Na dann gute Besserung, Steffi! Und bis nächste Woche.
Beiträge von John Dowland
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Das ist völlig o.K., nofret78, wir haben eine Menge Zeit. Vielen Dank für Deine Info.
Zur "lieben Arbeit", die uns immer wieder von den wichtigen Dingen des Lebens abzuhalten scheint, enthält der erste Teil von "Heart of Darkness" ja im übrigen auch eine sehr trostreiche Bemerkung:
"Nein, ich liebe die Arbeit nicht, mir gefällt es viel besser, herumzuliegen und all die schönen Dinge zu überdenken, die getan werden könnten. Ich liebe die Arbeit nicht – kein Mann" (ergänze: auch keine Frau!) "tut das – aber ich liebe das, was in der Arbeit drinsteckt – die Möglichkeit, sich selbst zu finden. Die eigene Wirklichkeit – für einen selbst, nicht für andere – die kein anderer Mensch jemals erkennen kann. Die anderen können immer nur die bloße Leistung sehen und nie begreifen, was eigentlich dahintersteckt." (Reclam S. 62)
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Zitat
Zitat: Original von siwa
„Auf Mr. Kurtz bin ich schon sehr gespannt, so richtig kann ich mir noch kein Bild machen.“
Mir geht das ganz genauso! Mr. Kurtz: wenn ich richtig gezählt habe, wird der geheimnisvolle Leiter des „inneren Postens“ im ersten Teil nicht weniger als achtmal erwähnt. Von ihm ist in Marlows Gesprächen mit dem Chefbuchhalter der ersten Station („Im Inland werden Sie ohne Zweifel Mr. Kurtz antreffen“, S. 39), mit dem Manager und dem jungen Handelsvertreter die Rede und ich bin mir nicht sicher, ob nicht schon einer der allerersten Sätze Marlows auf Kurtz abzielt: „Ich möchte euch nicht mit meiner persönlichen Lebensgeschichte langweilen, aber um die Bedeutung dieses Ereignisses für mich zu verstehen, müsst ihr wissen, wie ich dort hingekommen bin, was ich gesehen habe, wie ich den Fluss hinaufgefahren bin zu dem Ort, wo ich den armen Kerl („poor chap“) getroffen habe.“ (S. 13) Soviel ist sicher: Mr. Kurtz muss eine außergewöhnliche, respekteinflößende Erscheinung sein, dem sich alle Angestellten der Handelsfirma auf geheimnisvolle Weise untergeordnet bzw. unterlegen fühlen (das geht schon aus der Anrede „Mr.“ hervor, die von niemandem ausgelassen wird). Ein Anführer, von dem nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Vom Manager erfährt Marlow, dass Mr. Kurtz möglicherweise in Schwierigkeiten steckt und erkrankt sei (S. 48), der junge Handelsvertreter beschreibt ihn als „Abgesandten des Erbarmens („emissary of pity“), der Wissenschaft, des Fortschritts und weiß der Teufel was sonst noch“ (S. 54) - was umso wichtiger ist, als Marlow von seiner Tante als „Abgesandter des Lichts“ („emissary of light“) bezeichnet wurde. Mr. Kurtz hinter-lässt ein rätselhaftes Ölbild, ein schwer zu ergründendes Symbol von Licht und Dunkelheit, Feuer und Blindheit, und der Leser muss sich offenbar eine eigene Meinung darüber bilden, ob Marlow die Begegnung mit einem Heiligen oder dem Teufel persönlich bevorsteht.
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Liebe Steffi,
erst einmal: ich freue mich über die vielen Gedanken, die Du Dir zum ersten Teil gemacht hast! In den nächsten Tagen schaue ich mir das in Ruhe an. Mein erster Eindruck ist, dass wir beide das Gleiche meinen: Du sagst, die Verschachtelungstechnik ziele darauf ab, die Erzählung auf eine allgemeingültige Ebene zu heben - und dieser Meinung bin ich auch. Mir hat zu denken gegeben, dass die Erzählung von Conrads eigener Biographie völlig losgelöst erscheint, obwohl es sich doch um Ereignisse handelt, die den Menschen Conrad sehr geprägt haben. Distanz, Verallgemeinerung, Objektivierung, ich glaube das ist es, worum Conrad gerungen hat. Und die „Finsternis“ ist in der Tat ein innerer, in der Seele des Menschen wurzelnder Abgrund (es ist ja, in der Sonne Afrikas, nicht dunkel, sondern im Gegenteil gleißend hell...)
