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    Wir haben gestern "Leave The World Behind" (Netflix) gesehen, eine mit Julia Roberts, Ethan Hawke, Mahershala Ali und Kevin Bacon hochkarätig besetzte Romanverfilmung (Rumaan Alam) unter der Regie von Sam Esmail.


    Ich wünschte, ich hätte den Roman erst einmal gelesen, denn er liegt schon ewig auf meinem virtuellen TBR. Es wäre interessant zu erfahren, welche Stärken und Schwächen nur der Film hat. Ich hatte meine Probleme mit der Figur, die Julia Roberts darstellt. Vielleicht war die Rolle auch einfach nur schlecht gespielt. Sie nervte, war nicht glaubwürdig und vor allem zu Beginn ist die plötzliche Entscheidung, ein Haus zu mieten, überhaupt nicht schlüssig. Das gibt der Story einen eigenartigen Rahmen und einen komischen Start.


    Als "Gesamtkunstwerk" hat mir der Film gefallen: die Atmosphäre, auch das Ende und bis auf Roberts auch die schauspielerischen Leistungen. Dass die Obamas den Film produziert haben, macht die Geschichte noch gruseliger. Ich habe viele Kommentare gelesen, in denen sich Zuschauer darüber beschwert haben, dass sie zweieinhalb Stunden ihres Lebens verschwendet hätten. Auch wenn die Story den Eindruck erwecken könnte: Dies ist kein Emmerich-Film, entsprechend entwickelt sich die Geschichte auch nicht wie in einem Emmerich-Film.


    Es gab aber auch viele Kleinigkeiten, die mich gestört haben. Hitchcock-Feeling: okay, aber die Hitchcock-Anspielungen waren mir dann doch zu wenig subtil (die Szene aus "North by Northwest", die Vögel, die Knarre in der Schublade, die irgendwann losgehen muss).

    Ich könnte mir tatsächlich vorstellen, dass die Spannung zwischen dem Ehepaar und George/Ruth im Roman besser funktioniert, aber im Film tat sie das nicht und wirkte wie ein Red Herring.

    So, heute Abend wird der Booker Prize verliehen. Livestream gibt es hier.


    Dieses Jahr wird der Preis erst relativ spät nach Bekanntgabe der Shortlist vergeben. So hat es sich irgendwie ergeben, dass ich fünf der nominierten Bücher gelesen habe (alle außer The Bee Sting). Fun Fact: Die letzten beiden Booker-Preise (regulär und international) habe ich jeweils nur einen Roman der Shortlist vor der Preisvergabe gelesen, und beide Male war es der Sieger (Shehan Karunatilaka's "Seven Moons of Maali Almeida" und Georgi Gospodinov's "Time Shelter" - Deutsch: "Zeitzuflucht"). Es wäre lustig, und auch nicht unwahrscheinlich, wenn es dieses Mal genau umgekehrt ausgehen würde, weil "The Bee Sting" durchaus so etwas wie ein "Fan Favourite" ist.


    Meine Reihenfolge:


    1. Sarah Bernstein Study for Obedience

    2. Paul Lynch Prophet Song

    3. Jonathan Escoffery If I Survive You

    4. Chetna Maroo Western Lane

    5. Paul Harding This Other Eden


    Mit This Other Eden konnte ich wenig anfangen. Das Buch hat eigentlich alle Zutaten: ein wichtiges Thema (die Geschichte von Malaga Island) und einen gewissen literarischen Anspruch, aber die Art wie Paul Harding schreibt sagt mir so überhaupt nicht zu. Etwas gemein ausgedrückt: das ist für mich zu bemüht. Die poetische Schreibe, die oft gelobt wird, für mich zu gewollt und affektiert. Für mich persönlich nur die Simulation guter Literatur.


    Alle anderen Bücher fand ich gut bis sehr gut, und für jeden Autor oder jede Autorin würde ich mich freuen. Chetna Maroo bleibt ganz still und unauffällig, hat aber seitdem ich den Roman gelesen habe, ein wenig gewonnen.


    If I Survive You ist passagenweise vielleicht sogar mein Lieblingsbuch. Die Geschichte einer dominikanischen Einwandererfamilie in den USA. Kleine Einschränkung, weil es eigentlich ein Kurzgeschichtenband und kein Roman ist, und für mich ist das Gesamtkonzept nicht ganz stimmig, aber das ist ein sehr kleiner Einwand.


