Bezüglich Lycidas bin ich einfach nur zwiegespalten. Ich kann nicht leugnen, dass es einiges Gutes in dem Buch gibt, andererseits kann ich es nicht gut bewerten, da es mich über weite Strecken einfach nur nervte.
Zum Guten: Die Figuren sind absolut nicht schwarz-weiß gemalt. Es sind alles einfach nur Charaktere, die ihre eigenen Ziele verfolgen. Man weiß nie so wirklich wem man vertrauen kann und wem man misstrauen muss. Nicht jeder Freund ist ein Freund, nicht jeder Feind ist (oder bleibt) ein solcher. Auch schweben die ganze Zeit Geheimnisse über der Geschichte, verweben sich mit dieser und machen es spannend. Je länger man liest, desto mehr taucht man ab in die Stadt unter der Stadt. Die Atmosphäre ist ... zauberhaft.
ABER ...
Nervfaktor Nr. 1) Die Abschnitte mit den kurzen, abgehackten Sätzen, die häufiger eingestreut wurden. Das war nicht mein Ding. Es unterbrach bei mir den Lesefluß. Manchmal wäre noch okay gewesen, hier war es mir zuoft ...
Nervfaktor Nr. 2) Das Zeiten-Wirrwarr. Eigentlich sind wir schon viel weiter in der Geschichte, aber wir machen lieber ein paar sehr dramatische Andeutungen (bloß nicht nur einmal, der Leser darf ja merken, dass da was passiert ist!) und gehen dann erstmal weit zurück um alles nochmal von Vorne zu erzählen. Und das mit den sehr dramatischen Andeutungen ist nicht übertrieben. Sie kamen mir auch eher pseudo-dramatisch vor, weil teilweise einfach nur bodenlos übertrieben.
Z. B. Emilys "Verrat"
Das beharrliche Wiederholen dieser Andeutungen gepaart mit der späteren Auflösung ließ mich nur noch mit den Augen rollen. Plump, nervig. Argh!
Nervfaktor Nr. 3) Die Wiederholungen. Nicht nur von einigen Sätzen, sondern auch von Fakten, die man eigentlich schon längst weiß. Als Leser komme ich mir wirklich verscheißert vor, wenn mir fünf Seiten nach der ersten Erkenntnis die gleiche Erkenntnis wieder verkauft wird als wäre sie neu. Oder wenn mir fünf Seiten nach der ersten Erklärung die gleiche Erklärung gebracht wird, als hätte ich es nicht schon vorher gewusst. Hallo? So doof oder vergesslich bin ich als Leser nun auch wieder nicht. Das Buch ist schon lang genug, dass muss nicht noch künstlich mehr in die Länge gezogen werden!
Netterweise wiederholt der Autor sich selbst allzuoft mit "Die Hölle ist die Wiederholung." Was für eine Ironie!
Zum Schluß hatte ich noch einen Wunderfaktor und zwar fragte ich mich die ganze Zeit warum ausgerechnet diese Perspektive gewählt wurde. Wittgenstein erzählt eigentlich alles, selbst wenn er nicht dabei ist. Doch diese Perspektive wurde nicht konsequent durchgehalten. Irgendwann gegen Ende in einer Sequenz mit Neil Trent war eine Formulierung, die eindeutig darauf schließen ließ, dass Wittgenstein dort NICHT Erzähler war. Mh ... seltsame Perspektive hin oder her, aber warum nicht konsequent? Das wäre doch auch gegangen!
Nun ja, alles in allem wiegen sich Gute und Nervfaktoren gegeneinander auf, sodass ich zu einer neutralen Bewertungen käme. (Auf einer Skala von 1 - 10 wohl irgendwo zwischen 5 und 6) Ich kann verstehen warum manche das Buch gut finden und manch anderen überhaupt nicht.
Ich persönlich würde das Buch nicht weiter empfehlen.
Wenn das Buch aber interessiert würde ich genausowenig abraten.
PS: Die Kreativität des Autors ist in diesem Buch leider schwer zu beurteilen, da er, wie man so liest, sich mit der Stadt unter der Stadt ja schwer bei Neil Gaimans Niemalsland bedient hat. Dieses Buch liegt noch auf meinem SUB. Mal sehen wieviel ich wiederentdecken werde ...