Und hier für alle dies interessiert mein kleiner persönlicher Bericht von der Buchmesse:
Nachdem ich die lange Zugfahrt und den kurzen Fußweg hinter mir hatte und endlich am Messeturm ankam, fühlte ich mich hintergangen: Ein Bücherbasar vor dem Eingang der Messe? Wollen sie die leseverrückten Besucher davon abhalten, das Messegelände überhaupt erst zu betreten? Ich war aber stark, habe die Scheuklappen angelegt und bin, weder nach rechts noch nach links schauend, zur Eingangstür gehastet. (Es ist mir übrigens auch beim Rausgehen gelungen, kein Buch zu kaufen. Habe mein Konto schließlich schon fürs Zugticket hart ans Limit gebracht..).
Einmal drinnen, war ich erstmal überwältigt, habe mich ein wenig verlaufen, aber am Ende doch dahin gefunden, wo ich hin wollte. Nämlich zum Lesezelt (wohin auch sonst....), wo um 10.30 Uhr Ulrich Holbein aus seinem neuen Buch "Narratorium" vorgelesen hat. Eine lustige Gestalt, dieser Holbein, lang, dürr, zottelige lange Haare. Die Aufregung merkte man ihm auch an, und er hatte sich wohl nicht wirklich vorher überlegt, was genau er aus seinem gut 1000 Seiten starken Buch lesen wollte. Er merkte dann auch selbst am Ende der Lesung an, er habe sein Buch wohl mehr schlecht als recht präsentiert. Das Buch selbst erinnert von der Idee her ein wenig an Brants Narrenschiff, auch wenn es hier nicht um Narrentypen geht, sondern um konkrete Lebensläufe, die wohl auch mehr oder weniger gut recherchiert worden sind. Die vorgestellten Personen ziehen sich vom frühesten Mittelalter bis in die Gegenwart und durch alle "Gesellschaftsschichten und Intelligenzgrade", wie Holbein anmerkt. Auch die verschiedensten Kulturkreise sind vertreten, von China über die arabische in die westliche Welt. So reiht sich ein Eintrag zu einem Chinesen, dessen Existenz nicht wirklich gesichert ist, und der, ähnlich wie 'unser' Eulenspiegel durch seine Streiche im kulturellen Gedächtnis verhaftet geblieben ist, neben einem Eintrag zu Rainer Maria Rilke, dessen Lebenslauf denn auch, ganz dichterisch, mit Alliterationen beinah schon überladen erscheint. Alles in allem eine recht interessante Vorstellung.
Danach habe ich mir eine Diskussion mit Adolf Muschg angehört. Seine Bücher sind ja nun ins Arabische übersetzt worden und zu diesem Anlass fanden sich Vertreter der „Mohammed Bin Rashid Al Maktoum Foundation“, die wohl an der Übersetzung maßgeblich beteiligt war und auch plant, noch weitere deutsche Autoren zu übersetzen, mit einer Übersetzerin zu einer Diskussionsrunde ein. Sehr interessant, die stichelnden Bemerkungen von arabischer Seite, dass die arabische Literatur und Kultur in Deutschland und überhaupt in Europa viel zu wenig Beachtung erführen. Adolf Muschg befand sich denn auch in einer wohl recht unangenehmen Lage, als ein Diskussionsteilnehmer ihn direkt fragte, ob und, wenn ja, wodurch, er denn die arabische Kultur kenne. Muschg antwortete mit Goethe, fand aber damit keinen Beifall.
Auch wissenschaftliche Beiträge aus dem arabischen Kulturraum fänden nicht das nötige (bzw. laut des Sprechers „kein“) Interesse, obwohl sehr wohl Beiträge vorlägen, die dem „Weltstandard“ entsprächen.
Auf ganz ähnliche Weise entfaltete sich eine Diskussion am arte-Stand, wo sich zwei Autorinnen trafen, eine Österreicherin (Barbara Frischmuth) und ein Türkin (Ayfer Tunc), die eine jede einige Monate in der Heimat der anderen verbracht hatten und nun darüber berichten sollten. Die türkische Autorin Ayfer Tunc thematisierte mit ihrem Text „Sprache ist Schicksal“ das ihrer Meinung nach fehlende Interesse für türkische Lyrik und experimentelle Literatur. Die westliche Rezeption türkischer Literatur sei geprägt durch einen „Neo-Orientalismus“, da nur Werke gefragt seien, die aktiv und explizit die türkische Kultur thematisieren. Barbara Frischmuth wies allerdings in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Lyriker den kulturellen Austausch schon selbst in die Hand genommen haben, indem sie eine einschlägige Organisation gegründet und interkulturelle Treffen und Lesungen organisiert haben.
Auch sehr interessant fand ich das Interview, das Denis Scheck mit Cecilia Barbetta führte. Die Autorin des Romans „Die Änderungsschneiderei Los Millagros“ erzählte von ihrer Annäherung an die deutsche Sprache, in deren Grammatik sie sich schon in jungen Jahren verliebt hat. Das Schreiben auf Deutsch fiele ihr leichter, gab sie zu Schecks Verwunderung an. Begründung: „Ich sehe das Wort wie einen Gegenstand vor mir“.
Die von ihr vorgelesene Leseprobe machte mir jedenfalls Lust, das Buch zu lesen.
Zum Abschluss meines Messetages habe ich mir dann natürlich die Lesung aus Günter Grass’ neuem Roman „Die Box“ nicht entgehen lassen