    Paul Lynch schuf einen sehr starken dystopischen Roman aus einer sehr privaten Perspektive einer Mutter, die ihre Familie durch diese zunehmend eskalierende Situation navigieren muss. Eine kleine Einschränkung, weil ich den starken Bezug zu Syrien für einen taktischen Fehler des Autors halte (wenn ich über Syrien lesen will, dann lese ich ein syrisches Buch), aber die Dystopie funktioniert auch, gerade aktuell, sehr gut im europäischen Kontext (zunehmender Rechtsruck in verschiedenen Ländern).


    Ja, und Study for Obedience von Sarah Bernstein das einzige Masterclass-Level-Buch auf der Liste. Sehr ungewöhnlich und speziell. Ich kann den Roman kaum beschreiben und das ist was ihn auszeichnet. Diese wunderbare persönliche Sicht einer Außenseiterin in einer fremden Kultur. Wie eigentlich alle Romane ein spannender Beitrag über das Thema Immigration. Das Thema zieht sich durch die gesamte Liste.


    Was "glaube ich", was gewinnt.


    Ohne witzig sein zu wollen, ich glaube eine der Pauls wird gewinnen. Mein Bauchgefühl sagt mir Paul Murray. Paul Lynch würde ich gut finden. Und Paul Harding befürchte ich (der "Blurb" der Jurysprecherin ist auf dem Cover des Buches abgedruckt). Harding wäre für mich bitter, alles andere okay. Ein Dark Horse Winner wie Sarah Bernstein wäre großartig, aber auch Außenseitern wie Escoffery und Maroo würde ich es irgendwie gönnen.

    Mir hat der Roman auch sehr gefallen. Dabei gefallen mir Dystopien sonst oft weniger, einfach weil sich die Weltentwürfe sehr oft wiederholen bzw. das, was eine Gesellschaft aus den Angeln hebt, ist häufig dasselbe, weil es so naheliegend ist, wie z.B. der Rechtsruck in vielen europäischen Staaten.


    Das ist bei dem Roman jetzt nicht grundsätzlich so anders, aber Paul Lynch macht etwas für mich sehr Kluges und Spannendes. Er konzentriert sich komplett auf das Private, auf diese Perspektive ganz eng an dieser Mutter, die ihre Kinder irgendwie durch diese zerfallene Welt navigieren muss. Und mit dem Schreibstil erzeugt Lynch diese atemlose Atmosphäre (wortwörtlich ohne Punkt und Komma).


    Es gibt eine Kleinigkeit, die mit der Intention des Autors zusammenhängt (den Bezug der Welt aus diesem Roman zur realen Welt), bei der ich mir noch unsicher bin, aber es wäre zu sehr ein Spoiler, wenn ich genauer darauf eingehen würde. Das störte mich aber jetzt weniger. So ein wenig Reibungsfläche mit einem Buch ist ja auch nicht schlecht.

    Immerhin 4 Treffer (und zwei bereits gelesene Bücher). Die Shortlist ist die folgende:


    - Paul Murray - The Bee Sting

    - Sarah Bernstein - Study for Obedience

    - Paul Harding - This Other Eden

    - Jonathan Escoffery - If I Survive You

    - Paul Lynch - Prophet Song

    - Chetna Maroo - Western Lane

    Morgen wird die Shortlist bekannt gegeben. Hat jemand Tipps oder Favoriten?


    Chetna Maroo "Western Lane": Kein schlechtes Buch. Ein eher schmales, sehr unaufdringliches und schmales Buch. Es handelt von einem Mädchen, das den Tod seiner Mutter durch obsessives Squash-Spielen verarbeitet. Obwohl der Roman sicherlich gut geschrieben ist, fand ich, dass er ein wenig zu nach einem bestimmten Schema geschrieben ist. Der Squash-Court wird hier zu sehr zu einer konstruierten Metapher in einer ebenso konstruierte kleine Novelle.


