Beiträge von zwergerl

    Zitat

    Original von Perry Clifton
    Herrlich, wie altertümliche Ausdrücke, Dialektandeutungen und ländliche Einfachheit in der Sprache zur Geltung gebracht wurden.


    Da war ja nicht viel zu tun, die Interviews hat es so ja gegeben. In dem "anderen" Buch, in dem von Peter Leuschner, sind die Vernehmungsprotokolle auszugsweise immer abgedruckt und zitiert.


    Was ihre eigene Schreibweise angeht, so finde ich, sie kann keinen einzigen geraden Satz schreiben, die Frau. Weil es steht nämlich immer hinten, das Subjekt. (Entschuldigt diesen kleinen Scherz, aber ich hab sie bei den Verhandlungen ja erleben dürfen und sie war mir sowas von unsympathisch und widersprüchlich.)

    Werde von meinem Erzfeind gerade zu einer Stemm-den-Stock-in-den-Boden-und-streck-den-Hintern-raus-Übung verdonnert. Eine sehr peinliche Angelegenheit.


    Ich kann sollhaben nur beipflichten, mir ging es genauso mit dem Chinesen, das Buch mußte sich erstmal setzen. Mankell beschreibt, gerade zum Ende hin, noch einmal eine ganz andere Variante der Kontrolle der chinesischen Bevölkerung. Spannend daran finde ich auch die zeitlich versetzten Parallelen zu uns Europäern und unserer 68er Generation.
    Auch insgesamt finde ich diesen Krimi logisch und konsequent durchgezogen, sofern man sich auf die Recherchen verlassen kann.


    Mal ein anderer Mankell, der sich von der genauen Darstellung der Polizeiarbeit löst und einen anderen Schwerpunkt setzt. Aber ich finde, sehr gelungen.

    Bin jetzt mal sehr gespannt, wie der Chinese zu Ende geht - mir fehlen noch die letzten 100 Seiten und bis jetzt finde ich ihn recht gut, vor allem, weil Mankell in der Führungs des Krimiteils einen anderen Schwerpunkt setzt als in der Wallander Reihe. Die Beschreibung Chinas gibt mir jetzt schon sehr zu denken und machte mir mal wieder sehr deutlich bewußt, wie viele Länder nach wie vor recht grausame Rechtssysteme mit anderer Zielsetzung haben.


    Mitsommermord und Die Rückkehr des Tanzlehrers haben mir auch am besten gefallen, enttäuscht war ich vom Chronist der Winde. Jetzt wollte ich mir noch ein paar seiner Kinder- und Jugendbücher anschauen.

    Gestern war also die Urteilsverkündung. Insgesamt war deutlich weniger los, als bei der Verhandlung. Dennoch hat der Vorsitzende ein paar Worte gesagt, weil ja Presse im Publikum saß.


    Es ist keine Überraschung, dass das Gericht die Klage abgewiesen hat. Es war jedoch auch keine Überraschung, dass hier nocheinmal erwähnt wurde, dass Frau Schenkel deutlich abgekupfert hat. Leider reichen die Stellen jedoch nicht aus, um der Klage stattzugeben, vor allem, weil eben viele Fakten durch die Aktenlage vorgegeben waren.


    Das Urteil selbst sehe ich jedoch immer noch so, dass sich hier das Gericht nicht die Finger verbrennen wollte.

    Tannöd ist meiner Ansicht nach ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Bestseller gemacht werden. Wohl alles eine Frage des Vitamin Bs.
    Mich wundert ein bisserl, dass ich hier kaum etwas darüber gelesen habe, dass Frau Schenkel ja mit ihrem Bestseller einen Plagiatsprozess heraufbeschworen hat. Und das, meiner Meinung nach zu Recht.
    Den Prozeß habe ich mir angehört. Wer dazu nachlesen will kann es hier tun: http://www.zwergerlhausen.de/r…ueberl/hinterkaifeck.html


    Wenn man ein bisserl die Redakteure der Zeitungen kennt, dann weiß man auch schnell, wie man was einzuordnen hat. Für mich ist die Berichterstattung in der Zeit übrigens ein Grund, die Zeit abzubestellen, da persönliche Ansichten, die in einen Kommentar gehören, als Artikel verkauft werden.


