Beiträge von Googol

    Herzlichen Glückwunsch an die Gewinner, besonders Percival Everett, der wenn alles nach Plan läuft für diesen Roman dann auch noch den Pulitzer einsacken wird, und der sehr eine schöne Dankesrede abgeliefert hat. Überhaupt eine lohnenswerte Veranstaltung (https://www.youtube.com/watch?v=h_xLHve4KZA). Wenn eine Award-Zeremonie sich ansatzweise eine Oscar-Verleihung anfühlt, dann der National Book Award. Witzige Moderation von Kate McKinnon. Schade, dass Salman Rushdie nicht gewonnen hat, aber niemand hat seine Dankesrede gerockt wie Jason De Leon. Köstlich.

    Heute Nacht ist es so weit (2 Uhr nachts bei YouTube). Ich habe noch nie eine Shortlist für einen Award komplett gelesen, dieses Jahr direkt zwei: Booker und National Book Award (for Fiction).

    Eher zufällig in diesem Fall, denn als diese Shortlist verkündet wurde, hatte ich von den 5 Büchern schon dreieinhalb gelesen. Da dachte ich, ich lese den Rest dann auch noch (Miranda July zu Ende und Pemi Aguda). Und was soll ich sagen: Das sind ausschließlich exzellente 5-von-5-Sterne-Bücher. Zum Vergleich beim Booker: 2 Bücher der Shortlist sehr gut, vier eher nicht so. Also ist der National Book Award dieses Jahr der bessere Booker Award für mich.


    Meine Favoriten:

    1. Kaveh Akbar - Martyr!
      Mein Lieblingsbuch bisher dieses Jahr, allerdings auch ungestüm und experimentell, wie man es bei einem Debüt erwartet.
    2. Hisham Matar - My Friends
      Dagegen dann Hisham Matar, der extrem gekonnt seine Geschichte über Immigration und Einsamkeit in der Immigration und über London erzählt. Ich bin unentschieden und wechsele ständig meine Meinung, ob ich Matars routiniertes Können oder Akbars frisches Experimentieren höher bewerte.

    Und dann meine Runners-up (ich möchte da kein weiteres Ranking vornehmen):

    • Pemi Aguda - Ghost Roots
      Kurzgeschichten, und wie die meisten Kurzgeschichtenbände sind manche Stories besser als andere, aber die Trefferquote ist in diesem Band schon verdammt hoch. Eine gelungene Mischung aus afrikanischem magischen Realismus und hartem Realismus von Lebensentwürfen in Lagos, Nigeria. Drei oder vier Stories aus diesem Band sind höchste Short-Story-Kunst.
    • Miranda July - All Fours
      Ich bin ein Fan von Miranda Julys Kunst, vor allem ihren Filmen. Dieses Buch ist einerseits genau das, was man von ihr erwartet, aber auch eine gewisse Zumutung: Wer will wirklich etwas über die Prämenopause und die weibliche Midlife-Crisis lesen? Aber wieso auch nicht. Dieses Buch ist mutig und radikal. Die erste Hälfte exzellent, was den Plot betrifft, die zweite dann etwas weniger strukturiert. Das Übersexualisierte kann etwas stören, ändert aber nichts an der Qualität dieses Buches.
    • Percival Everett - James
      Darüber wurde schon viel geschrieben. So gut, wie es alle sagen.

    So, morgen ist es soweit: Der Booker Prize wird vergeben (12.11. um 22:45 auf YouTube). Ich habe zum ersten Mal alle Bücher der Shortlist gelesen – vier davon bereits vor der Verkündung, zwei danach. Mein Bauchgefühl bei der Auswahl der Bücher scheint gut zu sein, denn die beiden Bücher, die ich speziell wegen der Nominierung gelesen habe, waren genau die, die mir am wenigsten gefallen haben.