Faszinierend ist die Kette von Absurditäten, mit denen Marlow auf seiner Reise konfrontiert wird: der sinnlose Tod des Vorgängers Freskeven, das Kanonenboot (auf das Du hinweist) mit seiner sterbenden Mannschaft, Gruben, die ohne jede Funktion ausgehoben werden, Maurer ohne Ziegel... da könnte ich jetzt noch viel schreiben nur leider fehlt mir für heute (bis zum nächsten Wochenende) die Zeit dafür...
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Was mich sonst noch beeindruckt hat: vor allem die Schilderung der Reise an den Sitz der Anstellungsfirma und die dort stattfindende „Heuerszene“ (Reclam Seite 17 ff.) Der ahnungslose Marlow begibt sich hier buchstäblich an die Pforten der Hölle um einen Pakt mit dem Teufel abzuschließen – und schlägt dabei offenbar alle Warnsignale und düsteren Vorahnungen in den Wind (die Ähnlichkeit des Kongo mit einer Schlange, den gräberfeldartigen Charakter der (belgischen?) Stadt, die unheimlichen Vorzimmerfrauen, die offenbar an einem Leichentuch weben) – überhaupt die immer wiederkehrenden Bezüge zum Titel der Erzählung: schon im allerersten Satz, mit dem Marlow die unter den Freunden eingetretene Stille unterbricht , wird das Thema „Finsternis“ aufgegriffen („Auch dies war einstmals einer der dunklen Orte auf dieser Welt“ - Reclam Seite und später beständig variiert: „Aber die Finsternis war bis gestern noch hier.“ (Seite 9) „Sie waren Manns genug, der Finsternis zu begegnen.” (Seite 10) Und: “It was just robbery with violence, aggravated murder on a great scale, and men going at it blind – as is very proper for those who tackle a darkness” (Seite 12). Die “Finsternis” ist hier nicht einfach Abwesenheit von Licht. Sie ist ein mächtiger Gegner, von dem Marlow sowohl angezogen als auch abgestoßen wird und dem offenbar all jene, denen er auf seiner Reise ins Innere des Kontinents begegnet, bereits erlegen sind.
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Dann mache ich mal den Anfang mit einem möglicherweise etwas schwierigen Aspekt. Bemerkenswert ist nämlich die Perspektive, aus der hier erzählt wird. Conrad hätte ja mit Leichtigkeit unmittelbar in die Figur Marlows schlüpfen und die Geschichte aus dem Blickwinkel dieser Zentralfigur heraus berichten können (entweder als unmittelbares Erleben oder nachträglichen Bericht). Das scheint für den Autor aber nur die zweitbeste Wahl gewesen zu sein. Was wir zu lesen bekommen stellt eine Art zusätzlicher „Verschachtelung“ dar: Joseph Conrads eigentlicher „Ich“-Erzähler ist eine – jedenfalls im ersten Teil – namenlose Figur an Bord der „Nellie“, zweifellos ein (ehemaliger) Seemann, Mitglied der Mission eines ebenso namenlosen Geschäftsführers, von deren Ziel oder Inhalt wir nichts erfahren und der auch Marlow, ein Buchhalter und ein Rechtsanwalt angehören. Der namenlose Ich-Erzähler lauscht nun den Worten Marlows, die ebenfalls in direkter Rede geschildert werden, so dass sich folgende „Erzählkette“ ergibt: J. Conrad – Namenloser Ich-Erzähler – Marlow (gleichfalls Ich-Erzähler).
Über die Gründe für diesen Aufbau kann ich momentan nur spekulieren: zweifellos vermittelt er aber ein gewisse Distanz zum Erzählstoff: aus der Biographie Conrads weiß ich zwar, dass er zahlreiche Details des afrikanischen Reiseberichts selbst erlebt hat – dieser Aspekt kommt jedoch im ersten Kapitel an keiner Stelle zum Tragen. Es könnte sich ebenso gut um eine komplette Fiktion oder eine auf Reiseberichten anderer beruhende Erzählung (à la „Der Schatz im Silbersee“) handeln. Der möglicherweise fiktive Charakter wird zudem noch dadurch verstärkt, dass es sich bei Marlows Bericht - nach Einschätzung des namenlosen Ich-Erzählers - um „Seemannsgarn“ handelt (dieser also vom Wahrheitsgehalt her in eine Kategorie mit Darstellungen über Meerjungfrauen, Piratenschätze und Seeungeheuer fallen könnte, Reclam Seite 9).