    Die Eigenleistung von Frau Schenkel ist auf ein Minimum beschränkt. Wer Hinterkaifeck gelesen hat, der liest mit Tannöd das Buch von Peter Leuschner ein zweites Mal - nur schlechter. Frau Schenkel hat zwar nicht Wort für Wort abgeschrieben, aber sie hat die von Peter Leuschner gezeichneten Stimmungsbilder eins zu eins übernommen.


    Am 21. Mai wird das Urteil gesprochen, aber der Richter hat ja keinen Zweifel daran gelassen, wie dieses Urteil ausgehen wird. Ich denke, er wollte sich einfach nicht die Finger verbrennen. Mich würde es freuen, wenn dieser Fall zu höheren Gerichten aufsteigen würde. Wenn in solchem Maße abgekupfert werden darf, dann ist es mit dem Schutz der Eigenleistung und des geistigen Eigentums unserer Autoren schlecht bestellt.

    Es stürmt fürchterlich und ich habe mich in einer Kiste versteckt, weil ich so schnell seekrank werde und eine wunderschöne, sehr traurige kleine Geschichte darüber gelesen, wie Liebe für immer einen traurigen Schleier über das Leben legen kann.



    An dieser Stelle schon eimal vielen Dank, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt, die Geschichte zu lesen.


    Eure Anmerkungen lasse ich mir jetzt durch den Kopf gehen.


    Seestern
    der Punkt mit den zu gewöhnlichen Bildern und Forumulierungen ist ein sehr guter Ansatzpunkt, vielen Dank

    Danke für Deine Ausführungen, drehbuch.


    Zitat

    Original von drehbuch


    "Aber aus anderen Gründen als denen, die ich hier gelesen habe und vermutet werden."


    wie meinst du das?


    Damit meine ich, dass das hier eben ein Bücherforum und kein Autorenforum ist. Für mich schien die Möglichkeit, Texte einzustellen sozusagen eine Form der erweiterten Gastfreundschaft zu sein, die eben nebenher läuft. Da geht es ja gar nicht darum, hier aufzutauchen und zu sagen: so, hier bin ich und jetzt macht was draus - ich knall Euch mal meine Texte hin. Gerade das Einstellen von Texten kann ja auch eine Form sein, sich einzubringen. Schaut man sich einmal andere reine Bücherforen an, dann stellt man häufig schnell fest, dass in diesen Foren häufig recht wenig los ist. Jeder liest etwas anderes. Gespräche ergeben sich nur mit denen, die man auf seiner Lesereise trifft. Der Autorenteil hier belebt das Forum an sich ja auch ungemein. Aber es ist natürlich verständlich, dass man in einem Bücherforum erwartet, dass sich die Leute an den Büchern bzw. an den anderen Rubriken außerhalb des Autorenteils beteiligen.



    Zitat

    Original von drehbuch


    und das gegenseitige begutachten von texten läuft nur nebenher.
    deshalb (das mag man nun gut finden oder auch nicht, aber es ist nun einmal so und man sollte sich daran halten oder sich nach einem für die eigenen erwartungen besser zugeschnittenen forum umsehen) wird von newbies erwartet, dass sie sich zunächst ein wenig ins forengeschehen integrieren und erst dann andere zu "testlesern" zu machen.


    Verstehe ich in der Ausführung. Zum Einbringen hab ich oben grad was gesagt. Eine Geschichte oder ein Gedicht von sich einzubringen ist ja auch ein Einbringen, ein sehr persönliches sogar. Verstehst, ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass die anderen Forumsteilnehmer sich als Testleser ausgenutzt fühlen, denn sie schreiben ja etwas zu den texten, weil sie ihn gelesen haben, vielleicht Spaß daran hatten, etwas nicht nachvollziehen konnten - irgendetwas hat sie auf jeden Fall dazu gebracht, etwas zu schreiben. Sonst läßt man so einen Text halt einfach stehen und reagiert nicht drauf. Letztlich denke ich: wenn jemand nur kommt, um seine Texte kritisieren zu lassen, dann ist er ja per se schon falsch hier. Dafür gibt es Autorenforen.
    Das ist natürlich klar, wenn hier die Art und Weise des Umgangs eben anders ist, wenn es hier üblich ist, zu den Texten etwas zu schreiben und auch so ziemlich auf die anderen einzugehen, dann verstehe ich diesen Standpunkt sehr gut. Doch wenn man hier eintrifft, dann geht man erst einmal von einem "normalen, relativ unpersönlichen" Forum aus, wie es die meisten anderen auch sind. Man geht davon aus, dass die Texte eben nebenher laufen. Deshalb wäre der Vermerk gut.


