"Unsichtbare Spuren" präsentiert mit Kommissar Henning zwar einen polizeilichen Ermittler, der sich auf die Suche nach einem Serienmörder macht, dennoch handelt es sich keineswegs um einen klassischen Ermittlerkrimi, sondern um einen Thriller, der um die Identität des Mörders kein Geheimnis macht und dem Täter sogar eine eigene Erzählperspektive gibt. Immer wieder wechselt die Perspektive zwischen dem Mörder und dem Kommissar hin und her.
Obwohl ein Perspektivwechsel durchaus interessant sein kann, ist er in diesem Fall eher hinderlich für Spannung und Tempo, denn es wird vieles doppelt erzählt. Zunächst erleben wir mit dem Täter die Tat und haben durch den Einblick in sein Seelenleben ein Ahnung, weshalb er tötet (Minderwertigkeitskomplex, Angst vor dominanten Frauen), anschließend wird die Leiche gefunden und die Kommissare ermitteln, was der Leser bereits weiß, und sie spekulieren darüber, wie das Seelenleben und die Lebensumstände des Täters aussehen mögen.
Es geht also nie darum, mit dem Kommissar vorwärts gerichtet zu ermitteln, sondern ihn bei seiner Tätigkeit zu beobachten, ohne wirklich mitgerissen zu werden oder teilzunehmen. Wenn die Geschichte doch ihre Spannung und ihren Reiz besitzt, so resultieren diese aus der Ungeheuerlichkeit und Grausamkeit der erzählten Verbrechen. Aus der Faszination des Grauens. Beinahe hundert Morde hat der Serienmörder begangen, und bei den letzten etwa zehn Abscheulickeiten begleitet der Leser den Mörder. Das Besondere an dem Killer ist, dass er wahllos mordet und keinerlei System besitzt. Er lässt sich vom Zufall leiten, und stets ist es dieser unvorhersehbare Zufall, der den Mörder mit dem Opfer zusammenführt und der zugleich dafür sorgt, dass ihn nie jemand sieht oder bemerkt. Kommissar Henning leitet daraus eine Art "Prinzip des Zufalls" ab: Der Mörder wird vom Schicksal geleitet, er ist das Schicksal, er folgt einem übergeordneten Prinzip, das er selbst nicht versteht. Die Zufälle sind in ihrer Häufung nicht zufällig, sondern vorherbestimmt. Mich hat dieser esoterische Unsinn etwas genervt, das Zufallsprinzip wird allzu penetrant und bedeutungsschwanger immer wieder aufgewärmt, ohne dass es zu irgendetwas (Handlung oder Erkenntnis) führt.
Viel bedenklicher für die Erzählung aber ist, dass aus dieser (schicksalhaften) Zufälligkeit eine Beliebigkeit entsteht, die der Story nicht gut tut. Anders als etwa Agent Starling in "Schweigen der Lämmer" hat der Ermittler kein System zu knacken, keine Serie zu entschlüsseln, kein Puzzle zu lösen. Und so wird in dem ganzen Buch nichts wirklich ermittelt bzw. an Morden verhindert. Die Kommissare warten immer auf die nächste Tat, rätseln darüber, befragen das Umfeld der Toten (das wegen der Beliebigkeit des Opfers völlig irrelevant ist) und werden am Ende mit einem Mörder konfrontiert, der sich ihnen stellt, weil er sich umbringen und einen effektvollen Abgang haben will.
Was mich an dem Roman auch erstaunt hat, ist der steife und altbackene Stil, die schablonenhafte Erzählweise und klischierte Charakterisierung der Figuren. Wenn man dem Verlag glauben darf, handelt es sich bei Andreas Franz um den bestverkauften deutschen Krimi-Autoren. Umso unverständlicher ist es, dass der Mann so fürchterlich
hölzern und unrund schreibt, vor allem in den Dialogen, in denen es vor Worthülsen wimmelt. Vielleicht hat der Autor nach dem Erfolg seiner bisherigen 14 Romane keinen Lektor mehr, der ihm den Text gründlich beabeitet. Nötig hätte er ihn. Der Roman wartet mit allerlei Klischees und Gemeinplätzen auf, die im besten Fall überholt, manchmal aber auch ärgerlich sind.
In seinen besten Momenten schafft es der Roman, ein Unbehagen zu erzeugen, das von der Figur des Täters ausgeht (Butcher ist trotz der Klischeehaftigkeit seiner Charakterisierung wegen der Unfasslichkeit seiner Verbrechen eine erstaunliche Figur, und gerade das Ende des Romans bestätigt das), aber in seinen schlechteren Momenten entsteht dieses Unbehagen durch den schwachen Protagonisten Henning bzw. durch den steifen und hölzernen Schreibstil des Autors.