positiv-überschwänglicher Rezensionen, meist von Bloggern, die alle drei als Rezensionsexemplar geordert, aber die Gurke nach 25 Seiten abgebrochen und das nächsthübsche Cover gegriffen haben. Die Verkäufe stabilisieren auf Okay-Niveau. Nicht überbordend, aber auch kein Flop. Im Kleinverlag bedeutet das ein paar hundert verkaufte Exemplare über das erste Jahr.
Das dritte Buch (das mit der gehobenen Hochglanz-Grafik als Cover, das um Welten besser geschrieben war als die anderen beiden) schafft ungefähr die Hälfte der Rezensionen von Titel 2, alle im Vier- und Fünfsterne-Bereich. Die sind teils von wirklich begeisterten Bloggern, teils von Fans. Am Ende des ersten Jahres hat es sich höchstens hundert Mal verkauft, wahrscheinlich deutlich darunter.
Das Beispiel ist jetzt zwar dahingehend konstruiert, dass die Vergleichstitel auch mal alle miteinander gurkig sind, oder durchschnittlich oder sogar auch mal gut, aber im Großen und Ganzen trifft das schon so zu. Zumindest bei den Verlagen, für die ich arbeite und deren Programme ich entsprechend im Blick behalte.
Als Autor finde ich das unendlich frustrierend, aber mittlerweile zieht es mich nicht mehr so runter wie früher.
Last but not least: Das Sex-Konzept ist auch nicht mehr die Gelddruckmaschine, die es mal war. Etliche der erfolgreichen Selfpublisherinnen, die schon länger auf dem Markt und im LiRo-Genre (Erotik inklusive) unterwegs sind, sagen, dass es viel schwieriger geworden ist. Dass man am Anfang wirklich richtig gut Geld damit verdienen konnte, aber mittlerweile die Luft dünn ist, weil so viele einen Krümel vom Kuchen abhaben wollen. Differenzierung über die berühmte 'eigene Stimme' (die impliziert, dass der Autor das Schreiben wirklich drauf hat) scheint in diesem Markt nahezu unmöglich, eben weil es die LeserInnen kaum interessiert. Und seit Horden von Hobby-GrafikerInnen das industrielle Massen-Coverdesign für Selfpublisher als vermeintliche Goldgrube entdeckt haben, ist darüber auch keine Unterscheidung mehr möglich.
Was man daraus jetzt macht, sei dahingestellt. Als Leser verlasse ich mich (fast) nur noch auf altbekannte Namen, die ich auch vor fünf Jahren schon gelesen habe. Als Autor stelle ich das finanzielle Ergebnis nicht mehr in den Mittelpunkt.
Aber da muss natürlich jeder seinen eigenen Weg finden.