    Aber gut, auf dem Thema will ich hier gar nicht weiter rumreiten, steht mir auch in dieser From gar nicht zu, weil ich das Forum dafür noch zu wenig kenne. Aber es lag mir schon daran, klar zu stellen, dass es hier, wahrscheinlich von einigen Neuen gar nicht um die Testleserschaft ging. Schwarze Schafe hast natürlich immer dabei.

    Nun, beim Lesen dieses Threads sind mir ein paar Dinge aufgefallen, die von interner Seite aus ganz anders gesehen werden könnten, als von externer Seite.
    Nun, auch ich bin neu und habe natürlich auch prompt das gemacht, was hier so verpönt ist - gleich einen Text ins Autorenforum eingestellt. Aber aus anderen Gründen als denen, die ich hier gelesen habe und vermutet werden. Wenn man, wie ich, viel Forenerfahrung hat und die noch in Foren verschiedenster Art, dann weiß man eines auf jeden Fall - in einem Forum wird der kleinste Wicht zum größten Held. Und häufig ist es sehr erleuchtend, mal zu sehen, wer eigentlich hinter den Beiträgen steckt. Das relativiert so manches - und das auch häufig in Bücherforen, wenn auch in diesen deutlich seltener. Zudem werden in sehr vielen Foren einfach nur unglaublich schlechte Texte präsentiert und die Leser sind dann zufrieden, wenn alle sagen: Boa, toll gemacht! Und ehrlich gesagt vermute ich, dass es bestimmt viele gibt, die sich profilieren wollen, aber ich vermute genauso, dass es viele gibt, die etwas schreiben und eine ernsthafte Antwort haben möchten - keine prolligen Stellungnahmen von Dampfplauderern, wie es eben leider sehr häufig ist.
    Für mich wäre ein einfacher Vermerk, deutlich sichtbar, hilfreich gewesen, dass hier eine ganz besondere Qualität verlangt wird.
    Nun ist es natürlich ein schlechtes Merkmal, die Anzahl der Posts zu werten, erstens sehr umständlich und zeitaufwändig, zum anderen sagt die Anzahl der Posts nicht über die schriftstellerischen Fähigkeiten aus. Zudem empfinde ich postanzahlsabhängige Beschränkungen immer kritisch, weil man sich ja in einem Forum angemeldet hat und mit der Anmeldung per se ja Mitglied der Community ist - das ist wohl ein rechtliches Problem.
    Was man aber durchaus verwenden könnte, wäre eine Beschränkung dahingehend, dass in dieses Forum nur schreiben sollte, wer ein oder zwei Veröffentlichungen von Texten hat - natürlich nicht auf der eigenen Homepage. Alle anderen sollen bitte im Anfängerforum schreiben. Das ist bestimmt auch keine astreine Selektion, aber eine, die ein gewisses Qualitätsmerkmal voraussetzt. Und ich glaube, die meisten, die schreiben, wollen auch veröffentlichen. Vielleicht ist die Idee ja überlegenswert...


    Ansonsten finde ich den Thread hier sehr interessant - vor allem das Thema Kritik. Ich finde, eine Kritik sollte immer zwei Dinge tun - den Kritisierten da abfangen, wo er steht und sie sollte immer beinhalten, wie es besser sein könnte.

    Hallo alle miteinander,


    der Vollständigkeit halber stelle möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal vorstellen.


