Beiträge von B.Linzel

    Schweinkram im rosafarbenen Learjet, stinkebesoffen, mit einer an der Hotelbar aufgerissenen Schlampe - ist das eine Männerfantasie? Das Buch jetzt bloß nicht weglegen, so geht's wirklich nicht weiter. Das Ding geht nämlich bei einem absurden Crash kaputt, Tucker Case ist am eigenen Ding bös' verletzt und seinen Pilotenjob los - samt Flugschein. Als er gar keinen Ausweg mehr sieht, wird ihm plötzlich ein Job angeboten: Im Auftrag eines Arztes soll er eine winzige Insel in Mikronesien mit Medikamenten versorgen. Als ob's nicht genügend arbeitslose Piloten gäbe, denen das Fliegen erlaubt ist und die sich ebenfalls für einen Traumjob in der Südsee interessieren dürften. Aber wie das so ist mit einem geschenkten Gaul.
    Zweifel kommen Case unter anderem, als er irgendwann aufwacht und mit dem Kopf nach unten an einem Brotfruchtbaum hängt. Er trifft auf (Ex-)Menschenfresser auf dieser Insel - der alte Kannibale Sarapul ist noch nicht so ganz vom neuen Speiseplan überzeugt -, sowie auf Eingeborene, die einen amerikanischen Piloten aus dem Zweiten Weltkrieg verehren und das auf seinen Bomber gemalte Pin-up-Girl - das, so scheint es, irgendwann zu Fleisch und Blut geworden ist - als Himmelsgöttin anbeten. Daraus entwickelt sich eine haarsträbende Geschichte über ein Verbrecherpärchen, das seine Anbeter in des Wortes schlimmster Bedeutung ausbeutet.


    Beste Unterhaltung, witzig, geistreich. Vor allem aber wird eine gute Geschichte gut erzählt. Die "Himmelsgöttin" ist eine der bösartigsten, hassenswertesten Schurkinnen, die mir je ungekommen sind. Und die eigentliche Heldin, das Herzstück der Himmelsgöttin, ist eine abgedrehte Transe, die eine der letzten großen Seefahrer ihres Volkes ist und - samt ihrer Fledermaus - dem Leser viel zu sehr ans Herz wächst.
    Ach ja, eigentlich ist dies eine Geschichte über Jesus, der mit seinesgleichen eine Wette abschließt. Aber mehr zu verraten wäre blöd. Wirklich zu empfehlen.



    Der Autor stammt aus Ohio, verdiente - laut Wikipedia - Geld als Dachdecker, Nachtwächter, Diskjockey, Fotograf, Versicherungs-Vertreter, Hotelrezeptionist, Kellner und lange Jahre als Journalist. Er studierte eine Zeit lang Anthropologie, später Fotografie. Er schreibt seit er zwölf ist, aber erst mit etwa 30 Jahren schaffte er mit „Der kleine Dämonenberater“ (Im Original „Practical Demonkeeping“) den Durchbruch - ein Jahr nach der Veröffentlichung kaufte Walt Disney die Filmrechte. Moore lebt in Kauai (Hawaii) und San Francisco. Einige seiner Bücher - fast durchweg sehr, sehr amüsant - Blues für Vollmond und Koyote, Lange Zähne, Der Lustmolch, Die Bibel nach Biff, Flossen Weg!, Der törichte Engel oder Liebe auf den ersten Biss.

    Als ausgewiesener Satterthwait-Fan habe ich mir nach begeisternden Titeln (eigentlich alle außer den Scherenschnitten) den noch ungelesenen Band seiner besten Reihe ein halbes Jahr lang für den Urlaub aufgehoben. Und dann derart geschimpft und gezetert, dass die Badegäste um mich herum ihre Taschen zusammengerafft und sich nach anderen Ufern umgesehen haben: Welcher Depp hat das übersetzt? Ich hab's zurückgelassen, so sehr haben mich diese Stummelsätze, diese achtlose, lieblose Stümperei geärgert ("die Fassade von dem Hotel"). Man muss kein Bastian Sick-Jünger sein, um sich bei all diesen geschändeten Genitiven zu krümen. Dennoch: Klasse Geschichte. Nachdem es die meisten Satterthwait-Titel nur noch gebraucht gibt - was für ein Drama, an "Oscar Wilde im Wilden Westen" zu kommen! - hoffe ich jetzt nicht nur auf eine Neuauflage, sondern auch auf besses Deutsch.