    Martin MacInnes "In Ascension": Angeblich literarische Science Fiction, aber weder ist dieser Roman besonders literarisch (schwache Figurenzeichnung, Figuren ohne Entwicklung, typische SF-Exposition in Dialogen usw.), noch bietet er gute Science Fiction (der Roman bringt nichts Neues, was nicht schon von hunderten anderen SF-Romanen gemacht wurde). Er könnte höchstens Fans von Filmen wie "Interstellar" und "Gravity" gefalle. Für alle die Pathos mögen. Bei der Nominierung muss es sich wohl um ein Missverständnis handeln. Ich habe ihn abgebrochen (DNF).


    Sarah Bernsteins "Study for Obedience": Auch ein eher schmales Buch, aber eines mit mehr Substanz. Es ist auch ein wenig sperrig. Die Erzählerin zieht zu ihrem Bruder, der sich gerade von seiner Frau getrennt hat, in eine ländliche Gegend irgendwo im Ausland. Sie spricht nicht die Sprache der Einwohner, und als merkwürdige Dinge passieren, macht man sie dafür verantwortlich. Ein Roman über Nicht-Kommunikation und das Gefühl des Nicht-Ankommens. Und wie der Titel schon verrät, über Gehorsamkeit, Frauenrollen und einem sehr absonderlichen Bruder/Schwester-Verhältnis. In einer sehr langweiligen Longlist wenigstens ein Buch, das ein wenig anders ist.


    Meine Tipps für die Shortlist:


    - Paul Murray - The Bee Sting

    - Sarah Bernstein - Study for Obedience

    - Paul Harding - This Other Eden

    - Jonathan Escoffery - If I Survive You

    - Ayobami Adebayo - A Spell of Good Things

    - Sebastian Barry - God's Old Time


    ASIN/ISBN: 178378993X

    Ich freue mich, dass "Drifter" nominiert wurde. Ich habe den Roman sehr genossen, hätte aber niemals erwartet, dass er nominiert wird. Ich dachte, er wäre zu absurd (was wiederum genau mein Ding ist).


    Gleichzeitig überrascht mich die Nicht-Nominierung von "Monde vor der Landung". Ich lese ihn gerade und mag den Roman auch sehr.


    Ansonsten einige Favoriten auf der Liste.

    Was haltet ihr von den neuen Juroen Mithu Sanyal und Thomas Strässle?


    Ich finde ihre Beiträge ambitioniert und wirklich nicht schlecht, aber Mithu Sanyal fuchtelt ein wenig zu viel mit den Händen und dass die ganze Zeit. Naja, es gibt schlimmeres!

    Ich habe noch nicht so viel gesehen, aber ich finde beide sehr gut, Definitiv eine Bereicherung. Mithu Sanyal ist die bessere Vea Kaiser. Sie argumentiert auch sehr aus dem Bauch heraus, nimmt also eine ähnliche Rolle in der Runde ein, hat im Gegensatz zu Vea Kaiser aber eine immer eine solide literaturkritische Argumentation parat. Thomas Strässle ist auch sehr souverän in seinen Beiträgen. Beiden merkt man ihre Medienerfahrung an (Literarisches Quartett, Literaturclub etc.). Beide beleben auch die Diskussion, weil sie anders als Kastberger und Tingler sehr konstruktiv und positiv beitragen.

    Ich denke mal, der Vergleich mit Harry Potter (prominent von Denis Scheck geäußert) tut dem Roman nicht gut und dann eben das sozialkritische Element, das ich in meiner Rezi ja auch schon wenig kritisch angemerkt habe, weil Kuang es eben nicht besonders subtil behandelt, aber wo die Leute eben oft auch ein wenig übertrieben reagieren (Wokeness-Verdacht also ordentlich mit der Keule draufhauen, dabei spricht ja erst einmal nichts gegen sozialkritische Themen auch in Fantasy-Romanen).

    Das liegt auch an den Kritiker Strigl und Ebel, die ich sehr schätze und auch der Gast hat sich gut beteiligt-


    Obwohl es Ebel mit seinem "ist doch nicht schlimm, das Ende zu verraten. Das sind doch keine Krimis" ein wenig übertrieben hat. Als Strigl dann bei Ebels Büchertipp am Ende ganz frech meinte: "und? wie geht es aus?" lag ich lachend unter dem Tisch.