    Mein Ranking ist wie folgt:


    1. Charlotte Wood - Stone Yard Devotional

    2. Percival Everett - James

    3. Yael van der Wouten - The Safekeep

    4. Samantha Harvey - Orbital

    5. Anne Michaels - Held

    6. Rachel Kushner - Creation Lake


    Ich habe in diesem Thread ja bereits zum Teil verraten, wie mir die Bücher gefallen haben. Ich fand nur zwei Bücher wirklich gut (glücklicherweise beide dafür sehr gut).


    James ist so gut, wie alle sagen. Wohl der Favorit und ein würdiger Gewinner, aber ich persönlich würde mit Stone Yard Devotional auf das Dark Horse setzen – der Außenseiter, den ich mir als Sieger wünsche.

    Heute auch hier von Herr Palomar rezensiert.


    The Safekeep hat stark begonnen, dann aber stark nachgelassen und war für meinen Geschmack viel zu melodramatisch und komplett fehlkonstruiert. Wenigstens hat der Roman etwas versucht. Dass er bei mir auf Platz 3 kommt, ist aber schon mal ein schlechtes Zeichen. Ein Publikumsliebling.


    Orbital ist gut geschrieben, enthält ein paar hübsche philosophische Gedanken, war mir aber viel zu prätentiös und überwiegend schnarchlangweilig. Ein sehr kurzes Buch, das sich aber sehr zieht.


    Ja, und dann zweimal Schulterzucken.


    Bei Held liegt es vielleicht auch an mir. Lyrisch, experimentell, mit sehr viel Pathos, das mir unangenehm auffiel. Die Hauptschwierigkeit war, dass ich keine Ahnung habe, was in diesem Roman passiert ist und warum mir die Autorin das erzählt hat. Hätte ich den Roman als Hörbuch gehört, würde ich denken, ich hätte ihn versehentlich im Shuffle-Modus gehört, so wenig passten die einzelnen Teile für mich zusammen, obwohl der eine oder andere Abschnitt für sich genommen durchaus ansprechend und literarisch geschrieben war.


    Creation Lake war weniger verrätselt, trotzdem eine komische Mischung aus Spionageroman, Umweltthriller und einer extrem unsympathischen Erzählerin, bei der sich das "unsympathisch" erzählerisch für mich nicht erklärt, sondern einfach nur nervt. Dazu kamen lange Abschnitte sowie Überlegungen über Neandertaler(!?). Ich finde es eigentlich gut, wenn ein Roman auf kreative Weise verschiedene Themen, Genres und Sujets mixt. Diese Mischung war jedoch überhaupt nicht meine und eine Qual zu lesen. Vermutlich einfach nicht mein Geschmack.


    Ich finde, das (größtenteils anonyme) Gottschalk-Bashing mindestens ebenso fragwürdig. Und ich bin auch der Meinung, dass er nicht ganz unrecht hat, was ein paar grundsätzliche Fragen anbetrifft, etwa solche der Toleranz und des Anspruchs auf die ethische und moralische, mit extrem großen Löffeln gefressene Weisheit. Gerade die Woken üben sich ganz besonders in Intoleranz, das scheint mir unwiderlegbar zu sein


    Ich denke, Gegenstimmen zu übertriebener Wokeness wären durchaus wichtig, aber Thomas Gottschalk wird sicherlich nicht derjenige sein, der zu einer Ausbalancierung dieser Debatte beiträgt. Ich persönlich finde es naiv, da irgendetwas anderes als Kalkül von Gottschalk hineinzulesen.


    Es ist doch so, dass Entertainer und Komiker wie Gottschalk ein bestimmtes Auftreten in den 80ern und später hatten, das zu der Zeit erfolgreich war, inzwischen aber eher aus der Zeit gefallen wirkt, was durchaus auch etwas mit gesellschaftlichen Fortschritten zu tun hat. Nun hat er in seiner Position die Möglichkeit, entweder still auf Mallorca oder so seinen Lebensabend zu genießen, sich neu zu erfinden oder aber mit der alten Masche relevant zu bleiben. Das ist nicht nur seine Taktik, sondern auch die anderer in ähnlicher Position: Man macht das „aber man darf ja überhaupt nichts mehr sagen“ zum Programm, womit man gleichzeitig genau dem Publikum gefällt, das dieser alten Zeit nachtrauert (was ja auch deren Recht ist) und eine Wut gegen diesen Kulturwandel in sich trägt. Dadurch wird man direkt zu einer Art Vorkämpfer für diese gefühlte Ungerechtigkeit. Dieses Publikum ist so groß, dass ich sogar Verständnis für jeden habe, der genau auf dieses Zielpublikum abzielt, um relevant zu bleiben; monetär wird es sich sicherlich auch lohnen. Aber ich sehe darin keine politische Gesellschaftskritik, nur Kalkül.

