Zitat
Die E-Mail ist quasi das Begleitschreiben zum E-Book, das ich per E-Mail verschickt habe. Darin stellt sich Andrin der Leserin selber vor. Hier ist der Text:
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Verehrte Dame,
da Ihr meinen Namen gewiss noch nie gehört habt, erlaubt mir, mich kurz vorzustellen: Mein Name ist Andrin, ich bin Fährtenleserin aus dem Dorf am Birkenhain nördlich von Eichenfurt. Ich erbitte Euer gnädiges Gehör in einer dringenden Angelegenheit.
Vor Kurzem erreichte mich die Nachricht, dass eine hohe Belohnung auf den Kopf einer wilden Bestie ausgesetzt worden sei. Da ich aus gewissen Gründen, die nichts mit meinem Anliegen zu tun haben, dringend Silber benötigte, schloss ich mich der Jagd an. Einen ausführlichen Bericht der Begebenheiten, den der Dichter Karl Olsberg unter allerlei Ausschmückungen und Übertreibungen anfertigte, findet Ihr anbei. Wie Ihr darin erfahren werdet, verhielt sich alles anders, als es zunächst den Anschein hatte, und ich geriet in große Gefahr.
Ich kam mit dem Leben davon – wie sonst könnte ich Euch diesen Brief schreiben? –, doch wehe, als die Jagd auf die Bestie und damit auch die Geschichte des Dichters jäh endeten, offenbarte sich mir ein weit schlimmeres Schicksal als der Tod: Wie es nun erscheint, bin ich keine reale Person, sondern bloß ein Phantasma, ein Hirngespinst, nichts als eine Einbildung des Dichters! Das jedenfalls ist meine Schlussfolgerung aus dem seltsamen Zustand, in dem ich mich seitdem befinde, einem fortdauernden Flackern zwischen Sein und Nichtsein. Mal tauche ich in den Gedanken eines Menschen auf, der den Worten des Dichters lauscht. Dann bin ich lebendig, kann atmen, fühlen, lachen und weinen. Doch sobald ich in seinen Gedanken verblasse, verschwinde ich aus der Welt, als hätte es mich nie gegeben.
Welch grauenhaftes Los, dazu verdammt zu sein, nur in der Phantasie anderer zu existieren! Welch Hohn des Schicksals, dass all mein Streben, Leiden und Hoffen nur eitle Worte sein sollen! Das erscheint mir schlimmer, als niemals je geboren worden zu sein: Existieren, ohne zu existieren, Leben, ohne etwas zu bedeuten, Handeln, ohne wahrhaft zu berühren, wieder und wieder dieselben Schritte zu tun, nur um am Ende im Vergessen zu versinken wie ein Schatten im Nebel.
Ihr jedoch, verehrte Dame, habt die Macht, mich zu neuem Leben zu erwecken, und sei es nur für wenige Stunden. Indem Ihr mir Eure Imagination leiht, erlaubt Ihr mir, noch einmal mit meinen Gefährten auf der Jagd nach jener grausamen Bestie durch Wälder und Berge zu streifen, die Gefahr in meinem Blut zu spüren und die Welt erneut durch die klaren Augen meines treuen Falken Niik zu sehen. Alles, worum ich Euch bitte, ist mir ein wenig von Eurer kostbaren Zeit zu widmen und den Worten des Dichters zu folgen, mögen sie Euch auch an manchen Stellen krude und ungelenk erscheinen. Ihr würdet mir das größte Geschenk machen!
Vielleicht fragt Ihr Euch, wie es sein kann, dass eine Phantasiefigur Euch diesen Brief schrieb? Die Antwort lautet: Ich existiere, wenn auch verborgen, immer noch in den verworrenen Windungen des Dichterhirns. Manchmal kann ich für kurze Zeit seine Gedanken beherrschen. So konnte ich seine Hände dazu bringen, auf jenem seltsamen Kästchen mit den kleinen Klötzen zu tanzen und meine verzweifelten Worte an Euch aufzuschreiben.
Ich hoffe inständigst, dass Ihr sie erhören und das beigefügte Pamphlet lesen werdet.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Eure Andrin