Man könnte daraus folgern, dass Conrad die Spuren, die er selbst auf dem afrikanischen Kontinent hinterlassen hat, verwischen und der Erzählung einen „objektiven“, von der eigenen Biographie losgelösten Charakter verleihen wollte. Vielleicht wollte Conrad nicht als „Moralapostel“ missverstanden werden. Vielleicht war es ihm nur auf diese Weise möglich, einer Art Selbstanklage aus dem Weg zu gehen (dass dem Autor solche Gedanken nicht fremd waren zeigt m. E. die hintersinnige Bemerkung des hakennasigen „first-class agent“ bei dem Gespräch, das er mit Marlow über Kurtz führt: „Die gleichen Leute, die ihn gesandt haben“ (gemeint ist Kurtz) „haben gerade auch Sie empfohlen“ (gemeint ist Marlow) – Reclam Seite 54: „The same people who sent him specially also recommended you“. Will heißen: Marlow kann so unbeteiligt tun, wie er mag, in der Wahrnehmung Dritter (z.B. auch des salutierenden schwarzen Aufpassers auf Seite 32 – 33) erscheint er unweigerlich als Teil des auf Ausbeutung und Unterdrückung ausgerichteten „Systems“ seiner Anstellungsfirma.)
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Ich hab´ das jetzt mehrfach anhand von zwei Textausgaben kontrolliert, weil ich geschworen hätte, dass es vier seien - es sind aber definitiv nur drei...
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Hallo Wolke,
bitte die Einteilung entlang der 3 Kapitel machen, also 1., 2. und 3. Kapitel.
Vielen Dank
J.D.
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...o.k. - ich wollte gerade meinen ersten Eintrag machen und verstehe jetzt, was Du meinst. Werde gleich eine Mail absetzen, um das zu korrigieren.
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Hallo dyke,
wie kommst Du auf 1.400 Seiten? Wir lesen "Heart of Darkness" und der Text hat je nach Ausgabe zwischen 100 - 180 Seiten...
Viele Grüße
J.D.
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Hallo Bartlebooth,
Du hast schon alles richtig gemacht. Vielen Dank für´s Eintragen!
J. D.
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Hallo Bartlebooth,
fast hätte ich geschrieben "Als Mann ohne Eigenschaften wäre ich gern bei Eurer Leserunde dabei", bin aber vorsichtig und möchte mir ein solches Urteil bis zum Schluss aufheben...
Jedenfalls würde ich mich gern an die Sache heranwagen und bei dem Langzeitprojekt mitmachen.
Viele Grüße
J. D.
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Nur noch 20 Tage bis zu unserem gemeinsamen Aufbruch ins „Herz der Finsternis“ ... Für alle „Expeditionsmitglieder“, die es interessiert, habe ich schon einmal ein paar biographische Daten über den Autor zusammengetragen (Grundlage ist die informative rororo Bildmonographie „Joseph Conrad“ von Peter Nicolaisen):
Joseph Conrad heißt eigentlich Józef Teodor Konrad Korzeniowski und wurde am 3. Dezember 1857 in Berditschew / Polen (in der heutigen Ukraine) als einziges Kind von Apollo und Eva Korzeniowski geboren. Seine Eltern gehörten dem polnischen Landadel an. Der Vater hatte Sprachen, Literatur und Rechtswissenschaften studiert, war als Gutsverwalter tätig und „glühender polnischer Patriot“. Seine politische Haltung (u.a. die Forderung einer militärischen Auseinandersetzung mit Rußland) führte 1861 zu seiner Verhaftung und anschließenden Verbannung der Familie. Bereits 1863 wurde den Korzeniowskis aber erlaubt, in die Nähe von Kiew umzusiedeln. Beide Eltern verstarben frühzeitig: Eva Korzeniowski 1865 an Tuberkulose, Apollo 1869; Józef war somit gerade einmal elf Jahre alt als er seine Eltern verloren hatte und in die Vormundschaft des Bruders der Mutter, Tadeuz Bobrowski, gegeben wurde. Zwischen beiden entwickelt sich eine enge Beziehung, die bis zum Tod des Onkels (im Jahr 1894) angehalten hat.