    Ich glaube, man sollte die Kommentare von Clemens Meyer auch nicht überbewerten. Im Prinzip bleibt er mit diesen Äußerungen seiner Reputation treu. Ob er nun betrunken den Leipziger Buchpreis entgegennimmt oder hier solche Sprüche klopft – das macht keinen großen Unterschied. Ich wage die provokante These, dass Clemens Meyer so etwas wie einen "Proletenbonus" genießt. Das literarische Kritikerestablishment liebt dieses Verruchte, hat ihn entsprechend gehypt, und nun bewegt er sich auf einem Niveau, das fast schon zum Fremdschämen einlädt – doch niemand sagt mal: „Stopp, so literarisch ist das eigentlich gar nicht.“ Ich war bei der Premiere dieses Romans im LCB in Berlin, und das Ganze ist so prätentiös und gestelzt. Deutscher Buchpreis? Hallo? Sei froh, dass du weiterhin so wohlwollende Kritiken bekommst, aber jetzt jammere nicht dem Buchpreis hinterher.

    Noch ein zusätzlicher Kommentar. Eine Stunde später ;)


    Zum einen habe ich bei meiner Auflistung der Longlist übersehen, dass Stone Yard Devotional von Charlotte Wood tatsächlich auch auf Deutsch erschienen ist, und zwar bei Kein & Aber:

    ASIN/ISBN: 3036950257
    .


    Bei Orbital und The Safekeep glaube ich weiterhin, dass bei der Shortlist Schluss ist. Ich freue mich aber sehr über Stone Yard Devotional und aktuell ist das für mich auch der einzige Roman auf der Liste, der das Zeug dazu hat, James zu schlagen (übrigens das einzige Buch eines männlichen Autors). Da ich eher für den Außenseiter bin, schlägt mein Herz irgendwie für Stone Yard Devotional, und mein Bauchgefühl sagt mir, dass das der Booker-Prize-Träger dieses Jahr wird.


    Held und Creation Lake habe ich mir natürlich bestellt. Wenn man schon vier Nominierte gelesen hat, kann man die letzten beiden auch noch lesen, und ich meine, der Preis wird erst im November vergeben. Ich habe also massig Zeit. Wer weiß, vielleicht überraschen mich ja die beiden Romane, und im Prinzip lag es vor allem an der Nichtbeachtung von Hisham Matars My Friends, weshalb ich enttäuscht war.

    Wenn ich dann Creation Lake und Held gelesen habe, werde ich 10 von 13 Büchern der Longlist gelesen haben. Da ich mir schon vorgenommen hatte, die Shortlist komplett zu lesen, bin ich zumindest erleichtert, dass genau die Bücher, die mich am wenigsten angesprochen haben und teilweise ja auch sehr dick sind, mir erspart bleiben (Messud, Perry und Powers).





    Die Shortlist:


    Anne Michaels - Held

    Rachel Kushner - Creation Lake

    Samantha Harvey - Orbital

    Percival Everett - James

    Yael van der Wouden - The Safekeep

    Charlotte Wood - Stone Yard Devotional


    4 von 6 gelesen

    3 von 6 richtig getippt


    My Friends nicht auf der Liste (für mich unverständlich) und zwei Bücher die ich schwach fand. Eine etwas enttäuschende Auswahl.

    So, morgen wird die Shortlist bekanntgegeben und ich habe so viele Bücher von der Longlist gelesen wie noch nie. Acht an der Zahl, drei davon sehr gut, zwei gut, drei nicht so gut. Insgesamt ein durchaus lohnenswertes Ergebnis.