    Ein Ausnahmebuch, das ich nach den ersten paar Seiten genossen habe wie - im Schnitt - höchstens fünf, sechs Titel im Jahr. Wie ärgerlich war die vernichtende Kritik im Spiegel ("steril wie ein Satz OP-Handschuhe") und dieses ganze medienwirksame Kasperletheater um das Aussehen der jungen Autorin. Ein Freund, den ich dazu überreden konnte, gab entnervt auf. Um so schöner ist es jetzt, zu sehen, dass so viele Eulen meine Freude an dieser Poesie, diesem Witz und dieser Wortgewalt teilen. Hatte schon angefangen, an mir zu zweifeln. Würde gerne mehr von Blue lesen.

    Belletristik? Humor? Biographie? – ich habe nicht die leiseste Ahnung, unter welcher Rubrik das hier gehandelt wird. Gibt’s vielleicht eine Kochbuch-Ecke??


    Julie Powell lebt in New York, fürchtet den 30. Geburtstag, trinkt zuviel, hadert mit sich und ihrem Leben und ist an einem Punkt, an dem sich etwas verändern muss. Eines Tages beschließt sie, zu kochen. Nicht irgend etwas, nicht irgend wie, sondern nicht weniger als alle 524 Rezepte eines Kochbuchs, das in den USA jahrzehntelang der Maßstab aller Koch-Dinge war: Julia Childs „Mastering the art of french cooking“. Ein Jahr will sie sich dafür Zeit lassen, das Ganze zudem in einem blog dokumentieren. Und da gibt es wirklich einiges zu berichten. Umzug, Stromausfall und eine Madenkolonie im Abtropfsieb machen ihr zu schaffen, vor allem aber geht es um den alltäglichen Kampf mit diesem Kochbuch, der zunehmend Leser und Mitesser lockt, die Köchin aber immer wieder an den Rand des Nervenzusammenbruchs treibt. Manchmal auch darüber hinaus. Wie sie das erste Mal alles daran setzt, das Mark aus einem Rinderknochen zu holen, wie sie Hummer heimtransportiert und dann zu töten versucht (ups), wie sie Vögel rupft, den Kampf mit zutiefst verhassten Innereien aufnimmt und entdeckt, dass Gelatine ihr Ding nicht ist – das hört sich blöd an, ist teilweise aber wirklich vergnüglich. Wer selbst hin und wieder unter Zeitdruck Gäste bekocht, und die damit verbundenen Krisen kennt, weiß, wie es geschehen kann, dass vernunftbegabte Wesen plötzlich mit Küchengeräten schmeißen und mit sich überschlagender Stimme Unverständliches brüllen, fluchen, wimmern. Schon erstaunlich, wie oft diese Frau das Wort „Scheiße“ unterbringen kann, ohne öde zu wirken.
    Julie Powell hat ganz bestimmt den geduldigsten Mann der Welt, aber selbst er schüttelt sie eines Abends und schreit sie an: „Es ist doch nur Mayonnaise, Herrgott“ (oder so ähnlich; ich hab das Buch bereits vor einer Woche wieder in die Bücherei zurückgebracht). Und Powell erträgt die restlichen Katastrophen dieses an Katastrophen nicht armen Tages leise weinend – wirklich witzig.
    Für die Köche: Es finden sich hier einige nützliche Tipps, wie sich das eine oder andere Sößle doch noch retten lässt. Oder man ist ganz einfach froh, sich nicht selbst Stunde um Stunde an seitenlangen Rezepten abarbeiten zu müssen – hat jemand eine Ahnung, was für ein Schweineg'schäft mit Entenlebermousse gefüllter und eigenhändig entbeinter Gänsebraten im Teigmantel ist? Für alle anderen: Julie Powell arbeitet(e?) als Sekretärin in einer Behörde, die nach dem 11. September „Ground Zero“ überplante, und wenn sie während ihres Koch-Marathons nicht in ihrer Küche stand, hatte sie auch im Büro Erlebnisse und Begegnungen der etwas anderen, durchaus unterhaltsamen Art.
    Ihre blog-Einträge wurden schließlich mit kleinen Skizzen zu Julia Childs Leben verbunden und zum Buch gemacht, und wenn bei diesen Betrachtungen zum Leben Childs bei all der Heldinnenverehrung manchmal ein etwas seltsamer Ton auszumachen ist, erklärt sich das gegen Ende von selbst.
    Julia Child, 1,88 groß, trinkfest, gerne und laut lachend, war vor allem eine lebende Koch-Legende und in Amerika – trotz ihres lausigen Akzents – der Inbegriff alles Französischen. Sie starb 2004 kurz vor ihrem 92. Geburtstag und ließ sich offenbar regelmäßig über das Experiment ihrer Namensvetterin informieren.

