Ich beginne erst heute damit in die Leserunde einzusteigen und habe ein paar Fragen an die Autorin:
- Du lässt Hella erwähnen, dass sie in eine Klosterschule gegangen ist und dort, zwar nur mäßig, aber immerhin: Latein gelernt hat.
Meine Frage ist, ob es in Frankfurt dort eine gewisse Sonderstellung gab, was das Thema betrifft? Zur Zeit der Reformation, also ca. ab 1517 / 1518 gab es zwar Emanzipationsbestrebungen seitens der Nonnenklöster allen Mädchen eine "Grundbildung" mitzugeben und die Einführung "neuer" Stundenpläne, aber das Erlernen von schriftlichen und mündlichen Latein und Griechisch-Kenntnissen gehörte nicht dazu. Zumindest, meines Wissens nach, nicht im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation bzw. den meisten Partikularstaaten.
- Ein weitere Frage: Die Geschichte spielt im Jahr 1532; du lässt das 13-jährige "Hurenmädchen" auf einen Pfarrer treffen, einem Lutheraner.
Meine Frage ist, ob in Frankfurt des Jahres 1532 schon eine solche Emanzipation stattgefunden hat, für Lutheraner vor allem?
Soweit ich weiß, gab es zwar den Schmalkaldischen Bund, der ein gewisses Maß an Sicherheit der Religionsausübung bot im Land Hessen und Kursachsen; allerdings war dies nur eine recht brüchige Einrichtung und hieß nicht, dass man nicht von Seiten der Stadt mit Repressalien zu rechnen hat.
Ansonsten sind die Charaktere bisher sehr liebevoll gestaltet, auch wenn mir Hella und auch Gustelies, aber vor allem Jutta Hinterer zuviel Emanzipation an den Tag legen.
Frauen galten in der frühen Neuzeit als Objekte, als austauschbare "Ware", als identitätslose Wesen und somit ist für mich das Bild einer Frau, die in den Akten ihres Mannes stöbert, sehr absonderlich.
Die Beschreibungen der Misshandlung des 13-jährigen "Hurenmädchens" sind für mich typisch für einen Exorzismus, von daher finde ich die Reaktion des Pfarrers nach der Geburt das Kind zu erschlagen (Ich nenne es mal so) nicht abwegig, vor allem wenn man sich die ständige Angst der Menschen vor dem Teufel und der Hölle vor Augen hält.
Natürlich empfinde ich keine große Liebe zu solchen Szenen, finde sie aber wichtig, um die Zeit zu dokumentieren. Außerdem... und nun kommen wir zu meiner Theorie:
"Agnes", die Hella besucht und ihr Kräuter anbietet, ist für mich das 13-jährige Kind der Hure. Es wird mehrfach erwähnt, dass sie des Nachmittages im Kräutergarten arbeitet.
Über die Motivik kann ich nichts Genaues sagen, allerdings kann man sich ja den Lebenslauf des Mädchens exemplarisch anschauen. Aufgewachsen zwischen den Randfiguren der Gesellschaft, ohne Liebe und Achtung kennen gelernt zu haben. Von der eigenen Mutter mit 13 Jahren verkauft, von einem Gewandschneider vergewaltigt, um dann zu fliehen und bei einem Pfarrer aufzuwachsen, der sie prügelt und ihr das Einzige nimmt, was sie noch am Leben hält - ihr Kind.
Folgende Theorie habe ich: Agnes ist diese 13-jährige. Für mich ist die ganze Handlung zeitversetzt; die Geschehennisse um Agnes finden vor den Morden statt. Die tote Prostituierte auf dem Galgenberg ist ihre Mutter; der zweite Tote der Gewandschneider. Offensichtlich rächt sie sich an allen, die ihr weh getan haben, was man vielleicht auch aus ihrem Leben Satz nach dem Tode ihres Kind hören kann: "Du bist des Todes!" oder etwas ähnliches sagt sie zu dem Pfarrer, wenn auch nur flüsternd.