    Meine persönliche Reihenfolge:


    1. Hisham Matar - My Friends

    2. Percival Everett - James


    So wie ich das sehe, sind das die unbestrittenen zwei Frontrunner, zumindest von den Büchern, die zum Zeitpunkt der Shortlist veröffentlicht sind. Es würde mich sehr wundern, wenn diese beiden Romane es nicht auf die Shortlist schaffen. Beide Romane wären sehr würdige Preisträger.


    3. Charlotte Wood - Stone Yard Devotional


    Der beste Außenseiter, auf eine ähnliche Weise wie Sarah Bernsteins Study for Obedience letztes Jahr. Der etwas andere, stille und schräge Roman auf der Longlist.


    4. Tommy Orange - Wandering Stars


    Ein sehr guter Roman, der aber irgendwie eher wie Bonus Material zu seinem vorherigen Roman There, There wirkt.


    5. Rita Bullkwinkel - Headshots


    Hat mir sehr gefallen und hat Spaß gemacht, wird mit der Shortlist aber knapp. Der Booker Prize wäre schon leicht übertrieben.


    6. Yael van der Wouten - The Safekeep


    Bei dem Roman geht für mich so einiges schief, aber einzelne Teile waren auch sehr stark. Schade, dass die Autorin den Roman irgendwie vermasselt hat, aber immerhin hat sie sich etwas getraut.


    7. Colin Barrett - Wild Houses


    Ein Roman, der vielleicht das Zeug für eine ordentliche Kurzgeschichte gehabt hätte, aber als Roman ist er mir viel zu dünn und substanzlos. Als Krimi zu unspannend, als Literatur zu flach. Ein paar theoretisch interessante Figuren und ein Hauch von "Fargo auf Irisch" retten ihn nicht. Auf Englisch wäre mein Gesamturteil: "too pedestrian."


    8. Samantha Harvey - Orbital


    Sechs Astronauten kreisen auf der ISS um die Erde und machen sich Gedanken über die Welt, inspiriert durch die Schönheit der Erde. Das funktioniert für einige Leser, weil die astronomischen Bilder, die der Roman abruft, leicht Gedanken und Erinnerungen auslösen. Aber der Roman trägt wenig Originelles dazu bei; man könnte genauso gut auf YouTube NASA-Footage der Erde aus dem Orbit anschauen und hätte den gleichen Effekt. Ein Roman ohne Plot oder Figuren, eigentlich nur Sprache und Gedanken. Auf Englisch wäre mein Gesamturteil: "too pretentious."


    Mein Tipp für die Shortlist:


    Hisham Matar - My Friends

    Percival Everett - James

    Charlotte Wood - Stone Yard Devotional

    RIchard Powers - Playground (erscheint erst noch)

    Claire Messud - This Strange Eventful History

    Samantha Harvey - Orbital



    War "Zeitgenössisches" früher auch so politisch?

    Da ist ja quasi kein Buch ohne erhobenen Zeigefinger dabei.

    Ich würde mal behaupten, dass deutsche zeitgenössische Literatur historisch seit den Nachkriegsjahren sehr politisch ist (Grass, Böll & Co.) und generell eher dem Realismus verschrieben ist. Insofern erscheint mir diese Liste nicht viel politischer als sonst. Einige Titel scheinen mir primär nicht politisch zu sein (Heilung, Mein drittes Leben, Iowa, Nostalgia usw.). Was immer wieder beim Buchpreis auffällt, sind typische Themenblöcke. Dieses Mal ist wieder sehr viel Autofiktion dabei. Letztes Jahr hatten wir ja sehr viele DDR-Romane.

    Aber grundsätzlich, ja, der Booker Prize scheint mir im Vergleich thematisch und im Genre gewöhnlich vielfältiger zu sein.

    Was mich immer wieder überfordert ist die Länge der Liste. Eine Longlist mit 20 Titeln ist schon eine Menge.