    Ich bin´s Zwergerl und stamme aus München. Klar bin ich hier, weil mich Bücher, Rezensionen, Kritiken und Autoren und ihre Werke interessieren. Meine besondere Vorliebe gilt den Klassikern, am liebsten Goethe, Tschechov, Gogol, Fontane, aber auch Frisch, Hesse, Kafka. Ein gespaltenes Verhältnis habe ich zu Coelho: ich mag ihn nicht und lese ihn trotzdem.


    Bin gespannt, was mich hier erwartet und freu mich schon miteinzutauchen in die Eulenwelt.


    Euer Zwergerl

    Nicht einfach, aus einem Fettnäpfchen wieder rauszukommen, wenn man mal drin ist... :bluemchen


    @bo
    aus diesem Grund habe ich meine website vorgestellt, das erscheint mir aussagekrägtiger zu sein - aber das läßt sich ja nochholen ;-) Aber nur kurz an dieser Stelle ein Satz zum Einstellen der Geschichte - mir erschien das Einstellen einer Geschichte (seltsamerweise?) persönlicher. So hab ich auch das Vorhandensein einer Rubrik, die das einstellen einer Geschichte in einem schwerpunktmäßigen Bücherforum verstanden. Als Möglichkeit etwas von sich zu geben. In einem Punkt habt Ihr natürlich recht, wenn man bedenkt, dass es einen separaten Teil für Anfänger gibt - nur gibt es kein objektiv meßbares Unterscheidungskriterium zwischen den beiden Forenteilen.
    Die Geschichte ist in einem ganz gut dotierten Literaturwettbewerb recht weit nach vorne gekommen. Von daher ist es natürlich schon so, dass mich die Meinungen dazu interessieren, nicht zum Bauchpinseln, sondern um festzustellen, weshalb sie nicht noch weiter nach vorne kam. Nun ist es aber oft so, aus meiner Forenerfahrung heraus, dass sich, wenn es die Möglichkeit gibt zu separieren, die "Großen" unter den "Großen" bleiben und die "Anfänger" immer von "Anfängern" bewertet werden. Aber vielleicht bin ich da zu viel in Sportforen unterwegs. Gerade in Foren ist es aber schwierig zu sehen, von wem eigentlich welche Aussage kommt und wie sie zu bewerten ist. Nun, und insofern ist es vielleicht anmaßend, aber irgendwie doch sinnvoll, wenn man sich von denen beraten lassen möchte, die es "können" und nicht ausschließlich von denen, die selbst noch "üben". Ich denke, dass exakt das der Grund sein könnte, weshalb so viele, wie ich jetzt gelesen habe, sich gleich in diesen Teil des Forums werfen (neben denen, die sich tatsächlich nur profilieren wollen, was es natrülich auch gibt, ganz klar.)


    Seestern
    vielen Dank für den Hinweis :bluemchen - habe mir das durchgeschmökert. Ein paar Dinge sind mir aufgefallen, die auch völlig anders aussehen können, als sie letztlich gemeint sind. Aber das führe ich jetzt in dem Thread aus, den Du mir verlinkt hast.

    ...ist der Name meiner Homepage.


    Es ist eine Zusammenstellung aus Literatur, Kindersicherheit im Netz inclusive Zivilcourage und der Arbeit mit meinem Hund - aber es gibt auch ein paar ganz unterhaltsame Auszüge... und ein bisserl Sport ist auch noch dabei...


    Viel Spaß beim Schmökern


    Euer Zwergerl


    www.zwergerlhausen.de

    Hallo, zum Einstand stelle ich hier mal eine Geschichte von mir rein...


    Euer Zwergerl



    Meine Zeit mit J.


    Oft denke ich an J. zurück. An ihn und an das, was wir waren. Ich denke an das, was nie mehr sein kann. Denke, dass ich vor mir versagt habe, unwiederbringlich. Dass mein jugendliches, drängendes und abschmetterndes Verständnis vom Leben und von der Liebe vor seiner Größe kapituliert hat. Unwiederbringlich. Oft denke ich daran, wie groß die Liebe war, die ich verloren habe, weil ich sie nicht nehmen wollte. Oder auch konnte. Ich werde es nie mehr erfahren. Werde nie erfahren, ob ich mir die richtigen Fragen stelle, ob mein Zögern nicht ein Schutz war, weil ich etwas in ihm spürte, das meinen Untergang bedeuten konnte. Etwas Dunkles, etwas tief Zerstörerisches.