    Julie Powell stellt alles, wirklich alles auf den Kopf, was ich von einem Buch erwarte. Aber es funktioniert. Trotz der Butterberge leichte Kost, genau das Richtige zum Sektle in der Badewanne oder für die Mußestunde nach einem allzu langen Arbeitstag. Ich weiß nicht, ob jemand den „BAfH" kennt, den bastard assistant from hell, aber irgendwie ist das nun der zweite auf einem blog basierende Roman, der mir innerhalb kürzester Zeit in die Hände gefallen ist und mich mehrfach laut lachen ließ. Bon appétit hat Julia Child nach jeder Kochsendung gesagt, dem schließen Julie Powell und ich uns an.
    (edit: Rechtschreibfehler)

    Ich hab' all meine Lieblingsbücher, die hier noch nicht besprochen sind, verliehen; aber als nagelneuer Besen will ich unbedingt kehren. Hier also die „Rebellischen Engel“ von Robertson Davies - in erster Linie eine satirische Betrachtung zum Universitätsbetrieb.
    Den Professoren Mc Varish, Darcourt und Hollier wird als Testamentsvollstreckern ein sehr ungewöhnlicher Nachlass anvertraut - unter anderem finden (und verlieren) sich dort Rabelais‘ verschollene "Strategeme" sowie die Entwürfe zu drei ganz besonderen Briefen an Paracelsus. Die vermisste Handschrift, ein Mord und ein Selbstmord bestimmen die Handlung freilich nur vordergründig.
    Erinnernswert sind allein die Charaktere.
    Da ist vor allem Maria Magdalena Theotoky, die am kanadischen College of St. John and the Holy Ghost - einigermaßen respektlos „Spook“ genannt - ihren Doktorvater Clement Hollier liebt. Na ja, es gab da mal ein Stelldichein auf einem alten Sofa, dem in der Erinnerung der beiden höchst unterschiedliche Bedeutung zukommt. Die vielsprachige Studentin ist Rabelais-Kennerin - für sie waren die verschollenen Dokumente ursprünglich bestimmt - und konzentriert sich wie besagter Hollier auf die Paläopsychologie (wusste ehrlich gesagt nicht einmal, dass es so ein Forschungsgebiet gibt). Das heißt, sie erforscht, was die Menschen zu einer Zeit dachten, als ihr Denken noch „ein Mischmasch von Religion, Volksglauben und einigen Fetzen missverstandener klassischer Bildung“ war. Im Gegensatz zum Mischmasch von Materialismus, Volksglauben und einigen Fetzen missverstandener wissenschaftlicher Bildung. Ihr „zweites Paradies“ - nach dem verhinderten Liebhaber - ist das Streben nach Weisheit, und so ist „Rebellische Engel“ nicht nur Satire, sondern eben auch eine Liebeserklärung an Gelehrsamkeit um ihrer selbst willen. Maria hat vor allem eine Aufgabe: Sie muss sich mit ihrem Erbe versöhnen und irgendwann den Richtigen finden.
    Dabei hilft ihr eher unfreiwillig der zweite Ich-Erzähler Simon Darcourt, Reverend Professor mit ausgeprägtem Sinn für Humor, der zur Überzeugung gelangt ist, „dass ernsthafte Wissenschaft in diesem materialistischen Zeitalter das einzige tiefreligiöse Geschöpf ist“. Und natürlich Dr.Parlabane bzw. Bruder John, ein begnadeter Denker und leider streng riechender Ex-Mönch, der über scholastischen Streitgesprächen und seiner Hingabe an Skeptizismus – Alkohol und Drogen nicht zu vergessen – mehr als nur ein wenig aus der Spur geraten ist: glattzüngig, unterhaltsam, manchmal furchteinflößend wie der Teufel im angeschmuddelten Gewand eines fahrenden Scholaren.