    Ich auch. Ich bin mal sehr gespannt, wer die Leitung der Sendung übernimmt. Mein Lieblingsmoderator wäre ja Philipp Tingler. :heisseliebe

    Das wäre lustig. Nicola Steiner war ja sozusagen die Löwenbändigerin und Philip Tingler der Löwe. Er is eigentlich komplett ungeeignet für irgendwelche Führungsaufgaben, wäre aber mal ein interessantes Experiment. ;)


    Ich finde das auch schade, weil Frau Steiner war mit Abstand die beste Moderatorin dieser Art von Literatursendungen (Thea Dorn zu viel Ego und zu wenig Moderationsgeschick; das geht durcheinander wie bei einer Hart aber Fair Sendung; Denis Scheck zu viel Ego und mitunter gerade zu unverschämt wie er seine Gäste abwürgt; und Gerd Scobel ist extrem nett und kompetent, aber auch irgendwie langweilig in der Gesprächsführung). Ich fürchte, Nicola Steiner kann man aktuell überhaupt nicht ersetzen :(

    Morgen wird der Siegertitel bekanntgegeben. Auf die Shortlist haben es geschafft:


    Boulder - Eva Baltasar

    Whale - Cheon Myeong-Kwan

    The Gospel According to the New World - Maryse Condé

    Standing Heavy - GauZ

    Time Shelter - Georgi Gospodinov

    Still Born - Guadalupe Nettel


    Und jetzt habe ich gerade Time Shelter (Zeitzuflucht) in der deutschen Übersetzung fertig gelesen, und der Roman darf gerne gewinnen :)


    Es handelt sich dabei um einen Ideenromanen, gleichzeitig die Stärke, vielleicht aber auch eine Schwäche, denn vor allem in der zweiten Hälfte, steht mehr die Idee und das World-Building im Vordergrund, als die Figuren oder ein herkömmlicher Plot, der sich szenisch entwickeln würde. Ein mysteriöser Dr. Gaustin behandelt Alzheimer-Patienten, in dem er sie speziell in für sie zeitgenössisch eingerichteten Therapieräumen in der Vergangenheit zurückversetzt. Und dabei bleibt es nicht, es entstehen Kliniken und irgendwann beschließen alle europäischen Länder, sich in ein Jahrzehnt ihrer Wahl (in jedem Land gibt es ein Referendum) zurückzuversetzen und die Vergangenheit nachzuspielen.


    Das ist teilweise äußerst witzig und originell geschrieben. Politisch bissig (Großbritannien darf am Referendum nicht teilnehmen, weil Brüssel nach dem Brexit die Schnauze voll hat). Überhaupt ist die gesamte Idee sehr zeitgemäß, wo immer mehr Nationen zeitlich rückwärts gewandte Regierungen wählen und die Vergangenheit verklären.


    Aber, wie erwähnt, nach einem atmosphärischen Beginn, wo der Ich-Erzähler (ein Schriftsteller names Georgi Gospodinov) durch Zürich flanniert und Dr. Gaustin trifft, wird der Roman zunehmend verkopfter. Das könnte ihm den Preis kosten und vielleicht auch viele Leser abschrecken. Ich mag aber Ideenromane.


    ASIN/ISBN: 3351038895

    Soeben den Pulitzer Prize for Fiction 2023 gewonnen (zusammen mit Demon Copperhead von Barbara Kingsolver, Jury konnte sich nicht entscheiden).

    Mehr als zwanzig Jahre nachdem ich am selben Ort Haruki Murakami gesehen habe, zog es mich ein zweites Mal ins Literarische Colloquium am Wannsee in Berlin, vermutlich wohl der schönste Ort, an dem man Lesungen abhalten kann. Der Saal wirkte etwas kleiner als damals, aber in der Vergangenheit ist ja alles immer ein wenig größer. Ich war sehr früh dort, eigentlich wollte ich ja noch am Wannsee entlang wandern, aber es war - entschuldigt meine Ausdrucksweise - gestern einfach scheißkalt.