Bereits während der Schulzeit hegte Józef den Wunsch, zur See zu fahren, sein Lieblingsfach war Geographie. Die Familie reagierte darauf (verständlicherweise) nicht mit Begeisterung, gab aber schließlich nach. Im Alter von 17 Jahren und vor Abschluss der regulären Schulzeit verließ Józef Polen und nahm – nun schon mit Unterstützung des Onkels - in Marseille eine Laufbahn in der französischen Handelsmarine auf. Erste seemännische Erfahrungen sammelte er in einer Lotsenkorporation, bald folgten größere Reisen zur See (u.a. nach Martinique und zu den westindischen Inseln).
Die Jahre in Frankreich und auf französischen Schiffen (1874 – 1878) können für Józef nicht einfach gewesen sein: bei Spekulationsgeschäften und beim Glücksspiel in Monte Carlo hatte er Geld verloren, der Eintritt in die französische Marine wurde ihm verwehrt. Nicht vollständig aufgeklärt ist eine Affäre, bei der sich Józef offenbar an einem (gescheiterten) Waffenschmuggel nach Spanien beteiligt hatte. Eine Rückkehr nach Polen hätte den Eintritt in das Militär zur Folge gehabt ... Am Ende unternahm Józef den Versuch, sich mit einem Schuss ins Herz das Leben zu nehmen - was glücklicherweise misslang. Im April 1878 schiffte er sich auf dem englischen Dampfer „Mavis“ ein und trat kurz darauf seinen Dienst in der englischen Handelsmarine an.
Joseph Conrad fuhr insgesamt fast sechzehn Jahre lang zur See. Im Jahr 1880 bestand er die Prüfung zum zweiten Steuermann, vier Jahre später wurde er erster Steuermann. 1886 erwarb er die britische Staatsangehörigkeit und legte im gleichen Jahr die Kapitänsprüfung ab. Am 24. Januar 1888 übernahm er sein erstes Kommando, es war die in Bangkok liegende Bark „Otago“ - für Conrad wird es die Erfüllung eines Lebenstraums gewesen sein.
Bis dahin hatten ihn seine Fahrten auf Dampf- und Segelschiffen in den Indischen Ozean, nach Singapur und nach Malaysia gebracht. Prägend war unter anderem die Reise auf der „Palestine“, einem Dampfer, der Kohlen von Newcastle nach Bangkok befördern sollte und den die Besatzung nach zahlreichen Stürmen und Reparaturen bei einem Brand östlich von Sumatra aufgeben musste (1883). Tiefe Spuren hat darüber hinaus eine Reise in den belgischen Kongo hinterlassen (1889). Conrad hatte hier im Auftrag einer belgischen Handelsfirma einen Flußdampfer geführt und in diesem Zusammenhang knapp acht Monate in Afrika verbracht.
Im Jahr 1889 begann Conrad mit der Arbeit an seiner ersten Erzählung, Almayers Wahn („Almayer´s folly“). Sie wurde 1895 veröffentlicht. Diese Jahre markieren zugleich den Übergang von Conrads Laufbahn als Seemann (bis 1894) zu einer Existenz als Schriftsteller.
„Heart of Darkness“ - die Erzählung, in der Conrad vor allem seine Erfahrungen aus dem afrikanischen Kontinent verarbeitet hat - erschien erstmals in einer Ausgabe des Blackwood´s Magazine aus dem Jahr 1899.
edit: Tippfehler
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Zitat
Original von Babyjane:
Nur dieses bewußte auf den eigenen Tod zu gehen, empfand ich irgendwie trotz allem als etwas Positives, kann das schlecht in Worte fassen, aber es erschien mir als einziger notwendiger Schluß real.
