Die junge Alyson steht vor der schwierigen Aufgabe, für das Leben und überleben ihrer Geschwister und sich selbst zu sorgen. Gar nicht so einfach im winterlichen London 1585. Und noch viel schwieriger, wenn man seinen Lebensunterhalt durch Raubzüge auf den Märkten bestreitet. Als Alyson eines Morgens auf dem Rückweg zu ihrem Versteck ungewollt Zeugin eines Mordes wird, ändert sich ihr Leben schneller, als ihr lieb ist.
Die Raben im Tower
Während die Mörder, die sie bei ihrer Tat beobachten konnte, hinter ihr her sind, gerät sie in die Fänge ihr fremder Männer. Eine seelige Ohnmacht übermannt sie, aus der sie erst einige Zeit später wieder erwacht – im Tower von London. Sie wird zum Sekretär der Königin, Sir Francis Walsingham, gebracht, der ihr ihre missliche Lage verdeutlicht. Wenn er sie schon nicht wegen Diebstahls verhaftet und inhaftiert, dann bleiben ihr nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder sie geht zurück in ihr Versteck und zu ihren Geschwister, was ihren sicheren Tod bedeuten würde, denn die Männer, die sie bei ihrer blutigen Tat überrascht hat, sind spanische Meisterspione, die Zeugen gar nicht gebrauchen können; oder sie schließt sich Sir Walsingham und seinem kleinen Spionagering an.
So kommt es, dass Alyson ihr Leben als Diebin aufgibt und in den Dienst ihrer Königin tritt – als Spionin. Ihre Ausbildung übernimmt Walsingham selbst, auf seinem Landsitz in Barn Elms. Dort lernt Alyson nicht nur die Grundlagen der Spionage, sie wird auch in Allgemeinbildung und höfischem Benehmen unterrichtet. Außerdem lernt sie einige der anderen Spione kennen, die sie selbst „Walsinghams Raben“ nennt. Während ihrer Ausbildung muß Alyson allerdings erfahren, dass das Leben eines Spions ein recht einsames ist…
Historische Begebenheiten und künstlerische Freiheiten
„Die Spionin“ ist das Debüt von Corina Bomann, und dieses ist der Autorin durchweg gelungen. Glaubwürdige Protagonisten bevölkern den Roman und lassen ihn lebendig werden. Eine gründliche Recherche ist hier die Basis von Alysons Abenteuern, die den Leser quer durch England und letzten Endes sogar bis nach Spanien führt. Die Autorin selbst weist in ihrem Nachwort darauf hin, dass nicht alles historisch korrekt ist, sondern die eine oder andere Änderung der Geschehnisse zu Gunsten Alysons Geschichte vorgenommen wurde.
Dennoch trifft man auf viele historische Persönlichkeiten, die ihren Platz in diesem Roman gefunden haben. Sir Francis Walsingham, der tatsächlich den Englischen Geheimdienst begründete und nachweislich mehrere Attentate auf Elisabeth I. von England vereitelte, findet sich hier neben Elisabeth I sowie Maria Stuart wieder. Auch haben Seefahrergrößen wie Sir Francis Drake und Techniker wie Adam Dreyling ihren Weg in diese Geschichte gefunden.
Was „Die Spionin“ zu einem wirklichen Lesevergnügen macht, ist die Tatsache, dass Corina Bomann einen außerordentlich mitreißenden Erzählstil pflegt. Es fällt einem überhaupt nicht schwer, Zugang zu den Charakteren oder den Ereignissen zu finden. Die Schauplätze sind so plastisch beschrieben und die Charaktere so Facettenreich, dass sie einen sofort in ihren Bann schlagen. Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob man sich gerade mit Alyson durch die Straßen von London schlängelt, mit Elisabeth und ihren Hofdamen zu einem Ball geht oder ob man - getarnt als Küchenmagd - dem Prozess Maria Stuarts beiwohnt. Außerdem hebt sich dieser Roman in einem Punkt entschieden von anderen diesen Genres ab: Alyson bleibt trotz all ihrer Fähigkeiten, die sie sich hart erarbeiten musste, normal und mutiert nicht zu einer Art Wonderwoman. Sie macht durchaus auch mal Fehler, auch in Situationen, wo sie sich eigentlich keine leisten dürfte.
Dieses Buch lässt einen nicht mehr los, bis man es ausgelesen hat. Und trotz eines „runden“ Endes bleiben Fragen offen, die einen hoffen lassen, dass es – irgendwann – ein Wiedersehen mit Alyson geben wird.
5/5