    Von Lukas Bärfuss liebe ich vor allem seinen Roman Hagard und tatsächlich gibt es einen weiteren Berlin-Bezug und zwar habe ich eine Aufführung seines Theaterstücks Öl in Berlin gesehen. Ich mag auch seine Auftritte z.B. beim Literaturclub. Er ist einfach ein kluger und witziger Mensch, was er auch bei dieser Lesung wieder bewiesen hat. Das neue Buch von ihm, das erste einer Trilogie ist aber weniger witzig: Arbeitermileau und Armut (das kennt Bärfuss, der aus prekären Verhältnissen stammt und keinen Schulabschluss hat), alleinerziehende Mutter... Ich muss zugeben, dass ich noch nicht sicher bin, ob ich den Roman überhaupt lesen möchte, aber die Lesepassagen waren stark und eindringlich.


    Aber was diese Lesung so einmalig gemacht hat, war die Moderatorin. Oh, mein Gott... Sie hatte den Autor, die Verlagsvertreter und vor allem auch das Publikum zum Verzweifeln gebracht.


    - Das ist ihr was? vierter Roman?

    - Sie wissen doch, mit Mathematik habe ich es nicht so.

    - Ja genau, lassen sie uns doch über den Fehler in ihrem Roman sprechen...


    ... den sie dann nicht erklärt, aber offenbar hat ein Rezensent der Neuen Züricher Zeitung irgendeinen Fehler in der Chronologie des Romans gefunden (ich habe dann nachgeforscht, nach dessen Berechnung hat die Protagonistin mit 10 ihr Kind geboren). Die NZZ-Rezension war im übrigen ein übler Verriss. Also ein perfekter Opener für ein Gesprach, aber Bärfuss kontert originell und gewitzt.


    Die Moderatorin meint Bärfuss kann ja nichts für den Fehler, aber ein Lektor hätte das doch entdecken müssen. Böse Blicke von den Verlagsvertretern (Rowohlt) von den reservierten Plätzen.


    Dann spricht die Moderatorin über ihre Erfahrung in der Jury für den Preis der Leipziger Buchmesse 2017. Hagard war nominiert. Die anderen Jury-Mitglieder hätten den Roman ja so furchtbar kulturpessimistisch gefunden.


    Dann nach mehr als einer halben Stunde vielleicht, eigentlich weiß ich bisher über den Roman der gerade Buchpremiere hat überhaupt nichts, möchte Bärfuss dann lesen, aber ab Seite 50. Die Moderatorin bittet (eher nötigt) Bärfuss die ersten 50 Seiten zusammenzufassen. Das ist Bärfuss irgendwie unangenehm (er möchte lesen, nicht nacherzählen), aber er tut wie verlangt. Die Zusammenfassung war der Moderatorin aber nicht ausführlich genug und sie fügt dann noch zehn Minuten Nacherzählung hinzu... inzwischen weiß ich alles über die ersten 50 Seiten. Die brauche ich auch nicht mehr lesen. Hinter mir lacht jemand laut, während die Moderatorin erzählt und erzählt.


    Bärfuss wird ganz langsam dann doch etwas bissig. Habe den genauen Wortlaut nicht mehr, aber bevor er mit seiner Lesung beginnt, meint er, dass es etwas mit Respekt zu tun hätte, die Zeit des Publikums nicht zu vergeuden. Spoiler: leider versteht die Moderatorin den Wink nicht und wird später gleichbleibend verpeilt weiter moderieren.


    Nach der Lesung dieses Teils dann weitere Diskussionen, in deren Verlauf deutlich wird, dass die Moderatorin ein Detail in der Erzählperspektive komplett missverstanden hat. Bärfuss erklärt, wie es gemeint war. Im Publikum ist man sich einig: das konnte man eigentlich nicht missverstehen. Die Moderatorin lässt nicht locker. Also wenn man das Wort "sie" vielleicht etwas an das Ende des Satzes verschoben worden wäre, aber so... Zehn Minuten Ping-Pong zu diesem einen Detail. Bärfuss verteidigt sich und seinen Lektor und das Publikum entwickelt langsam Moderatorinnen-Hassgefühle (in einem Fußballstadion wären inzwischen Bierbecher geflogen, aber man will ja nicht mit Weingläsern schmeißen). Aber wieder findet Bärfuss den richtigen und witzigen Dreh:


    "Ich muß ihre Position aber wirklich verteidigen. Es ist nun einmal das Geheimnis großer Literatur, dass man wirklich jedes Wort aus zwei Blickwinkeln betrachten kann."