    Wir lernten uns im Zug kennen. Manchmal geht das Leben seltsame Wege. Ich war auf dem Rückweg von Z. nach München, hatte dort meinen Liebsten besucht. Alle vier Wochen unternahm ich diese Fahrt. Alle vier Wochen kam er nach München. So ergab sich ein fester, zweiwöchiger Rhythmus, in dem es keine Fragen gab. Getragen von einer Verliebtheit, die alles in den Himmel hebt, aber, zumindest im Nachhinein, nichts tragen konnte. Die Ferne und die Freude des Wiedersehens bestimmten, was wir als gemeinsam empfanden. Eine Gemeinsamkeit, die aus räumlicher Trennung bestand.
    Ich genoss diese Zugfahrten sehr. Fünf Stunden Abgeschiedenheit von der Welt, die Kopfhörer im Ohr, ein Buch in der Hand, das oft nur aufgeschlagen vor mir lag. Als Alibi sozusagen. Meine Aufmerksamkeit galt dem ruhigen Ruckeln des Zuges, das einen freisetzt, einen aus der Welt nimmt, eine unendliche Ruhe vermitteln kann und den Gedanken ungestörte Freiheit erlaubt. Sie galt dem Beobachten der Menschen, die um mich waren. Ich sah in ihre Gesichter, betrachtete ihre Mimik und ließ sie einfach auf mich wirken. Keine Bewertungen, nur Eindrücke.
    J. stieg in S. zu, seiner Heimatstadt, wie ich bald erfahren sollte. Als er an meinem Abteil vorbeilief, sich mit allen andern Zusteigern durch die engen Gänge des Zuges quetschte, fiel er mir auf. Er hob sich ab. Seine Ausstrahlung passte nicht zu dem bunten Allerlei der Gesichter. Er war kein Mensch, der sich in ein Allerlei fügen konnte. Als ich ihn zum ersten Mal sah, sah ich nur von hinten. Er hatte hellbraune Locken, war groß, schlank und er wirkte wie ein Mensch, der eigentlich in diesem Zug, neben all den Berufspendlern und heim- oder zurückfahrenden Bundeswehrlern, nichts zu suchen hatte. Er passte nicht hierher, passte nicht in diese Umgebung. Und, vielleicht, passte er nicht in dieses Leben.
    Unsere Geschichte begann als der Zug im Münchner Sackbahnhof hielt. Alle drängelten nach draußen. Zogen und schoben Koffer und Taschen in Richtung zur nächsten Tür. Ich selbst stand an der Schiebevorrichtung, die mein Abteil abgrenzte und wartete auf eine günstige Gelegenheit mich in die Reihe zu drängeln. Was mir auch fast gelungen wäre, hätte mich ein unhöflicher Zeitgenosse mit seinem Koffer nicht in das Abteil zurückgeschubst. Diesem Rüpel verdanke ich es, J. kennen gelernt zu haben.
    Der erste Satz, den J. zu mir sagte, war: „Geh ruhig vor, geh vor mir, sonst schaust mich auch noch so bös an.“ Und dieser Satz entlockte mir ein Lachen und ich höre ihn noch heute, auch wenn ich seine Stimme bereits vergessen habe. Er blockierte mit seinem Körper den Durchgang und ich trat vor ihn hin. Er ließ mir den Vortritt, das tat er auch später immer. Er lud mich ein, mich zu entscheiden und nahm das Ergebnis hin. Ein bißchen beobachtet kam ich mir vor. So viel Aufmerksamkeit war ich nicht gewohnt. Und am allerwenigsten Aufmerksamkeit brachte ich mir selbst entgegen. Doch mein eigenes, kleines Ego musste ständig damit gefüttert werden. Hätte er meinen Ausdruck im Gesicht nicht kommentiert, hätte er mich nicht gesehen, meine Reaktion gelesen, wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass ich in dem Augenblick des Zurückgeschubstwerdens überhaupt reagiert hatte. Er sah es, so wie er viele Dinge an mir sah. Bis heute weiß ich nicht, was er an mir wahrnahm und was ihn so sehr fasziniert hat.
