Hallo,
Hier eine Leseprobe aus "Sargor"
Autor: Creeco, El
Titel: Sargor
Prolog
Die Turmuhr schlug exakt zwölf Mal, als er das schwere, schmiedeeiserne Gittertor hinter der Kirche öffnete. Es knarzte laut, und wer von ängstlicher Natur war, dem genügte alleine der Klang dieses Geräusches, eine Gänsehaut zu bekommen. Alle seine Sinne waren bis aufs Äußerste geschärft. Er hatte sich entschieden. Nun gab es kein Zurück mehr. Die Erkenntnis stimmte ihn zufrieden. Lächelnd nahm er die Stufen, die in das Gewölbe hinab führten, das sich tief unter der Kirche befand. Genau sechshundertsechsundsechzig waren es, er hatte nachgezählt, als er sich das letzte Mal hinunterbegeben hatte. Dieses Ereignis lag nun beinahe ein Jahr zurück, ein Jahr, das er mit den Qualen einer Entscheidung verband. Eine, die er nun getroffen hatte. Er hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass das, was er tat, das Richtige war.
Mehr als deutlich erinnerte er sich an jenen, schicksalhaften Tag, an dem er - aus reiner Neugierde - in die Tiefe hinabgestiegen war. Damals glaubte er, er sei verrückt. Doch kurze Zeit später begannen sie, ihn an allen nur denkbaren Orten aufzusuchen und ihm auf ihre ganz eigene Art und Weise zu zeigen, dass sie Wirklichkeit waren. Anfangs empfand er ihre immer öfter stattfindenden Besuche als beängstigend, ihre Gedanken und Einstellungen hielt er für grausam. Doch nun erlebte er es auf gewisse Art als bewundernswert, es beflügelte auf eine ganz bestimmte Weise seinen Geist, beinahe so, wie einen das Betrachten eines Kunstwerkes inspirierte. So erfreute er sich mehr und mehr an den Dingen, die sich nunmehr in ihm zu regen begannen, und immer stärker wurden. Lange Zeit hatte er gebraucht, um zu begreifen, dass er dagegen machtlos war, und mit der Zeit hatte er es als immer befriedigender erlebt, ebenso zu fühlen wie sie. Inzwischen wunderte er sich sogar darüber, warum er sich so lange dagegen gewehrt hatte. Gerade hatte er die dreiunddreißigste Stufe erreicht, als er hinter seinem Rücken ein lautes Kacken vernahm. Erschrocken fuhr er herum. Hinter ihm stand eine grüne Gestalt, nein, sie schwebte genauer genommen, wobei sie ihn aus grünen, bösartig funkelnden Augen hämisch musterte. "Nun, Sargor, hast du dich entschieden?"
"Ja, das habe ich, Schlitzauge, verrätst du mir, wie ich durch das Tor komme?", mit Dreistigkeit war man hier besser beraten, als mit Höflichkeit. Jene brachte einen hier unten nicht weit, und wie er häufig hatte feststellen müssen, oben auch nicht. "Das musst du schon selbst rausfinden, aber bedenke: wenn du erst einmal drin bist, kommst du nicht eher wieder heraus, als bis du dich bewährt hast!" "Das ist mir bekannt, und ich habe gewiß nicht vor, umzukehren, wenn ich mich recht erinnere, sagte ich bereits, dass ich mich ENDGÜLTIG entschieden habe?", entgegnete er in sarkastischem Tonfall, wobei auf seinen dünnen Lippen der Anflug eines höhnischen Lächelns zu erkennen war. "So wie es aussieht, bist du ja auf dem richtigen Weg, doch bis du die dunklen Künste perfekt beherrschst, ist es ein weiter Weg, Sargor, täusche dich nicht! Du scheinst ein gelehriger Schüler zu sein. Mut hast du auch. Doch lass dir eines gesagt sein: um die Armeen der Unterwelt zu führen, braucht es noch viel, viel mehr! Glaub mir, du hast noch einen langen Weg vor dir, Sterblicher!", die Kreatur lachte laut auf, was die alten Wände bedenklich erzittern ließ. Sargor schluckte. Auch wenn er es nicht gerne zugab: im Grunde hatte er Recht: es brauchte verdammt viel Wissen und Macht, diese Geschöpfe anzuführen. Und letztere würde er sich hart erarbeiten müssen. Die meisten dieser Wesen verfügten über die unterschiedlichsten Fähigkeiten, die er erst noch erwerben musste. Um die absolute Herrschaft zu erlangen, musste es ihm gelingen, seine Sterblichkeit zu überwinden. Die Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, würde er dort unten finden. Der erste Schritt bestand in der Überwindung der Schwelle. "Wenn du nichts dagegen hast, werde ich meinen Weg nun fortsetzen - ich denke, ich habe noch einiges zu erledigen!", ohne sich noch einmal umzudrehen, lief er weiter. Das Wesen folgte ihm. "Eine weise Entscheidung, Meister", sagte es, "dass du dich zu deiner wahren Natur bekennst, meine ich. Es hat ja auch lange genug gedauert!"
Sargor ignorierte ihn und folgte beharrlich den Stufen, die ihn in immer finsterere Gewölbe führten. Er verspürte keinerlei Furcht, im Gegenteil, hier fühlte er sich wohl, es war sein Zuhause, seine wahre Welt, die der seines Innern entsprach. Von Menschen hatte er genug. Er wunderte sich selbst, dass es ihm nicht das Geringste ausmachte, seine Familie zu verlassen und seiner tiefsten Wahrheit zu folgen. Und er war stolz darauf. Mit jeder Stufe, die er seinem Ziel näher kam, wurde die Vorfreude auf das, was ihm bevorstand, größer. Er blickte über sich. Dunkle Steine, die nur durch das spärliche Licht einer Kerze, die kurz vor dem Verlöschen war, erleuchtet wurden, umgaben ihn. Feuchtigkeit sammelte sich an der Decke und tropfte zu Boden. Ihn schauderte, als ein besonders dicker Tropfen ihn mitten auf den Kopf traf. Die Leere, die er in den letzten Wochen verspürt hatte, als er noch mit sich haderte, war verschwunden. Was blieb, war eine unendliche Dunkelheit, die viel stärker war als diese, in die er sich gerade begab. Er gab sich der Finsternis vollends hin, was ihn letzten Endes zu seiner Entscheidung führte. Sie warteten auf ihn, er wusste es, und er konnte spüren, wie sich eine eisige Hand um die Tiefen seiner Seele legte, die ihm beinahe den Atem nahm. Willig ließ er sich von ihr fesseln. Er hatte es ja so gewollt ...