    Nach anderthalb Stunden (ich bin mir inzwischen sicher, dass diese Lesung mindestens vier Stunden andauern wird) fragt die Moderatorin Bärfuss, ob er noch etwas lesen möchte. Dieser, gefühlt wie bei einem Stoßgebet nach oben blickend: "Ja, gerne, oh mein Gott, ja!" Das Publikum applaudiert.


    Nach der Lesung geht es dann mit der Diskussion weiter (es muss ja auch noch jedes letzte Detail des Romans erklärt werden. Gerne werden auch immer wieder Punkte aus schlechten Kritiken erwähnt, die die Moderatorin ja so überhaupt nicht verstehen kann). Und irgendwann weist die Moderatorin dann darauf hin, dass sie ja überhaupt kein Gefühl für die Zeit hätte (ach was, wirklich?), man sie aber darum gebeten hätte, noch Fragen aus dem Publikum zuzulassen. Das Publikum ist gnädig und schweigt. Bärfuss bedankt sich bei der Moderatorin und freut sich bereits auf die nächste gemeinsame Buchpremiere. In der Signierschlange, endlich ohne Moderatorin, gibt es noch nette Interaktionen zwischen Autor und Publikum und ich fahre zufrieden aber auch kopfschüttelnd mit einem signierten Exemplar von Hagard zurück ins Hotel.


    ASIN/ISBN: 3498003208

    Jacqueline Stolos - Edendale


    In northeast Los Angeles, wildfires rage and coyotes stalk the neighborhood streets. The wind blows heavy with smoke and inside a rented bungalow on hilly Lemoyne Street, the air grows heavy with something else.

    Ropey closes his checking account and transfers his net worth to his sock drawer. Megan sharpens pencils and chops produce to obsession. Lyle tightens his grip on his girlfriend Egypt, whose growing dependence makes her question everything, especially Lyle. And Captain America, the cat of the house, finds his orange coat giving way to a nest of bleeding sores. As the fires burn ever closer, will the four friends wake up to their false paradise?


    ASIN/ISBN: B08LZM75C8

    Ein Kurzgeschichtenband einer kandadisch-laotischen Autorin:


    Souvankham Thammavongsa - How To Pronounce Knife


    In this stunning debut, Souvankham Thammavongsa captures the day-to-day lives of immigrants and refugees in a nameless city, illuminating hopes, disappointments, love affairs, and above all, the pursuit of a place to belong


    A revelatory debut collection from an essential new voice in world literature - 'There is not a moment off in these affecting stories' Sheila Heti


    ASIN/ISBN: B0844NZF61

    Ich kenne nicht jeden Roman von Ellis und daher war für mich The Shards erst der erste Aufguss von Less Than Zero und American Psycho und ich war sehr angetan von diesem Buch, denn das Spiel mit Autofiktion beherrscht Ellis hier perfekt. Der Roman ist extrem raffiniert gebaut. Der Roman hat übrigens kein Vorwort, sondern eine Rahmenhandlung, die in der Gegenwart spielt, die aber natürlich Teil dieses Spiels ist. Überhaupt wundert es mich wie wortwörtlich der Roman oft gelesen wird. Der Roman ist mit so einem Schalk geschrieben, natürlich sind nicht um Ellis herum, Menschen links und rechts von einem Massenmörder abgeschlachtet worden, aber genau dieser Mix von Less Than Zero Setting auf der einen Seite und diesen mörderischen American Psycho Elementen auf der anderen, hat mir unglaublich gut gefallen.


    Dieses Spiel muss einem natürlich gefallen, um das Buch genießen zu können. Als reiner Thriller funktioniert der Roman natürlich nicht und natürlich hätte man gut hundert Seiten streichen können. Über die Länge erzeugt aber Ellis aber ein Zeitportrait über die popkulturellen Referenzen und auch die Wiederholungen tragen dazu bei, dass der Erzähler immer unzuverlässiger erscheint.


    Was natürlich auch sehr Geschmacksache ist, ist die Selbstbezogenheit von Ellis. Ist er ein Narzisst? Ja, sowas von, aber das passt in das Gesamtkonzept.