    Frage an die Leser, die das Buch schon kennen:

    Wie würdet ihr die Chances des Buches, auf die Shortlist zu kommen, einschätzen?


    Bis auf James habe ich momentan noch keine Idee, welche Art von Büchern auf die Shortlist passen könnte (die anderen Favoriten wie Powers und Kushner erscheinen ja erst im September), und gefühlt gibt es sehr viele "Dark Horses". Ich denke, The Safekeep hat eine Chance. Mir scheint, der Roman entwickelt sich zu einem Publikumsliebling, weil er vielleicht näher an die Unterhaltungsliteratur kommt als die meisten anderen Nominierten. Der Roman ist viel süffiger und flotter als die introspektiven Romane wie Headshot und Orbital.


    Für mich persönlich hat der Roman qualitativ kein Shortlist-Potential. Wie das die Jury einstuft, keine Ahnung.


    Setting und Sujet fand ich schon shortlist-tauglich (die Autorin trägt da ein paar beliebte literarische und historische Motive zusammen).

    Der erste der drei Teile hat mir wirklich ausgezeichnet gefallen: sprachlich und plottechnisch dicht, mit einer feinen Figurenzeichnung von Isabel. Im zweiten Teil hat mich der Roman dann jedoch verloren. Gefühlt wechselt das Genre zum melodramatischen Liebesroman, und das ist sicher Geschmackssache, aber ich mochte die unterkühlte Schreibe im ersten Teil lieber. Ja, und die Auflösung im dritten Teil: Mein Problem ist nicht, dass sie nicht plausibel wäre, und ich finde das Thema, das relativ spät in den Roman eingeführt wird, interessant und spannend. Aber die Autorin hat es überhaupt nicht geschafft, aus diesen Teilen ein sinnvolles Ganzes zu formen. Ich mag eigentlich Plot-Twists und überraschende Enden, aber die Autorin muss die Handlung irgendwie unter Kontrolle haben und die Erzählung in eine bestimmte Richtung lenken. Selbst wenn die Auflösung dann für Leser oder Figuren überraschend kommt, sollte man im Nachhinein den Weg dorthin im Text erkennen können. Das war für mich hier nicht der Fall. Der zweite Teil spielt dann für die Auflösung kaum noch eine Rolle, und die Auflösung wird so konstruiert eingefädelt, dass ich den Roman insgesamt eigentlich als gescheitert einstufen muss.

    Wenn man die "kommerziellen" Sportarten rausnehmen würde - dann müsste auch beispielsweise die Leichtathletik rausgenommen werden. Denn dort werden bei den internationalen Sportfesten schon Startgelder um die 20.000 EUR gezahlt. Und wie ist es mit Reiten (hohe Start- und Preisgelder), Golf, Volleyball (die Profis verdienen schon sehr viel Geld).

    Die Spiele haben sich eh schon lange vom olympischen Gedanken entfernt.


    Und welcher Vollpfosten hat sich eigentlich dieses 3x3 einfallen lassen. Die richtige Bezeichnung ist "Streetball".


    Es gibt einige Dinge, die ich am aktuellen olympischen Format nicht perfekt finde, aber erstens ist das IOC immerhin nicht die FIFA, und dann betrachte ich das alles mit viel weniger Wut im Bauch. Man muss sich ja nicht über alles so aufregen und alles immer komplett schlechtreden. Bei vielen Sportarten gönne ich es einfach den Sportlern, die paar Wochen einmal mehr Aufmerksamkeit als üblich zu haben. Bei der Leichtathletik ist auch nicht jeder Usain Bolt und beim Turnen nicht jede Simone Biles. Bei Gina Lückenkemper hieß es letztens, dass sie sich darüber beklagte, dass die Tickets für ihre Familie viel zu teuer wären. Ich bin jetzt zu faul, um die Startgelder hochzurechnen, aber ich gönne leistungsstarken Sportlern, dass sie ein einigermaßen ordentliches Jahresgehalt haben. Ich glaube, die Masse ist da schon auf Sportförderung angewiesen.