    Auf sehr verschlungenen Pfaden (haha) wird auch Ozy Froats gebraucht, der menschliche Exkremente untersucht, sprich Individuelles und Charakteristisches im Stuhl sucht. Er glaubt, dass der Körper das Unbewusste ist, von dem Psychoanalytiker reden – jener unbekannte Faktor, aus dem das Unvorhergesehene und das Unkontrollierbare im menschlichen Charakter entspringt: Wenn alle Menschen lernten, intelligent mit ihrem Körper umzugehen, wäre das demzufolge ein Weg zu geistiger Gesundheit. Für seine Kritiker ist er freilich der „Scheißeschnipsler“, und selbst seinen Freunden fällt eine Vielzahl bemerkenswerter Wortspiele ein, etwa zu „zwölf Metern Literatendarm“. Ozy ist nur ein Beispiel für die skurrilen Gestalten, die diesem Buch Leben geben, hier allerdings mit gutem Grund angeführt. Denn seine Foschungsarbeit über Fäkalien führt zu Marias Mutter, einer Zigeunerin, die mit nahezu unbezahlbaren alten Geigen arbeitet und dazu unter anderem Pferdemist nutzt. So darf man sich ein funkelndes Kaleidoskop vorstellen.
    Nicht vergessen werden dürfen dieses Ekelpaket Mc Varish („er war einfach nur unausstehlich, und das gilt aus irgend welchen Gründen nicht als Entschuldigung für den Wunsch, sich jemanden vom Hals zu schaffen“) und all die anderen Gestalten, die in erster Linie boshafte kleine Betrachtungen zum Wesen eines Elfenbeinturmes sind - angefangen beim schrulligen Fabulierer bis hin zum ausgemachten Dummschwätzer. Am meisten aber mag ich an diesem Buch, dass Zusammenhänge, die unbedingt erklärt werden müssen, so vollendet in die - durchweg geschliffenen - Dialoge einfließen, dass den Lesern niemals das Gefühl vermittelt wird, belehrt zu werden oder schlicht dämlich zu sein.


    Der Autor, leider 1995 im Alter von 83 Jahren gestorben, war einer der großen kanadischen Schriftsteller. Nach dem Studium in Kingston und Oxford versuchte er sich zunächst als Schauspieler, dann war er Kulturredakteur verschiedener Zeitungen und wurde schließlich als Professor für englische Literatur an die Universität Toronto berufen. Seine Romane wurden in fast alle europäischen Sprachen übersetzt. Neben den Rebellischen Engeln sind im Paul Zsolnay Verlag weitere empfehlenswerte Titel erschienen: „Der Fünfte im Spiel“, „Das Fabelwesen“ oder „Welt der Wunder“.
    (Edit: Rechtschreibfehler und neue ISBN-Nummer)

    Längst sind die besten Tipps Euch zu verdanken. Danke. Ich habe mir in den vergangenen Monaten zudem angewöhnt, Bücher, die mir gut gefallen haben, in der Büchereule zu suchen, ganz gleich, ob es sich um Satterthwait-Titel handelt oder um den neuen Hill, ob um "Die alltägliche Physik des Unglücks" oder - wie gerade heute - "Verblendung". Immer öfter juckt es mich freilich auch in den Fingern, meinen Senf beizusteuern. Nachdem ich jetzt noch festgestellt habe, dass zwei meiner wichtigsten Bücher unbesprochen sind, bin ich gewillt, eine Büchereule zu sein. Ich verspreche, meine Schreibinkontinenz zu zügeln, und ich bitte Euch, mit mir Grünschnabel ein bisschen Geduld zu haben.