    Wir beide waren uns schnell einig. Wir verstanden uns. Und am Ende des Bahnsteigs angelangt, hatten wir bereits die Telefonnummern ausgetauscht. Wir gingen auseinander und wussten beide, dass wir uns sehr bald hören würden. Am nächsten Tag war es soweit, ich rief ihn an. Mich drängte es danach, ihn bald wieder zu sehen. Es drängte mich, diesen Menschen kennenzulernen.
    Ein paar Tage später trafen wir uns. Heute weiß ich nicht mehr, was wir unternommen haben, ob wir in einer Kneipe saßen oder an der Isar. Auch könnte ich nicht mehr sagen, wie oft wir uns sahen. Weiß nur noch, dass wir jeden Tag miteinander sprachen. Diese Bilder, sie sind alle verschwunden. Sie waren auch nicht wichtig. Wir lernten uns kennen, das zählte. Und das blieb, bis heute.
    Kurz nach unserem Kennenlernen beendete er eine Beziehung. Sie hatte nicht getragen und in meiner Blindheit kam ich nicht auf die Idee, dass ich der Grund sein könnte für diese Trennung. Aber so war J.. Er wusste, dass ich auch einen Freund hatte und trennte sich auf Risiko.
    Die einzige Nacht, die wir miteinander hatten und die auch nur eine angebrochene Nacht war, hatten wir, weil ich trotzig war. Mein Freund hatte mich am Abend zuvor nicht angerufen, er hatte mich versetzt. Ich fuhr zu J., weil ich nicht wollte, dass mein Freund mich am nächsten Abend hätte erreichen können. J. war meine Anlaufstelle für mein divenhaftes Selbstbild. Und er bestätigte es, gab mir das Gefühl, die Einzige zu sein. Das war ich wohl auch.
    An diesem Abend redeten wir lange und viel. Er zeigte mir ein paar dunkle Seiten an sich, Seiten der Trauer, Seiten der Mutlosigkeit, des Zweifels und der Verzweiflung. Ich nahm es auf und hörte zwischendurch immer wieder meinen Anrufbeantworter mittels Fernabfrage ab. Wissen wollte ich, ob meine Rache schon wirkte. Ob der, dem ich eins auswischen wollte, sich seinen Schlag schon abgeholt hatte. Nach dem Essen, nach vielem Lachen, nach dem ernsten Teil des Abends und nachdem sich die körperliche Anziehung zwischen J. und mir auf ein sehr hohes Niveau geschaukelt hatte und die Luft um uns fast hörbar knistere, holte sich mein Freund seine Strafe ab. Er hatte mir auf Band gesprochen. Fragte sich, wo ich bin. Ich war nicht da, war begehrt und aufgewühlt. Und brachte es nicht fertig, bei J. zu bleiben. Gegen vier Uhr morgens setzte er mich in ein Taxi. Ich wollte gehen. Wollte nicht diese beiden Männer so gegeneinander ausspielen.
    Am nächsten Tag verlangte J. eine Entscheidung von mir. Er oder mein Freund. Nun sollte ich etwas entscheiden, was ich nicht entscheiden konnte, weil mir der Mut fehlte, mich an einen Menschen zu binden, den ich so gut kannte. Diese Tiefe des Gefühls, dieses Vertrauen, das wir in den wenigen Monaten aufgebaut hatten, die Offenheit zwischen uns und das unbedingte Einstehen füreinander machten mir Angst. Meine Entscheidung fiel auf die Welt, die ich kannte und in der ich aufgewachsen war. Eine Welt des Gegeneinanders, eine Welt, in der es keine innere Verbundenheit gab, in der der äußere Rahmen die Bestimmung war, eine Welt, in der außer Alltag nichts Platz hatte. Hinterfragt habe ich das damals nicht. Bestimmend war das Gefühl, dass J.s und meine Welt mir Angst machte, weil ich sie nicht handhaben konnte, weil mir die Werkzeuge fehlten, eine vage Ahnung, dass ich weit über mich hinauswachsen müsste, um hier leben zu können. Die Entscheidung für meinen Freund war eine Entscheidung aus Mangel an Mut und Risikofreude. Sie erschien mir weder richtig noch falsch. Gefolgt war ich einfach dem ersten Impuls.