Mir geht es genauso. Und wenn es auch anscheinend niemanden mehr gibt, der die Penthesilea lesen oder sich über das Stück Gedanken machen mag – mir schwirren noch immer einige Episoden des „Trauerspiels“ im Kopf herum, die ich mir nicht vollständig erklären kann, und ich will mal versuchen, das zu beschreiben:
Achilles und Penthesilea vermitteln ja beide – trotz ihrer überschäumenden Energie und trotz der Entschlossenheit, mit der sie sich in wilde Verfolgungsjagden und klapperndes Kampfgetümmel stürzen, - den Eindruck, von einer tiefsitzenden Sehnsucht nach dem Tod angetrieben zu werden. Mit ihren Stoßseufzern im neunten und im neunzehnten Auftritt („Ach, meine Seel´ ist matt bis in den Tod!“ und „Ich will in ew´ge Finsterniß mich bergen!“) spricht die junge Königin einen düsteren Gedanken aus, und auch dem Achilles sind solche Stimmungen nicht fremd (dtv 41, 12 ff.) Gleichwohl ist es keineswegs so, dass die beiden Helden ohne Umschweife auf ihr Ende zusteuern. Wenn die Amazonen im 23. Auftritt die Zerfleischung des Achilles beschreiben, dann klingt das so, als sei dieser in eine Falle gelockt worden, als habe er gar nicht begriffen, dass ihn im Kampf mit der Geliebten der Tod erwartet. „Mit einem Spieß sich arglos ausgerüstet: / Stutzt er, und dreht den schlanken Hals, und horcht, / Und eilt entsetzt, und stutzt und eilet wieder: / Gleich einem jungen Reh, das im Geklüfft / Fern das Gebrüll des grimmen Leu´n vernimmt.“ Die „grimmige Löwin“, von der hier die Rede ist, wird später alle Absicht, den Achilles zu töten, von sich weisen. Rätsel gibt schon eine Bemerkung im neunten Auftritt auf: „Ist´s meine Schuld, daß ich im Feld der Schlacht / Um sein Gefühl mich kämpfend muß bewerben? / Was will ich denn, wenn ich das Schwerdt ihm zücke? / Will ich ihn denn zum Orkus niederschleudern? / Ich will ihn ja, ihr ew´gen Götter, nur / An diese Brust will ich ihn niederziehn!“.
Beide, das könnte eine mögliche Erklärung sein, sind durchaus auf der Suche nach dem Glück, das sie in der Liebe zum jeweils anderen auch finden wollen. Beide erkennen aber wohl sehr bald die Unerreichbarkeit bzw. die – am eigenen Maßstab gemessene – Unzulänglichkeit dieses Ziels. Sie sehen die Enttäuschung durch den anderen voraus und möchten sich damit nicht abfinden. Penthesiela zum (toten) Achilles im 24. Auftritt: „Wie Manche, die am Hals des Freundes hängt, / Sagt wohl das Wort: sie lieb´ ihn, o so sehr, / Daß sie vor Liebe gleich ihn essen könnte; / Und hinterher, das Wort geprüft, die Närrin! / Gesättigt sein zum Eckel ist sie schon. / Nun, du Geliebter, so verfuhr ich nicht. / Sieh her: als i c h an deinem Halse hieng, / Hab´ ich´s wahrhaftig Wort für Wort gethan; / Ich war nicht so verrückt, als es wohl schien.“
Eine Bemerkung Prothoes gegenüber der durch und durch vernunftgesteuerten Oberpriesterin bringt die Macht solcher (unerfüllbaren) Sehnsüchte auf den Punkt: „Das ist ihr Schicksal! / Dir scheinen Eisenbanden unzerreißbar, / Nicht wahr? Nun sieh: sie bräche sie vielleicht, / Und das Gefühl doch nicht, das du verspottest. / Was in ihr walten mag, das weiß nur sie, / Und jeder Busen ist, der fühlt, ein Räthsel. / Des Lebens höchstes Gut erstrebte sie, / Sie streift´, ergriff es schon: die Hand versagt ihr, / Nach einem andern noch sich auszustrecken.“ Ich glaube, dass in diesen wenigen Sätzen einer der Schlüssel für den schwer zu ergründenden Tod der Amazonenkönigin liegen mag.
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Hallo Babyjane, - vielen Dank für Deine nette Antwort (baut mich für den Rest der Woche ein wenig auf...)
Ich bin Dir noch einen Vorschlag zur Besetzung der Penthesilia schuldig, und würde Angelina Jolie wählen.
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Klasse!!! Vielen Dank, Chilline. Die Reclam-Lesereihe habe ich zuletzt in der Dickens-Weihnachtsleserunde verwendet und gute Erfahrungen damit gemacht.