    Entsprechend lassen wir ruhig Leichtathletik, das gehört auch einfach dazu. Wie es Golf ins olympische Programm geschafft hat, ist mir unklar. Ich hätte lieber darauf verzichtet.


    Beim Fußball kommerzialisiert sich der Frauenfußball sicher auch immer mehr, aber ich habe deshalb getrennt, weil zumindest einige Zeit das olympische Turnier den Frauenfußballern mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat und entsprechend das olympische Turnier da auch immer sehr ernst genommen wurde. Beim Männerfußball hat es gefühlt so überhaupt keine Tradition. Zumindest für mich nicht.


    Aber zusammenfassend: Ich würde das Olympia-Gucken viel entspannter angehen.

    Aber so, wie ich sie verstehe, würde ich beispielsweise "The Shards" nicht dazuzählen, weil Ellis zwar seine eigene Biografie und sich selbst als Person in den zentralen Fokus der Erzählung zieht, aber eine bzw. mehrere rein fiktionale Ebenen einzieht.

    Das ist wieso ich bei "The Shards" davon redete, dass er mit dem Genre spielt. Ich halte den Roman natürlich nicht für Auto Fiction, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet zu der Hochzeit dieses Genres jemand zufällig ein Buch schreibt, bei dem Name der Hautfigur (beinah, weil er da ja nur "Bret Ellis" heißt), die frühe Autorenbiografie, Setting und Erzählhaltung passen. Würde es das Phänomen Auto Fiction nicht geben, dann hätte es diesen Roman so in dieser Form nicht gegeben, zumindest wäre er anders geschrieben oder präsentiert worden.


    The Shards Trailer


    Ich finde die Spielerei dabei so genial, weil er im Verlauf des Romans dann durch die Thriller-Komponenten so übertreibt, dass es natürlich nur noch Fiktion sein kann. Der Roman ist schon eine sehr clevere Selbstinszenierung.

    Fußball bräuchte nach meinem Geschmack nicht olympisch sein. Da genügt mir Europa- und Weltmeisterschaft.

    Lieber würde ich jetzt weiter Leichtathletik sehen - besonders die Zehnkämpfer!

    Ich finde Frauenfußball hat eine gewisse olympische Tradition, aber bei Männerfußball und bei den sehr kommerziellen Sportarten wie Basketball oder Tennis etc. würde ich zustimmen.

    Aber, wo wir dabei sind. (Nicht nur, aber maßgeblich) als jemand, dem nachgesagt wird, hin und wieder auch etwas zu produzieren, das im weitesten Sinn als "literarisch" bezeichnet werden könnte, finde ich den Begriff "autofiktional" komplett bescheuert, und das, seit ich ihn zum ersten Mal gehört habe. "Fiktion" ist "Erdachtes, Erfundenes", und da in diesen Prozess immer nur eine Person involviert ist, ist es auto-matisch auto.


    Ich stimme dir tatsächlich sogar zu und halte den Begriff hauptsächlich für eine Marketing-Erfindung. Zumindest sollte man vielleicht die Verwendung auf die Franzosen beschränken, denen wir diesen Begriff zu verdanken haben.


    Du wirst ja auch wissen, dass die Literaturwissenschaft oder Literaturkritik weiterhin stur die totale Abgrenzung von Autor und Erzähler behauptet, was natürlich in der Praxis Unsinn ist. Insofern verstehe ich schon, dass die autobiographischen Anteile auch in fiktiven Stoffen fließend sind.


    Ich finde den Begriff aus zwei Gründen nicht komplett sinnlos und uninteressant:

    1. Autofiktion impliziert die mögliche Fiktionalisierung autobiographischer Stoffe. Der Wahrheitsanspruch von Memoiren wird also entschärft. Für eine gute autofiktionale Geschichte kann man auch gestalten.
    2. Autofiktion impliziert generell mehr literarische Gestaltung. Während Memoiren sich der Literaturkritik oft versperren (wie z. B. "Die Figur ist unglaubwürdig, so war die Figur nun einmal"), muss sich Autofiktion den Kriterien für gute Geschichten und gute Literatur stellen.

