Inhalt: Laut der "Charta des Lebens" ist das Leben schützenswert von der Empfängnis bis zum 13. Lebensjahr. Die Umwandlung (auch "rückwirkende Abtreibung" genannt) zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr ist erlaubt, da das Leben streng genommen nicht endet, denn alle Teile des Jugendlichen werden sozusagen wiederverwertet. Außerdem ist es eine bequeme Art ungewollte und/oder schwierige Jugendliche auf einfache Art loszuwerden. Die Gesellschaft hat sich mittlerweile sehr an die immer zur Verfügung stehenden Körperteile der "Wandler" gewöhnt.
Drei Jugendliche, die kurz vor der Umwandlung stehen, fliehen (unfreiwillig), treffen aufeinander und versuchen sich durchzukämpfen.
Meinung: Über größere Teile ist das Buch weniger Dystopie als eine Flucht-/Versteckgeschichte mit leicht grausigem Hintergrund. Alleine dieser Hintergrund hätte ein viel größeres Potential als der Autor ausschöpft. Er kratzt die meiste Zeit nur an der Oberfläche der Möglichkeiten und wird erst zum Ende hin konkreter.
Blickt man hinter das Setting des Buches ist es aufgrund des hohen Erzähltempos spannend, mit einem durchschnittlichen, einfachen Jugendbuchstil der weder besonders positiv noch großartig negativ auffällt. Die Charaktere sind nicht besonders tiefgründig, was sie aber auch nicht sein müssen. Für meinen Geschmack hätte der Autor sich jedoch auf seine drei Hauptcharaktere konzentrieren sollen und nicht immer wieder (teils extrem kurze) Absätze aus der Sicht anderer Figuren einstreuen sollen, an sich finde ich den Aufbau aber noch okay und bewerte ihn eher neutral.
Was mir nicht so gefiel: Neal Shusterman versucht seine Geschichte auch noch mit kleinen "Intrigen" und Terror anzureichern, packt aber viel zu schnell den Erklärbären aus um den Leser zu informieren oder sehr deutlich anzudeuten was nun eigentlich gerade vor sich geht, wer der Schuldige ist, was passieren wird ... das geht viel zu schnell (was nützt es wenn man erst versucht die Leser in die irre zu führen, es aber viel zu schnell auflöst?), zu einfach und ist ungefähr so subtil wie ein Elefant im Porzellanladen der laut trompetet sobald er wieder etwas zerdeppert hat.
Das war aber nur der kleinere Kritikpunkt zu diesem Buch. Der weitaus Größere bezieht sich auf den Hintergrund den Neal Shusterman aufbaut. Bei den derzeit moderenen Jugenddystopien wird ja gerne mal herumgemäkelt das es zu wenig Hintergrundinfos gibt wie es nun zu dieser Situation kam. Ich kann damit normalerweise ganz gut leben wenn die Hintergründe etwas mysteriös sind und zu großen Teilen im Dunkeln bleiben (aber wie gesagt, Subtilität ist nicht des Autors Stärke). Wenn der Autor jedoch anfängt Erklärungs-Bröckchen einzustreuen dann sollten die Entwicklungen nachvollziehbar sein und eine innere Logik aufweisen. Doch Neal Shusterman geht zu oberflächlich an die Sache ran.
Bereits zu Anfang stellt er in einem kurzen Abriss die "Charta des Lebens" vor, deren Einführung den sogenannten "Heartland-Krieg" zwischen Abtreibungsgegnern und -Befürworten beendete. Innerhalb des Buches versucht er die Entwicklungen durch einen Zeitzeugen zwar näher zu erläutern wobei einige Entwicklungen tatsächlich etwas logischer erscheinen, aber für meine zentralen Kritikpunkte kann er zu keinem Zeitpunkt mit einer glaubwürdigen Lösung aufwarten.
1.) Stellt man uns die Frage vom Klappentext "Wenn jeder Teil von dir am Leben ist nur eben in jemand anderem ... lebst du dann oder bist du tot?" - wer würde dann behaupten das derjenige tatsächlich noch lebt?! Selbst die Figuren im Buch philosophieren darüber und sind nicht der Meinung dass man hinterher noch lebt. Bei ihnen ist es jedoch eine gängige (gelehrte) Meinung dass ein Leben so nicht endet. Der Autor erklärt nicht warum die Menschen plötzlich auf die Idee kommen es würde das Leben nicht beenden wenn man jemanden in Stücke hackt und anderen einpflanzt.
2.) Gut, die Kriegsseiten haben ihre Anführer ja nach ihrer Position und nicht nach Führungsqualität ausgesucht. Und trotzdem sind beide Parteien mit dem eigentlich als schockierend und nur halbherzig ernst gemeinten Vorschlag einverstanden. Eine sehr seltsame Art einen Krieg zu beenden. "Hey, ich bin gegen Abtreibung, du bist dafür, also einigen wir uns darauf das man es erst ab dem 13. Lebensjahr kann!" ... Hääää???
3.) Der Autor kann auch nicht erklären warum jemand, der das Leben so befürwortet das er GEGEN die Abtreibung ist plötzlich auf die Idee kommt, dass das Leben nur bis zum 13. Lebensjahr schützenswert ist. Die Ermordung von Abtreibungsärzten, die der Autor hier anführt um zu zeigen dass beide Seiten mitnichten die Moral für sich gepachtet hatten, richtet sich aber gegen Abtreibungsdurchführer nicht gegen das abzutreibende Kind selbst. Logik, wo bist du?!?
4.) Zusammenfassung: Die Herleitung aus einem Krieg ist ja an sich ganz nett und das die Charta vielleicht nie umgesetzt worden wäre wenn mehr Leute zu Organspenden bereit gewesen wären und es letztendlich die Gier war die über die Moral siegte. Das ist nachvollziehbar. Aber die o.g. Punkte sind das nicht. Und das sind nun einmal die zentralen Stellen der Begründung warum die Welt in diesem Buch nun so ist wie sie eben ist.
Und das macht es für mich einfach so unglaubwürdig, dass ich mich fast das ganze Buch hindurch geärgert habe.
Wenigstens endet das Buch nicht mit einem Cliffhanger, für ein Reihenbuch ist es sogar recht abgeschlossen, sodass es nicht schlimm ist wenn man die Reihe hiernach nicht weiterverfolgen möchte.
Mein Fazit: Ein Jugendbuch mit grausiger Idee, die mehr Potential gehabt hätte, umgesetzt mit einem durchschnittlichen Stil, viel Spannung und wenig subtil. Da der Hintergrund für mich zu unglaubwürdig aufgebaut wurde kann ich dem Buch jedoch nur 4 Punkte geben. Eine neutrale oder positive Bewertung käme bei den o.g. Kritikpunkten beim besten Willen nicht in Frage. Aufgrund der guten Spannung ist der Bewertung mit kleiner Tendenz nach oben zu sehen.
Anmerkung: Ohne die o.g. Kritikpunkte wäre es wohl bei 7 Punkten gelandet. Wer sich davon nicht gestört fühlt dürfte also durchaus Spaß mit dem Buch haben.