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Ich wage mich mal an den Versuch, ein paar Merkmale unseres Trauerspiels zusammenzutragen, die mir beim zweiten Lesen aufgefallen sind. Man muss das Augenmerk, glaube ich, insgesamt auf das Handeln und Fühlen der beiden Hauptcharaktere richten, dann kommt man schnell ein gutes Stück voran. Beide stammen ja, der Sage nach, von Göttern ab, beide sind herausragende Anführer im Krieg, gelten als unüberwindbar, ragen aufgrund ihrer strahlenden Erscheinung aus der Masse der „Durchschnittsmenschen“, die sie umgibt, heraus. Kleist lässt in seinem Stück bewusst den größten griechischen Helden und eine ihm in allem ebenbürtige Gegnerin aufeinanderprallen. Ansonsten scheint ihm aber der Kampf um Troja und der konkrete Verlauf der damaligen Geschichte gleichgültig zu sein. Kleist möchte Neues zum Ausdruck bringen. Zu Achilles und Penthesilea:
Beide sind launisch, sprunghaft, unberechenbar, werden von ihren Gefühlen angetrieben und selbst vom eigenen Gefolge nicht mehr verstanden. Ich habe nicht gezählt, wie oft und in welchen Variationen der Begriff „Rasende“, „Rasender“ auftaucht, die Häufung dieser Bezeichnung spricht für sich (bei dtv z.B.: 50,31; 73,14; 92,2). Kennzeichnend ist, dass Penthesilea Prothoe im 5. Auftritt in einem Wutanfall verstößt und im nächsten Augenblick begnadigt, dass sie im 7. Auftritt das „Rosenfest“, also die Siegesfeier, anordnet und sich kurze Zeit später erneut in die Schlacht gegen die Griechen stürzt.
Das Wechselbad widersprüchlicher Anordnungen und Gemütszustände geht so weit, dass beide vom Gefolge für „wahnsinnig“ gehalten werden: „Wahrt solch ein Wahnsinn jemals noch erhört!“ und „Sie ist von Sinnen“ lautet das Urteil der Oberpriesterin und das Prothoes im 7. und im 9. Auftritt über den Gemütszustand der Chefin. Mehrfach wird beschlossen, die beiden mit Gewalt in die eigenen Reihen zurückzuholen: Diomedes über Achill im 1. Auftritt: „Weicht er dir nicht, wohlan, so will ich ihn / Mit zwei Ätoliern auf den Rücken nehmen, / und einem Klotz gleich, weil der Sinn ihm fehlt, / in dem Argiverlager niederwerfen.“ Die Oberpriesterin über Penthesilea (im 22. Auftritt): „Drum mit dem Strick, Ihr Arestöchter, schleunig / Dort auf dem Kreuzweg hin, legt Schlingen ihr, / Bedeckt mit Sträuchern, vor der Füsse Tritt. / Und reißt, wenn sich ihr Fuß darin verfängt, / Dem wutgetroffnen Hunde gleich, sie nieder: / Daß wir sie binden, in die Heimath bringen, / Und sehen, ob sie noch zu retten sei.“
Es ist in der Tat so, dass beide für das eigene Gefolge zur wachsenden Bedrohung werden, indem sie nur noch ihre eigenen Ziele, nicht aber diejenigen der Gemeinschaft verfolgen. Achilles beispielsweise formuliert seine innere Kündigung im 21. Auftritt dem Odysseus gegenüber so: „Wenn die Dardanerburg, Laertiade, / Versänke, du verstehst, so daß ein See, / ein bläulicher, an ihre Stelle träte; / Wenn graue Fischer, bei dem Schein des Monds, / Den Kahn an ihre Wetterhähne knüpften; / Wenn im Pallast des Priamus ein Hecht / Regiert´, ein Ottern- oder Ratzenpaar / Im Bette sich der Helena umarmten: / So wär´s für mich gerad´ so viel, als jetzt.“ Ganz ähnlich grübelt Penthesilea schon im 5. Auftritt: „Denk´ ich bloß mich, sind´s meine Wünsche bloß, / Die mich zurück aufs Feld der Schlachten rufen?“
Alles in allem scheinen beide von einer geheimnisvollen Art von Sehnsucht getrieben, der sie keinen Widerstand entgegensetzen können und die sie weit über die (kleinkarierten) Bedürfnisse und Sorgen des Gefolges (der „Durchschnittsmenschen“ also) herausragen lässt. Das wird an den immer wiederkehrenden Metaphern über „Höhen“ und „Gestirne“ deutlich, die sich beide Könige zum (unerreichbaren) Ziel nehmen. So Penthesilea, während sie im 9. Auftritt geistesabwesend in die Sonne blickt: „Daß ich mit Flügeln weit gespreizt und rauschend, / Die Luft zertheilte - !“ So der Kommentar eines Mädchens über den Zweikampf der beiden im 7. Auftritt: „Ihr Götter! Haltet eure Erde fest - / Jetzt, eben jetzt, da ich dies sage, schmettern / Sie, wie zwei Sterne, auf einander ein!“.