    J. teilte mir mit, dass er Zeit brauche, wollten wir uns weiterhin treffen. Er könne nicht so weitermachen. Mich machte das zornig. Er nahm mir etwas weg, was mir doch die ganze Zeit zugestanden war. Nicht den Hauch einer Mühe machte ich mir, zu verstehen, was in ihm vorging. Nicht den Hauch einer Ahnung hatte ich, wovon er eigentlich sprach. Ein Freund oder eine Freundin zu haben war ein Statussymbol, mit Gefühlen hatte das wenig zu tun. Man hatte sie, weil es einen definierte, weil es den Stolz schürte.
    J. versuchte, sein Leben wieder aufzugreifen. Er suchte sich eine Freundin. Sie war ein nettes Mädel, sie passte zu ihm, sie konnte mit ihm umgehen. Seine Sorgen, Ängste, seine Probleme kamen anders bei ihr an, als sie das bei mir taten. Sie hatte keine Angst. Ich lernte sie kennen, als ich unangemeldet bei ihm vorbeikam. Sie saß da und hatte einfach keine Chance. Allen Raum, der zur Verfügung stand, schnappte ich mir. Wollte ihn erneut erobern, wollte das Gefühl wieder haben, die Erste zu sein, die Beste, die Schönste, wollte schillern und glitzern. Wollte die Macht wieder genießen, einen Mann in den Abgrund treiben zu können. An diesem Abend zog ich alle Register. Es muss dieses Mädchen sehr verletzt haben. Sie liebte ihn, das sah man ihr an, das sah ich. Und mein Ziel war es, ihrer Liebe einen Tritt zu versetzen. Mich wieder ganz nach vorne zu drängeln. Es gelang mir. Aber er blieb loyal. Es ist müßig zu erwähnen, dass ich, mal wieder meinem Freund eins auswischen wollte. Wir hatten eine kleine Reiberei gehabt.
    Die beiden Männer lernten sich in meiner Wohnung kennen. Sie trafen sich, weil mein Freund mir eine Freude machen wollte und einen Tag früher kam. J. saß auf meinem Sofa, mein Hund lag zu seinen Füßen. Als mein Freund in den Raum trat, verabschiedete er sich schnell und dezent. Er wusste, wann es besser war zu gehen.
    Mein Freund spürte, dass hier etwas nicht stimmte. Er glaubte mir nicht, als ich sagte: „Nichts, was soll zwischen uns sein. Wir sind Freunde.“ Als wir ein gutes Jahr später unsere Beziehung aufgaben, las er heimlich meine Tagebücher durch, um einen Hinweis darauf zu finden, was wirklich zwischen J. und mir war. Keine einzige Zeile konnte er finden, mein Misstrauen gegen ihn hatte die Worte bereits beim niederschreiben zensiert. Nur mir sagten unbedeutend scheinende Schlagwörter, wo J. und ich uns befanden. An diesem Abend, bevor mein Liebster ankam, schenkte ich J. einen kleinen Jadestein. Ein Symbol für ewige Freundschaft und Verbundenheit.
    Ein paar Mal trafen J. und ich uns noch. Einmal hatten wir die Räder genommen, waren ein bisschen durch die Stadt gefahren, hatten irgendwo ein Eis gegessen, viel gelacht und uns verstanden. Es war wie immer. Er verzehrte sich noch immer nach mir, ließ sich von mir in den Abgrund reißen. Als wir uns verabschiedeten, stieg er auf sein Rad und fuhr davon. Zum ersten Mal sah ich seine Wut. Seine Wut auf mich, seine Enttäuschung über mein Verhalten, sein Unverständnis darüber, dass der andere da sein durfte, der andere, der mich nicht besser kannte als er, der mich betrogen hatte, der nicht präsent war, der nichts für mich tat außer seine Rolle als Partner zu beanspruchen und ihm den Raum zu nehmen, den er so gern gehabt hätte. Mein Erschrecken über das Draufgängerische seiner Fahrweise war wohl die allererste Reaktion, die ich ehrlich gespürt habe. Zum ersten Mal hatte ich einen klaren Eindruck davon, wie viele Abgründe in einem Menschen stecken konnten. Noch heute höre ich mich denken `Mein Gott, J., Du fährst Dich ja um Kopf und Kragen´.