    Inzwischen interessieren mich aber nur noch sehr selten autofiktionale Stoffe, aber die Bücher, die damit spielen, zum Beispiel "Shards" von Bret Easton Ellis, finde ich umso interessanter. Autofiktion als Phänomen finde ich also spannender als in der reinen literarischen Umsetzung.

    Was ich noch fragen wollte: Ist das Satire oder ernst gemeint?


    Satire ist schlechte Satire, wenn man sie erklären muss, entsprechend war es schlechte Satire. Ich habe die Hillbilly-Elegie nicht gelesen, bekomme den Inhalt aber nicht mit dem J.D. Vance der letzten Jahre zusammen, der eben nicht wie jeder "Hillbilly" nun Jahre von Peter Thiel und Co. gefördert wurde, dem lukrative Managerpositionen zugechancet wurden, für die er nicht qualifiziert war, und nun entsprechend als politische Marionette aufgebaut wurde, dem nun reihenweise Aussagen aus dem Mund fallen, die ich einfach nur abstoßend und abscheulich finde. Und da er nun Teil dieses politischen Establishments ist, dem Geld und Macht nur so zufliegt. hat er sich auch als Sprecher der amerikanischen Unterschicht disqualifiziert. Entsprechend stimme ich übrigens Tom zu, dass man doch vielleicht lieber zu Demon Copperhead greifen sollte und dass es bestimmt weitere bessere Stimmen gibt, die diese Schicht repräsentieren.


    Beantwortet das ungefähr die Frage, ob ich es ernsthaft als Glücksfall empfinde, dass er Vizekandidat ist?

    Ich möchte das nicht endlos ausweiten, aber um meine Verwunderung bzw. mein Amüsement zu erklären:


    Die gemeinsame Herkunft des Helden ist eine extrem weite Definition von Autofiktion, die ich zum einen für falsch halte, zum anderen wirklich einen substanziellen Teil der Literatur nun der Autofiktion zuschlägt, weil eine gemeinsame Herkunft und ein gemeinsamer Erfahrungshorizont nun einmal nicht so ungewöhnlich ist. 50% Prozent der Fiktion jetzt Aufofiktion? Das ist klassisches "write what you know." Kingsolver ist kein Mann, hat, soweit ich weiß, noch nicht einmal eine Opioid-Vergangenheit, dann noch David Copperfield als Template. Bei einer Lesung erwähnte sie tatsächlich, dass sie in irgendeinem Dickens-Museum/Hotel abgestiegen ist und ihr dort nächtlich sogar der Geist von Dickens begegnet wäre, und ich hätte eine autofiktionale Umsetzung dieser spirituellen Erfahrung vielleicht interessanter gefunden als den tatsächlichen Roman, aber wir können uns drehen und wenden: fiktional ja, autofiktional eher nicht.


    Ja, und zum anderen fand ich es halt ironisch (die ironische Komponente meiner Replik), dass du dich darüber beklagst, dass der Begriff so inflationär verwendet wird, du aber durch deine extrem freie Verwendung, die ich willkürlich nannte, zu dieser Inflation maßgeblich beiträgst. Ich fand das einfach witzig :)

    Nicht viel. ;)

    Edit: Deshalb hatte ich "autofiktional" in Anführungszeichen gesetzt. Der (nach meinem Dafürhalten nicht besonders sinnvolle) Terminus wird ja derzeit sehr gerne und ziemlich inflationär verwendet.


    Na ja, mit Verlaub. Da unabhängig davon, ob der Begriff jetzt inflationär verwendet wird, bei Demon Copperhead nichts autofiktional ist, retten die Anführungszeichen auch nicht so viel. Der Roman ist genauso wenig "autofiktional" wie "postmodern", "magisch realistisch", "climate fiction", "vegan" oder "glutenfrei". Wenn der Begriff schon inflationär gebraucht wird, dann muss man ihn ja nicht vollkommen willkürlich verwenden :)

    EDIT: ich muss mich korrigieren, vermutlich sind alle Ausgaben von Demon Copperhead vegan und glutenfrei.