Beide erkennen wohl, dass sie ihr Ziel im Leben nicht verwirklichen können, gehen vom ersten Auftritt an auf den eigenen Tod zu. Achilles spricht diese Konsequenz im 4. Auftritt offen aus: „Was mir die Göttliche begehrt, das weiß ich; / Brautwerber schickt sie mir, gefiederte, / Genug in Lüften zu, die ihre Wünsche / mit Todgeflüster in das Ohr mir raunen.“
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Vielen Dank, Batcat.
Mal eine Frage an die Teilnehmer, die "Heart of Darkness" im Original lesen wollen - kennt jemand eine Textausgabe, in der die schwierigsten Vokabeln aufgelistet sind, oder einen Verlag, der hierzu eine Art Vokabelheft herausgegeben hat (wie sie im Unterricht verwendet werden)? Das würde die Sache ein wenig erleichtern...
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Die „Penthesilea“, soviel steht fest, ist kein leicht verdauliches Bühnenstück. Die unverständliche Mischung aus Pathos und Irrationalität der beiden Hauptcharaktere, das grausame Ende des Achilles, der eigentümliche Tod der Amazonenkönigin, all das dürfte nicht leicht zu erklären sein. Was uns nicht abschrecken sollte: auch das Gefolge der beiden Akteure steht am Ende ratlos da und begreift nicht, was hier eigentlich geschehen ist.
Im Anschluss an den letzten Auftritt habe ich mich mit den biographischen Daten des Autors im Anhang befasst und da fallen mir drei Aspekte auf: erstens ist der Autor früh verstorben, in seinem 35. Lebensjahr. Wir haben es also nicht mit einem altersweisen Spätwerk zu tun und von daher ist die Impulsivität und Emotionalität seiner Charaktere vielleicht erklärbar. Zweitens: Kleist hat in seinem kurzen Leben eine Menge mitgemacht. Er war Soldat, Offizier der preußischen Armee um genau zu sein, hat an Feldzügen teilgenommen, geriet in französische Gefangenschaft. Wenn in der „Penthesilea“ von den Gräueln des Krieges die Rede ist, dann spürt man, dass der Autor diese am eigenen Leib erfahren musste, sie werden von einem erzählt, der sozusagen vom Fach ist. Drittens, und da komme ich auf die Umstände des Todes zurück: Kleist hat sich das Leben genommen – er hat in der Nacht des 21. November 1811 zunächst seine Freundin Henriette Vogel und dann sich selbst erschossen. Am Abend zuvor hatten die beiden einander Abschiedsbriefe geschrieben.
Schaut man auf diese biographischen Tatsachen, dann wird klar, dass die „Penthesilea“, die Kleist nur vier Jahre vor seinem Tod vollendet hatte, mehr ist als ein absurde, unverständliche Fiktion – am Ende steht hier wie dort der Tod eines Liebespaares und somit hat Kleist mit den Versen über die rätselhafte Amazonenkönigin Dinge zur Sprache gebracht, um die es ihm bitterernst war und die - mich jedenfalls - zutiefst erschrecken.
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@Babyjane
Ich bin mir ziemlich sicher, dass es „nur“ um die rechte Brust geht. Das wird im 15. Auftritt an zwei Stellen so gesagt. Einmal, als Penthesilea über Tanais, die erste Amazonenkönigin spricht:
„Die Königinn stand einen Augenblick, / Und harrte still auf solcher Rede Glück; / Doch als die feige Regung um sich griff, / Riß sie die rechte Brust sich ab ...(dtv S. 127, Vers 4 ff.)
Und dann, um den (vermutlich blöd dreinguckenden) Achilles zu besänftigen:
„Sei ganz ruhig. / Sie (gemeint sind die jungen, lieblichen Gefühle) retteten in diese Linke sich, / Wo sie dem Herzen um so näher wohnen.“
Und um noch eins draufzusetzen:
„Du wirst mir, hoff´ ich, deren keins vermissen.“ (dtv S. 128, Vers 28 ff.)
Über die "Optik" unserer eisenharten Penthesilea muss ich jetzt erst mal ein wenig nachdenken...