    In den nächsten Monaten wurde unser Kontakt sporadischer. Verstanden hatte ich, dass er den Abstand brauchte. Das hinderte mich jedoch nicht daran, ihn zu bitten für mich einen Gelegenheitsjob in der Filmhochschule zu übernehmen. So gerne wollte ich nach Z. fahren und er hätte doch bestimmt Freude daran, mal am Filmset mitzuarbeiten. Meine Gewissensbisse, ihn derart für meine Zwecke einzuspannen, verdrängte ich. Den ersten Drehtag verbrachten wir zusammen und hatten großen Spaß daran, über die Spiegelung der Scheiben den Blick zueinander zu suchen. Über diese dunklen Scheiben entfachten wir unsere Leidenschaft füreinander. Er übernahm für mich den zweiten Drehtag. Ich fuhr zu meinem Freund.
    Wann genau J. in den nächsten Monaten gestorben ist, weiß ich nicht. Er verunglückte tödlich, als er seinen Übergangsjob als Fahrradkurier ausführte. Er starb in der Straße, in der ich ein gutes halbes Jahr später meinen Roller einfuhr, als ich ihn vom Händler holte. Mein Freund und ich hatten unsere Wochenendbeziehung aufgegeben und waren zusammengezogen.
    Als ich von seinem Tod erfuhr, waren mein Freund und ich beinahe schon getrennt. Ich suchte J., wollte ihn wieder sehen. Er fehlte mir und ich vermisste ihn. Ob ich mich nun auf eine Beziehung eingelassen hätte, kann ich nicht sagen. Zu tief saß das Bild der Wut, das mir noch mehr Angst machte. Es hatte eine Ahnung in mir hervorgerufen. Die Ahnung einer unglaublich zerstörerischen Kraft, von der ich nicht wusste, in welche Richtung sie sich wenden konnte. Aber wiederfinden wollte ich ihn.
    Kein Anschluss unter dieser Nummer tönte aus dem Telefonhörer. Per Telefonauskunft fand ich seine Familie in S., um dort seine neue Nummer zu erfragen, falls er umgezogen sein sollte. Am Apparat hatte ich einen Mann. Auf meine Frage, ob er J. kenne, entgegnete er mir: „Ja, das war mein Sohn.“
    Sein Tod löste in mir einen tiefen Schock aus. Ich hatte nicht damit gerechnet. J. war fester Bestandteil meines Lebens geworden, ob wir uns nun trafen oder nicht. Das Wort Fassungslosigkeit bekam zum ersten Mal in meinem Leben eine Bedeutung. Tage später begann sich langsam eine tiefe Trauer in mir breit zu machen. Zu seinem Grab wollte ich, wollte sehen, wo er jetzt war. Seine Nähe spüren. Ich vermisste ihn. Zu seinem Grab habe ich nicht gefunden.
    Noch heute wünsche ich mir, ich könnte ihn anrufen und mit ihm reden. Trauer und Schmerz halten an, auch wenn sie sich über die Zeit verändert haben. Dazu kommt der Schmerz des Vergessens. Zuerst vergaß ich seinen Geruch, dann entglitt meiner Erinnerung, wie sein Körper sich anfühlte. Danach begannen die Lachfältchen um seine Augen in meiner Erinnerung zu verblassen und seine Stimme zu verhallen. Das alles schwindet mehr und mehr. In meinen Gedanken fließt er mir unter den Händen weg und ich kann ihn nicht halten. Wie gerne hätte ich mich wenigstens verabschiedet.
    Meine Fragen kann ich nicht mehr stellen. Er ist gegangen, bevor ich entscheiden konnte, was er mir sein sollte. So plötzlich, wie er in mein Leben getreten war, war er gegangen. Nichts ist geblieben und dennoch bin ich nicht mehr die Gleiche.